24.1.07

Massen gegen Demo

Am Sonntag wird in Berlin gegen den antisemitischen Vernichtungswahn der Teheraner Mullahs demonstriert. Aus guten Gründen sollte Kritik an den Veranstaltern geübt, die Veranstaltung selbst aber unterstützt werden. Das ist vielen zu viel der Dialektik, denn nun regt sich erhebliche Abwehr gegen die Demonstration. Die einen wollen nicht mit zu viel Deutlichkeit den Mainstream der Deutschen verschrecken, während andere, von denen man das nicht erwartet hätte, derweil dem „organisierten Judentum“ die Leviten lesen. Sie alle lassen Israel im Stich. Eine prozionistische Kollaboration von Lizas Welt und Hector Calvelli.

Wer im wiedergutgemachten Deutschland zu jener kleinen Minderheit gehört, die nicht achselzuckend oder gar mit Befriedigung die existenzielle Bedrohung zur Kenntnis nimmt, die vom iranischen Atomprogramm für Israel ausgeht, findet hierzulande kaum Adressaten für seine Forderung, die Mullahs sollten von ihrem eliminatorischen Tun abgehalten und der jüdischen Staat stattdessen mit allen Mitteln – auch militärischen – unterstützt werden. Denn er sieht sich sowohl einer politischen Ökonomie der Eliten gegenüber, die sich durch beste Beziehungen zu den Feinden Israels auszeichnet, als auch dem antizionistischen Mainstream im Fuß- und Wahlvolk, das in den Juden die Reinkarnation der Nazis erblickt und in den Palästinensern die Opfer der Opfer. Der Appell an die Vernunft ist daher ein fast aussichtsloses Unterfangen, denn er muss zwangsläufig dort verhallen, wo längst nur noch das Ressentiment waltet – und das ist nicht allein an den politischen Rändern zu Hause, sondern auch in jener Mitte der Gesellschaft, die es wie stets zu erreichen gilt, will man seinen Minderheitenstatus nicht auf ewig festgeschrieben sehen.

Das deutsche Zentrum ist in seiner Mehrheit – die man nicht zuletzt mit der Warnung zu überzeugen versucht, Europa würde am Ende selbst die Zielscheibe von Ahmadinedjad und seinen willigen Helfern –mit der Äquidistanz, also der wohlfeilen Parteinahme gegen Israel, und der Appeasement-Politik gegenüber den Mullahs gänzlich einverstanden. Wobei Appeasement zunehmend ein irreführender Begriff ist: Wird der Islamismus gar als Avantgarde gegen die wahren Aggressoren USA und Israel interpretiert, so kann von einer Politik der Beschwichtigung und der Zugeständnisse schon keine Rede mehr sein; der treffendere Begriff ist: Kollaboration. Dementsprechend ist die europäische Politik gegenüber dem Iran weniger von der Angst vor der Atombombe geprägt, denn von der Zustimmung für die berechtigten Interessen der Mullahs.

Eine World without Zionism ist deren sehr konkrete Utopie. Sie wurde unzählige Male formuliert, insbesondere vom iranischen Präsidenten höchstselbst. Der Mann meint, was er sagt, und er sagt, was er meint. Keine Gelegenheit lässt er aus, um die Shoa zu bestreiten und die Seinen als Opfer einer zionistischen Verschwörung zu verkaufen, die es per Massenvernichtungswaffen aus der Welt zu räumen gelte. Da gibt es keinen Interpretationsspielraum, und wer angesichts dessen nicht erstens dem jüdischen Staat die Mittel lässt, die er zu seiner Verteidigung für notwendig erachtet, und ihn zweitens nicht nach Kräften unterstützt, macht sich, bewusst oder nicht, zum Komplizen des antisemitischen islamischen Terrors. Wer gegenüber dem eliminatorischen Antisemitismus zu Dialog und Kompromissen rät, der sollte sich vergegenwärtigen, dass derlei Vorgehen von denen, die sie als Schwäche betrachten, nur dazu benutzt werden, um das Drohpotenzial erst recht zu entfalten und Konsequenzen folgen zu lassen. Doch deutsche Politik changiert zwischen Appeasement und Kollaboration und erfährt dafür vom Volke breite Unterstützung, und deshalb braucht man nicht auf Massen zu hoffen, sondern muss vielmehr mit Unbill rechnen, wenn man sich hierzulande für Israel auf die Straße begibt.

