Ansehensüchtige
Knapp zweieinhalb Wochen vor Beginn der Fußball-WM ist die Aufregung groß im Land des Gastgebers. Nicht nur in unmittelbar sportlicher Hinsicht – denn was des Deutschen liebstes Kind zu reißen fähig sein wird, ist höchst ungewiss –, sondern auch deshalb, weil das pathetische Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“ nicht von allen Eingeborenen im Sinne seiner Urheber verstanden und umgesetzt wird. Als Rot-Grün vor sechs Jahren die Losung „Deutschland, einig Antifa“ ausgab und anschließend die Vergangenheitsbewältigung zum Standortvorteil und Exportschlager mutierte, hatte das vor allem zweierlei zur Folge: Neonazis waren plötzlich megaout – weil insbesondere außenwirtschaftlich schädlich –, wodurch man sich wiederum ermächtigt fühlte, vor allem Israel und den USA ein lärmendes „Nie wieder Krieg!“ zu entbieten, von ihnen nassforsch eine Aufarbeitung ihrer Geschichte und Gegenwart einzufordern, ihrem Kampf gegen den islamistischen Terror den Kulturrelativismus Marke Old Europe entgegenzusetzen und sich als Friedensmacht zu inszenieren, die gründlich geläutert und zivilisiert sei.
Diese Änderungen in der Staatsräson und dem Image – weg vom hässlichen, hin zum ach so weltoffenen Deutschen – vollziehen jedoch nicht alle in gewünschtem Maße nach; vor allem im Osten der Republik geht es gebietsweise noch ziemlich, nun ja, old school zur Sache. Das war seit 1989 – in unterschiedlicher Qualität und Quantität – zwar nie anders; dass der Fokus der Aufmerksamkeit aber gerade jetzt wieder auf Gegenden gerichtet ist, in denen Menschen unterschiedlichsten Alters und verschiedenster Herkunft halb oder ganz tot geschlagen werden, weil sie ihren Peinigern keinen Ariernachweis präsentieren können, hängt maßgeblich, wenn nicht ausschließlich mit dem nahenden Fußballturnier zusammen. „Denn wichtig ist, dass die ausländischen Touristen, die zur WM kommen, kein falsches, d.h. richtiges Bild von Ostdeutschland bekommen“, konstatierte Stefan Frank in der Zeitschrift konkret, und er hat Recht damit.
Uneins ist man sich in Politik und Medien dabei, wie man seine Gäste am besten beruhigt und beschwichtigt. Die eine Fraktion – der beispielsweise der ehemalige Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye, die Grünen, der Zentralrat der Juden in Deutschland und die meisten etablierten Medien angehören – zeigt sich empört und besorgt; manche, wie Heye, sprechen gar Reisewarnungen aus: „Es gibt kleine und mittlere Städte in Brandenburg und anderswo, wo ich keinem, der eine andere Hautfarbe hat, raten würde, hinzugehen. Er würde sie möglicherweise lebend nicht mehr verlassen.“ Das wiederum ruft die andere Fraktion auf den Plan – die Becksteins, Schönbohms, Schäubles sowie die Honoratioren der Browntowns –, der Deutschland eine Oase der Ruhe und Ordnung ist, wo sich „Türken im Zweifel sicherer als in Ankara oder Istanbul“ fühlen könnten (Beckstein), pejoratives Vokabular allenfalls in harmlosen Auseinandersetzungen unter Beschwipsten Gebrauch finde (Schönbohm) und in – bloß selten zu beklagenden – Fällen ungesetzlichen Körpereinsatzes „auch Blonde und Blauäugige“ Opfer würden (Schäuble).
Die Angehörigen des erstgenannten Flügels haben mit ihrer Bestandsaufnahme selbstverständlich Recht, aber das ist nicht das Entscheidende. Denn die einen wie die anderen treibt mehrheitlich eine gemeinsame Sorge und ein damit verbundenes gemeinsames Ziel um: Das „Ansehen Deutschlands im Ausland“ ist mal wieder in Gefahr*, zumal jetzt, vor einem der bedeutsamsten und populärsten Sportereignisse überhaupt. Und genau das veranlasst die Möchtegern-Antirassisten, prospektive Zielscheiben des Mobs in Erwartung unangenehmer Kommentare nichtdeutscher Politiker und Medien auf die deutschen No-Go-Areas hinzuweisen, während die Abwiegler sich für eine Hauptrolle im nächsten Werbespot von Erdinger Weißbier bewerben. Beiden jedoch geht es dabei vor allem um die Reputation ihres geliebten Deutschland und zumeist nicht so sehr um diejenigen, denen ein Aufenthalt vor allem in Teilen der Zone nicht ohne Lebensgefahr möglich ist.
