12.2.07

Bunzls Mythen-Mekka

Man darf gespannt sein, welche Konsequenzen die Vereinbarungen des „Versöhnungsgipfels“ (FAZ) zeitigen werden, auf die sich die Fatah und die Hamas unlängst in Saudi-Arabien geeinigt haben. Mag der Bürgerkrieg in den palästinensischen Gebieten auch vorerst ruhen – andere Konstanten verdienen erwartungsgemäß weiterhin ihre Namen. Eine Anerkennung Israels etwa kommt namentlich für die Hamas selbstverständlich nicht in Frage. Man wolle die Vereinbarungen mit dem jüdischen Staat lediglich „respektieren“, verlautbarte es von Seiten der Gotteskrieger. Denn die Tilgung Israels ist und bleibt ihr Zweck und Ziel; allenfalls über den Weg dorthin lässt die Hamas mit sich reden. Mit dem, was nun zwischen ihr und der Konkurrenz ausgehandelt wurde, kann sie deshalb ganz grundsätzlich sehr zufrieden sein: „Wir haben zehn Prozent gegeben, Fatah musste 90 Prozent der Zugeständnisse machen“, resümierte Hamas-Sprecher Rhasi Chamed nach dem Treffen unwidersprochen, und die Tageszeitung Die Welt konstatierte nüchtern: „Während der trauten Verhandlungsrunde in Mekka fielen die Worte ‚Israel’ und ‚Friedensprozess’ kein einziges Mal.“ Auch ein Verzicht auf terroristische Gewalt stand – wen wundert’s? – nie zur Debatte. Gleichwohl fand der neue UN-Generalsekretär Ban Ki Moon das Abkommen der palästinensischen Parteien begrüßenswert; er hoffe, „dass der Vertrag die Gewalt eindämmen und der palästinensischen Bevölkerung eine bessere Zukunft bringen wird“. Und aus Frankreich war zu vernehmen, die Abmachung sei ein „Schritt in die richtige Richtung“.

Ausgesprochen zufrieden mit der Einigung zeigte sich auch John Bunzl, notorischer Nahostexperte des Österreichischen Instituts für Internationale Politik (OIIP), in einem Gespräch mit dem österreichischen Radiosender Ö1. Nun müsse dafür gesorgt werden, dass die Vereinbarungen „eine substanzielle Verbesserung der Lebensbedingungen“ der Palästinenser zur Folge haben, und das sei – „Inschallah!“ – der Job Israels, der USA und Europas. Denn die trügen die Hauptschuld an dem palästinensischen Bandenkrieg und seinen Folgen; schließlich hätten sie ihn erst angeheizt, darüber hinaus für „Verzweiflung“ gesorgt und bewirkt, „dass die Lebensbedingungen sich dermaßen verschlechtert haben und die Isolation so groß ist und die israelische kontinuierliche Gewaltanwendung, Siedlungspolitik, Landnahme usw. weitergegangen ist“. Nicht zuletzt deshalb könne man von den Palästinensern auch nicht erwarten, dass sie den jüdischen Staat anerkennen. Mehr über Bunzls neueste Expertisen und inwiefern sie dem englisch-irischen Schriftsteller Jonathan Swift Recht geben, weiß Karl Pfeifer.


