15.6.09

Geduld! Respekt! Dialog!



Dass hierzulande nach den „Wahlen“ im Iran und der Grundsatzrede des israelischen Premierministers Benjamin Netanyahu aufs Neue die Stunde der „Nahostexperten“ schlagen würde, war abzusehen. Und wieder einmal demonstrierten notorische Bescheidwisser, dass sie gar nichts begriffen haben.


Auf der Website der ZEIT etwa durfte sich der Publizist und frühere Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik, Christoph Bertram, zur Frage ausmären, wie es denn jetzt, nach der „Wiederwahl“ Mahmud Ahmadinedjads, eigentlich weitergehen wird. Nun sollte man ja meinen, dass die pseudodemokratische Inszenierung des Regimes und die anschließende massive Repressionswelle gegen die Demonstranten noch einmal sehr deutlich gezeigt haben, was die Mullahs von jeglichem „Change“ halten: gar nichts. Man sollte außerdem meinen, dass jemand, der halbwegs bei Verstand ist, wenigstens zur Solidarisierung mit den iranischen Oppositionellen und zu deren Unterstützung aufruft. Aber nichts da: Man müsse vielmehr, fand Bertram, mit dem Iran „zu einem neuen Verhältnis“ gelangen, wie es der amerikanische Präsident Barack Obama vorhabe, und daher „mit diesem Regime sprechen – wer immer es repräsentiert“. Ein solches Gespräch, so glaubt er, „wäre mit einem vermeintlich verbindlicheren Moussavi womöglich sogar noch schwieriger geworden, weil der jeden Verdacht eilfertiger Kompromissbereitschaft hätte vermeiden müssen, als mit dem polternden, als Hardliner ausgewiesenen Ahmadinedjad“. Anders gesagt: Je Hardliner, desto Dialog. Eine faszinierende Logik.

„Vor allem aber“, ratschlagte Bertram weiter, „muss Obama glaubhaft machen, dass es ihm mit der Suche nach einem Neuanfang wirklich ernst ist“. Und „wegen des tiefen Misstrauens, mit dem die Führung in Teheran die USA betrachtet“, sei „diese Glaubwürdigkeit nur mit großer Entschlossenheit und Geduld zu erreichen“. Doch entsprechende „ermutigende Signale“ seien bereits ausgesendet worden; es gebe von Seiten der amerikanischen Regierung „die Bereitschaft zu einem direkten, umfassenden Dialog auf der Basis gegenseitigen Respekts“. Nun aber müssten „Taten folgen“. Dabei dürfe sich Obama „nicht allein in der Atomfrage festbeißen“, sondern er müsse „bereit sein, die gesamte Breite der Beziehungen zu erörtern“. Das heiße: „Wer Respekt zur Grundlage des Dialogs machen will, darf nicht schon jetzt neue Wirtschaftssanktionen androhen, falls der Iran sich amerikanischen Wünschen nicht fügt. Und wer die Herausforderung ernst nimmt, iranisches Misstrauen zu überwinden, darf nicht zu schnell Ergebnisse erwarten und verlangen.“ Mögen auch weiterhin Homosexuelle an Baukränen baumeln, Demonstranten zusammengeschlagen, eingekerkert und gefoltert werden und die Israelis von der atomaren Vernichtung bedroht sein: Die Bertrams dieser Welt respektieren alles, warten todernst und geduldig ab, bis sich das „Misstrauen“ eines schönen Tages gelegt hat, und verfahren einstweilen nach dem Motto: Ein bisschen Schwund ist halt immer.*

