Garmischer Tragikomödie

Das beschauliche deutsche Städtchen Mittenwald ist Anziehungspunkt für Touristen aus so ziemlich aller Herren Länder. Aber Urlauber und Gäste sind nicht die einzigen, die gerne dorthin kommen: Auch Wehrmachts- und SS-Veteranen versammeln sich seit fast 50 Jahren unterm Karwendel – meistens zu Pfingsten –, um gemeinsam mit ehemaligen und jetzigen Bundeswehrsoldaten als „Kameradenkreis der Gebirgstruppe“ auf dem Hohen Brendten am 1957 errichteten „Ehrenmal der Gebirgsjäger“ ihrer „gefallenen Kameraden“ zu gedenken. Die Verbrechen, die Einheiten der Gebirgsjäger im Rahmen des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges unter dem Vorwand der „Bandenbekämpfung“ oder von „Vergeltungsaktionen“ begingen, waren bei diesen Treffen noch nie ein Thema – nicht die über 50 Massaker in Griechenland, Italien, Frankreich, Finnland, Jugoslawien, Polen, Albanien und der Sowjetunion; nicht die Ermordung von 317 Zivilisten im nordgriechischen Dorf Kommeno; nicht das Niedermetzeln von über 4.000 entwaffneten Italienern auf Kephallonia, einer Insel bei Korfu.
Doch die Traditionspflege des „Kameradenkreises“ geht seit 2002 zumindest nicht mehr ungestört über die Bühne. Denn seit jenem Jahr organisiert der Arbeitskreis Angreifbare Traditionspflege Protestaktionen gegen die Versammlungen der deutschen Helden, und das regelmäßig unter erschwerten Bedingungen. In Mittenwald stößt man sich nämlich weniger an den alljährlichen Nostalgieveranstaltungen für NS-Kriegsverbrecher, sondern an denen, die diese Meetings nicht einfach geschehen lassen wollen. Immer wieder kam es zu Festnahmen und anschließenden Strafverfolgungen gegen Demonstranten, während die Gebirgsjägerfreunde stets unbehelligt blieben. Die Staatsanwaltschaft stellte beispielsweise 2002 „wegen Geringfügigkeit“ ein Verfahren gegen zwei österreichische Weltkriegsveteranen ein, die während der Versammlung des „Kameradenkreises“ in Mittenwald Hakenkreuzorden getragen hatten. Und im Sommer letzten Jahres kam einer ebenfalls mit einer solchen Einstellung davon, der noch ganz anderes vorweisen kann: Ottmar Mühlhauser hatte 1943 ein Massaker-Kommando zusammengestellt und die Erschießung der bereits erwähnten 4.000 kriegsgefangenen italienischen Soldaten und Offizieren auf Kephallonia befehligt. Die Münchner Staatsanwaltschaft focht das jedoch nicht an: Dieses Wehrmachtsverbrechen stehe „nach sittlicher Wertung nicht notwendig auf tiefster Stufe“, denn es sei ohne „politische Beweggründe“ erfolgt: „Es ging vielmehr um militärische Belange, die zur Erschießung führten“; zudem könnten die Täter, die hilflose Kriegsgefangene exekutiert hatten, „menschliche Schwäche“ in Anspruch nehmen, weshalb sie des Mordes unverdächtig seien. Irgendwie will die Mär von der sauberen Wehrmacht ja auch juristisch abgesichert sein.


Doch zurück zu David Goldner, über den nach seinem Einspruch in Garmisch-Partenkirchen vergangene Woche zu Gericht gesessen wurde. Eine Dreiviertelstunde dauerte es, dann hatte Richter Dieter Klarmann den Strafbefehl bestätigt und lediglich die Höhe des Tagessatzes von 40 auf 10 Euro reduziert. Auf den Flugblättern sei der Hitlergruß deutlich zu erkennen gewesen, und der Text des Aufrufs habe sich nicht klar genug davon distanziert, gab Goldner gegenüber Lizas Welt die Begründung des Vorsitzenden wieder. Gelesen haben kann letzterer das Flugblatt nicht, denn sonst hätte er zur Kenntnis nehmen müssen, wie der Vortrag des Buchherausgebers dort angekündigt wurde:
„Die Radikalität der besten Arbeiten der Kritischen Theorie resultiert daraus, in der Kritik der kapitalistischen Gesellschaft sich dessen bewusst zu werden, dass allererst die ebenso zwanghafte wie selbstgewählte Reaktion auf diese Gesellschaft abzuwehren ist: der Vernichtungswahn der regressiven Antikapitalisten, der auf Juden und Jüdinnen zielt. Darin ist die Erfahrung der nationalsozialistischen Verfolgung bei diesen linken Intellektuellen zur Grundlage einer Kritik geworden, die den Marxismus hinter sich lassen musste, um die Befreiung mit der kritischen Theorie von Marx noch denken zu können. Darin liegt ihre ganze Aktualität in der postnazistischen Gesellschaft.“

