16.2.08

Judenhass als Völkerrecht

Wie es um Norman Paech bestellt ist, den Bundestagsabgeordneten und „Völkerrechtsexperten“ der Linkspartei, wusste der unvergessene Eike Geisel schon vor fünfzehn Jahren. Als Paech (Foto) nämlich seinerzeit in der Hamburger Lehrerzeitung den Judenstaat für den Judenhass im Land der Judenmörder und ihrer Nachfahren verantwortlich machte („Israel muss sich fragen, ob seine Palästina-Politik nicht einem latenten Antisemitismus in Deutschland Nahrung gibt“) und ein entsprechendes Handeln einforderte („Dem können wir nicht entgegensteuern, indem wir schweigen“), formulierte Geisel in konkret: „Die demagogische Figur dieser Wendung hat Tradition. Es handelt sich bei ihr um eine besonders beliebte Formel antisemitischer Agitation, um die Formel vom ‚provozierten Antisemitismus’. [...] Nicht vom Antisemitismus will er [Paech] [jedoch] reden, sondern von dessen Zulieferern in Israel. Der Anwalt der Menschenrechte, als der er sich versteht, präsentiert sich gerade dadurch als ein Gegner des Judenhasses, dass er die Juden beschwört, die Anlässe dazu aus der Welt zu schaffen.“ Und dass der „Völkerrechtler“ über die angebliche israelische Beihilfe zum Antisemitismus nicht schweigen konnte und kann, verdankt er einem ganz besonderen Initiationsritus: dem Pfingsterlebnis einer Israelreise.

Die hatte Norman Paech 1968 unternommen, „in der Aura der Kollektivschuld“, wie er festzustellen sich beeilte. „Und dort“, bemerkte Eike Geisel, „war ihm zuteil geworden, worauf die Wallfahrer nach Lourdes immer nur vergeblich hoffen: Gesundheit. ‚Ich wurde erst dort auf die Lage der Araber aufmerksam’, berichtete er über das wundersame Mittel seiner dauerhaften Genesung. ‚Seit jener Zeit fühle ich mich in dieser Frage gefordert’, beschrieb er im salbungsvollen Jargon des Berufspolitikers die anhaltende moralische Wirkung dieser Entdeckung.“ Denn von der „Aura der Kollektivschuld“ erlöst und die Leiden der Palästinenser vor Augen, konnte Paech endlich, „aus dem Schatten Hitlers heraustreten“, wie Geisel resümierte: „Nun war er frei für eine neue kollektive Aufgabe ganz eigener Art, nämlich für die des Bewährungshelfers. Und wie viele andere Absolventen des Bildungsurlaubs im Nahen Osten entdeckte er eine exklusive Fürsorgepflicht der Deutschen für Israel: ‚Ich vermag nicht’, begründete er dieses Ansinnen, ‚als Konsequenz aus den Verbrechen der Generation vor uns zu schweigen, wenn die Überlebenden, ihre Kinder und Enkel Menschenrechte anderer verletzen.’“

Vierzig Jahre nach Paechs Pfingsterwachen hat sich daran immer noch nichts geändert, wie ein Interview zeigt, das unlängst die taz mit ihm führte. „D
ie deutsche Politik interpretiert ihre Freundschaftspflicht gegenüber Israel schon seit Jahrzehnten falsch“, sagte er dort. „Gerade wir müssten viel mehr Druck machen, dass Israel die seit 1967 völkerrechtswidrig besetzten Gebiete räumt und einen souveränen palästinensischen Staat ermöglicht.“ Denn auf diese Weise erledigten sich „80 Prozent der Konflikte in der Region“; zudem wäre „Israels Sicherheit viel besser gewährleistet als heute“. Und so hätte sich Auschwitz doch noch für Täter wie Opfer gelohnt: Die Juden haben seitdem schließlich ihren eigenen Staat, und die Gerade-wir-als-Deutsche-Deutschen fungieren als dessen selbst ernannte Sozialarbeiter. So mutierte die Kollektivschuld zur Kollektivgeduld, und aus einem Volk von Judenreferenten ist eines von Nahostexperten geworden, deren inoffizieller Vorsitzender Norman Peaech ist.