Karl Pfeifer

„Es gibt nichts, was sich Israel nennt“


Die Philosophen interpretieren die Welt auf verschiedene Weise, der „Nahostexperte“ Dr. John Bunzl jedoch hat sich darauf spezialisiert, die jeweilige Mythen palästinensischer Intellektueller zu propagieren. Beispiel gebend dafür ist ein etwas mehr als sieben Minuten dauerndes Gespräch, das Werner Löw mit ihm am 9. Februar im Mittagsjournal des Radiosenders Ö1 führte.* Darin sagte Bunzl unter anderem:
„Die Forderung an die Palästinenser, sie mögen das Existenzrecht Israels anerkennen, ist insofern problematisch, als von Israel keine gegenseitige Anerkennung der palästinensischen Interessen und Staatlichkeit gefordert wird. Aber auch in den früheren Verträgen, es ist ein ziemlich einmaliger Vorgang, auch Jordanien musste nicht das Existenzrecht Israels anerkennen, oder Ägypten musste nicht das Existenzrecht Israels anerkennen, sondern einfach die faktische Existenz. Das ist ein kleiner Unterschied, denn im Grunde wird verlangt, dass die Palästinenser die Legitimität Israels anerkennen sollen, und das ist schwer von den Palästinensern zu verlangen. Aus europäischer Perspektive ist es eine Selbstverständlichkeit aufgrund der europäischen Geschichte, die Legitimität Israels anzuerkennen. Aber aus palästinensischer Sicht, die eigentlich den Preis bezahlen mussten für das Ganze und auf deren Rücken Israel entstanden ist und sich betätigt, ist es problematisch, die Anerkennung einzufordern, wenn man im Gegenzug nicht Gleiches anbieten kann.“
Hier fälscht der „Nahostexperte“ die Realität. Israel hat sich aus dem Gazastreifen zurückgezogen, und im Programm des israelischen Premierministers Ehud Olmert wurde auch der Abzug aus den meisten anderen 1967 besetzten Gebieten festgeschrieben. Israel hat in der Regierungserklärung zudem klipp und klar betont, dass es für eine Zwei-Staaten-Lösung ist. Die palästinensische Antwort darauf war das Abfeuern von Raketen und die Entführung eines israelischen Soldaten von israelischem Gebiet. Wider besseres Wissen vergleicht Bunzl jedoch Jordanien und Ägypten mit der Palästinensischen Autonomiebehörde. In den beiden Staaten gibt es im Gegensatz zur letztgenannten Institution eine Regierung, mit denen Israel bereits 1949 einen Waffenstillstand und seither einige weitere Abkommen geschlossen hat. Die Autonomiebehörde jedoch hat in Wirklichkeit keine Regierung, sondern befand sich von Beginn an in einem Zustand der Anarchie, für die nicht zuletzt zahlreiche bewaffnete Gruppen sorgen. Daher auch die Forderung des Nahost-Quartetts, die palästinensische Regierung müsse sich für Gewaltfreiheit, die Anerkennung Israels und die Respektierung früherer Vereinbarungen und Verträge einsetzen.

Israel existiert natürlich unabhängig von den Mythen, an die extremistische Palästinenser weiterhin glauben wollen. Nur hat es keinen Sinn, die Hamas zu legitimieren, die sich in ihrer Charta auf die Protokolle der Weisen von Zion beruft und deren Sprecher immer wieder – auch nach dem jüngsten Treffen in Mekka – erklären, den jüdischen Staat nicht anerkennen zu wollen. Ihre Beteiligung an einer Regierung der nationalen Einheit ändere nichts an dieser Haltung: „Es gibt nichts, was sich Israel nennt, weder in der Realität noch in der Vorstellung“, sagte beispielsweise Nisar Hajjan, ein ranghoher Hamas-Funktionär. Und das, obwohl die israelische Regierung – im Gegensatz zu den Behauptungen von John Bunzl – das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat anerkannt hat. Doch Bunzl begnügt sich nicht damit, Verständnis für die Terroristenbande – er nannte sie selbst so, als er von „gang-war“ sprach – zu wecken, sondern er wiederholt noch einmal die palästinensische Lebenslüge, die Palästinenser hätten den Preis für den von Europäern begangenen Holocaust zu bezahlen gehabt. Tatsächlich spricht er ihnen dadurch konsequent ab, ein Akteur zu sein. Sie kommen immer nur als arme Opfer vor und können angeblich gar nichts für die Lage, in die sie sich jedoch selbst hereinmanövriert haben. In wahrhaft eurozentrischer Sicht entlässt Bunzl die Palästinenser aus jeglicher Verantwortung, wenn er von Europa und den Vereinigten Staaten Signale einfordert, ohne darüber nachzudenken, dass diese die Palästinenser mit Milliarden unterstützt haben, während letztere mutwillig eine Intifada begannen, die ihre Lage nur verschlechterte.

John Bunzl sagt implizit das, was man hierzulande gerne hört: dass letztlich die Palästinenser die Opfer des Holocausts seien. Über palästinensische Verantwortung wird man bei Ö1 selten ein Wort vernehmen, denn einige Journalisten dort haben anscheinend eine politische Agenda, auf der steht, palästinensische Mythen zu verbreiten und zu rechtfertigen. Dabei kann man beobachten, wie Intellektuelle – solche gibt es nämlich auch beim österreichischen Rundfunk – die Realität außer Acht lassen. Der Schriftsteller Jonathan Swift hatte Recht, als er dereinst bemerkte: „There is nothing so extravagant and irrational which some philosophers have not maintained for truth.“ Nichts ist so überspannt und unsinnig, dass einige Philosophen es nicht als Wahrheit behauptet hätten.

