Die Wahrheit is auffem Platz
Es ist ja gar nicht so, dass diese Weltmeisterschaft keinen Spaß machen würde, auch wenn der Genuss durch den schwarz-rot-goldenen Taumel inklusive Volltrottelkostümen etwas getrübt wird. Wenn man etwa das zweifelhafte Vergnügen hat, mit einem Trikot Englands oder der Niederlande in ein deutsches Autokorso zu geraten, weicht der ach so fröhliche Siegesrausch der Fahrzeugbesatzungen schnell mal hasserfüllten Attacken. Das Trikot der israelischen Mannschaft lässt man besser ganz im Schrank, denn „Die spielen doch gar nicht mit!“ wäre gewiss noch der harmloseste Kommentar, den man zu hören bekäme.
Aber ein bisschen wird man dann doch entschädigt etwa durch die vor allem im zweiten Spiel gegen Serbien-Montenegro brillanten Argentinier, durch das in einer mordsschweren Gruppe leider viel zu früh ausgeschiedene Team der Elfenbeinküste, durch eine starke spanische Auswahl oder durch Ghana, das sich sein glänzendes Spiel gegen Tschechien mit dem 2:1 gegen die USA veredelte und in der Weltrangliste ganz oben angesiedelte Mannschaften wie eben die Tschechen und die US-Boys hinter sich ließ. Auch auf Australien sollte man mindestens ein Foster’s trinken.
Und dann gibt es immer wieder die kleinen Freuden des Lebens, die sich beispielsweise dann auftun, wenn besonders penetrante Fernsehschaffende mal indirekt für ihre Impertinenzen abgestraft werden. Was war das für eine Freude, als der offensiv proiranische Pierre Littbarski in seiner Eigenschaft als Obernervensäge bei RTL mit ansehen musste, wie die Mexikaner kurz aufdrehten und das vorausgesagte iranische Wunder von Bern verhinderten. Seit gestern Abend hat zudem hoffentlich auch das Ronaldo-Bashing – das insbesondere ARD-Kommentator Reinhold Beckmann mit Verve betrieb und das seine Motivation wohl vor allem aus der Wut über die beiden Treffer des Brasilianers gegen die Deutschen im letzten WM-Finale bezog – sein Ende erfahren. Es ist schon bemerkenswert, wie nassforsch da favorisierte Teams – neben Brasilien vor allem England und die Niederlande – samt ihrer Spieler öffentlich-rechtlich klein geredet und im Gegenzug die deutschen Elitekicker zum Nonplusultra aufgeblasen werden. Die Welt als Wille und Vorstellung. Doch die Wahrheit ist wie stets auffem Platz. Und da bleibt sie auch.
A propos Wahrheit. Der Auftritt des Iran hatte – abgesehen davon, dass er erfreulich frühzeitig beendet ist – zumindest ein Gutes: Jetzt wissen wir ganz sicher, dass Ali Daei nicht Günter Wallraff ist. So klar war das nicht immer. Zu Zeiten des Schriftstellers als „Ali Levent“ bei Thyssen und des Fußballers als mäßig erfolgreiches Kopfballungeheuer bei Bayern München sah die Sache nämlich anders aus. Der Altersunterschied? Na gut. Das weiß man heute, wo beide sozusagen vor dem Karriereende stehen. Aber doch nicht als Heranwachsender, der sich fragt, warum der, den man gerade noch in einem Politbuch leiden sehen hat, plötzlich putzmunter auf dem Platz herumspringt.
Update: Trotz der schönen Ronaldo-Tore gab es gestern Abend wieder reichlich Grund, ernsthaft ein Premiere-Abonnement in Erwägung zu ziehen. Warum und wieso, erläutert einer, dem mit vollem Recht der Kragen geplatzt ist, und zwar so laut, dass es hoffentlich auch die Verantwortlichen des Senders gehört haben, mit dem man nicht nur nicht besser, sondern bisweilen gar nichts mehr sieht. Und falls der Knall doch auf taube Ohren gestoßen sein sollte: Es gibt ihn auch als Zuschrift an das Zweite Deutsche Fernsehen. Lizas Welt dokumentiert das Schreiben.
ZDF-WM-Berichterstattung
Sehr geehrte Damen und Herren,
früher gab es bei den großen Fußballturnieren Konferenzschaltungen bei den letzten, zeitgleich ausgetragenen Gruppenspielen. Dabei haben die Redakteure meist mit großer Sicherheit immer die Tore im jeweils anderen Stadion verpasst. Auf solch sinnloses Hin und Her hat man beim Finale der Brasilien-Gruppe am Donnerstagabend verzichtet, allerdings auch darauf, dem bisher verrücktesten Gruppenfinale überhaupt ausreichend Raum zu bieten. Ich hatte die ZDF-Entscheidung, das Spiel Japan gegen Brasilien zu zeigen, nur vor dem Hintergrund der dann ja auch tatsächlich gebotenen Qualität des Spiels verstehen können, von der Spannung her wäre aber von vorneherein Kroatien gegen Australien das Spiel wohl nicht nur meiner Wahl gewesen.
Ein Freund aus Irland berichtete mir, dass man dort ebenfalls zunächst das Spiel Japans gegen Brasilien gezeigt habe, dann aber nach einer Stunde nach Stuttgart zum Spiel der Australier gegen Kroatien umgeschaltet habe. Eine weise Entscheidung im Sinne aller Fußballfans! Das ZDF dagegen blieb bis zum Schluss beim lockeren Auslaufen der Brasilianer und Japaner dabei, um auch anschließend eine ernsthafte Berichterstattung über das zweite Gruppenspiel weitgehend zu unterlassen. Der Extrem-kurz-Bericht von Wolf-Dieter Poschmann, der den Zuschauern nach viel Blabla in der „ZDF-WM-Arena“ hingeschoben wurde, hatte dann auch kaum einen tiefergehenden Wert. Die dramatische Kuriosität des Ablaufes wurde fast überhaupt nicht thematisiert: Das abwechselnde Anrennen beider Teams, die Chancen, nicht gegebenen Elfmeter sowie die grotesken Entscheidungen des Schiedsrichters, z.B. der Abpfiff kurz bevor die Aussies das 3:2 erzielten. Über die dreifache Gelbe Karte für Simunic wurde erst viel später in der Sendung, unabhängig vom Poschmann-Beitrag zum Spiel, berichtet – nachdem man wieder diverse „Stimmungsberichte“ aus irgendwelchen Eckkneipen sowie „dem deutschen Lager“ gesendet hatte. Statt die Aufregung auf dem Fußballplatz in Stuttgart zu zeigen, schaltete man immer wieder zu Reportern in diversen Städten, die verzweifelt gegen das Gebrüll begeisterter Fans anschrieen, die vermutlich das Glück gehabt hatten, das Spiel Australien gegen Kroatien tatsächlich zu sehen.
Diese WM-Berichterstattung ist nicht nur furchtbar für jeden Fußballanhänger, sondern geradezu ein Skandal!
Mit freundlichen Grüßen
Roelf Bleeker-Dohmen