Business as usual
Die Geste erregte Aufsehen, und zwar über den Fußballplatz hinaus: John Paintsil (Foto), Spieler bei Hapoel Tel Aviv und im ghanaischen Nationalteam, zog nach dem entscheidenden Tor* der Black Stars gegen Tschechien in der 82. Spielminute eine israelische Fahne aus seinem Strumpf und hielt sie mit den Händen in die Luft. Die Szene ging um die Welt, weil Kameras sie einfingen. „Ich liebe die Fans aus Israel, deshalb entschied ich mich für die Aktion“, begründete der Verteidiger sein bemerkenswertes Handeln. Paintsil spielt seit Januar 2005 bei Hapoel; zuvor war er zwei Jahre beim Stadtrivalen Maccabi aktiv. In Israel fühle er sich sehr wohl, sagte der 25jährige; die israelischen Fans machten ihn „immer glücklich“, weshalb er nun „etwas zurückgeben wollte“. Da zeigte also jemand Flagge, und dafür erhielt er zunächst ähnlich viel Applaus wie zuvor für sein grandioses Spiel beim 2:0 gegen die Tschechen. „Wir haben einen Israeli bei der WM. Paintsils Geste wärmte unsere Herzen. Viele Israelis sind nun Ghana-Fans“, freute sich etwa der israelische Sportminister Ofir Pines-Pas. Und auch der Klub des Ghanaers war „stolz auf seinen Spieler“; er habe durch seine Aktion „seine Beziehung zu Israel und Hapoel Tel Aviv“ ausgedrückt.
Weniger begeistert zeigte sich allerdings der Präsident des ghanaischen Fußballverbandes, Kwesi Nyantakyi: „In den arabischen Staaten hat das den Leuten nicht gefallen. Ich bin nicht überzeugt, dass es den Deutschen und der FIFA gefallen hat.“ Nun, was die FIFA betrifft – die ihre angebliche politische Neutralität für gewöhnlich immer dann aufgibt, wenn es um Israel geht –, kam Überraschendes: Ihr Sprecher Markus Siegler bedeutete, dass der Weltfußballverband keine Probleme mit der Aktion habe. In Bezug auf die Deutschen dürfte Nyantakyi jedoch Recht haben, wenn man bedenkt, dass zwei Drittel der im WM-Taumel befindlichen Bundesbürger allen Ernstes der Ansicht sind, Israel führe einen „Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser“. Von den Rängen des Kölner Stadions selbst war Paintsils Geste beim Torjubel nur schwer zu erkennen, weshalb es nicht überliefert ist, wie die zahllos vor Ort versammelten deutschen Ghana-Fans reagiert haben, als sie die Szene später im Fernsehen sahen.
Und was die arabischen Länder angeht: Auch dort wird die WM gezeigt, und so überraschend, wie Paintsil demonstrativ Flagge zeigte, dürfte es den meisten Sendeanstalten nicht mehr möglich gewesen sein, das Ganze einfach auszublenden. Kwesi Nyantakyi behauptete denn auch, bei ghanaischen Botschaften in arabischen Staaten seien mehrere Beschwerden eingegangen. Stinkig war man beispielsweise in Ägypten – darüber nämlich, um seine Unterstützung für die Westafrikaner betrogen worden zu sein: „Der ignorante und dumme Paintsil, der beim letzten African Nations Cup 20 Tage lang hier war, spielt für Hapoel“, schrieb der Sportjournalist Alaa Sadek in der Tageszeitung Al-Akhbar. „Die Ägypter unterstützten das ghanaische Team die ganze Zeit, bis zur 82. Minute, und bereuten es nach dem Schwenken der israelischen Fahne“, verkündete wiederum Al-Masry al-Yom. Andere Medien vermuteten, Paintsil sei „von Israelis bezahlt worden“ oder gar „ein Mossad-Agent“, und Hassan El-Mestekawi verstieg sich in Al-Ahram zu der Behauptung, israelische Trainer verpassten jungen ghanaischen Talenten eine Gehirnwäsche. Dem Fernsehkommentator erstarb der Torschrei auf den Lippen, als er plötzlich blau-weiß sah, während für viele ägyptische Fans Paintsil nun „The Israghani“ ist. Als Kompliment darf man das selbstverständlich nicht verstehen.
Der geballte Hass zeigte offenkundig Wirkung: Gestern folgte der Kniefall. „Er war sich offensichtlich der Folgen seines Tuns nicht bewusst. Wir entschuldigen uns bei jedem, der sich dadurch beleidigt gefühlt hat und versprechen, dass das nicht wieder vorkommt. Ich entschuldige mich an seiner Stelle und im Auftrag des Verbandes“, sagte der Sprecher des ghanaischen Fußballverbands, Randy Abbey. Paintsil habe nur die israelischen Fans grüßen wollen: „Er hat nicht in böser Absicht gegen arabische Menschen gehandelt oder um Israel zu unterstützen. Er war naiv. Er hat keine Ahnung von politischen Verwicklungen und bereut, was er getan hat.“ Was für ein Kotau – wohlgemerkt vom Verband, denn die Erklärung ist höchstwahrscheinlich entweder frei erfunden oder eine typische offizielle Version, der der Spieler zuzustimmen hatte, widrigenfalls er Nachteile in Kauf zu nehmen gehabt hätte. Man kann davon ausgehen, dass Paintsil vollkommen bewusst gehandelt und seine Geste vorbereitet hat; die Fahne war schließlich im Strumpf verstaut, wodurch wohl deutlich wird, dass sie auch zum Einsatz kommen sollte. Naiv oder ahnungslos war das gewiss nicht, sondern eben eine ausgesprochen sympathische Tat. Genauso sicher dürfte sein, dass Paintsil nicht vorhatte, irgendjemanden zu beleidigen – wenn man Verbandssprecher Abbey hört, könnte man glatt glauben, da habe jemand eine Hakenkreuzfahne gehisst. Doch so hat der Funktionär es wohl auch gemeint, selbst wenn er einschränkte: „Wir sind nicht für oder gegen Israel oder arabische Nationen. Wir sind hier wegen des Fußballs, nicht wegen der Politik.“
Es ist genau diese unpolitische und nur scheinbare Äquidistanz, die sonst auch die FIFA betreibt und die den Feinden Israels in die Karten spielt. Dass Ghanas Fußball-Offizielle sich von der außergewöhnlichen Geste eines ihrer Nationalspieler öffentlich distanzieren und ihn nun sogar in eine Therapie stecken wollen (!), wird man in der arabischen Welt gerne hören. Fragt sich bloß, wer hier nicht mehr alle Latten am Zaun hat.
* Und nicht, wie fälschlich berichtet, erst nach dem Spiel.
Übersetzung: Liza, Hattips: Doro, Frank Te & Hayo