Bitteres Bewusstsein
Vor etwas mehr als drei Jahren ging ein ambitioniertes Projekt online, das in eine bis dahin unbesetzte Lücke in der virtuellen Welt stieß. typoskript.net nannte es sich, und die dort versammelte Mischung aus fundierten Grundsatzbetrachtungen, eleganten Essays und ausführlichen Gesprächen zu Politik und Kultur durfte in vielerlei Hinsicht als außergewöhnlich gelten. Anspruchsvolle und doch zugängliche theoretische Gedanken etwa zu den Themen Antisemitismus, Antizionismus und Antiamerikanismus wechselten sich ab mit Essays über den Judenmord verherrlichenden Film Paradise Now, über die deutsche Geisteskultur des 19. Jahrhunderts oder über den Weg des Günter Grass vom Jungnazi zum Altlinken. Dazu gab es bemerkenswerte und im deutschsprachigen Raum in ihrer Ausführlichkeit und Eindringlichkeit einzigartige Interviews mit der US-amerikanischen Professorin und Schriftstellerin Phyllis Chesler, dem amerikanischen Publizisten Paul Berman sowie dem israelischen Schriftsteller Yoram Kaniuk.
typoskript.net war vielen Feinden offener Gesellschaften ein veritabler Dorn im Auge: den Adepten einer Friedensmacht Deutschland, den Antiimperialisten von links und rechts, den Anhängern des Kritischen Dialogs mit dem Islamismus, den Terrorverstehern, den Palästinafreunden, den Bush-Hassern und den Antisemiten jedweder Couleur. Sie alle haben nun einen Grund zum Feiern: typoskript.net ist seit gestern offline – „um aktuelle wie ehemalige Autoren und insbesondere deren Freunde und Familien zu schützen, wo nur das Schweigen Schutz wenigstens suggeriert“, wie die Betreiber des Projektes mitteilen. Es ist die bittere Konsequenz aus der Tatsache, dass es im postnazistischen Deutschland so etwas wie eine kritische Masse nicht gibt und die wenigen, die sich dem Kampf gegen die Windmühlenflügel verschrieben haben, auf Unterstützung kaum zählen können – und auf so etwas wie Schutz, sei es intellektuellen, sei es ganz handfesten, schon gleich gar nicht.
Denn in einem Land, in dem eine Zweidrittelmehrheit von der Shoa nichts mehr hören mag und stattdessen dem jüdischen Staat einen „Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser“ andichtet; in einem Land, in dem die Terroranschläge des 11. September 2001 eher als Inszenierung amerikanischer oder israelischer Geheimdienste gelten denn als das Werk antisemitischer Islamisten, weshalb es an nahezu jeder Empathie für die Opfer dieses Massenmordes fehlt; in einem Land, das stolz darauf ist, mit dem größten Denkmal der Welt für das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte seine Vergangenheitsbewältigung erfolgreich in Stein gegossen zu haben – in diesem Land heißen die neuen Hitlers Bush und Sharon, und an ihnen und ihresgleichen möchte man die Lehre aus der eigenen Geschichte lieber heute als morgen exerzieren: Nie wieder Krieg gegen den Faschismus. Oder, um es mit den Worten eines der meistgelesenen Schriftsteller Nachkriegsdeutschlands zu sagen: „Siegen macht dumm. Die Sieger denken, sie müssten sich nicht um die Sünden der Vergangenheit kümmern, aber auch die Sieger werden davon eingeholt.“ Und zwar durch die, die sich für die Verlierer halten und schon lange keine Hemmungen mehr kennen.
Lizas Welt dokumentiert nachfolgend die Erklärung von typoskript.net zur Abschaltung der Website.
typoskript.net – Offline wegen Bedrohung
Wenn man publizistisch gegen Islamisten, Terror-Apologeten und ihre friedensbewegten Freunde anschreibt, kann das unangenehm werden: Nicht allein die staatliche, vorauseilende Forderung, nur nicht die feinfühligen Freunde des Propheten oder ihre „antiimperialistischen“ Bundesgenossen zu provozieren, sondern gerade die außerstaatliche, illegale Bedrohung und Einschüchterung wird zum Problem.
Um aktuelle wie ehemalige Autoren und insbesondere deren Freunde und Familien zu schützen, wo nur das Schweigen Schutz wenigstens suggeriert, haben wir beschlossen:
typoskript.net geht offline.
Dies geschieht im bittren Bewusstsein, dass eine ernsthafte weil analytische Kritik an den Bedingungen, die eine solche Bedrohung überhaupt erst möglich machen, nicht gerade epidemisch zu sein scheint.
Eine solche Kritik ist gerade dort nicht zu finden, wo eine liberale Staatlichkeit normativ behauptet wird, wo doch nur eine Schimäre vorzufinden ist, wo derart ein gesellschaftlicher Positivismus vorherrscht, dass seine Harmlosigkeit den Feinden der „offenen Gesellschaft“ nicht einmal mehr als ernsthafte Angriffsfläche taugt. Eine Kritik des Westens, die ihn ernst nimmt und gerade deshalb notwendig überfordert, wird von derlei Selbstzufriedenen mit Gründen abgewehrt.
Eine solche Kritik aber fehlt erst recht dort, wo mittels Appeasement der Versuch unternommen wird, den Feinden des progressiven Gehalts von Moderne, Zivilisation und Aufklärung die Hand zu reichen, sie zu beschwichtigen, sie in einen Dialog einzubinden. Dieses Appeasement – mag es sich auch Diskurs, Lobbying oder gar Diplomatie nennen – ist gerade dazu bestimmt, den Wahn des antiwestlichen, mithin antisemitischen Ressentiment zu verschleiern, wird mimetisch, ist verlässlicher Teil, nicht widerspenstiges Gegenteil der antimodernen Regression.
Zum Bedrohten wird man vor allem dadurch, dass die eigene Kritik den Kern des Wahns zu treffen vermag; doch ist dies so ehrenvoll wie gefährlich. Von Positivisten wie Appeasern ist dabei keine Unterstützung, ja eher Genugtuung zu erwarten.
Nicht von der eignen Ohnmacht noch von der Macht der anderen sich dumm machen zu lassen, dies darf als vordringlichste Aufgabe gelten. Darüber muss man nicht zum Märtyrer werden. Beides soll uns auszeichnen.
Redaktion typoskript.net – off