21.5.06

Stoff genug

„Eine farbliche Kennzeichnung für Irans ‚Ungläubige’“, überschrieb die kanadische Zeitung National Post vorgestern einen Beitrag des Exil-Iraners Amir Taheri, der sich mit einem Gesetzentwurf befasste, nach dem die Kleiderordnung im Land der Mullahs noch einmal deutlich verschärft werden solle:
„Das Gesetz ermächtigt die Regierung sicherzustellen, dass alle Iraner ‚einheitliche islamische Kleidung’ tragen, mit der ethnische und Klassenunterschiede beseitigt werden sollen, die sich in der Bekleidung widerspiegeln, und um ‚den Einfluss der Ungläubigen’ auf die Art und Weise, wie sich Iraner – vor allem die jungen – kleiden, zu eliminieren. Das Gesetz sieht außerdem eigene Kleiderordnungen für religiöse Minderheiten vor – Christen, Juden und Zarathustristen –, die verschiedene Farbschemata anzunehmen haben werden, die sie in der Öffentlichkeit identifizierbar machen. Die neuen Kennzeichnungen ermöglichten es Muslimen, Nicht-Muslime leicht zu erkennen, wodurch sie es vermeiden könnten, diesen versehentlich die Hand zu schütteln und so unrein zu werden.“
Christen hätten daher in Bälde rote Stoffbänder zu tragen, Zarathustristen blaue – und Juden gelbe. Die historische Assoziation liegt auf der Hand: „Das erinnert mich an die Nazi-Zeit, als Juden zur Ausgrenzung einen gelben Judenstern auf der Brust tragen mussten“, sagte der Leiter des Simon Wiesenthal Centers in Los Angeles, Rabbi Marvin Hier, der umgehend einen Protestbrief an UN-Generalsekretär Kofi Annan verfasste:
„Wenn die Information stimmt, rückt das den Iran noch näher an die Nazi-Ideologie der 1930er Jahre heran, die ebenfalls mit gelben Kennzeichen begann und mit dem Holocaust endete, der zur Ermordung von sechs Millionen Juden und Millionen anderer unschuldiger Zivilisten führte.“
Inzwischen wachsen die Zweifel an der Richtigkeit des National Post-Artikels; die Zeitung selbst zitierte Stimmen, die bestreiten, dass derartige Binden für Nicht-Muslime geplant sind. Sam Kermanian von der in den USA ansässigen Iranian-American Jewish Federation beispielsweise berichtete, er habe Angehörige der jüdischen Gemeinde im Iran kontaktiert – darunter das einzige jüdische Mitglied des iranischen Parlaments, Maurice Motammed –, und die hätten die Existenz eines solchen Vorhabens verneint. Der Umgang mit religiösen Minderheiten sei zwar im Rahmen der Debatte um die neuen Kleiderordnungsvorschriften thematisiert worden, „aber nach allem, was ich weiß, verlangt die letzte Fassung des Gesetzes nicht deren Kennzeichnung“. Motammed persönlich dementierte gegenüber der Nachrichtenagentur Associated Press (AP): „Ein solcher Plan hat dem Parlament niemals vorgelegen und ist auch nie erörtert worden.“

An dieser Stelle soll nicht weiter darüber spekuliert werden, welche Maßnahmen einem Regime zuzutrauen sind, dessen Präsident die Vernichtung Israels propagiert und zu diesem Behufe nach atomarer Bewaffnung trachtet; sollte sich herausstellen, dass der Iran tatsächlich keine in nationalsozialistischer Tradition stehende Kennzeichnungspflicht einzuführen plant, dann hätte eine kanadische Zeitung eine veritable Ente produziert, deren Veröffentlichung gewiss eine Blamage wäre – wenn die Geschichte stimmte, wäre das gleichwohl weitaus dramatischer.

