Kernige Sportler
Da hatte wieder einmal ein Sozialdemokrat einen ganz großen Auftritt. Der Genosse Dieter Wiefelspütz (Foto), seines Zeichens so genannter Innenexperte der SPD, metapherte die Konsequenzen eines im Raum stehenden WM-Besuchs des iranischen Mullah-Vorstehers Mahmud Ahmadinedjad im Interview mit der Berliner Zeitung so zurecht: „Wir können die Tür nicht zumachen, wenn er anklopft.“ Vielmehr wird also ein kräftiges „Herein!“ zu hören sein, wenn der Herr Präsident Einlass begehrt. Denn: „Deutschland hat als Staat ein Problem damit, einen Staatspräsidenten unfreundlich zu behandeln.“ Es ist das hierzulande so verehrte Völkerrecht, das in letzter Konsequenz gegen die USA in Stellung gebracht wird, die nicht verhandelbare Bedingungen eben tatsächlich nicht verhandeln. Und dieses Völkerrecht geht von Kollektivsubjekten aus, von einer Unterschiedslosigkeit, der das nicht bloß im Kern faschistoide Selbstbestimmungsrecht der Völker zugrunde liegt, das nicht trennen mag zwischen bürgerlichen Demokratien und autoritären bis klerikalfaschistischen Diktaturen.
Und so heißt der Wiefelspütz – und bekanntlich nicht nur er – im Fall der Fälle einen Holocaustleugner willkommen, dem die Tür zu weisen das mindeste wäre, was sich tun ließe; rechtlich wäre das allemal zu begründen. Doch der Sozenmann tut das, was man in seiner Partei oft und gerne praktiziert: darauf bauen, dass man zumindest potenziell unangenehmen Situationen nicht ausgesetzt wird, obwohl man selbst alles für das Gegenteil getan hat. Bei Wiefelspütz heißt das: „Ich hoffe, dass sich die Dinge sportlich regeln.“ Sportlich! Er meint vermutlich, dass die iranische Fußballmannschaft bereits in der Vorrunde ausscheiden möge, weil sich dann ein Besuch Ahmadinedjads erledigen und kaum jemand mehr die Causa zum Skandal erheben würde. Aber das Statement kolportiert natürlich ebenso den Mythos der Trennbarkeit von Sport und Politik, die es nicht gibt und nie gegeben hat und die Vernichtungswütigen wie dem iranischen Präsidenten bestens zupass kommt. Vielleicht können sich jetzt wenigstens die Buchmacher freuen, weil Wetteinsätze auf den Iran wachsende Beliebtheit erfahren.
Wiefelspütz griff aber nicht nur einmal verbal daneben: „Immer da, wo der radikale Antisemitismus vorhanden ist, gibt es taktische Bündnisse, die den Außenstehenden gelegentlich erstaunen“, kommentierte er Ankündigungen von Neonazis, sich mit dem Judenhasser im iranischen Präsidentenamt zu solidarisieren. Erstaunlich ist das nicht bloß taktische Bündnis zwischen Arierfans und Islamisten jedoch nicht die Bohne: Wer so spricht, kennt weder die traditionell guten Beziehungen nationalsozialistischer Deutscher zur arabischen Welt noch deren Grundlage: den Antisemitismus. Daher seien dem Regierungsvertreter die Worte im Munde umgedreht: Als „taktisches Bündnis“ ließe sich auch der Kritische Dialog bezeichnen – und da ist Wiefelspütz eines gewiss nicht: Außenstehender.
Wer jedoch immer noch nicht davon überzeugt ist, dass es richtig und notwendig gewesen wäre, den Iran von der Weltmeisterschaft auszuschließen, und stattdessen die Ansicht vertritt, man könne die Sportler doch nicht für das Regime haftbar machen, dem sei der folgende Beitrag von Eldad Beck (Foto) empfohlen, den er für die israelische Tageszeitung Yedioth Ahronoth verfasst hat. Becks Reportage zeigt, wie es einem israelischen Journalisten in Deutschland ergeht, der versucht, mit den selbst ernannten iranischen „Botschaftern des Friedens“ in Kontakt zu treten. Und sie nimmt eine historische Einordnung vor, die man offenkundig weder im Land des Gastgebers noch beim Weltfußballverband hören will. Gründe genug, um den Text in seiner deutschen Übersetzung* zu dokumentieren.
Bereitet die „Kerne“ vor*** Quelle: Medienspiegel der Deutschen Botschaft Tel Aviv
Wird der Iran die Überraschung der WM sein?
Von Eldad Beck
Sie sind sehr höflich, die iranischen Fans. Gestern trafen 30 von ihnen am kleinen Flughafen von Friedrichshafen ein, darunter einige Frauen mit bunten Kopftüchern, um auf ihre Nationalmannschaft zu warten. Bewaffnet mit Fahnen, Süßigkeiten und Blumen in den Nationalfarben achten sie darauf, sich höflich, scheu und politisch korrekt zu verhalten, wobei vor allem vermieden wird, „Ahmadinedjad“ zu erwähnen.
