In guter Gesellschaft
Vieles spricht dafür, dass der Deutsch-Syrer Mamoun Darkazanli (51) für Al-Qaida von überaus großer Bedeutung ist und gute Kontakte zu ihr pflegt. Er selbst sieht sich jedoch als Opfer – und freut sich, dass es die deutschen Behörden sind, die gegen ihn ermitteln. Schließlich können sie an seinem Handeln partout nichts Strafbares erkennen.
VON STEFAN FRANK*
Auf Antrag der Linksfraktion beschäftigt sich der Innenausschuss des Deutschen Bundestages am kommenden Mittwoch mit den angeblichen Mordplänen des US-Geheimdienstes CIA gegen den Deutsch-Syrer Mamoun Darkazanli (Foto). Anlass ist eine Reportage in der amerikanischen Illustrierten Vanity Fair über Erik Prince, den Chef und Gründer des privaten Militärunternehmens Blackwater. Beiläufig wird darin erwähnt, dass das Unternehmen einmal von der CIA den Auftrag erhalten haben will, den Hamburger Geschäftsmann Darkazanli und den pakistanischen Atombombentüftler Abdul Qadir Khan zu beschatten und später eventuell umzubringen. Die Pläne seien jedoch wegen des „fehlenden politischen Willens“ nicht ausgeführt worden. „Es macht mich sprachlos, ehrlich gesagt. Das ist ein Mordauftrag“, sagte Darkazanli dazu der Bild-Zeitung und präsentierte ihr elektronische Bauteile, die er vor kurzem im Wagen seiner Frau entdeckt habe: „Vielleicht sind das Peilsender“. Darkazanli braucht sich aber keine Sorgen zu machen – auch Autofahrer, die nicht von der CIA beschattet werden, haben heutzutage solche Geräte in ihren Fahrzeugen. Außerdem ist es kein Geheimnis, dass nicht alles stimmt, was in Vanity Fair steht.
Im vorliegenden Fall ist zudem besondere Vorsicht geboten, denn als Beleg für die Geschichte wird lediglich eine anonyme „Quelle“ genannt. Zudem ist der Autor des Beitrags ein ehemaliger Geheimdienstmitarbeiter, und die lügen bekanntlich wie gedruckt. Wie oft schon wurde unter Berufung auf so genannte Geheimdienstkreise prophezeit, die USA würden die iranischen Atomanlagen bombardieren! Gelegentlich wurden sogar ein genaues Datum und der Name der Operation genannt – doch jedes Mal stellte sich bald heraus, dass es sich um leere Versprechungen gehandelt hatte. Trotzdem gaben sich hierzulande Politiker aller Parteien entsetzt, als die offenkundige Räuberpistole Anfang Januar die Runde machte. Und da es keine Fakten zu diskutieren gibt, sondern bloß eine unbelegte Behauptung, die man entweder glauben oder nicht glauben kann, dürfte die Sitzung des Innenausschusses schnell zu Ende sein und ungefähr so ablaufen:
Abgeordneter der Linken: Ich frage die Bundesregierung: Was wissen Sie?
Abgeordneter der Grünen: Ja, klären Sie alles rückhaltlos auf!
Vertreter der Bundesregierung: Ich weiß gar nichts.
Abgeordneter der Grünen: Was wissen die Amerikaner?
Vertreter der Bundesregierung: Die wissen auch nichts.
Abgeordneter der Linken: Das finde ich skandalös.
Abgeordneter der Grünen: Ich schlage vor, den Chefredakteur von Playboy...
Abgeordneter der Linken: Vanity Fair.
Abgeordneter der Grünen: Ich schlage vor, den Chefredakteur von Vanity Fair einzuladen, vielleicht weiß der etwas.
Vertreter der Bundesregierung: Na, dann kann ich ja jetzt gehen.
