24.2.06

Verkehrsschilder zu Danebrogs!

Wenn es darum geht, sich zu verteidigungswürdigen Einstellungen, Haltungen, ja Werten zu bekennen, wird gerne ein Imperativ bemüht, der an die Symbolkraft und Demonstrativität eines Stückes Stoff anknüpft: Flagge zeigen! Zumeist ist das nicht unbedingt wörtlich, sondern eher appellativ gemeint; manchmal jedoch tut man gut daran, den Aufruf im Wortsinne umzusetzen.

Angesichts der militant antidänischen Manifestationen fand das auch Aram Ockert, wohnhaft im Hamburger Stadtteil Altona. Also orderte er Anfang Februar dieses Jahres zehn Mal den Danebrog – die dänische Fahne –, zog einen bei sich zu Hause auf und fand für die verbleibenden neun in seinen Nachbarn begeisterte Abnehmer. Doch eine solche Aktion bedarf einer größeren, den privaten Bereich überschreitenden Öffentlichkeit, wenn sie eine Wirkung zeigen soll, die ihren Namen auch verdient. Daher richtete Ockert schriftlich einen Vorschlag an den Altonaer Bezirksbürgermeister Hinnerk Fock (FDP):
„Wenn der Danebrog in einigen islamischen Ländern brennt und als Fußabtreter benutzt wird, so muss man kein Freund der Dänen sein und auch kein Christ, der das Symbol seiner Religion geschändet sieht, um auf die Idee zu verfallen, symbolisch der dänischen Flagge die Ehre zu erweisen, indem man sie auf Altonas öffentlichsten Gebäude, dem Rathaus, hisst. Altona ist nicht nur eine alte dänische Stadt, die erst im 133. Jahr wieder deutsch ist, sie ist auch traditionell eine liberale Stadt, der Toleranz und der Freiheit verpflichtet. Das sollte ausreichen, um mit den angegriffenen Dänen solidarisch zu sein.“
Doch wie wenig das eigentlich Selbstverständliche tatsächlich unhintergehbar ist, machte die Antwort des Amtsvorstehers rasch deutlich. Fock (Foto rechts) wies das Ansinnen nämlich zurück. Er wolle „nicht noch weiteres Öl ins Feuer gießen“, beschied er Aram Ockert telefonisch, und mehr noch: Beim Lesen von dessen Schreiben sei ihm, Fock, der Gedanke gekommen, „dass so Kriege beginnen“. Ergo: „Eskalation ist für mich in der derzeitigen Situation ein falscher Weg.“ So spricht ein gewählter Bezirksbürgermeister, der sich selbst gewiss in der Tradition von Liberalität und Aufklärung verorten würde, dem diese Errungenschaften jedoch in einer Situation, in der ihre kompromisslose Verteidigung besonders bedeutsam wäre, allen Ernstes zu einem Mittel werden, das eine „Eskalation“ heraufbeschwöre. Ockert gab sich mit solcherlei Unfug denn auch nicht zufrieden und ließ Hinnerk Fock ein weiteres Schreiben zukommen, mit dem er seinen Bürgermeister zudem dezent darauf hinwies, dass dessen Verweigerungshaltung einem reichlich merkwürdigen Menschenbild folgt:
„Wer von uns beiden [hegt] eigentlich die schlimmeren Befürchtungen im Hinblick auf die bei uns beheimateten Muslime: Ich, der ich von meinem Bezirk erwarte, dass er den Bekenntnissen zur besonderen Beziehung mit Dänemark in Zeiten der Stürmung dänischer diplomatischer Vertretungen, dem Verbrennen dänischer Flaggen und der Ankündigung wild gewordener Muslime, wonach jeder Däne ist ein Anschlagsziel sei, Taten der Solidarität folgen lässt und sich damit negativ auf brutalisiertes und unzivilisiertes Treiben fanatisierter Muslime bezieht, oder sind es Sie, der mit der These vom Öl-ins-Feuer-Gießen ja unterstellt, unsere Altonaer Muslime fühlten sich durch den islamischen Mob eher repräsentiert als abgestoßen und würden daher die Solidarität mit Dänemark in der Tendenz als Angriff auf sich selbst empfinden?“
Auch zu der abstrusen Vorstellung Focks, das Hissen des Danebrogs könne einen Krieg heraufbeschwören, hatte Ockert Hellsichtiges auszuführen:
„Wenn Sie so wollen, ist dies der Wunsch, Krieg zu führen: Krieg gegen eine Vorstellung von Pluralität, die für das Nebeneinander von Unvereinbarem eintritt. Entweder aus Angst vor dem Konflikt, der romantischen Verklärung des Anderen oder aus apartheidsähnlichen Vorstellungen heraus. Krieg für die Idee einer Gesellschaft von prinzipiell Gleichen, ausgestattet mit unveräußerlichen Rechten, die der tragende Gedanke für das Gemeinwesen sind und eben nicht Religion oder Ethnie. Dieser Krieg wird aber nicht mit Gewehren, sondern mit der Einnahme einer republikanischen Haltung geführt, verbunden mit der Einladung, dieser Haltung beizutreten. Die Kehrseite ist, dass dem Angebot zur Integration auch die Drohung mit Ausgrenzung innewohnt. Das aber ist offenbar heute nicht mehr selbstverständlich, dass formuliert wird, was geht und was nicht, jedenfalls nicht von Seiten des Bürgertums. Der Citoyen als das Gemeinwesen gestaltender Bürger scheint einer aussterbenden Art anzugehören bzw. akzeptiert er es, dass immer größer werdende Teile des Gemeinwesens der demokratischen Penetrierung entzogen sind.“
Es nützte nichts; Fock blieb bei seiner Ablehnung. Erstaunlich eigentlich angesichts der Tatsache, dass noch im Sommer vergangenen Jahres das Altonale Sommerfest in Zusammenarbeit mit dem dänischen Generalkonsulat und eben dem Altonaer Bezirksbürgeramt über die Bühne gegangen war – und den Länderschwerpunkt Dänemark hatte. Ein knappes dreiviertel Jahr später wollte der Bürgermeister davon jedoch offenkundig nichts mehr wissen.