„Am Mittwoch den 26. Juli 2006 publizierte die BILD-Zeitung auf Seite 2 ein 30 cm mal 15 cm großes Farbfoto, das Kinder der libanesischen Hizbollah zeigt, die ihre rechten Arme zu einem Gruß strecken, der stark an den Hitlergruß erinnert. Die entsprechende Seite von damals habe ich dabei. Laut Wikipedia erreicht die BILD-Zeitung zur Zeit eine verkaufte Auflage von circa 3,8 Millionen Exemplaren pro Tag (2005). Sie erreicht damit etwa 18,8 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung ab 14 Jahren, das sind 12,11 Millionen Menschen. Meines Wissens hat keine Staatsanwaltschaft Deutschlands – und auch keine in Bayern – den Axel-Springer-Verlag wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen angezeigt oder verklagt.“Es half alles nichts – zumal sich die Staatsanwältin mit dem Argument „Zur BILD-Zeitung kann ich leider nichts sagen, da diese Zeitung nicht zu den Zeitungen gehört, die ich lese“ herausgewunden habe, wie David Goldner schilderte –: Er wurde verurteilt. Dabei machte Richter Klarmann mit nachgerade bestechender Logik geltend, der Angeklagte habe ja erstens an den Protesten gegen das Traditionstreffen der Gebirgsjäger teilgenommen, und von diesen seien zweitens einige – hört! – an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen. Was allemal beweise: Goldner habe während der Protestkundgebungen Flugblätter verteilen wollen, und die Personen auf diesen Flugblättern zeigten den Hitlergruß. Wie früher die Gebirgsjäger, soll das vermutlich heißen – und wer derlei argumentative Stringenz nicht nachvollziehen kann, muss sich nicht grämen, sondern nur wundern.

„Einmal, das war im Jahr 2000, fand er sich selbst auf der Anklagebank wieder, weil er einen Angeklagten mit dem Adjektiv ‚saudumm’ belegt hatte. Einer Verurteilung entkam er nur, weil er sich im Gerichtssaal entschuldigte und der Kläger seinen Strafantrag zurückzog. Als das Tagblatt darüber berichtete, teilte ein Garmischer Anwalt per Leserbrief weitere Klarmannsche Sottisen mit: Einmal habe er die Ausführungen eines Verteidigers ‚schwachsinnig’ genannt, ein anderes Mal einen Gastwirt mit dem Spruch ‚wer nix wird, wird Wirt’ bedacht. Und ein seit Jahren eingebürgerter Iraker, der nachts in Garmisch wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung gestoppt wurde, musste sich von Klarmann sagen lassen: ‚In der Wüste können Sie so schnell fahren, wie Sie wollen.’.“Eine Anzeige fing sich Richter gnadenlos auch ein, weil er zwei türkische Männer als „Rindviecher, Ochsen und Kühe“ bezeichnet haben soll. Und in einem anderen Gerichtsverfahren verurteilte er eine 41-jährige Medizinerin wegen angeblicher Beihilfe zum illegalen Aufenthalt ihres nigerianischen Ehemanns. Im Urteil hieß es sinngemäß: Trotz ihrer „Verliebtheit“ hätte sich der Frau angesichts des „Aussehens“ und der „Herkunft“ ihres Mannes der Verdacht aufdrängen müssen, dass dieser sich den Aufenthalt „erschlichen“ hat. Weil sie bewusst Nachforschungen unterlassen habe, wurden sie zu einer Geldstrafe von 2.550 Euro verurteilt. Ihr Verteidiger war fassungslos, sprach von Diskriminierung und erwog rechtliche Schritte gegen den eigenwilligen Gesetzesausleger.
David Goldner, Klarmanns jüngstes Opfer, gibt sich gleichwohl noch lange nicht geschlagen und sieht das groteske Urteil gelassen: „Alles in allem kann man das nicht ernst nehmen. Ich hoffe, das Oberlandesgericht entscheidet anders; ansonsten muss ich zur Not bis vor den Bundesgerichtshof gehen“, sagte er zu Lizas Welt. Und dieser Bundesgerichtshof hat ja noch eine Menge gutzumachen.
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David Goldner bittet dringend um Spenden für die Prozesskosten. Diese können unter dem Stichwort Prozesskosten Garmisch-Partenkirchen auf folgendes Konto überwiesen werden:
ISF e.V.
Konto-Nr. 2260 45-756
Postbank Karlsruhe
BLZ 660 100 75
Das Bayerische Fernsehen berichtete in seiner Sendung Zeitspiegel ausführlich über den Prozess; ein Interview mit David Goldner ist zudem bei Radio LORA zu hören.
Update 3. Februar 2007: Eine englische Übersetzung dieses Beitrags erschien unter dem Titel Tragicomedy in the Bavarian Alps im American Thinker.
* Süddeutsche Zeitung vom 9. Mai 2003 (nur Printausgabe)