„Wie ein Who’s Who von Al-Qaida“
Interessanter wäre es, mehr über das vermeintliche Opfer zu erfahren, und da findet sich in deutschen und internationalen Medien einiges. Die Liste der Personen, mit denen Darkazanli Geschäfte gemacht oder anderweitig Geld ausgetauscht habe, lese sich wie ein Who’s Who von Al-Qaida, schrieb beispielsweise ein Journalist der Chicago Tribune. Die amerikanischen Geheimdienste sind demzufolge spätestens 1998 auf ihn aufmerksam geworden. Damals sei Darkazanli ein Partner von Mamdouh Mahmud Salim gewesen, einem der mutmaßlichen Mitbegründer von Al-Qaida, der inzwischen wegen Mittäterschaft bei den Anschlägen auf US-Botschaften in Afrika verurteilt wurde. Salim hatte Darkazanlis Nummer in seinem Mobiltelefon gespeichert und soll ihn häufig in Deutschland besucht haben. Seit 1995 hatte Darkazanli darüber hinaus eine Vollmacht für Salims Konto bei der Deutschen Bank in Hamburg; er behauptet, das Konto sei zum Ankauf von Antennen für eine Radiostation im Sudan eingerichtet worden, das Geschäft sei jedoch nicht zustande gekommen.
Laut der britischen Tageszeitung Independent taucht Darkazanlis Name auch in einem „mit unsichtbarer Tinte“ – islamische Terroristen sind manchmal etwas altmodisch – geschriebenen Adressbuch von Rangzieb Ahmed auf, dem ranghöchsten Al-Qaida-Mann in Großbritannien, der im Dezember 2008 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Darkazanlis Adresse wurde zudem bei Wadih el-Hage gefunden, einem weiteren Mittäter der Bombenanschläge von Afrika im Jahr 1998. Beide sollen in den 1990er Jahren für Osama bin Laden ein Schiff gekauft haben. Ist es ein Zufall, dass dieses Schiff im November 1995 den saudischen Hafen Jeddah anlief und ihn just am Vortag des Anschlages auf das Hauptquartier der US-Streitkräfte in Saudi-Arabien – die Detonation einer Autobombe tötete fünf Armeebedienstete – verließ? Die Täter wurden jedenfalls nie ermittelt.
Im Oktober 1999 wurde in der Hamburger Al-Quds-Moschee die Hochzeit von Said Bahaji gefeiert. Er war damals ein Zimmergenosse von Mohammed Atta und wird dringend verdächtigt, die Hamburger Terrorgruppe logistisch unterstützt zu haben, beispielsweise durch die Beschaffung von Visa und Flugtickets. Zur Hochzeit traf sich offenbar die gesamte Hamburger Al-Qaida-Szene, inklusive Mohammed Atta, Mounir al-Motassadeq und Ramzi Binalshibh. Darkazanli war der Trauzeuge. In der Al-Quds-Moschee predigte damals häufig Mohammed Fizazi, dem es ein dringendes Bedürfnis war und ist, „Juden und Kreuzfahrern“ die „Kehlen durchzuschneiden“. Fizazi hatte Kontakte zu den Urhebern der Anschläge von New York, Madrid und Casablanca und sitzt heute in Marokko im Gefängnis.
Ende August 2001, also kurz vor den Anschlägen in New York und Washington, soll Darkazanli außerdem mit Barakat Yarkas, dem damaligen Chef der spanischen Al-Qaida-Gruppe, in Kontakt gestanden haben. In einem abgehörten Telefonat unterhielten sich die beiden scheinbar belanglos über Herrenmode, wie die Süddeutsche Zeitung 2004 berichtete: „Der Mann mit der deutschen Telefonnummer fragte, ob der andere in diesem Jahr in die Türkei fahre. Der andere, der in Spanien saß, antwortete: Es gebe ‚englische Herrenpullover’, und auf dem Schwarzmarkt seien auch die ‚Preise sehr günstig’. Im weiteren Verlauf ging es um Jugendliche aus Marokko und Algerien, und die Ermittler schlossen aus alledem, dass die beiden womöglich Codewörter benutzt hatten, um über gefälschte Ausweispapiere zu sprechen.“ Yarkas, der heute in Spanien inhaftiert ist, soll sich mehrmals mit Darkazanli in Spanien und Hamburg getroffen haben.
