22.6.06

Human Shields

Woran denken Sie, wenn Sie die Parole „Not welcome, Mr. President!“ hören oder lesen? Vielleicht an die drei Kundgebungen in Nürnberg, Frankfurt und gestern in Leipzig gegen einen – inzwischen obsoleten – Besuch des Irren von Teheran während der Weltmeisterschaft? Brav! Würde ja auch passen, vor allem, wenn diejenigen, die Mahmud Ahmadinedjads Einreise verhindern könnten, dazu weder willens noch in der Lage sind. Aber Sie liegen falsch. Denn bei dem, der ausweislich der genannten Losung not welcome“ geheißen werden soll, handelt es sich um einen entschiedenen Gegner des iranischen Holocaustleugners. Und der reist völlig unabhängig vom Abschneiden der Fußballmannschaft seines Landes Mitte Juli nach Deutschland. Das wiederum treibt die üblichen Verdächtigen auf die Straße – die nämlich, die den Protest gegen ein antisemitisches Regime, das Israel mit der Vernichtung durch Atomwaffen droht, für „Kriegspropaganda“ halten und daher zum Marsch gegen denjenigen rüsten, der ihrer unbeirrbaren Überzeugung nach „keinen Zweifel daran“ lasse, „den Iran militärisch angreifen zu wollen“:
„Wir empfangen US-Präsident Bush bei seinem Besuch am 14. Juli 2006 in Stralsund mit gebührend breitem Protest. Seine arrogante Machtpolitik wird mittlerweile von einem Großteil der Gesellschaft in den USA abgelehnt. Auch hier muss ihm deutlich gemacht werden, dass er nicht willkommen ist. [...] Die US-Regierung braucht die europäischen Staaten als enge Verbündete für ihre ‚Koalition der Willigen’, um weitere ‚Kriege gegen den Terror’ führen zu können. Aber die Kriege der USA sind selbst Terror und Quelle immer neuer Gewalt.“
Was macht man mit Menschen, die dermaßen den Verstand verloren haben, vorausgesetzt, sie besaßen je einen? Man könnte sie mit Jeff Gedmin kurz ernst nehmen und an ihr eigenes Label erinnern:
„Die Friedensbewegung war schon immer gegen Nuklearwaffen. Der Iran baut die Bombe. Die Friedensbewegung vergöttert die Vereinten Nationen und das Völkerrecht. Teheran sträubt sich gegen die Auflagen der Internationalen Atomenergiebehörde. Die Friedensbewegung verurteilt das ‚Wettrüsten’. Wenn der Iran eine Bombe hat, werden auch die Türkei, Saudi-Arabien und Ägypten aktiv. Die Friedensbewegung schätzt Menschenrechte. Die Mullahs lassen Frauen steinigen. Die Friedensbewegung ist modern, multikulturell und weltlich. Präsident Ahmadinedjad glaubt an den 12. Imam und sehnt einen Kampf der Kulturen herbei. Die Friedensbewegung will Frieden. Der iranische Präsident will einen Mitgliedsstaat der Vereinten Nationen von der Landkarte tilgen.“
Der Verweis auf den Etikettenschwindel wird erfahrungsgemäß aber wenig fruchten. Die x-te Wiederauferstehung der Friedensgrufties ist vielmehr ein „heuchlerisches Affentheater“, wie Gedmin zu Recht feststellt, der darüber hinaus die Doppelmoral jener Friedensfreunde skizziert, die einmal mehr die USA, ihren Präsidenten und deren – vermeintliche oder tatsächliche – Verbündete ins Visier nehmen, zum eliminatorischen Antisemitismus Ahmadinedjads und zu dessen brutalen und repressiven Maßnahmen der iranischen Bevölkerung gegenüber aber genauso schweigen wie zuvor bereits im Falle des Saddam-Regimes. Allerdings setzt eine Doppelmoral voraus, dass überhaupt so etwas wie eine Moral bei Leuten existiert, die ihren ressentimentgeladenen Antiamerikanismus immer weniger mit vermeintlich hehren Motiven zu bemänteln suchen. Einige wirklich bizarre Ausschnitte aus Stellungnahmen der Friedensbewegung mögen noch einmal deren regressive Sehnsüchte bebildern:
  • Auf der Internetseite der AG Friedensforschung der Uni Kassel macht sich Professor Georg Meggle aus Leipzig „Gedanken zum Iran-Krieg“: „Iran braucht, des Schutzes seiner eigenen Interessen wegen, die Bombe. Der Iran wäre dumm, wenn er diese Schlussfolgerung nicht zöge.“ Im Gegensatz zu Meggle. Der hat sie schon gezogen und ist daher ein besonders schönes Beispiel dafür, dass hinter einem solchen Ruf nach Frieden sich die Mörder und ihre Sympathisanten verschanzen.
  • Beim Netzwerk Friedenskooperative hat man Angst davor, im Iran könne eine „pro-westliche Regierung“ zur Macht gelangen; außerdem versucht man sich in einem „Offenen Brief“ an Angela Merkel an dem Kniff, George W. Bush eine Gefährdung Israels vorzuwerfen, dessen „legitime Sicherheitsinteressen“ man generös zu respektieren vorgibt. Was da jedoch „legitim“ ist, weiß das ZK der altgedienten Freunde des nationalen Befreiungskampfes ganz genau und vor allem besser als die Betroffenen selbst: beispielsweise, „eine Atomwaffenfreie Zone unter Beteiligung Israels zu errichten“. Dafür würde man wahrscheinlich glatt noch mal selbst die morschen Knochen gen Nahost mobilisieren. Als Human Shield sozusagen.
  • Die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) werben für das „völkerrechtlich verbriefte Recht des Iran auf Urananreicherung“ – was selbstverständlich keinen Widerspruch zur kämpferischen Forderung „US-Atomwaffen raus aus Europa“ markiert, sondern sich gegenseitig bedingt. Dazu passend gibt’s wie gewohnt den wohligen Schauer des Zahlenhorrors: Bei einem „Atomangriff auf den Iran“ würden angeblich innerhalb von 48 Stunden über zwei Millionen Menschen sterben, eine Million schwer verletzt und über zehn Millionen verstrahlt. Ähnliche Katastrophenszenarien wurden auch schon vor dem Irak-Krieg publiziert, und den Verdacht, dass es sich bei solchen Expertisen mehr um einen Wunsch denn um eine Warnung handelt, wird man irgendwie nicht los.
  • Ganz großes Kino auch in der Neuen Rheinischen Zeitung bei Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann, die in ihrem Beitrag zum Bashing derjenigen antreten, die den Iran daran hindern wollen, Israel zu vernichten. „Versetzen wir uns einen Moment in die Kriegsstrategen des US-Imperiums. Wie würdet Ihr vorgehen?“, fragen die beiden Kämpen des deutschen Antiimperialismus und versuchen anschließend, die allenthalben ausgemachte Nazi-Keule selbst in die Hand zu bekommen: „Da ihr aber auch die Köpfe der Linken, der Friedensbewegung und antifaschistischer Organisationen und Initiativen in Besitz nehmen wollt, würdet ihr Euch die Nazi-Szene zunutze machen. Dabei würden Euch die in Nazi-Organisationen eingeschleusten V-Leute behilflich sein. Über Personen wie Horst Mahler oder Nazi-Organisationen wie die so genannten ‚Freien Nationalisten Rhein/Main’, die den Aufmarsch für den 17. Juni in Frankfurt-Sachsenhausen planten, würdet ihr versuchen, durch deren Sympathie-Bekundungen für Mahmud Ahmadinedjad die iranische Führung zusätzlich zu diskreditieren.“ Fantasie kennt manchmal keine Grenzen, und der Übergang von ihr zum Wahnsinn ist fließend, wie man sieht. Immerhin handelt es sich um originellen Wahnsinn, denn auf diese Kausalkette muss man erst mal kommen.
Das kann also heiter werden, wenn George W. Bush im Juli ins sonst so beschauliche Stralsund fährt. Vermutlich geht es dort zu wie unlängst in Wien: Die obligatorische Mischung aus völkisch-folkloristischem Kulturenkarneval mit Debka-Tänzen (Foto Mitte) oder anderem autochthonem Unfug hier und morbiden Attacken gegen „den Oberterroristen Bush“ und die „Apartheidmauer in Israel“ dort. Denn was hätte man hierzulande Besseres zu erwarten von Menschen, die einem Aufruf folgen, der mit der alten nationalsozialistischen Parole „Kein Blut für Öl!“ schließt?

