4.4.08

Im Osten nichts Neues

Am vergangenen Wochenende kam es bei einem unterklassigen Fußballspiel in Deutschland einmal mehr zu antisemitischen Ausschreitungen: Während einer Oberligapartie des Halleschen FC grölten Anhänger dieses Vereins diverse Male in beleidigender Absicht „Juden Jena“ in Richtung der Gästespieler. Der Schiedsrichter zog es jedoch vor, diese Vorfälle nicht im offiziellen Spielbericht zu erwähnen, die Verantwortlichen des HFC behaupten, nichts gehört zu haben, und im Forum eines Fanklubs wurden kritische Beiträge gelöscht. Insbesondere im Osten der Republik sind solche Geschehnisse an der Tagesordnung. Einschneidende Konsequenzen gibt es jedoch praktisch nicht.

Es war nicht das erste Mal, dass die HFC-Fans bei einem Spiel ihrer Mannschaft gegen den FC Carl Zeiss auffällig wurden: Bereits vor vier Jahren war es bei dieser Begegnung – damals in Jena – zu Krawallen und antisemitischen Hassgesängen gekommen. Nun wiederholte sich die Szenerie: „Schiedsrichter André Stolzenburg pfeift einen Eckball für die Gäste. Als der Jenaer Spieler sich der Hallenser Kurve nähert, ertönen die Rufe zum ersten Mal, erinnert sich ein Augenzeuge: ‚Juden Jena!’“, berichtete Christoph Ruf auf Spiegel Online. „Der Zeuge, der das Spiel in der HFC-Kurve verfolgte, erinnert sich, dass ‚der Linienrichter zu diesem Zeitpunkt genau vor der Kurve stand. Er kann das nicht überhört haben’“, heißt es in dem Beitrag weiter. „Doch im Spielberichtsbogen sind die antisemitischen Rufe, die danach noch mehrfach zu hören waren, nicht vermerkt. ‚Mehrmals während des Spiels wurde ‚Juden Jena’ in unsere Richtung gebrüllt’, sagt auch Lutz Hofmann vom Jenaer Fanprojekt, der sich in etwa 100 Meter Luftlinie Entfernung in der Gästekurve aufhielt.“

Auf Spiegel Online sind aber nicht nur Stellungnahmen von Besuchern des Spiels zu lesen, sondern dort findet sich außerdem eine Audio-Datei, die das Gebrüll dokumentiert. Die Parolen sind so eindeutig zu vernehmen, „dass der Stadionsprecher sie eigentlich unmöglich überhört haben kann“, konstatierte Ruf. „Dennoch wurden die Schreihälse aus der Hallenser Kurve zu keinem Zeitpunkt aufgefordert, die Schmähgesänge einzustellen.“ Auch im Internetforum des HFC-Fanklubs Web-Hallunken seien die Grölereien diskutiert worden. Inzwischen ist der entsprechende Thread jedoch nicht mehr aufzurufen. Zur Begründung heißt es dort, „die Medien“ hätten – unter Berufung auf das Forum – „teilweise falsche Angaben sowie nicht korrekt wiedergegebene Zitate von HFC-Vertretern“ verwendet, weshalb man sich gezwungen sehe, die Zusammenarbeit mit der Presse einzustellen und die Beiträge auf der Internetseite zu löschen. Offenbar empfindet man die Zeugenaussagen als Nestbeschmutzung, die man weit stärker gewichtet als den Antisemitismus der eigenen Klientel.

Die Verantwortlichen des Halleschen FC wollen die Tiraden nicht gehört haben; der Präsident des Klubs kündigte jedoch immerhin an, bei entsprechenden Beweisen „mit dem kompletten Programm rechtsstaatlicher Maßnahmen“ gegen diejenigen vorgehen zu wollen, die sie angestimmt haben. Beim Nordostdeutschen Fußball-Verband (NOFV) ist außerdem eine Anzeige eingegangen. NOFV-Geschäftsführer Holger Fuchs versicherte, den Vorfällen nachzugehen und gegebenenfalls drakonische Strafen zu verhängen. Bereits im Oktober 2006 war der HFC zu einer Geldstrafe und einem Spiel vor leeren Rängen verurteilt worden, nachdem Zuschauer einen Spieler des FC Sachsen Leipzig mit Affenlauten rassistisch gedemütigt hatten.