Der nämlich hat im Gegensatz zu den Israelis aus der Geschichte gelernt, dass Auschwitz eine Besserungsanstalt war. Woraus zwangsläufig folgt: „Die Bundesregierung muss unmissverständlich klarstellen, dass das Vorgehen Israels die Grenzen der zulässigen Selbstverteidigung überschreitet.“ Und wo diese Grenzen jüdischer Wehrhaftigkeit zu liegen haben, wusste man in Deutschland schon immer ganz genau, also auch im Falle der Entführung israelischer Soldaten durch die Hizbollah im Vorfeld des Libanonkrieges vom Sommer 2006: „Das war ohne Zweifel eine sinnlose Provokation und ein völkerrechtswidriges Verbrechen der Hizbollah“, gab sich Paech im Gespräch mit der taz generös, wobei er offen ließ, wie denn eine sinnvolle Provokation der Gotteskrieger auszusehen gehabt hätte. Aber egal: „Israel hätte also das Recht gehabt, mit kleinen Trupps auf libanesisches Gebiet nachzueilen, um die Täter zu suchen und zu stellen.“ Da hätte sich Nasrallahs Mörderbande aber sowas von gefürchtet und sicher sofort freiwillig die Waffen gestreckt! „Israel hat dann aber begonnen, systematisch Ziele im ganzen Libanon zu bombardieren. Erst dann hat die Hizbollah mit dem Abfeuern von Raketen begonnen.“ Und dadurch quasi per Notwehr das Völkerrecht sowie en passant auch das Weltbild des Norman Paech wieder geradegebogen.

Der hat jedenfalls – Überraschung! – „große Zweifel, ob ein isolierter Grenzzwischenfall ein umfassendes Selbstverteidigungsrecht auslöst“. Schließlich ging es der Hizbollah zeit ihrer Existenz ja immer nur um ein kleines Stückchen vom Kuchen in Form von „isolierten Grenzzwischenfällen“ und nicht etwa um die ganze Bäckerei namens Israel. Und wenn deren Konditoren auch noch „mit einem unzulässigen Vernichtungskrieg gegen Milizen und Bevölkerung im Libanon vorgehen“, dann vermutlich deshalb, weil sie das Blut für die Herstellung von Matze benötigen. Das sagt Paech zwar nicht – aber wer die Juden für die Nazis von heute hält, dem ist zweifellos alles zuzutrauen. Zumal ihn auch der Hinweis des Interviewers, die Hizbollah verstecke doch sich und ihre Waffen gezielt in zivilen Wohngebieten, nicht im Mindesten anficht: „Das mag in Einzelfällen so sein, rechtfertigt aber nicht die Bombardierung von Wohnvierteln.“ Man wüsste allzu gerne, wie groß die Summe solcher „Einzelfälle“ eigentlich sein muss, damit Paech darin eine antiisraelische Strategie erkennt. Sie geht vermutlich in mathematisch nicht mehr fassbare Dimensionen.

Dafür weiß der 69-Jährige umso besser, dass alles, was Israel tut, aus reinem Kalkül geschieht und jedenfalls nicht unter der Rubrik „Einzelfälle“ zu verbuchen ist: „Mir scheint, man hat den Grenzzwischenfall mit Hizbollah zum Anlass genommen, die bereits seit langem geplante Besetzung des Libanon umzusetzen.“ Belege für diese aberwitzige These, die vor allem von einer monströsen Realitätsverleugnung zeugt, bleibt Norman Paech selbstverständlich schuldig. Mag er sich auch mit dem vordergründig honorigen Titel „Völkerrechtler“ schmücken – er ist in erster Linie ein deutscher Ideologe mit „einer durchsichtigen Plumpheit, einer von keinerlei intellektuellen Regungen ins Wanken gebrachten Geradheit“, wie Eike Geisel schon 1993 befand. Die Pfingstreise Paechs vor vierzig Jahren – so viel ist sicher – war dabei übrigens nicht der Anfang von dessen Karriere als linker Vorzeigeantisemit, sondern allenfalls eine Angelegenheit, die ihm die nötige street credibility verschaffen sollte. Und die Israel noch nicht mal mit einem Einreiseverbot ahndete. Schade eigentlich.

Hattip: Benny Weinthal