Was hingegen die Israelis betrifft, sind deutsche „Nahostexperten“ mit ihrer Geduld und ihrem Respekt schon lange am Ende – zumal dieses renitente Völkchen die ihm hierzulande von „Otto Normalvergaser“ (Eike Geisel) zugedachten Lehren aus Auschwitz einfach nicht verinnerlichen will. Ja, schlimmer noch: Es treibt es immer doller mit den Palästinensern und sucht sich zu diesem Behufe auch noch einen Premierminister aus, den nicht nur Christoph Schult auf Spiegel Online quasi für den Leibhaftigen in Menschengestalt hält: „Netanyahu ist kein Frederik Willem de Klerk wie in Südafrika, der seine alten Glaubenssätze über Bord warf. Er ist nicht einmal ein Ariel Sharon, der 2005 immerhin alle Siedler aus dem Gaza-Streifen abzog. Er passt sich selbst dann nicht an, wenn es eine Bedrohung gibt, die viel größer ist als alle palästinensischen Raketen und Terroranschläge zusammen genommen: Iran. Anstatt den moderaten arabischen Regierungen und den Palästinensern deutlich entgegenzukommen, um die Front gegen das Machtstreben von Mahmud Ahmadinedjad zu einen, nimmt er die Bestätigung des iranischen Präsidenten in seinem Amt zum Anlass, den Palästinensern Grenzen zu setzen.“ Soll heißen: Netanyahu ist ein unbelehrbarer Apartheidfan, der selbst noch den verhassten Bulldozer rechts überholt und arglose Araber förmlich in die Arme eines fanatischen Judenhassers nötigt (womit, wenn auch durch die Blume, wieder einmal die alte Mär aufgetischt wird, dass sich die Juden den Antisemitismus selbst zuzuschreiben haben).

Dabei hat der israelische Premierminister in seiner Grundsatzrede an der Bar-Ilan-Universität in Tel Aviv nichts gesagt, was verwerflich wäre – und noch nicht einmal etwas, das nicht bereits Gegenstand von Verhandlungen war. Auch die so genannte Roadmap sieht schließlich vor, dass die Ausrufung eines palästinensischen Staates nur am Ende eines Friedensprozesses stehen kann und nicht am Anfang; vor der Staatsgründung müssen vor allem stabile Sicherheitsgarantien für Israel stehen, weil alles andere glatter Selbstmord wäre. Dass die Frage der palästinensischen Flüchtlinge außerhalb der Grenzen Israels gelöst werden und ein palästinensischer Staat entmilitarisiert sein muss, war bereits Bestandteil der „Clinton-Parameter“ Ende 2000/Anfang 2001. Bezüglich der Siedlungen erinnerte Netanyahu sehr zu Recht daran, dass der Gaza-Rückzug im Jahr 2005 eben nicht automatisch zum Frieden führte, sondern im Gegenteil zu einem regelrechten Raketenhagel – weil die Hamas den Abzug als Ausdruck von Schwäche interpretierte sowie als Schritt zu der von ihr angestrebten Kein-Staat-Israel-Lösung. Und dass die Palästinenser Israel als explizit jüdischen Staat akzeptieren müssen, in dem auch Palästinenser leben, sollte selbstverständlich sein – wie es übrigens ebenso selbstverständlich sein muss, dass in einem explizit palästinensischen Staat auch Juden leben können.

Anders, als es „Nahostexperten“ vom Schlage eines Christoph Schult glauben, war der Zeitpunkt von Netanyahus Rede zudem ausgesprochen günstig gewählt. Denn die Ansprache stellte eben auch ein unmissverständliches Signal an die Mullahs dar, die derzeit aufs Neue überdeutlich machen, sich selbst auf freundliche Avancen wie die Barack Obamas nicht einlassen, sondern ihre eigene Agenda durchsetzen zu wollen – und zwar mit aller Gewalt. Das iranische Regime als „größte Gefahr für Israel, den Nahen Osten, die gesamte Welt und die Menschheit“ zu bezeichnen, wie es der israelische Premierminister getan hat, ist deshalb mehr denn je konsequent und richtig. Ahmadinedjad und die religiösen Führer müssen zu spüren bekommen, welchen Preis ihr Tun hat. Insoweit ist Netanyahus Rede gewissermaßen das passende außenpolitische Gegenstück zu den massiven innenpolitischen Protesten im Iran. Mit Appeasement, „Respekt“, „Geduld“ und ähnlichem Unfug kommt man der Bedrohung jedenfalls ganz gewiss nicht bei, sondern befördert sie im Gegenteil sogar noch.

* Dass man selbst einen wie den Bertram noch toppen kann, zeigt der inzwischen vollständig durchgeknallte Querfrontkopf Jürgen Elsässer, der Mahmud Ahmadinedjad herzlich gratuliert. Die iranischen Demonstranten nennt er „die Jubelperser von USA und Nato“, „Discomiezen“, „Teheraner Drogenjunkies“ und „Strichjungen des Finanzkapitals“. Deshalb freut sich Elsässer auch über den Terror der Mullahs: „Gut, dass Ahmadinedjads Leute ein bisschen aufpassen und den einen oder anderen in einen Darkroom befördert haben.“

Herzlichen Dank an die Zeitung für Schland für zahlreiche wertvolle Hinweise.

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