23.2.06

Sharia in Westfalen

Es stand zu befürchten, dass das Amtsgericht Lüdinghausen der Anklage gegen Manfred van Hove folgen und ihn im heutigen Prozess wegen der Verbreitung der Koranrolle verurteilen würde. Der Spiegel etwa erwartete die Verhängung einer Geldstrafe. Doch das Urteil fiel noch drastischer aus: Ein Jahr auf Bewährung, ausgesetzt auf fünf Jahre, und zusätzlich noch 300 Sozialstunden.

Diese Entscheidung als Skandal zu bewerten, wäre noch eine schamlose Untertreibung. Und nicht genug damit, dass die Anklageerhebung wesentlich aufgrund einer diplomatischen Note der Islamischen Republik Iran erfolgte – auch das Gericht machte unmissverständlich klar, dass sein Urteil Präzedenzcharakter hat, wie der Spiegel berichtet:
„Das Strafmaß sei auch im Zusammenhang mit der aktuellen politischen Diskussion um die Mohammed-Karikaturen zu betrachten, sagte Richter Carsten Krumm. [...] ‚Die Bedeutung hat sich erheblich gesteigert durch die weltpolitische Lage.’ [...] Richter Krumm sprach von einer ‚erheblichen Verblendung’ bei dem 61-Jährigen. [...] Auch der Oberstaatsanwalt betonte, mit der Strafzumessung sei ein ‚deutliches Zeichen nach außen gesetzt worden’.“
Wer es im Vorfeld übertrieben fand, von einer drohenden Sharifizierung des Strafrechts zu sprechen, dürfte spätestens heute eines Schlechteren belehrt worden sein: Wenn sich ein Richter bei der Urteilsfindung und -begründung explizit auf die „weltpolitische Lage“ beruft, dem Angeklagten „Verblendung“ (!) vorwirft und ein Oberstaatsanwalt zufrieden befindet, mit der Bewährungsstrafe sei ein „deutliches Zeichen gesetzt worden“, folgt die Rechtsprechung der gesellschaftlich hegemonialen Islamophilie, reaktiviert einen vorbürgerlichen Paragraphen und unterbindet so rigoros die dringend notwendige Kritik des Gotteskriegertums. Ob diese mit einer Aktion wie dem Verteilen von Koran-Toilettenpapier künstlerisch hinreichend geschmackvoll umgesetzt worden ist, spielt dabei, wie van Hove selbst sagt, keine Rolle. Entscheidend ist vielmehr, dass die – auch polemische – Auseinandersetzung mit dem Islam justiziabel geworden ist. Und das ist nicht nur für den Angeklagten eine ausgesprochen schlechte Nachricht.

Ergänzende Links:
Interview mit Manfred van Hove
Kommentar zum Prozessausgang und seinen Folgen