Dementsprechend fürchtet beispielsweise Heye, die Rechtsradikalen könnten „unser Land in Misskredit bringen. Dagegen müssen wir uns zur Wehr setzen“, während der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union im Bundestag, Wolfgang Bosbach, mahnt: „Die Glatzen dürfen uns nicht die WM kaputt machen.“ Ein Streit unter Deutschlandfans also um den effektivsten Weg, aus dem Turnier in jeglicher Hinsicht das größtmögliche Kapital für die Nation zu schlagen. Rassistische und antisemitische Attacken sind in diesem Zusammenhang deshalb ein Problem, weil sie dem guten deutschen Ruf Schande machen, und nicht – oder weitaus weniger –, weil durch sie die körperliche und seelische Unversehrtheit der Angegriffenen gefährdet wird.
Hinzu kommt, dass Politik und Medien hierzulande den Neonazis noch einen wirklich prächtigen Resonanzboden bieten, indem sie den Anlass für Neonaziaufmärsche während der WM – den Schulterschluss deutscher Antisemiten mit dem prominentesten iranischen nämlich – zusätzlich befeuern. Denn wer Mahmud Ahmadinedjad ein guter Gastgeber sein will, gerät bei aller Kraftmeierei – mehr Staat, mehr Polizei, mehr Kontrollen gegen den Faschopöbel – notwendig in Argumentationsnöte, wenn es darum geht, zu begründen, warum derlei Solidarisierung unerwünscht ist. Zumal dann, wenn man die inzwischen zahlreichen Aufrufe und Stimmen, die den Ausschluss des Iran von der Weltmeisterschaft oder wenigstens ein Einreiseverbot für den Irren von Teheran fordern – darunter der israelische Botschafter in Deutschland, Shimon Stein, der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert und viele jüdische Gemeinden –, schlicht ignoriert und dafür lieber mit dem Mullah-Regime aushandelt, wie mögliche Proteste gegen den Besuch des iranischen Präsidenten am geräuschärmsten zu verhindern sind. Im Übrigen, so wird immer wieder beteuert, habe Sport mit Politik nichts am Hut. Dass das barer Unsinn ist, hat etwa Michel Friedman just gestern in einem Interview auf den Punkt gebracht:
„Fußball ist eben nicht, wie man so gerne sagt, apolitisch, und selbstverständlich steht die iranische Fußballmannschaft ebenfalls für das Regime, das sie repräsentiert. Und dieses Regime ist in einer Art und Weise antiisraelisch und antisemitisch, wie es das eigentlich nicht mehr seit Jahrzehnten gegeben hat. Der iranische Staatspräsident leugnet öffentlich und offiziell den Holocaust und spricht sich für die Vernichtung des Staates Israel aus. Diese Demonstrationen sind keine Demonstrationen gegen das iranische Volk, aber gegen die Machthaber, die das Volk repräsentieren, und ich denke, dass, wenn die internationale Gemeinschaft bei den Fußballspielen mit der iranischen Mannschaft konfrontiert wird, eine Sensibilisierung stattfinden soll, dass es hier nicht Business as usual gibt, sondern dass diese Mannschaft ein Regime [re]präsentiert, das sich von allem menschlichen und zivilisierten Formen verabschiedet hat.“Noch einmal: Es geht nicht darum, mit einem Einreiseverbot für einen Holocaustleugner oder einem konsequenten Vorgehen gegen Neonazis und andere Antisemiten und Rassisten das deutsche Renommee zu verbessern, sondern darum, schlichteste Selbstverständlichkeiten in punkto Humanität walten zu lassen und darüber hinaus dem kategorischen Imperativ Adornos zu folgen, also alles zu tun, dass Auschwitz sich nicht wiederhole, nichts Ähnliches geschehe. Dies an die Adresse derer, denen es zuvörderst um das obskure Ansehen des Landes, in dem sie leben, zu tun ist und nicht um Aufklärung und Vernunft, also das Gegenteil.
* Die dahinter stehende Logik entspricht in etwa der von Eltern, die ihr Kind, das soeben den Gleichaltrigen von nebenan verprügelt hat, nicht wegen dieser Körperverletzung tadeln, sondern vor dem Hintergrund der Frage „Was sollen denn die Nachbarn von uns denken?“ Maßnahmen einleiten.
Hattips: Gesine & Doro