Sieg Unheil
Dass man über Tote nicht schlecht reden soll, fanden bekanntlich schon die Römer. „De mortuis nil nisi bene“, lautete ihr diesbezüglicher, noch heute oft zitierter Leitspruch, der eine Mahnung zur Pietät sein sollte, auch in solchen Fällen, in denen es schwer fällt, über einen Dahingeschiedenen nur Gutes zu sagen. Doch Pietät ist das eine, Verklärung und Huldigung sind etwas anderes. Und das, was zahlreiche österreichische Politiker fast aller Parteien nach dem Unfalltod des Rechtsaußen Jörg Haider von sich gaben, ging über die obligatorische Zurückhaltung weit hinaus und machte den BZÖ-Politiker posthum zu „einer Art Mutter Teresa“, wie Karl Pfeifer befremdet feststellte. Der österreichische Bundespräsident Heinz Fischer etwa attestierte Haider „große Begabungen“, zeigte sich „tief betroffen“ und hielt das selbst verschuldete Ableben des Kärntner Landeshauptmanns infolge einer abrupt beendeten Hochgeschwindigkeitsfahrt für eine „menschliche Tragödie“. Auch Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) war „sehr betroffen“ und äußerte „tiefes Mitgefühl“. Vizekanzler Wilhelm Molterer (ÖVP) sprach Haider seinen „großen Respekt“ aus, schließlich habe dieser „immer eindeutige Standpunkte bezogen“. Der SPÖ-Vorsitzende Werner Faymann war – man ahnt es – ebenfalls „tief betroffen“ vom „tragischen Ableben“ des „Ausnahmepolitikers“. Alexander Van der Bellen, ehemaliger Parteichef der Grünen, erklärte, Haider sein „ein außergewöhnlicher Politiker“ gewesen, „hochbefähigt, Menschen zu begeistern und für sich einzunehmen“. Die sozialdemokratische Nationalratspräsidentin Barbara Prammer rühmte „die große politische Lebensleistung Haiders“. Parteigenosse Franz Voves, Landeshauptmann der Steiermark, trauerte „einer der charismatischsten Persönlichkeiten in der österreichischen Politik in den letzten Jahrzehnten“ nach, die sich „mit viel Erfolg für den Süden Österreichs eingesetzt“ habe. Und diese Statements sind nur ein kleiner Ausschnitt aus den ungezählten verbalen Verbeugungen der politischen Klasse der Alpenrepublik vor dem verblichenen 58-Jährigen.
Noch ärger ist es in der Bevölkerung, besonders in Kärnten, wo es eine regelrechte Hysterie gibt. Bernhard Torsch vom profilierten österreichischen Weblog Der Lindwurm verglich die Reaktionen mit denen in Nordkorea nach dem Tod Kim Il-Sungs und berichtete: „Die Trauerkerzenhersteller schieben schon Überstunden, und in den Wirtshäusern werden Haiderbilder wie Altäre aufgestellt.“ Vor dem Kondolenzbuch gibt es Warteschlangen, Menschen schluchzen hemmungslos und legen Blumen, Porträtfotos oder Briefe nieder. „Du warst für uns wie Lady Di, ein Mann der Herzen“, schrieb eine Familie, „König der Kärntner Herzen“, steht auf einem anderen Zettel. „Was wird jetzt aus uns, was wird jetzt aus Kärnten?“, ist eine oft gehörte Frage. Und „die Massenhysterie wird ihren Höhepunkt wohl erst mit dem Begräbnis Haiders erreichen“, vermutet Blogger Torsch, „welches übrigens eine bizarre Veranstaltung zu werden verspricht, werden doch dort SS-Veteranen und Rechtsaußenpolitiker aus ganz Europa Seite an Seite mit dem politischen Establishment Österreichs vom Bundespräsidenten abwärts Haider die letzte Ehre erweisen“. Darüber hinaus kursieren die wüstesten Verschwörungstheorien, im Internet sowieso, aber auch ganz öffentlich. Der ehemalige FPÖ-Politiker Karlheinz Klement beispielsweise ist überzeugt, dass der Mossad seine Finger im Spiel hatte, als Haider noch weiter nach rechts abdriftete als gewohnt: „Attentate auf Politiker durch Geheimdienste werden sehr gerne verübt, während sie sich in ihrem Auto befinden. Man denke nur an JFK in Dallas.“
