5.6.06

Schwabenpfeile

Es gehörte schon immer zum Repertoire der unsympathischsten und mörderischsten Gestalten in Geschichte und Gegenwart, nach dem Motto „Besser ein schlechter Ruf als gar keiner“ zu verfahren. Und jeder von ihnen liebt(e) es, sich öffentlich zu inszenieren und die Welt in Atem zu halten. Mahmud Ahmadinedjad bildet da selbstverständlich keine Ausnahme, und er versteht es geschickt, die am kommenden Freitag beginnende Fußball-Weltmeisterschaft zu nutzen, um die auf ihn gerichtete Aufmerksamkeit sogar noch zu intensivieren. Immerhin bewirkte seine bereits vor Monaten getätigte Ankündigung, der iranischen Nationalmannschaft während des Turniers möglicherweise einen Besuch abzustatten, zweierlei: Sie nötigte Bundesinnenminister Schäuble ein Bekenntnis zur deutschen Gemütlichkeit auch gegenüber einem Holocaustleugner und eliminatorischen Antisemiten ab, und sie ließ aufs Neue deutlich werden, um was für einen Haufen es sich beim Weltfußballverband FIFA handelt.

Auch die Spiegel-Redakteure wollten gleich zu Beginn ihres kürzlich geführten Gesprächs mit dem iranischen Präsidenten wissen, ob er denn bereits beim Auftaktmatch seines Teams am 11. Juni in Nürnberg zu Gast bei Freunden sein werde. Doch dieser wich einer konkreten Antwort nachgerade genüsslich aus: „Das kommt darauf an. Ich werde mir das Spiel natürlich in jedem Fall anschauen, aber ob zu Hause vor dem Fernseher oder anderswo, weiß ich noch nicht. Meine Entscheidung hängt von vielerlei ab: Wie viel Zeit ich habe, wie manche Beziehungen sind, ob ich dazu Lust habe und manches mehr.“ Der Herr lassen nämlich gerne bitten. Doch nachdem Ahmadinedjad in Teheran bei einem Empfang unmittelbar vor der Abreise der iranischen Fußballmannschaft nach Deutschland erneut vom iranischen Fußballverband FFI herzlich eingeladen (Foto oben) und ihm sogar ein Trikot mit der Rückennummer 24 überreicht worden war, zeigte er sich erkenntlich und kündigte einen Abstecher für den Fall an, dass das Team ins Achtelfinale einzieht; dazu müsste der Iran nach seinen Spielen gegen Mexiko, Portugal und Angola zumindest Tabellenzweiter werden. Der symbolische Gehalt der Zahl auf der Rückseite des Präsentes für den Präsidenten könnte übrigens kaum größer sein: Das Aufgebot jedes WM-Teilnehmers besteht aus 23 Spielern, deren Leibchen von 1 bis 23 durchnummeriert sind; Ahmadinedjad steht also gewissermaßen auf Abruf bereit.

Daraus folgt die höfliche Bitte von Lizas Welt an die Naturfreundejugend Berlin, das Motto ihrer sympathischen Kampagne (Bild rechts) für ein frühzeitiges Ausscheiden des Gastgeberlandes und ein damit verbundenes Ende der schwarz-rot-goldenen Nerverei endlich auf die iranische Mannschaft auszudehnen.* „In der Bundesregierung wird man nun wohl hoffen, dass sich die iranischen Fußballspieler möglichst ungeschickt anstellen. Denn sollte das Team die Vorrunde tatsächlich überstehen, dürfte das Berlin große diplomatische Sorgen bescheren“, mutmaßt unterdessen der Spiegel, der seine Begegnung mit Ahmadinedjad bekanntlich bereits per Auswärtsspiel hinter sich gebracht hat. Doch in der Großen Koalition sieht man keinen Handlungsbedarf – „Man beschäftige sich mit der Frage erst, wenn sie sich auch wirklich stelle, sagte ein Sprecher“ –, während der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Theo Zwanziger, zwar kein Einreiseverbot fordert, immerhin jedoch ankündigt, den ungebetenen Gast „ganz sicher nicht“ zu begrüßen.

Andere zeigen da durchaus mehr Entschlossenheit. 75 Abgeordnete des Europäischen Parlaments beispielsweise fordern ein europaweites Einreiseverbot für den iranischen Präsidenten. „Es gibt nichts, was die EU-Mitgliedsstaaten daran hindert, einzeln oder kollektiv eine Erklärung zu verabschieden, damit Ahmadinedjad kein Visum erhält und somit in keines der Länder reisen darf“, stellte der britische Mandatsträger Charles Tannock stellvertretend für die Unterzeichner klar. Und unter dem Motto „Keine Gastfreundschaft für Volksverhetzer! Solidarität mit Israel – gegen Ahmadinedjad und seine deutschen Neonazi-Freunde“ mobilisieren über 4.000 Menschen in einem dreisprachigen Aufruf zu Protestkundgebungen während der Spiele des Iran.

Dessen Mannschaft – die sich selbst als „Botschafter des Friedens“ sieht und sich nun vermutlich besonders ins Zeug legen wird, um dem Obertäubchen eine Eintrittskarte fürs Achtelfinale schenken zu können – hat seit gestern übrigens Quartier in Friedrichshafen bezogen, was die Bewohner des Bodenseestädtchens „mit schwäbischer Gelassenheit und auch ein wenig Stolz“ quittiert haben sollen. „Wir wollen, dass Beziehungen auf persönlicher Ebene entstehen, dass sich die Spieler wohl bei uns fühlen. Ich denke nicht, dass man in diesem Zusammenhang politische Entwicklungen hier und jetzt diskutieren muss“, wand sich Oberbürgermeister Josef Büchelmeier in einer Stellungnahme um eine Stellungnahme herum.

Sollte der Iran tatsächlich die Vorrunde überstehen und Mahmud Ahmadinedjad daraufhin in der Zeppelinstadt einschweben, gäbe es ein 180 Jahre altes Gedicht von Gustav Schwab, dessen Rezitation zur Begrüßung nicht übel passen würde. Denn mit ein bisschen Fantasie ließe sich das lyrische Werk metaphorisch geschickt wenden – Der Reiter und der Bodensee schlössen dann mit den folgenden Zeilen, die vom Ende eines Ritts kündeten: dem eines Wahnsinnigen durch die Weltgeschichte. Wohlan:
Es stocket sein Herz, es sträubt sich sein Haar,
Dicht hinter ihm grins’t noch die grause Gefahr.
Es siehet sein Blick nur den grässlichen Schlund,
Sein Geist versinkt in den schwarzen Grund.
Im Ohr ihm donnert’s wie krachend Eis,
Wie die Well’ umrieselt ihn kalter Schweiß.
Da seufzt er, da sinkt er vom Ross herab,
Da ward ihm am Ufer ein trocken Grab.
* By the way: Auch Saudi-Arabien möge dieses Schicksal ereilen. Allerdings dürften die Chancen dieses Teams angesichts seiner Gruppengegner Spanien, Ukraine und Tunesien ohnehin bloß theoretischer Natur sein.