Basis oder basics?

Am 28. Januar kommt es nun – selten genug – zu einer größeren Demonstration für Israel, nämlich in Berlin. Das Datum liegt dabei nicht zufällig in zeitlicher Nähe zum Gedenktag für die Opfer der Shoa: „Ich will den atomaren Holocaust“, lautet die Schlagzeile des Plakates, mit dem für die Protestaktion geworben wird. Darunter sieht man einen fanatisch dreinblickenden und entschlossen die Faust ballenden Mahmud Ahmadinedjad und noch weiter unten eine Aufnahme aus dem Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Unter der Fotomontage steht die Forderung: „Demonstriert gegen den gefährlichsten Politiker unserer Zeit“; es folgen Ort und Zeit. Der Aufruf zur Demonstration ist extrem knapp gehalten und nicht weniger plakativ als der Aushang; er besteht nur aus fünf Sätzen:
  • Irans Präsident Ahmadinedjad plant den Massenmord
  • Die „Holocaust-Konferenz“ in Teheran ist Teil seiner Vorbereitung
  • Die Entwicklung von Atombomben und Raketen bedroht auch Europa
  • Der Vergleich mit den gefährlichsten Verbrechern der Weltgeschichte ist zutreffend
  • Demokraten dürfen nicht schweigen
Auf nähere Ausführungen haben die Initiatoren und Organisatoren also genauso verzichtet wie auf eine dezidierte Kritik derjenigen, die die Mullahs mal gewähren lassen, mal tatkräftig unterstützen und jedenfalls nichts unternehmen, um der drohenden Vernichtung des jüdischen Staates entgegenzutreten. Nichtsdestotrotz müssten die Initiative von I like Israel (ILI) und Honestly Concerned (HC) begrüßt und deren Auslassungen eigenständig gefüllt werden – doch von vielen, die schon vorab um Unterstützung gebeten wurden, kam längst nicht nur Zustimmung. Der Zentralrat der Juden in Deutschland beispielsweise lehnte es ab, mit zu der Demonstration aufzurufen und Unterstützung zu leisten: Die Analogie des Demonstrationsaufrufs, Ahmadinedjad würde das Werk Hitlers fortsetzen wollen, bezeichnete der Generalsekretär des Zentralrats, Stephan J. Kramer, in einem Schreiben an die Organisatoren schlicht als „idiotisch“ und die Demonstration als „lächerlich“. Der Sekretär machte gegenüber den Demonstrationsorganisatoren deutlich: „Der Zentralrat kann einer Initiative von Honestly Concerned oder ILI nicht beitreten. […] Es gibt bestimmte politische Spielregeln.“ Im Schreiben Stephan J. Kramers hieß es ferner: „Es gab damals und gibt auch heute keine Bereitschaft, gegen den Iran und schon gar nicht für Israel auf die Straße zu gehen.“ Und damit hat er in Bezug auf die geplante Massendemonstration aus falschen Gründen beinahe Recht. Denn Massendemonstrationen in Deutschland waren einstmals vor allem nationalsozialistische Fackelzüge und sind heute höchstens noch friedensbewegte Manifestationen wider den alliierten Militärschlag gegen einen Diktator wie Saddam Hussein. Mehr ist in absehbar endlicher Zeit nicht zu erwarten. Daran scheint der Sekretär des Zentralrats auch nichts ändern zu wollen.