Um der Wahrheit die Ehre zu geben, sei an dieser Stelle in Erinnerung gerufen, worin die tatsächliche politische Lebensleistung jenes Mannes bestand, der da in seinem geleasten Volkswagen mit beachtlichen 1,8 Promille und sagenhaften hundertzweiundvierzig Sachen – erlaubt waren 70 Stundenkilometer – eine Schneise durch den Klagenfurter Vorort Lambichl pflügte. Jörg Haider, das war der Sohn überzeugter Nationalsozialisten: der Vater illegales Mitglied der in Österreich damals noch verbotenen NSDAP und beteiligt am „Juliputsch“ 1934, die Mutter BDM-Führerin. Ihren Sprössling erzogen sie ganz im Geiste der NS-Ideologie, und das war ihm offenkundig ein Wohlgefallen: Jörg Haider, das war der,
- der 1991 vor dem Kärntner Landtag die „ordentliche Beschäftigungspolitik“ der Nazis lobte,
- der 1995 in einer Rede vor SS-Veteranen – darunter Otto Kumm, der letzte Kommandant der „SS-Leibstandarte Adolf Hitler“ – seine „lieben Freunde“ als „anständige Menschen“ ansprach, „die einen Charakter haben und die auch bei größtem Gegenwind zu ihrer Überzeugung stehen und ihrer Überzeugung bis heute treu geblieben sind“,
- der ebenfalls 1995 die Waffen-SS „als Teil der Wehrmacht“ mit „Ehre und Anerkennung“ bedachte,
- der 2001 den Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Ariel Muzicant, mit den Worten attackierte: „Ich verstehe überhaupt nicht, wie einer, der Ariel heißt, so viel Dreck am Stecken haben kann“,
- der ebenfalls 2001 im Zusammenhang mit den Entschädigungszahlungen für jüdische Überlebende des Nationalsozialismus sagte, Bundeskanzler Schüssel wolle sich offenbar „den ungeteilten Applaus der US-Ostküste“ verdienen,
- der 2002 über den Präsidenten des österreichischen Verfassungsgerichtshofs, Ludwig Adamovich, sagte: „Wenn einer schon Adamovich heißt, muss man zuerst einmal fragen, ob er überhaupt eine aufrechte Aufenthaltsberechtigung hat“,
- der 2004 gegen die Errichtung eines Denkmals am Wiener Hauptbahnhof zum Gedenken an die von dort in den Tod deportierten Juden wetterte,
- der im Juli dieses Jahres Asylsuchende als „Lumpen von Dealern und Gewalttätern“ bezeichnete und auch ansonsten regelmäßig gegen Zuwanderer und die slowenische Minderheit in Österreich ausfällig wurde,
- der ein ausgesprochen freundschaftliches Verhältnis zu arabischen Despoten wie Saddam Hussein und Muhammar al-Gaddafi pflegte, zwei der übelsten Feinde Israels,
Mit dem Grundsatz „de mortuis nil nisi bene“ hatte das nichts mehr zu tun, wie auch die servilen Reaktionen österreichischer Politiker und die Hysterie in nicht unerheblichen Teilen der Bevölkerung damit nicht zu erklären sind. Womöglich wird in der Alpenrepublik jetzt sehnsüchtig nach einer neuen Führerfigur gefahndet. H.C. Strache, der frühere Aktivist der Wiking-Jugend, fährt dem Vernehmen nach bereits deutlich langsamer in die Kurven als zuvor.