Auch die Spieler der iranischen Mannschaft, die bekleidet in grauen Anzügen und hellblauen Hemden mitten im deutschen Regen landen, erhielten die klare Anweisung, keine problematischen Themen anzusprechen. Weder Atom noch Shoa. Nur Fußball. „Wir werden alles geben“, verspricht der Star, Ali Karimi (Foto), den Fans, die sofort in „Iran, Iran, Iran“-Rufe ausbrechen.
Die laute Kapelle von Friedrichshafen, die dieser Tage ihr 50-jähriges Bestehen feiert, begleitet die ersten Minuten der iranischen Mannschaft auf deutschem Boden. „Wir haben schon vor wichtigen Leuten gespielt, wie z.B. dem Kanzler, aber heute handelt es sich um einen besonderen Auftritt“, erzählte einer der Musikanten. „Trotz der Problematik um den iranischen Präsidenten muss ich als Musiker Weltoffenheit bewahren.“
Die Offenheit, die er demonstriert, ist anders als die, die mir, einem israelischen Journalisten, von der iranischen Mannschaft entgegen gebracht wird. Ich schaffe es gerade noch, einen der Spieler zu fragen, was er von der politischen Kontroverse hält, die um seine Mannschaft entstanden ist, und von ihm zu hören, dass er sich nicht mit Politik befasse, bis dann iranische Journalisten Vertreter der iranischen Botschaft über meine Präsenz informieren. Von dem Moment an scheitern alle meine Versuche, mit den iranischen Spielern zu sprechen.
Der iranische Botschafter in Deutschland lächelt nach allen Seiten. „Es ist eine nationale Ehre, an der WM teilzunehmen“, sagt er. „Sport sollte nicht mit Politik in Zusammenhang gebracht werden. Wir hoffen auf faire Spiele, für Frieden und Solidarität.“ Obwohl Teheran bekannt gab, Ahmadinedjad würde eventuell doch nach Deutschland kommen, sollte der Iran in die nächste Runde aufsteigen, besteht der Botschafter darauf, dass solche Plane nicht existieren. Ich wende mich an ihn, um ihn zu fragen, ob er von den Fans der iranischen Mannschaft in Israel gehört habe, aber die Sicherheitsbeamten flüstern ihm zu, wer ich bin und führen ihn sofort weg.
Wegen des Medientrubels, der die iranische Mannschaft begleitet, sind die Spieler in keiner Großstadt untergebracht, sondern in Friedrichshafen, einer kleinen Stadt am Bodensee, am südlichsten Ende Deutschlands. Die Stadtväter, berauscht von der Tatsache, dass ihre Stadt plötzlich in den Weltmedien Beachtung findet, geben sich große Mühe, den iranischen Gästen den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen.
Doch selbst hier, in dem Paradies am Bodensee, hat die iranische Präsenz eine problematische Bedeutung. Der Platz, auf dem die Mannschaft gestern ihr erstes Training abhielt, befindet sich in der Nähe der Fabriken der Firma „Zeppelin“. Im 2. Weltkrieg dienten diese Firmen der NS-Kriegsmaschinerie. Dort wurden die „V-2“ -Raketen entwickelt, die auf Großbritannien abgeschossen wurden. In den Fabriken arbeiteten Häftlinge aus Dachau.
Eine noch viel deutlichere Ironie liefert das städtische Stadion von Nürnberg, nur wenige Meter vom Reichsparteitagsgelände der Nazis entfernt, wo das erste Spiel der iranischen Mannschaft, gegen Mexiko, stattfinden wird. Die Tatsache, dass eine Mannschaft, die ein Land repräsentiert, dessen Oberhaupt den Holocaust leugnet, in die Stadt kommt, in welcher die Nazis im Jahre 1935 die Rassegesetze übernommen haben, stößt ziemlich vielen Leuten auf. Das iranische Regime hätte sich jedoch keinen besseren Zufall wünschen können.
Als der Vorsitzende des iranischen Fußballbundes vor zwei Monaten die Stadt besuchte, um die Vorbereitungen auf die Ankunft seiner Mannschaft zu überprüfen, informierte er die Gastgeber darüber, dass Ahmadinedjad eventuell das Spiel seiner Mannschaft in Nürnberg mit seiner Anwesenheit beehren werde. Der Vorstand der jüdischen Gemeinde Deutschlands forderte sofort von FIFA und der Bundesregierung, die Einreise des iranischen Präsidenten zu verhindern. Die FIFA lehnte die Forderung mit der Begründung ab, es handle sich um ein Sportereignis, das nichts mit Politik zu tun habe, und auch die Bundesregierung gab bekannt, sie werde ihre Rolle als Gastgeberin ausüben, solange Ahmadinedjad wisse, dass er sich mit Kritik an seinen Erklärungen bezüglich der Vernichtung Israels und der Holocaustleugnung auseinander zu setzen habe.