Entsprechend deutlich wurde der ILI-Vorsitzende Leo Sucharewicz in einem offenen Brief an Kramer. Er verwies auf die Legitimität des Vergleichs zwischen Ahmadinedjad und Hitler, stellte klar, es gehe „nicht um eine Demonstration gegen den Iran, sondern gegen die Holocaust-Leugnung von Ahmadinedjad und seine wiederholten Ankündigungen, Juden in Israel und außerhalb massenhaft umzubringen“, und forderte indirekt den Rücktritt des Generalsekretärs: „Wenn Ihnen diese politischen ‚Basics’ fehlen, sind Sie in einer Zeit wachsender Bedrohungen der falsche Mann an einer wichtigen Stelle. Diese Stelle verlangt heute als conditio sine qua non Entschlossenheit, analytische Fähigkeiten, Klugheit und soziale Kompetenz, um die begrenzten pro-jüdischen und pro-israelischen Kräfte zu mobilisieren.“ Doch der Zentralrat blieb bei seiner Ablehnung; seine Vorsitzende Charlotte Knobloch sagte in einem Interview mit der Jüdische Allgemeinen, man arbeite „seit Monaten daran, Parteien, Kirchen, Verbände und Gewerkschaften zusammenzubringen“ und „ein deutliches Signal für die Existenz Israels, gegen die Holocaustleugnung des iranischen Präsidenten und gegen einen Iran auf dem Weg der nuklearen Rüstung“ zu setzen.* Nur mit einer „breiten gesellschaftlichen Koalition“ könne man „nachhaltig Aufmerksamkeit erreichen“. Dem Aufruf für den 28. Januar fehle „diese notwendige Basis“. Warum hierzulande einem jeden Aufruf für die unbedingte Unterstützung Israels und die entschiedene Abwehr seiner Vernichtung die notwendige Basis fehlt, reflektiert Knobloch nicht. Derweil tut das Berliner Büro des American Jewish Comittee (AJC), was es immer tut, wenn es etwas zu tun gäbe: Es tut nichts.

Wohlfeile Einwände

Doch es ist auch nicht die alleinige Aufgabe jüdischer Organisationen, sich aktiv für Israel zu engagieren. Deshalb haben sich ILI und HC um die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) als Mitveranstalter und Partner bemüht. Die stieg jedoch nach anfänglichem Interesse rasch wieder aus: Im Vorfeld habe es zu wenige inhaltliche Diskussionen gegeben; außerdem sei der Stil des Aufrufs zu aggressiv. Überdies halte man ein inhaltliches Konzept, das auch Kirchen, Gewerkschaften und Parteien die Teilnahme ermögliche, für hilfreicher. Und schließlich stelle der Vergleich Ahmadinedjads mit Hitler die Singularität von Auschwitz in Frage.* Letzteres ist nicht einmal falsch – aber wohlfeil: Es ist der iranische Präsident, der an dieser Singularität liebend gerne etwas ändern würde, abgesehen davon, dass er die Existenz nationalsozialistischer Vernichtungslager bekanntlich gar nicht erst als historische Tatsache anerkennt. Dies steht im Zentrum des Anliegens, das die Initiatoren des Berliner Protestmarsches haben. Und selbst wenn man die martialische und an Anti-AKW-Manifestationen erinnernde Ästhetik ihres Plakates für die Demonstration als problematisch kritisiert und sich fragt, welche anderen Diktatoren außer Adolf Hitler eigentlich die Vernichtung der Juden erstrebt haben sollen, wenn es im Aufruf heißt: „Der Vergleich mit den gefährlichsten Verbrechern der Weltgeschichte ist zutreffend“, handelt es sich bei der eindringlichen Warnung vor den eliminatorischen Plänen der Mullahs nicht um eine Form von Katastrophismus, sondern um eine realistische Einschätzung.

Wenn sich also der Zentralrat und die DIG dieser Erkenntnis verweigern, mag man lieber gar nicht wissen, wie denn deren Aufruf aussähe, wenn dabei noch Parteien, Kirchen, Verbände und Gewerkschaften eingebunden werden sollen – die Mitte der Gesellschaft also, die man von allzu einschneidenden Wahrheiten verschonen will. Herauskommen würde mit hoher Wahrscheinlichkeit ein zahnloser Appell, der niemandem weh tut, eine allzu deutliche Positionierung auf der Seite Israels vermeidet und also eine Kritik des antizionistischen Mainstreams unterlässt. Man kann allerdings auch den Organisatoren der Berliner Demonstration den Vorwurf nicht ersparen, ihre Botschaft so formuliert zu haben, dass sie nicht allzu sehr schmerzt. Dass es sich um eine dezidiert proisraelische Kundgebung handelt, ergibt sich zwar aus der Kombination aus Plakat und Aufruf; warum das Wort Israel aber kein einziges Mal explizit vorkommt, bleibt fragwürdig. Und dass „die Entwicklung von Atombomben und Raketen auch Europa“ bedroht, mag in letzter Konsequenz stimmen; gleichwohl ist zum einen der jüdische Staat die Hauptzielscheibe des iranischen Vernichtungsprogramms – was bereits Grund genug sein sollte, sich auch auf der Straße zu zeigen –, und zum anderen werden die Nuklearpläne der Mullahs bekanntlich gerade von den angeblich ebenfalls bedrohten Europäern unterstützt, nicht wider besseres Wissen, sondern sehenden Auges. Welche Demokraten also „nicht schweigen“ sollen, wie der Aufruf fordert, bleibt folgerichtig eine nicht näher bestimmte Floskel.