In Spanien hat sich damals offenbar auch Mohammed Zouaydi herumgetrieben. Zouaydi ist der ehemalige Buchhalter der saudischen Königsfamilie und gilt als Al-Qaida-Mäzen. Die Welt meldete am 25. April 2002: „Zouaydi soll über verschiedene Wohnungsbaufirmen Terrorkommandos rund um den Globus finanziert haben. Mindestens 667.000 Euro soll der gebürtige Syrer mit spanischem Pass an Zellen unter anderem in den USA, in Großbritannien, in Belgien, im Jemen und in Australien überwiesen haben. 180.000 Euro gingen auch an Mamoun Darkazanli (‚Abu Ilias’), der in Deutschland für die Todesflieger vom 11. September um Mohammed Atta zuständig war. Darkazanli soll neben Atta auch Logistikchef Ramsi Binalshibh angeworben haben, nach dem jetzt auch im Zusammenhang mit dem Djerba-Attentat gefahndet wird.“ Darkazanli behauptete hingegen, von Zouaydi lediglich 9.000 US-Dollar bekommen zu haben. Dafür hätte er in Hamburg einen Gebrauchtwagen kaufen und ihn zu Zouaydi nach Spanien schicken sollen. Darkazanli habe jedoch kein passendes Auto gefunden und das Geld deshalb zurücküberwiesen. Es heißt, deutsche Ermittler hätten bezweifelt, dass ein Millionär wie Zouaydi jemanden engagieren muss, der ihm in Hamburg ein Fahrzeug aus zweiter Hand besorgt.
Der Terrorismusexperte Jean-Charles Brisard schrieb im Dezember 2002 in einem für den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen angefertigten Bericht: „Geld wurde von der saudischen Al Rajhi Bank über Mamoun Darkazanli und Abdul Fattah Zammar an die Hamburger Terrorzelle geleitet, die die Flugzeugentführer mit finanzieller und logistischer Unterstützung versorgten.“ Unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September 2001 verfügt US-Präsident Bush die Beschlagnahmung des Vermögens von 27 Firmen und Personen, die verdächtigt wurden, Geld an Al-Qaida geleitet zu haben, unter ihnen Mamoun Darkazanli. Auf der Seite von Interpol findet man den Steckbrief, mit dem Darkazanli international gesucht wird – außer dort, wo er wohnt. Gegen ihn liegt in Deutschland nichts vor, und da er einen deutschen Pass hat, wird er nicht an die Justiz eines anderen Landes überstellt.
Dabei sah es für ihn auch schon mal weniger gut aus. Der spanische Untersuchungsrichter Baltasar Garzón – der durch seine Bemühungen, Augusto Pinochet vor Gericht zu bringen, international bekannt geworden ist – wollte Darkazanli in Spanien den Prozess machen, da er ihn für eine Schlüsselfigur von Al-Qaida hält. Im Oktober 2004 beantragte er deshalb die Auslieferung. Rechtliche Grundlage war der „europäische Haftbefehl“, der seit August 2004 auch Deutschland verpflichtete, eigene Staatsbürger zur Strafverfolgung zu überstellen, sogar für Taten, die hierzulande nicht strafbar sind.
„Strafrechtlich nicht relevante Handelsgeschäfte“
Darkazanli kam in Haft, doch eine Stunde bevor er nach Spanien geflogen werden sollte, stoppte das Bundesverfassungsgericht die Auslieferung. Das deutsche Gesetz zum europäischen Haftbefehl, stellte es später fest, sei verfassungswidrig. Es musste überarbeitet werden; in der Zwischenzeit leitete die Bundesanwaltschaft ein eigenes Ermittlungsverfahren gegen Darkazanli ein, das am 14. Juli 2006 jedoch eingestellt wurde. Die Bundesanwaltschaft erklärte, Darkazanli habe zwar „zwischen 1993 und 1998 als Ansprechpartner verschiedener Al-Qaida-Verantwortlicher“ fungiert und sei „vermittelnd, betreuend und verwaltend in die international angelegten unternehmerischen Aktivitäten des Al-Qaida-Firmengeflechts eingebunden“ gewesen. Diese „der Al-Qaida-Organisation zugute gekommenen Aktivitäten“ hätten „jedoch nicht die Voraussetzungen einer Strafbarkeit“ wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung nach Paragraf 129a des Strafgesetzbuchs erfüllt. Und weiter: „Soweit er für Al-Qaida tätig geworden ist, wickelte er strafrechtlich nicht relevante Handelsgeschäfte als Vermittler ab. Weder die Art der gehandelten Waren noch die Abwicklungsmodalitäten noch der Einsatzzweck der Waren beim Empfänger lassen einen konkreten Bezug zu terroristischen Zielsetzungen erkennen.“