Und bei all der Aufregung sollte nicht in Vergessenheit geraten, was von dem inkriminierten Gesetz unstrittig überliefert ist. Entworfen wurde es bereits vor zwei Jahren während der Präsidentschaft von Mohammed Khatami, doch das Parlament blockierte seine Verabschiedung. Unter dem Druck von Khatamis Nachfolger Mahmud Ahmadinedjad wurde die Einführung des Erlasses nun wieder forciert. Hossein Derakhshan, ein in Teheran geborener und in Toronto lebender Blogger, hat das Gesetz aus dem Persischen ins Englische übersetzt; hier folgt die daraus abgeleitete deutsche Fassung:
1. Die Stoffgestalter und -produzenten müssen ermutigt werden, iranische und islamische Muster und Stile bei der Herstellung von Stoffen und Kleidung zu verwenden.
2. Die traditionellen Muster und lebendigen Symbole der ethnischen Gruppen des Iran müssen geachtet werden; einer angemessenen Körperbedeckung, auf der islamischen Sharia basierend, muss die Aufmerksamkeit gelten.
3. Aus der Erfahrung mit dem Bezug original iranischer Stoffmuster muss ein Nutzen gezogen werden.
4. Die Öffentlichkeit muss ermutigt werden, sich eines iranischen Stils zu bedienen.
5. Örtliche Produzenten traditioneller Kleidung müssen mit Krediten unterstützt werden; ihnen muss Gelegenheit gegeben werden, sich bei Bekleidungsmessen und -festivals zu präsentieren.
6. Der Zugang der Öffentlichkeit zu traditioneller Kleidung muss dadurch unterstützt werden, dass ständige Bekleidungsmessen auf lokaler und regionaler Basis stattfinden.
7. Eine internationale Bekleidungsmesse zum Erfahrungsaustausch mit anderen muslimischen Staaten muss organisiert werden.
8. Die importierten Stoffe und Kleider müssen inspiziert und kontrolliert werden, damit die Einfuhr von Kleidungsstücken, die mit kulturellen, islamischen und nationalen Werten nicht kompatibel sind, verhindert werden kann.
9. Dieser Entwurf wurde in Absprache mit den entscheidenden Körperschaften in Sachen Bekleidung verfasst.
10. Nichtstaatlichen Organisationen und Vereinigungen sowie Nichtregierungsinstitutionen muss finanzielle Unterstützung beim Angebot nationaler Kleidung gewährt werden.
11. Die Medien, insbesondere das nationale Fernsehen, müssen dabei helfen, den Gebrauch nationaler Kleidung zu etablieren, und sie müssen vermeiden, Bekleidungsstile zu bewerben, die mit unserer Kultur unvereinbar sind.
Frauen werden in diesem Ukas, anders als im bisher gültigen Gesetz von 1982, nicht mehr eigens erwähnt, aber das lässt nicht den Rückschluss zu, ihre Situation würde sich durch die neu gefasste Verordnung verbessern; ganz im Gegenteil. Denn was die Mullahs sich für den weiblichen Teil der Bevölkerung unter „traditioneller iranischer Kleidung“ und „islamischem Stil“ vorstellen, haben sie hinreichend deutlich gemacht; Konkretisierungen werden in der Verordnung daher gar nicht mehr vorgenommen, sondern vorausgesetzt. Der Erlass stellt in seiner Gesamtheit darauf ab, Grundlage für eine Abwehr dessen zu sein, was das Regime für westliche Zumutungen hält. Seine Inkraftsetzung ist ein weiterer manifester Schritt zur nationalen Formierung inklusive drastischer Sanktionen gegen diejenigen, die sich dieser Zurichtung verweigern. Auch wenn darüber hinaus gehende Meldungen sich als falsch erweisen, was nach der Veröffentlichung des Gesetzestextes wahrscheinlich ist: Diese Nachricht ist niederschmetternd genug.

Übersetzungen: Liza, Hattips: Sebastian & Transatlantic Forum