Dennoch: Knapp 90 Gruppen und Organisationen stehen heute auf der Unterstützerliste der Demonstration, darunter zahlreiche jüdische Gemeinden. Viele haben ihren Support just in dem Moment zugesagt, als der Zentralrat den seinen verweigerte und kurz darauf auch die DIG absprang, wie ILI berichtet. Mögen ILI und HC auch das vollmundig angestrebte Ziel einer „Großdemonstration“ verfehlen – was, um es noch einmal zu unterstreichen, eine Menge über den Mainstream der Mitte aussagt –, so setzen sie bei aller Kritik ein Zeichen für Israel, das alles andere als alltäglich ist. Und es würde gewiss niemandem verwehrt, mit eigenen Flugblättern oder Transparenten aufzulaufen, deren Botschaften deutlicher, präziser und ausführlicher sind als die der Organisatoren.

Noch mehr Kritiker...

Doch zum Zentralrat, zum AJC und zur DIG gesellten sich nun noch weitere Kritiker, die mit der Demonstration rein gar nichts zu tun haben wollen und sich sogar explizit gegen sie aussprechen, obwohl man ihnen bisher nicht vorwerfen konnte, eine unmissverständliche Positionierung auf der Seite des jüdischen Staates zu unterlassen: Als der Antisemitismus der deutschen Linken sich immer weniger als Antizionismus zu tarnen vermochte, als offenbar wurde, dass sich mit der globalisierungskritischen Bewegung ein reaktionäres Bündnis gegen Amerika und Israel etablierte, als mit dem linksradikalen Jubel über Nine-Eleven und der antiimperialistischen Kollaboration mit den islamistischen Rackets diese Linke sich bis zur Kenntlichkeit entstelle, da gab es einige Ehemalige, die den revolutionären Ex-Genossen den größtmöglichen Affront präsentierten und sie als das bezeichneten, was sie schon immer waren und heute noch sind: ein reaktionäres, linksfaschistisches Pack. Aus dieser Auseinandersetzung entstanden die Antideutschen; ihr oft verdienstvolles Zentralorgan war über Jahre die Vierteljahreszeitschrift Bahamas. Mit der Ablösung von der ordinären Linken war eine kompromisslose Parteinahme für Israel und gegen die Kontinuitäten des deutschen Antisemitismus verbunden; die Vokabel antideutsch wurde in diesem Sinne als äußerste Provokation gegen rechte Nationalisten wie linke Antiimperialisten verwendet.

Ausgerechnet jetzt jedoch, da es in Berlin eine Demonstration gegen den antisemitischen Vernichtungswahn der Teheraner Mullahs gibt, die zumindest so deutlich und entschieden ist, dass es von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft bis zum Zentralrat der Juden in Deutschland keine Unterstützung gibt – weshalb vor allem kleinere jüdische Gruppen auf sich allein gestellt die Organisierung vorantreiben –, schießen die Redakteure der Bahamas gegen ein solches Unterfangen. Nicht allein, dass sie sich nicht an diesem beteiligen wollen, was einigermaßen zu verschmerzen wäre; nein: sie denunzieren darüber hinaus die Veranstalter in einer geifernden Rhetorik, die nicht mehr als Kritik zu verharmlosen ist: „Wir bestreiten den Aufrufern, es ernst zu meinen“, so leiten die Insulaner ein, und sprechen, was wohl witzig daherkommen soll, von der Demonstration als einer „Lockerungsübung wider den tierischen Ernst“; die Organisatoren müssten, was gar nicht mehr komisch ist, „ihre eigene Schande“ vorgeführt bekommen.

