8.11.08

Aufstand in der Reha-Klinik



Still war es zuletzt geworden um Ludwig Watzal. Nachdem sich sein Arbeitgeber, die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB), im Sommer dieses Jahres nach diversen Protesten und einigermaßen zähem Ringen endlich zu arbeitsrechtlichen Schritten gegen den vor allem nach Feierabend sehr aktiven Mitarbeiter durchgerungen hatte, schien sowohl dem promovierten „Israelkritiker“ als auch seinen Groupies ein wenig die Puste ausgegangen zu sein. Doch gute Freunde kann niemand trennen, das wusste Franz Beckenbauer schon vor über vierzig Jahren. Und so rafften sich Watzals Weggefährten mit gehöriger Verspätung doch noch zu einer „Solidaritätsaktion“ auf. Der daraus resultierende „offene Brief“ an den BpB-Präsidenten Thomas Krüger und den Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble ist nun auf der Website eines selbst ernannten Künstlers erschienen, dessen Internetauftritt ästhetisch wie inhaltlich eine ungefähre Idee davon vermittelt, was den Ausstellungshallen dieser Republik erspart bleibt, und nicht zufällig an jene engzeilig beschriebenen, verworrenen Flugblätter erinnert, die man in den Fußgängerzonen deutscher Städte von so bemitleidenswerten wie aufdringlichen, der Wirklichkeit gänzlich entrückten Gestalten in die Hand gedrückt bekommt.

Und genauso erbarmungswürdig wie der Rahmen des Schreibens ist – form follows function – zwangsläufig auch sein Inhalt. „Ich habe kein Verständnis für die Strafmaßnahmen gegenüber Ihrem Mitarbeiter Herrn Dr. Ludwig Watzal und möchte Sie ersuchen, ihn zu rehabilitieren und in seine frühere Funktion wieder einzusetzen“, hebt der Brief trotzig-fordernd an, bevor geradezu staatsmännisch beteuert wird: „Dr. Ludwig Watzal ist mir seit Jahren vor allem wegen seines hervorragenden Editorials der ApuZ [Aus Politik und Zeitgeschichte] und seiner Beiträge in der Wochenzeitung ‚Das Parlament’ und zahlreichen anderen nationalen wie internationalen Medien bekannt.“ In denen er zuvörderst – und das ist selbstverständlich der eigentliche Beweggrund für den Brief – Israel nachgerade menschheitsgeschichtlicher Verbrechen bezichtigte und sich damit in die Herzen all jener schrieb, die im jüdischen Staat nicht weniger erkennen wollen als den Wiedergänger des Nationalsozialismus. Eine solche Sichtweise hat entscheidende Vorzüge, denn durch sie lassen sich die Bagatellisierung der Shoah (inklusive der Versöhnung mit den Tätern) und die Dämonisierung Israels gleichzeitig bewerkstelligen.

Da die Initiatoren des Textes das natürlich nicht offen sagen können, tönen sie umso lauter, die Moral auf ihrer Seite zu haben: „Ich bin empört und habe kein Verständnis dafür, dass Sie aufgrund von Verleumdungen und offensichtlichen Diffamierungen einem langjährigen, erfahrenen Journalisten und anerkannten Buch-Autoren seine Arbeitsmöglichkeiten zu entziehen versuchen“, heißt es im obligatorischen Betroffenheitsduktus. Die angeblichen „Verleumdungen“ und „Diffamierungen“ werden, versteht sich, nicht einmal versuchsweise belegt, denn man setzt voraus, dass der eigene Standpunkt geteilt wird und dass Watzals Versetzung nicht etwa begründeten Erwägungen geschuldet, sondern nur das Ergebnis einer böswilligen Kampagne gewesen sein kann. Einer Kampagne zionistischer Zensoren nämlich, der sich Krüger und Schäuble letztlich als Exekutoren angeschlossen hätten: „Darüber hinaus stelle ich mit großer Sorge fest, dass Sie mit Ihren aktuellen Maßnahmen gegen Dr. Ludwig Watzal offensichtlich die Berichterstattung und Debatte über die Rolle Israels im Nah-Ost-Konflikt beschneiden und Kritik an der israelischen Politik in den besetzten Gebieten Palästinas mit Sanktionen am Arbeitsplatz beantworten wollen.“

Alsdann zitieren die Initiatoren des „offenen Briefes“ noch ein bisschen aus den Grundsätzen und Zielsetzungen der Bundeszentrale („Offenheit“, „Überparteilichkeit“, „Ausgewogenheit“), die den arbeitsrechtlichen Maßnahmen gegen Watzal (Foto oben) widersprächen, bevor Krüger und Schäuble gebeten werden, „es der Öffentlichkeit zu ermöglichen, sich über unterschiedliche politische, gesellschaftliche und wissenschaftliche Positionen zu informieren“, wozu „die Rehabilitierung und Wiedereinsetzung von Herrn Dr. Ludwig Watzal in seine wissenschaftliche und publizistische Arbeit“ ein „wesentlicher Schritt“ sei. So richtig entscheiden können sich die Verfasser dieses Appells also nicht, ob sie in der BpB nun eher ein Werkzeug zionistischer Propaganda sehen wollen oder mehr eine aus Steuergeldern finanzierte Institution, die sich gefälligst in den Dienst der „Israelkritik“ zu stellen hat. Aber dieser Widerspruch ist typisch für ein politisches Milieu, das sich für eine unterdrückte Minorität hält, obwohl seine An- und Absichten allemal die einer Mehrheit sind und nicht wenige seiner Protagonisten bei angesehenen Einrichtungen in Lohn und Brot stehen, um dort genau das zu tun, wofür Watzal jetzt zumindest keine Staatsknete mehr bekommt.

Dementsprechend liest sich die Liste der Unterzeichner des „offenen Briefes“ auch wie ein Who’s who des publizistischen und akademischen Antizionismus. Kaum jemand, den man dort erwarten würde, fehlt: Knut Mellenthin nicht, Evelyn Hecht-Galinski nicht, Jürgen Elsässer nicht, Norman Paech nicht, Felicia Langer nicht, Georg Meggle nicht, Rupert Neudeck nicht, Jamal Karsli nicht, und auch Norman G. Finkelstein hat unterschrieben,
als Gaststar sozusagen. Im Grunde genommen muss man die Aktion sogar begrüßen. Denn selten gab es eine umfassendere Aufzählung all jener, zu denen man größtmöglichen Abstand halten sollte. Nun darf man gespannt sein, was die Reha-Maßnahme bewirkt. Jede Wette: Wenn sich die Oberärzte Krüger und Schäuble nicht weiter um sie scheren, probt die Belegschaft der Klinik den (nächsten) Aufstand. Gegen manche Gebrechen ist halt kein Kraut gewachsen. Nichtsdestotrotz: gute Besserung!

Fotomontage: Lizas Welt