Diese, sagen wir, Rohstofffixiertheit der friedensbewegten Menschen ist schon ausführlich und prägnant kritisiert worden – und wie man diesen ja durchaus ernsten Themenkomplex sonst noch pointiert angehen kann, demonstrierten die Blogger Haiko Hörnig und Gideon Böss am vergangenen Samstag bei der Kundgebung vor dem Spiel des Iran gegen Portugal in Frankfurt: „Dieses T-Shirt muss Grundlage der EU-Verhandlungsstrategie werden!“, bewarben sie ihr Kleidungsstück, das die Aufschrift „Finger weg vom israelischen Öl, Ahmadineschad!“ trug (Foto). Im Grunde genommen wäre es den Versuch wert, die Reaktionen auf dieses Oberteil bei einer Anti-Bush-Demonstration zu protokollieren. Denn das Vergnügen ist gewiss, auf spontane Unmutsbezeigungen à la „Aber in Israel gibt es doch gar kein Öl!“ nur ein knackiges „Eben!“ entgegnen zu müssen, um die antisemitische Motivation des Iran und seines Präsidenten zu verdeutlichen. Doch vielleicht ist das auch zu hoch für die simplen Adepten der Regression.

Hattips: Doro, Mona Rieboldt, Spirit of Entebbe & Franklin D. Rosenfeld