Dabei entzündet sich die vorgebliche Kritik der Bahamas ausgerechnet an der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG). Ihre „Kritik“ offenbart sich aber als blanke Rage, da nämlich die DIG bekanntlich gar nicht mehr zu der Demonstration aufruft. Von dieser Tatsache überhaupt nicht angekränkelt, wütet die Bahamas gegen die Demonstration als DIG-Veranstaltung und muss sich bei derlei Realitätsverweigerung fragen lassen, was tatsächlich hinter dieser Rage steckt. Klar wird dies, wenn man folgenden Ausfall genauer analysiert: Den zu der Demonstration aufrufenden jüdischen Gemeinden und Gruppen wird ausdrücklich vorgehalten, sie beteiligten sich „wohl in der Hoffnung, ihrerseits ein Gemeinschaftsgefühl zu erleben“. Es ist die Ebene der Verdachts, die hier ins Spiel kommt, denn Belege für die Spekulation, den Teilnehmern gehe es bloß um eine familiäre Karnevalsparty und nicht um eine ernsthafte Manifestation gegen Judenhass, fehlen gänzlich. Und mehr noch: Es ist eine klassische antisemitische Projektion zu behaupten, der Jude sei individualistisch statt kollektivistisch, setze auf sich allein und nicht auf die Gemeinschaft. Wenn Juden aber nun vorgehalten wird, sie würden ein „Gemeinschaftsgefühl“ erhoffen, so wird ihnen explizit zum Vorwurf gemacht, dass sie nicht der wahnhaften Projektion des gemeinen Antisemiten Folge leisten wollten. Damit denunziert sich die Rage der Bahamas im Kern selbst als antisemitisch. Man kann der Redaktion eines nämlich nicht vorwerfen: einen ungenauen und unüberlegten Umgang mit der Sprache, mithin eine unzureichende Kenntnis der kritischen Theorie des Antisemitismus.

...geraten in Rage

In diesem Kontext nimmt es auch nicht Wunder, dass die Bahamas sich über einen, wie sie es nennt, „repräsentativen Ausschnitt des organisierten Judentums in Deutschland“ beklagt, weil dieser die Demonstration zu unterstützen gedenkt. Dabei ist das Gerede vom „organisierten Judentum“ längst zum Code rechts- wie linksradikaler Antisemiten geworden; deutsche Neonazis benutzen ihn genauso wie etwa Norman Finkelstein und Israel Shamir. Dahinter steht im antisemitischen Milieu die Behauptung einer organisierten Bedrohung, die in der Stürmer-Parole „Judentum ist organisiertes Verbrechen“ kulminiert. Auch dies wird in der Bahamas nicht unbekannt sein, hier sind die Redakteure in der Formulierung ihrer „Kritik“ regelrecht entgleist. Und so sind die Initiatoren der Demonstration, jüdische zumeist, gleich Pazifisten, Appeaser und nur noch „Kritiker“ des Antisemitismus in Anführungszeichen. Dies wirkt deshalb auch besonders schräg, da derlei Zuschreibungen von der Bahamas sonst jenen Politikern gelten, die „wie Frank Walter Steinmeier, Kofi Annan, Wladimir Putin, Jacques Chirac, Javier Solana und all die anderen Demokraten“ gar als „die gefährlichsten Politiker unser Zeit“ gehandelt werden. Die berechtigte Kritik an Appeasement und Kollaboration mit den Mullahs – von EU bis Uno – kippt völlig ins Absurde, wenn einerseits den derart kritisierten Politikern beinahe unterschiedslos das „organisierte Judentum“ zugeschlagen wird und andererseits Ahmadinedjad ausdrücklich nicht mehr als einer der „gefährlichsten Politiker unser Zeit“ dargestellt wird.

