„Das Ausmaß hat überrascht“
1938 flüchtete Karl Pfeifer als Zehnjähriger mit seiner Familie vor den Nationalsozialisten aus Österreich und zunächst nach Ungarn. 1943 gelang ihm mit einem der letzten Kindertransporte der sozialistisch-zionistischen Jugendorganisation Hashomer Hatzair, der er seit 1940 angehörte, die Flucht nach Palästina. Er lebte dort im Kibbuz, kämpfte im israelischen Unabhängigkeitskrieg und kehrte 1951 schließlich nach Österreich zurück. Dort angekommen, musste Pfeifer bei der Staatspolizei vorsprechen. Heimkehrer, so wurde ihm gesagt, seien in Österreich nur die, die in der Wehrmacht und in der Waffen-SS gedient hätten. Mit dem in Wien lebenden Publizisten (Foto), der kürzlich seinen 80. Geburtstag feierte, sprach Lizas Welt über die Gründe für den Rechtsruck bei den Nationalratswahlen in Österreich.
Lizas Welt: Die Wahlen in Österreich haben einen erdrutschartigen Sieg für die beiden rechtsextremen Parteien FPÖ und BZÖ gebracht, die zusammen auf 29 Prozent der Wählerstimmen kamen. War damit zu rechnen?
Karl Pfeifer: Leider ja. Wer nüchtern die politische Szene beobachtete, konnte ahnen, was da kommt. Trotzdem hat das Ausmaß überrascht.
Was sind die Gründe für diesen massiven Rechtsrutsch? Mit welchen Themen haben sich FPÖ und BZÖ Ihrem Eindruck nach besonders profilieren können?
Vor allem mit Fremdenhass. Mit ungezügelter Hetze gegen „Asylmissbrauch“ und mit der Parole „Österreich den Österreichern“ auf Plakaten. Die Linken wollten die Probleme, die mit der Einwanderung von Nichteuropäern zusammenhängen, aber einfach nicht zur Kenntnis nehmen, was natürlich der tagtäglichen Erfahrung vieler Menschen widerspricht. FPÖ und BZÖ hatten einfache und daher falsche Lösungen, die jedoch viele Wähler beeindruckten. Sie punkteten aber auch mit der Agitation gegen die EU – die nicht nur von Rechtsextremisten ausgeht –, mit der suggeriert wurde, die Österreicher seien eigentlich Opfer der Europäischen Union. Eine besonders üble Rolle spielte dabei die Tageszeitung Neue Kronenzeitung (NKZ), die seit Monaten eine regelrechte Kampagne gegen die EU führt. Dazu kam noch der Brief, den Werner Faymann, der neue Vorsitzende der SPÖ, an den Herausgeber und Teilhaber der NKZ gerichtet hatte und in dem er versprach, alle wichtigen Entscheidungen zum Thema EU in Volksabstimmungen klären zu lassen. Damit öffnete er die Schleusen, denn die NKZ ist die von SPÖ-Mitgliedern am meisten gelesene Zeitung, die gleichzeitig immer wieder fremdenfeindliche und rassistische Texte bringt und noch Anfang dieses Jahrtausends antisemitische Artikel druckte. All das hat die österreichischen Sozialdemokraten aber nicht gestört. Faymann und die SPÖ glaubten, der FPÖ den Wind aus den Segeln nehmen zu können. Doch es ist genau das Gegenteil eingetreten: Sie haben den Wind in deren Segel geblasen, und viele Wähler sagten sich: Da gehe ich doch lieber zum Schmied als zum Schmiedl.
Bei den Wählern unter 30 Jahren kamen diese beiden Parteien sogar auf 40 Prozent. Warum war der Stimmanteil vor allem in dieser Altersgruppe so hoch?
Unter anderem, weil die anderen Parteien fantasielos waren und der Jugend kein Angebot machten. H.C. Strache hingegen, der junge Anführer der FPÖ, ging in die Diskos und passte sich der gängigen Jugendmode an. FPÖ und BZÖ vermittelten jungen Menschen das Gefühl, dass sie ihnen zuhören und auf die Bedürfnisse der Jugend eingehen.
Auffällig ist auch, dass die rechtsextremen Parteien in den Wiener Arbeiterbezirken stark hinzugewonnen haben, also in traditionellen Hochburgen der SPÖ. Wie erklärt sich diese Entwicklung?
Da war die nationale und soziale Demagogie der Rechtsextremen wirksam, die den Wählern einredete, man könne sogar zwei Sozialversicherungen schaffen: eine für Inländer und eine für Ausländer. Nicht zu vergessen: Wien wird seit der Befreiung 1945 von Sozialisten regiert, und viele in der Stadtverwaltung benehmen sich so, als ob die Bürger für sie da wären und nicht sie für die Bürger. Erfreulich immerhin, dass die Grünen in einigen Bezirken stimmenstärkste Partei wurden.
Die Rechtsparteien feiern gerade in Österreich immer wieder Wahlerfolge...
