Eine Lanze für den Mossad
Es ist schon bezeichnend: Während die Hamas höchstselbst inzwischen vermutet, dass die gezielte Tötung ihres Frontmanns Mahmud al-Mabhuh in einem Hotel in Dubai auf das Konto der jordanischen oder ägyptischen Regierung oder der Palästinensischen Autonomiebehörde geht, ist man in Europa ganz sicher: Das kann nur der israelische Geheimdienst Mossad gewesen sein. Und weil die angeblichen Mitglieder des Kommandos auch noch mit manipulierten europäischen Pässen in das Emirat gelangt sein sollen, bebt die EU förmlich vor Zorn: Israelische Diplomaten werden einbestellt, Erklärungen verfasst, Ermittlungen eingeleitet. Sogar mit dem Abbruch der Gespräche wird gedroht. Die Europäer sind mal wieder in Höchstform: Jede weitere Stufe des gegen Israel gerichteten iranischen Atomwaffenprogramms wird umgehend mit einem neuen Verhandlungsangebot belohnt; die Ausschaltung eines antiisraelischen Terrorführers hingegen hat zur Folge, dass dem jüdischen Staat nachteilige politische Konsequenzen angekündigt werden. Als vor rund fünf Jahren der langjährige libanesische Ministerpräsident Rafik al-Hariri in Beirut von einer Bombe zerfetzt wurde, die aller Wahrscheinlichkeit nach auf das Konto der syrischen Regierung und syrischer Sicherheitskreise ging, gab es übrigens nicht einmal einen Bruchteil der jetzigen Empörung – obwohl die Detonation weitere 22 Menschen das Leben kostete. Aber wenn eine Tat nicht den Israelis in die Schuhe geschoben werden kann, fällt die Aufregung stets ungleich geringer aus.
Hierzulande findet man es erwartungsgemäß besonders unerhört, dass sich einer der vermeintlichen Mossad-Agenten deutsche Papiere besorgt hat – und das auch noch „offenbar unter der Benutzung einer Nazi-Opfer-Legende“, wie Spiegel Online schreibt. Das Nachrichtenmagazin hat nämlich herausgefunden, dass der Mann „seinen Anspruch auf einen deutschen Pass mit der Heiratsurkunde seiner Eltern, die vor den Nazis aus Deutschland geflüchtet seien“, begründete. Dabei kenne man einen Michael Bodenheimer nicht einmal in dessen im Dokument angegebenen israelischen Geburtsort Liman, den Spiegel Online mit untrüglichem Gespür für das Ressentiment so beschreibt: „Liman ist die englische Aussprache des deutschen Familiennamens Lehman – das Dorf wurde 1949 von ehemaligen israelischen Soldaten gegründet und nach dem amerikanischen Senator Herbert H. Lehman benannt (einem Verwandten jener Brüder, die der späteren Pleite-Bank ihren Namen gaben).“ Da mussten sich die deutschen Reporter natürlich sofort an die Fersen dieses Judenlümmels heften, der die allzeit unbestechliche deutsche Bürokratie mit dem Holocaust übers Ohr zu hauen gewagt hat.
Aber selbst wenn der Mossad tatsächlich für den Tod al-Mabhuhs verantwortlich sein sollte: Was gibt es daran zu kritisieren? Al-Mabhuh war ein in Syrien lebender hochrangiger militärischer Führer der Hamas und Gründungsmitglied der Kassam-Brigaden; schon in den 1970er Jahren hatte er sich als junger Mann der antisemitischem Muslimbruderschaft angeschlossen. Er saß in israelischen und ägyptischen Gefängnissen, schmuggelte Waffen in den Gazastreifen und war 1989, als orthodoxer Jude verkleidet, an der Entführung und Ermordung der beiden israelischen Soldaten Avi Sasportas and Ilan Sa’adon beteiligt. Nach Dubai war er mit einer falschen Identität gekommen, um in seiner Funktion als Verbindungsmann zwischen der Hamas und dem Regime in Teheran ein Waffengeschäft mit dem Iran abzuwickeln. Kurzum: Er war eine unmittelbare Gefahr für die Israelis; sein Fehlen wird die Hamas schmerzen und schwächen.
Ganz unabhängig von der Frage, wer Mahmud al-Mabhuh nun ins Jenseits beförderte, gebieten es allerdings bereits die deutschen und europäischen Verurteilungen des Mossad, eine Lanze für den israelischen Auslandsgeheimdienst zu brechen. Wäre beispielsweise Adolf Eichmann jemals seiner gerechten Strafe zugeführt worden, wenn ihn der Mossad nicht 1960 aus Buenos Aires entführt hätte? Und wären etwa die palästinensischen Terroristen, die während der Olympischen Spiele 1972 in München israelische Sportler ermordeten, ohne den Mossad jemals unschädlich gemacht worden? So, wie der Antisemit den Tod des Juden will (Jean-Paul Sartre), so wollen Israels Feinde die Auslöschung des „Juden unter den Staaten“ (Léon Poliakov). Diesen Feinden zeigt Israel den Preis und die Grenzen ihrer Sehnsucht beizeiten mit Hilfe seiner Armee und seiner Geheimdienste auf, denn nur diese Sprache verstehen sie. Und sie bekommen zu spüren, dass es für sie kaum einen Ort auf dieser Welt gibt, an dem sie ungestört und ohne Risiko an der Verwirklichung ihrer vernichtungswütigen Pläne arbeiten können.
„Es ist unpopulär, das zu sagen, aber ich bewundere es, wie die Israelis die Dinge erledigen“, schrieb Melanie Reid in einem bemerkenswerten Kommentar für die Londoner Times. „Sie wollen etwas, und sie bekommen es. Sie erkennen jemanden als ihren tödlichen Feind und bringen ihn um. Sie werden geschlagen und schlagen zurück. Sie verschwenden keine Zeit damit, sich über etwas den Kopf zu zerbrechen, es zu erklären oder zu rechtfertigen. Sie handeln einfach. Diese Absolutheit, die auf ihrer Geschichte gründet, hat ein ganz eigenes moralisches Gewicht. Sie könnten ihre Politik natürlich verteidigen, wenn sie es wollten, aber sie haben keine Lust dazu, denn es ist eine Vergeudung von Energien. In einer Zeit, in der der Westen immer sanfter und höflicher wird, brauchen wir vielleicht die Israelis, die uns daran erinnern, dass die Welt nun mal nicht ist, wie wir sie gern hätten.“ Da diese Erinnerung jedoch vermutlich keine Folgen zeitigen wird, bleibt fürs Erste nur das Diktum von Dan Schueftan, dem geschäftsführenden Direktor des Forschungszentrums für nationale Sicherheit an der Universität Haifa und langjährigen Berater verschiedener israelischer Regierungen: „Wann immer man Zweifel hat, was richtig ist, sollte man die Europäer fragen. Und dann das Gegenteil tun.“
Zum Foto: Palästinensische Kinder vor Porträtplakaten, auf denen Mahmud al-Mabhuh glorifiziert wird. Jabalia (Gazastreifen), Januar 2010.