Ereignisse wie die in Halle sind im Amateurfußball keine Ausnahme. Immer wieder kommt es vor allem in Ostdeutschland zu rassistischen und antisemitischen Manifestationen. Erinnert sei in diesem Zusammenhang beispielsweise an ein Jugendspiel in Wurzen, das am so genannten „Vatertag“ im Mai letzten Jahres in eine Nazi-Demonstration verwandelt wurde. Damals riefen Jugendliche Sprüche wie „Du Judenschwein“, „Fick deine Mutter, du Judensau“ und „Wir ziehen dir die Vorhaut runter, du Jude“ in Richtung der Spieler des Gastvereins aus Chemnitz und des Schiedsrichter-Gespanns. Die Wurzener Vereinsverantwortlichen leugneten seinerzeit die Vorfälle, bis sie schließlich nicht mehr abzustreiten waren. Auch und vor allem der Berliner Klub TuS Makkabi ist regelmäßig mit antisemitischen Anfeindungen konfrontiert. Im Oktober 2006 wurde deshalb sogar ein Spiel seiner zweiten Mannschaft abgebrochen. Und seit dem vergangenen Samstag wird gegen zwei Personen ermittelt, die bei einem Spiel von Makkabis Erster den so genannten Hitlergruß entboten respektive neonazistische Beleidigungen von sich gegeben haben sollen. Der Vorsitzende des Vereins, Tuvia Schlesinger, sagte, derartige Ereignisse wiederholten sich ständig: „Mittlerweile haben wir alle zwei, drei Wochen so eine Geschichte.“

Doch berichtet wird darüber nur gelegentlich, und noch seltener gibt es Konsequenzen, einschneidende schon gar nicht. Während der Deutsche Fußball-Bund (DFB) in den Profiligen medienwirksame Aktionen wie „Zeig dem Rassismus die rote Karte“ initiiert oder unterstützt und dort ausländerfeindliche und antisemitische Tiraden inzwischen rückläufig sind, gilt für Spiele in den unteren Klassen das Gegenteil. Insbesondere bei den Verantwortlichen von Ostklubs lautet das Motto: „Erst leugnen, und wenn das nicht mehr geht, auf Teufel komm raus bagatellisieren“, wie Raicko Eichkamp bereits im November 2006 in der Jungle World resümierte. Bei nicht wenigen Amateurvereinen besteht die Anhängerschar dabei zu erheblichen Teilen aus exakt jenen Zuschauern, die für die Hasstiraden verantwortlich sind. Und auf deren Obolus will man nicht verzichten. Dabei nimmt man in Kauf, dass andere Fans aus genau diesem Grund den Stadien fern bleiben.

Im Internetforum der Web-Hallunken wird es derweil überwiegend begrüßt, dass der Widerspruch gegen die antisemitischen Ausschreitungen beim Spiel gegen Jena unterbunden wurde. „ich find es richtig, die threads zu löschen. denn politische äußerungen sind nunmal nicht sinn und zweck dieses forums und daher gehören diese postings gelöscht“, befand beispielsweise der User „Ranu“. „arma“ urteilte: „100 % Richtig!“, „ammendorfer“ beschied einem, der anderer Ansicht war, schlicht: „geh in den Zoo zurück!“, und „Der Akener“ mahnte eine Prioritätensetzung an: „wir sollten uns jetzt auf sonntag konzentrieren und ein rot weißes meer aufbieten.“ Dass „Jude“ als Schimpfwort verwendet wurde, beschäftigt augenscheinlich keinen der Teilnehmer. Denn das ist längst Normalität.

Zum Foto: Anhänger von Energie Cottbus zeigen im Dezember 2005 ein Transparent, mit dem Dynamo Dresden in beleidigender Absicht als „Judenklub“ bezeichnet wird. Der Buchstabe „D“ stellt dabei das Dynamo-Vereinswappen dar.

Hattips: David Goldner, Mona Rieboldt, Olaf Kistenmacher