So blieb Aram Ockert nur die Intensivierung seiner begrüßenswerten Eigeninitiative: Ein Aufkleber mit dem Danebrog und der Aufschrift „Flagge zeigen“ ziert inzwischen hundertfach einige Hamburger Straßen; hinzu kam ein Flyer, der in einer Auflage von 3.000 Stück produziert wurde und zur Solidarität mit Dänemark aufruft:
„Ob es einem nun passt oder nicht, die Pressefreiheit und mit ihr die Meinungs- und Bekenntnisfreiheit trägt zurzeit rotweiß. Der Danebrog steht im jetzigen Moment für Toleranz und Aufgeklärtheit. Nicht, weil dies die beste Beschreibung der innenpolitischen Realität von Dänemark wäre, sondern weil die, die für das Gegenteil stehen, die dänische Flagge verbrennen.“
Die Altonaer Lokalpresse, immerhin, nahm sich des Themas an, und die meisten der immer noch eintrudelnden, inzwischen zahlreichen Leserbriefe, etwa an das Altonaer Wochenblatt, haben die Tendenz: Fock ist ein Feigling. Exemplarisch dafür steht die Zuschrift einer Bahrenfelder Bürgerin vom 22. Februar 2006, die befand: „Mit gespitzten Lippen bekennt sich der Bezirksamtsleiter Fock zur Meinungsfreiheit, um dann kein garstig Lied zu pfeifen.“

Wie man mit weiteren, wenig aufwändigen Mitteln und auf eine recht originelle Weise seinem Stadtteilvorsteher (und nicht nur dem) deutlich macht, was derzeit geboten ist, zeigen die hier versammelten Fotos: Manchmal benötigt ein Plädoyer für Aufklärung und Vernunft bloß einen weißen Klebestreifen. Dafür hat Altona den ersten Preis im Wettbewerb „Unsere Stadt soll schöner werden“ verdient – auch wenn sich Hinnerk Fock bei dessen Entgegennahme ziemlich unwohl fühlen dürfte.

Aram Ockert wiederum gebührt der Danebrog am Bande, erster Klasse.