Es ist ja nicht so, dass Bunzls Analysen jeder Realität entbehrten; seine Schlussfolgerungen jedoch sind oft nicht stimmig. Jonathan Swift meinte in seinem Aufsatz über die politische Lüge: „Er hat sich noch nie darum geschert, ob eine Behauptung richtig oder falsch war, sondern nur, ob es zum gegenwärtigen Zeitpunkt oder in der jeweiligen Gesellschaft zweckdienlich wäre, zuzustimmen oder abzulehnen.“ Swift sah auch die natürliche Veranlagung „weit größerer Mengen zur Leichtgläubigkeit“ und geriet deshalb „in Verlegenheit“ über die Frage, was er „mit der so häufig von jedermann im Munde geführten Sentenz ‚Die Wahrheit obsiegt doch letzten Endes’ anfangen soll. [...] Die Wahrheit, von der man behauptet, dass sie in einem tiefen Brunnen verborgen liegt, wurde dort nun offenbar unter einem Haufen Steine begraben“. Wenn man so manchen Nahostbericht von Ö1 hört, kann man die Richtigkeit dieses Satzes nur bestätigen.

* Nach Mekka: Warten auf internationale Signale. Ö1-Mittagsjournal, 9. Februar 2007. Nachfolgend die Transkription des Interviews von Karl Pfeifer.