Zudem ist sowohl diese Sichtweise als auch der daraus resultierende Boykott der Berliner Demonstration einigermaßen erstaunlich, wenn man bedenkt, dass der Bahamas eine realpolitische Betätigung ansonsten nicht eben fremd ist: Im letzten Sommer beispielsweise rief die Redaktion der Zeitschrift erst zu drei Demonstrationen gegen einen möglichen Besuch Mahmud Ahmadinedjads bei der Fußball-Weltmeisterschaft auf – übrigens gemeinsam mit Honestly Concerned und ILI, denen man jetzt „ihre eigene Schande“ vorführen möchte – und begrüßte dabei auch die Teilnahme des bayerischen Innenministers Günter Beckstein bei der Kundgebung in Nürnberg. Anschließend organisierte sie eine Demonstration für Israel in Berlin, bei der neben anderen der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Eckart von Klaeden, sprach. Und selbst im Kiez scheut man die Realpolitik nicht und empfahl deshalb vor wenigen Tagen den „Wählerinnen und Wähler in Friedrichshain-Kreuzberg“, den Antrag der CDU gegen die Umbenennung eines Teils der Kochstraße in Rudi-Dutschke-Straße zu unterstützen. Denn „auch wenn wir wissen, dass die CDU ganz bestimmt nicht aus den von uns dargelegten Gründen die Initiative gegen die Umbenennung der Kochstraße ergriffen hat“, so lasse sich „nicht bestreiten, dass die Christdemokraten – wenn auch aus vornehmlich falschen Gründen – das Richtige tun“. So viel Gnade vor den Augen der Insulaner finden die Organisatoren der Demonstration am Sonntag nicht. Das nennt man dann wohl Doppelmoral.

Die Redaktion der Bahamas, in Dialektik geschult, kritisierte oft zu Recht die ungenügende Deutlichkeit und Entschiedenheit von derlei Parteinahmen und Kooperationen und beteiligte sich dennoch an ihnen. Denn Kritik und Parteilichkeit wurden bisher stets zusammengedacht. Vieles wäre im Rahmen der Demonstration am 28. Januar zu Recht zu kritisieren, aber die Form und auch die Konsequenz einer solchen Kritik sind entscheidend. Die Rage der Bahamas-Redaktion gegen den Veranstalter der Demonstration ist diesbezüglich aus vernünftigen Gründen nicht mehr zu rechtfertigen; vielmehr denunziert sich eine solche „Kritik“, gekennzeichnet von Realitätsverlust, äußerst waghalsiger Polemik und dem Verzicht auf jedes begründete Argument, von selbst. Die Bahamas ist, so scheint es, enttäuscht vom Ersatzobjekt ihrer Zuneigung, da es nicht den von ihr vorgegebenen Maßstäben genügt. So wie einst dem real existierenden Proletariat, so wird nun nach und nach dem real existierenden Judentum die Freundschaft aufgekündigt. Die Regression zur alten Linken hat wohl längst schon begonnen.

Dementsprechend wird die Demonstration verhöhnt als eine „Sternstunde des deutschen Vereinswesens“, die teilnehmenden, fast ausnahmslos jüdischen Organisatoren werden angepöbelt als „Vorstände, Vorsitzende und Präsidenten deutscher Vereine, die scharf darüber wachen, dass die Mitglieder nicht auf eigene Gedanken kommen, die aus Solidarität Parteidisziplin und aus Kritik parteischädigendes Verhalten machen und statt Politik für Israel zu betreiben einen Pakt mit dem Common Sense zu schmieden suchen“. Die eigentlichen deutschen Vereine aber fehlen. Unter ihnen ist auch jene Kreuzberger Zeitschriftenredaktion, die für den Vortag eine „Veranstaltung zur Rettung der Israelsolidarität“ organisiert. Der historische Ort, an dem verhindert werden soll, „realpolitisch Israels Todfeinden in die Hände zu arbeiten“, ist das Hinterzimmer einer schmierigen Kreuzberger Kneipe. So reproduziert sich im linksradikalen Berliner Kiez der Wahnsinn des falschen Ganzen.

Die Ablehnung einer Demonstration für Israel und gegen den eliminatorischen Antisemitismus eint nicht nur ordinäre Antisemiten und ehrbare Antizionisten, sondern de facto auch die DIG, den Zentralrat, das AJC und einige Größen einer kleinen linken Zeitschrift. Und jeder hat seine je eigenen falschen Gründe. So wird die geplante Massendemonstration höchst bescheiden enden; und viele haben daran ihren Anteil, ja, ihren Gefallen.

* Jüdische Allgemeine vom 11. Januar 2007 (nur Printausgabe)
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