Dass Darkazanli möglicherweise die Al-Qaida GmbH finanziell betreut hat, hielt die Bundesanwaltschaft nicht für strafbar, denn das Gesetz gegen die Unterstützung von terroristischen Vereinigungen im Ausland gilt erst seit August 2002. So hatte auch Darkazanlis Anwalt Michael Rosenthal argumentiert. In seiner beim Bundesverfassungsgericht eingereichten Verfassungsbeschwerde gegen die Auslieferung Darkazanlis heißt es: „Für die Zeit vor 2002 fehlt es jedenfalls an der Unterstützung einer inländischen terroristischen Vereinigung. In der Zeit nach 2002 hat der Verfolgte sicher keine ausländische terroristische Vereinigung unterstützt (§ 129b StGB ist am 30. August 2002 in Kraft getreten).“
Da Darkazanli aufgrund dieser Gesetzeslücke nicht in Deutschland verurteilt werden konnte, verlangte die spanische Justiz erneut die Auslieferung. Jetzt aber griff die Exekutive ein. Bundesjustizministerin Zypries (SPD) lehnte das Ersuchen ab und nannte die Einstellung des Verfahrens in Deutschland ein „zwingendes Bewilligungshindernis“. Mit anderen Worten: Die Gesetzeslücke, die ein Verfahren in Deutschland verhinderte, bewahrte Darkazanli auch vor einem Prozess in Spanien – dank der Bundesjustizministerin. Hamburgs Justizsenator Carsten Lüdemann (CDU) warf ihr deshalb damals vor, „einen wichtigen Terrorverdächtigen vor der Strafverfolgung zu schützen“.
Der Terrorismusexperte Victor Comras sieht in Darkazanli eine wichtige Figur der islamistischen Terrorszene. Comras untersucht seit Jahrzehnten die Finanzierung terroristischer Organisationen und hat im Auftrag des UN-Generalsekretärs die Implementierung der vom Sicherheitsrat beschlossenen Sanktionen gegen Al-Qaida überwacht. Gegenüber Lizas Welt sagte er: „Herr Darkazanli ist von den USA und dem 1267-Komitee der Vereinten Nationen als jemand genannt worden, der direkt an der Finanzierung des Al-Qaida-Terrorismus beteiligt war. Er war – und ist vielleicht immer noch – aktiv involviert in den Erwerb und die Weiterleitung von Geldern an Al-Qaida und ähnlich gesinnte Gruppen.“
Das Problem sei, dass viele Beweismittel vor Gericht nicht verwertet werden könnten, da sie auf geheimdienstlichem Weg beschafft worden seien und die Verteidigung keine Möglichkeit habe, die Informanten vor Gericht zu befragen. Zudem sei es in allen Fällen, in denen es um Geldwäsche oder die Finanzierung von Terrorismus gehe, extrem schwierig, eine strafrechtliche Schuld festzustellen, da man den Fluss des Geldes vom Geber zum endgültigen Empfänger lückenlos rekonstruieren müsse. Die Weigerung der Bundesregierung, Darkazanli an Spanien auszuliefern, sieht Comras als ein Indiz dafür, dass es bei der Umsetzung von europäischen Abkommen zur grenzüberschreitenden Terrorbekämpfung weiterhin Defizite gebe. Und was sagt Darkazanli selbst? Er meint, es gebe „eine große Show, nur weil ich eine Tasse Kaffee bei meinem Freund getrunken habe“.
Heute hat er viel Zeit, in die Al-Quds-Moschee am Hamburger Steindamm zu gehen, wo er auch als Vorbeter tätig ist. Er lebt von Hartz IV, denn seinem früheren Beruf kann er ja nicht mehr in gewohnter Weise nachgehen, seit die meisten seiner Geschäftspartner im Gefängnis sitzen. Warum hatte Darkazanli mehr Glück als sie? Die New York Times zitierte ihn 2002 mit den Worten: „Natürlich weiß ich, dass gegen mich ermittelt wird – aber Gott sei Dank sind es die deutschen Behörden.“
* Stefan Frank ist freier Journalist und Autor des Buches „Die Weltvernichtungsmaschine. Vom Kreditboom zur Wirtschaftskrise“.
Eine von John Rosenthal ins Englische übersetzte Fassung dieses Beitrags wurde am 11. Februar 2010 auf dem amerikanischen Webportal Pajamas Media veröffentlicht: Al-Qaeda Financier Remains a Free Man in Germany.