Ihr wirklicher Aufstieg begann, nachdem die SPÖ mit der FPÖ von 1983 bis 1986 eine kleine Koalition gebildet hatte und Kurt Waldheim im Frühjahr 1986 mit einer erfolgreichen antisemitischen Kampagne der ÖVP Bundespräsident wurde. Im Herbst 1986 gelang es Jörg Haider, mit einer „Palastrevolte“ der rechtsextremen Kreise in der FPÖ die Führung in die Hand zu bekommen. Er verstand es, die große Koalition vor sich herzutreiben. Bei den Wahlen 1999 erhielt die FPÖ schließlich 27 Prozent der Stimmen. Im Februar 2000 trat die schwarz-blaue Koalition als neue Regierung an, begleitet von internationalen Protesten. Die FPÖ hatte mehr Stimmen als die „Schwarzen“, die konservative ÖVP. Doch deren Chef Wolfgang Schüssel verstand es, Haider zu überzeugen, und wurde Bundeskanzler.
Was unterscheidet FPÖ und BZÖ überhaupt nennenswert voneinander? Und was eint diese beiden Parteien?
Die FPÖ versuchte nach 2000, gleichzeitig Regierungs- und Oppositionspartei zu sein, was 2002 zur Spaltung führte. Die FPÖ wird seither vom jungen und dynamischen H.C. Strache angeführt, in der BZÖ schwingt Haider das Zepter, der als Kärntner Landeshauptmann davon träumte, aus seiner Truppe eine Art österreichische CSU zu machen. Was die beiden trennt, sind die Anführer und die Klientel. Haider versucht, sich staatsmännisch zu geben, und er appelliert eher an bürgerliche Kreise, während Strache eher die Unterschicht bedient. Beide kommen aus rechtsextremistischen Burschenschaften und wurden dort sozialisiert.
Welchen Einfluss werden FPÖ und BZÖ auf die künftige Entwicklung in Österreich nehmen?
Schon nach 2000 erhielten viel mehr Rechtsextreme Zugang zu wichtigen Stellen im Staat. Diese Tendenz wird sich fortsetzen. Ein Beispiel: In Österreich nominieren die drei stärksten Parteien die drei Präsidenten des Parlaments. Die FPÖ schlägt nun Dr. Martin Graf als ihren Kandidaten vor – einen Mann, der in der rechtsextremen Burschenschaft „Olympia“ sozialisiert wurde und der noch immer deren „Alter Herr“ ist. 2005 wurde der Holocaustleugner David Irving nach Österreich eingeladen, um einen Vortrag vor dieser „Olympia“ zu halten. Allein die Grünen beziehen eindeutig Stellung gegen einen Rechtsextremisten als dritten Nationalratspräsidenten. Die SPÖ und die ÖVP werden nun wahrscheinlich für Graf stimmen. Damit setzen sie die unheilvolle Politik der Legitimierung von Rechtsextremisten fort.
Israel hat bereits angekündigt, die diplomatischen Beziehungen zu Österreich zu überdenken und gegebenenfalls erneut abzubrechen. Halten Sie einen solchen Schritt für sinnvoll?
Der 2000 erfolgte Abbruch der Beziehungen war kontraproduktiv. Israel, das leider nicht wählerisch sein kann, pflegt gute Beziehungen zu Italien, wo Apologeten des Faschismus in der Regierung sitzen. Man wird sich in Jerusalem wahrscheinlich gründlich überlegen, wie man sich verhalten soll, wenn es in Wien zu einer Regierungsbeteiligung von Rechtsextremisten kommen sollte.
Die FPÖ hat 2008 in Graz eine antimuslimische Wahlkampagne veranstaltet und auch mit Plakaten wie „Daham (daheim) statt Islam“ geworben. Wie verhält sich die kleine jüdische Gemeinde in Österreich dazu?
Der Präsident der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde, Ariel Muzicant, hat sich immer wieder gegen die menschenverachtende Politik der FPÖ gewandt. Deren Hetze gegen Muslime in Österreich dient gerade den Aktivisten des politischen Islam, die aus dem Dunstkreis der Muslimbruderschaft kommen, um sich als Kämpfer gegen den Rassismus auszugeben. Fremdenfeindlichkeit, Agitation gegen die EU und der Wunsch, die NS-Verbotsgesetze abzuschaffen, um damit die Apologie des Nationalsozialismus in die Mitte der Gesellschaft zu bringen – all das kennzeichnet die FPÖ. Damit will die jüdische Gemeinde Österreichs nichts zu tun haben.
Anlässlich seines 80. Geburtstags haben Daniel Binder, Mary Kreutzer, Ingo Lauggas, Maria Pohn-Weidinger und Thomas Schmidinger für die Gesellschaft für kritische Antisemitismusforschung einen Dokumentarfilm über Karl Pfeifer produziert: „Zwischen allen Stühlen“. Die Premiere fand am 14. September im ausverkauften Wiener Metrokino statt. Außerdem wird der Film am 23. Oktober im Wiener Republikanischen Klub, am 13. November im Zentrum für Interkulturelle Begegnung der Jüdischen Gemeinde Baden und am 25. November im Wiener Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands – dessen Kurator Karl Pfeifer ist – gezeigt.
Foto: Karl Pfeifer bei einem Besuch des Palmach-Museums in Tel Aviv im Jahr 2007. © haGalil