„Ich kann nicht verstehen, wie die FIFA eine Mannschaft, die ein Land repräsentiert, das zur Vernichtung Israels aufruft, an der WM teilnehmen lässt“, empört sich Arno Hamburger, 83, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Nürnbergs. „Die FIFA hätte den Iranern sagen müssen, nicht zu kommen. Ich verstehe nicht, warum man sie so umschwärmt. Die Welt scheint vergessen zu haben, dass man Verhandlungen mit dem Teufel fuhrt, und er lacht alle aus.“
In den letzten 35 Jahren fungiert Hamburger als Stadtrat der SPD, und von dort aus führt er seine zahlreichen Kämpfe, um sicher zu stellen, dass die Juden der Stadt, die bis heute ein Wallfahrtsort für Neonazis ist, ein normales Leben führen können. In der ganzen Stadt sind auch heute noch Erinnerungen an die Nazizeit zu sehen, doch die Stadtführung Nürnbergs unternimmt große Bemühungen, für die dunkle Vergangenheit ihrer Stadt zu sühnen. Als der iranische Präsident bekannt gab, er beabsichtige in die Stadt zu kommen, gab Oberbürgermeister Ulrich Maly sofort bekannt, Ahmadinedjad sei eine persona non grata in Nürnberg. Wie auch immer, im Moment scheint Ahmadinedjad von seiner Absicht Abstand genommen zu haben. Er beabsichtigt, seinen Stellvertreter nach Deutschland zu schicken. Er selbst werde nur kommen, sollte seine Mannschaft ins Achtelfinale aufsteigen.
Oberbürgermeister Maly hat jedoch auch nicht vor, den Stellvertreter zu empfangen. „Wir haben ihn nicht eingeladen, also werden wir ihn auch nicht wie unseren Gast behandeln“, sagt er. „Am Tag des Spiels werde ich bei einer Demonstration sprechen, die die jüdische Gemeinde in der Stadt organisiert. Ich werde dort gegen das Atomprogramm des Iran protestieren, wie auch gegen die anti-israelische Haltung des iranischen Regimes. Sollten die Neonazis versuchen, eine Solidaritätskundgebung mit dem Iran abzuhalten, werden wir ihnen zeigen, dass die demokratischen Kräfte in dieser Stadt die Mehrheit darstellen.“
In Nürnberg ist vom WM-Fieber noch nicht viel zu merken, obwohl in den Souvenirläden am Hauptbahnhof schon für sieben Euro eine iranische Fahne erworben werden kann. Hunderte iranische Fans, zum Teil direkt aus dem Iran, zum Teil aus europäischen Ländern, werden kommen, um ihre Mannschaft anzufeuern. Viele meinen, die Chancen, ins Achtelfinale aufzusteigen, seien besser als jemals zuvor. Es handelt sich um die beste iranische Mannschaft aller Zeiten, und einige ihrer Stars spielen im Ausland, vor allem in Deutschland.
„Eines muss klar sein“, sagt Stefan Kramer, der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland. „Wir demonstrieren nicht gegen das iranische Volk, sondern gegen das Regime, gegen den Holocaustleugner Ahmadinedjad und gegen die anti-israelische Politik der iranischen Regierung.“ Die Demonstrationen werden weit entfernt von den Stadien stattfinden, denn die deutschen Sicherheitskräfte werden es nicht zulassen, dass sich die Demonstranten den Spielern nähern.
Auch die Neonazis, die wahrscheinlich für den Iran demonstrieren werden, werden nicht in der Nähe der Stadien aufmarschieren können, und es wird sogar die Möglichkeit überprüft, im Verlauf der WM ein völliges Protestverbot gegen sie zu verhängen. Übrigens: Beide Gruppen – die Juden mit den israelischen Fahnen und die Neonazis mit ihren Parolen für die neuen Kameraden in Teheran – bereiten sich darauf vor, sich in die Stadien einzuschleichen, um ihren Protest zum Ausdruck zu bringen.
Die Spieler der iranischen Mannschaft werden versuchen müssen, den Trubel zu ignorieren, der um sie veranstaltet wird, und sich auf die Spiele zu konzentrieren. Die iranische Mannschaft kam mit der hohen Motivation des Vertreters eines Landes nach Deutschland, das international isoliert ist. „Ihr werdet noch sehen“, so einer der Fans, „der Iran wird die Überraschung der WM sein.“
** Mit „Kerne“ sind die Sonnenblumenkerne gemeint, die in Israel gerne beim Fernsehschauen geknabbert werden, hier jedoch als Anspielung auf die iranischen Kernwaffen
Hattips: Mona Rieboldt & Doro