Der Moderator Werner Löw beginnt das Gespräch mit einer Frage zum durch Druck von außen zustande gekommenen Abkommen von Mekka.
John Bunzl (Foto): Die Einigung ist nicht nur auf Druck von außen zustande gekommen, sondern vielleicht sogar noch mehr durch Druck von innen, denn der Schock der innerpalästinensischen Auseinandersetzungen ging tief. Er hat auch nicht die Dimension eines Bürgerkriegs erreicht. Es war doch ein gang-war [Bandenkrieg, K.P.]. Die Bevölkerung im großen Ganzen war angewidert und entsetzt über dieses Blutvergießen und ist sicher froh, dass dieses Abkommen zustande gekommen ist, nicht so sehr wegen des Inhalts nach außen, sondern wegen der möglichen Beruhigung nach innen. Das scheint zumindest von den Protagonisten der Hauptzweck gewesen zu sein.
Moderator: Glauben Sie, dass ein Ende der Gewalt – Sie sagen dieser Milizenkämpfe –, dass das ein Ende der wechselseitigen Gewalt wirklich bringen kann?
Bunzl: Die Ursachen der Gewalt gehen natürlich tiefer, als in so einem kurzen Abkommen behandelt werden kann. Es gibt hausgemachte Probleme, die Heterogenität der Palestinian Authority, nicht nur Hamas und Fatah als Gegner, sondern auch die alteingesessenen Bewohner und die Fatah- und PLO-Kader, die von außen zurückgekommen sind, die verschiedenen Beziehungen zur Außenwelt, zum Westen, zu Europa usw. Das Hauptkriterium wird sein, ob diesem Abkommen eine substanzielle Verbesserung der Lebensbedingungen folgen kann. Das hängt in erster Linie davon ab, ob die mächtigen Akteure Israel, Europa, Vereinigte Staaten ein Signal setzen können, das den Menschen dort Hoffnung gibt.
Moderator: Ein Signal ganz handgreiflich sozusagen ist der Geldhahn. Es sind ja die Finanzflüsse gesperrt der internationalen Gemeinschaft inklusive EU an die palästinensische Autonomieverwaltung. Glauben Sie, dass diese Vereinbarung von Mekka international jetzt ausreichen wird? Einen Schönheitsfehler hat sie ja, nach Meinung vieler Beobachter, das Grundproblem oder ein Grundproblem, die ausdrückliche Anerkennung Israels, hat man vermieden.
Bunzl: Der erste Aspekt, die Geldflüsse, da muss man unterscheiden zwischen Quantität und Qualität. Es ist nicht unbedingt so, dass die Summe, das Volumen der Geldflüsse zurückgegangen ist. Denn die Frage war eher, wofür wird dieses Geld verwendet. Und im Falle einer bürgerkriegsähnlichen Situation, wo der Westen bzw. USA Israel in erster Linie, aber auch Europa, auf Abu Mazen und die Fatah setzen und das dazu beiträgt, dass die Bewaffneten und die Milizen der Fatah sich verstärken einerseits und eine Situation, wo die Hamas, die eben boykottiert wird, sich auf anderen Wegen über Iran und andere arabisch-islamische Länder mit Koffern über die Grenze von Sinai zu Gaza das Geld ins Land bringt. Diese Situation hat auch dazu beigetragen, dass die vorhandenen Geldmittel so verteilt wurden, dass sie nicht den Bedürftigen wirklich zugute gekommen sind. Es kann so eine Einigung theoretisch dazu beitragen, dass die Prioritäten der Geldverteilung sich verschieben und dass es dann doch den Bedürftigen eher zugute kommt. Was den anderen Aspekt betrifft, ist es tatsächlich die Grundfrage. Die Forderung an die Palästinenser, sie mögen das Existenzrecht Israels anerkennen, ist insofern problematisch, als von Israel keine gegenseitige Anerkennung der palästinensischen Interessen und Staatlichkeit gefordert wird. Aber auch in den früheren Verträgen, es ist ein ziemlich einmaliger Vorgang, auch Jordanien musste nicht das Existenzrecht Israels anerkennen, oder Ägypten musste nicht das Existenzrecht Israels anerkennen, sondern einfach die faktische Existenz. Das ist ein kleiner Unterschied, denn im Grunde wird verlangt, dass die Palästinenser die Legitimität Israels anerkennen sollen, und das ist schwer von den Palästinensern zu verlangen. Aus europäischer Perspektive ist es eine Selbstverständlichkeit aufgrund der europäischen Geschichte, die Legitimität Israels anzuerkennen. Aber aus palästinensischer Sicht, die eigentlich den Preis bezahlen mussten für das Ganze und auf deren Rücken Israel entstanden ist und sich betätigt, ist es problematisch, die Anerkennung einzufordern, wenn man im Gegenzug nicht Gleiches anbieten kann.
Moderator: Würden Sie sagen, dass die internationale Gemeinschaft sich da etwas zurücknehmen sollte mit dieser Forderung?
Bunzl: Ich bin ganz sicher: Die israelische Regierung wird dieses Abkommen als unzureichend und wird nach wie vor Forderungen stellen, von denen sie hofft, dass die Palästinenser sie ablehnen, um sozusagen die Argumente auf seiner Seite behalten zu können. Die USA werden wahrscheinlich die israelischen Argumente unterstützen.
Moderator: Herr Bunzl, mit meiner letzten Frage komme ich noch einmal zurück, zu unserem Ausgangspunkt. Sie haben selber gesagt, von einem Bürgerkrieg hätten Sie ungern gesprochen über die Gewalt in Palästina. Eher ein gang-war, ein Krieg der Banden, der extremen Milizen vielleicht. Warum sollte sich das für diese Leute durch dieses Abkommen ändern?
Bunzl: Dieser gang-war ist angeheizt worden dadurch, dass viele Angestellte der palästinensischen Behörden kein Geld bekommen haben, dass es auch Gründe gegeben hat der Verzweiflung und dass die Lebensbedingungen sich dermaßen verschlechtert haben und die Isolation so groß ist und die israelische kontinuierliche Gewaltanwendung, Siedlungspolitik, Landnahme usw. weitergegangen ist, dass sich da genug Frustration angesammelt hat, um – abgesehen davon, dass auch die Palästinensergesellschaft immer mehr zerfleddert, zersplittert, dadurch dass es keinen territorialen Zusammenhang gibt und solche local warlords entstehen, wo man auch beobachtet hat, dass alte Stammesbeziehungen eine größere Bedeutung bekommen haben. All das sind ziemliche Rückschritte im Vergleich zu dem, was sie an nationaler Entwicklung schon erreicht hatten.
Moderator: Insofern der vorsichtige Optimismus, dass es jetzt am Westen liegt, auf die Palästinenser zuzugehen.
Bunzl: Inschallah!
Moderator: So Gott will, der Nahostexperte des OIIP.