1.6.06

Spieglein an der Wand

Was tut man als Chefredakteur – zumal im Zeitalter elektronischer Information und Kommunikation – nicht alles, um seinem Printmedium nicht bloß die Auflage zu erhalten, sondern sie nach Möglichkeit sogar zu steigern und darüber hinaus in aller Munde zu bleiben? Am besten Geschichten bringen und Geschichte schreiben wie kein Zweiter. Dafür fliegt man auch schon mal mit zwei Mitarbeitern im Gepäck nach Teheran, um sich dort vom „unberechenbaren Präsidenten“ des Landes empfangen zu lassen und mit ihm „über den Holocaust, die Zukunft des Staates Israel, über Fehler Amerikas im Irak und Teherans Anspruch auf Nuklearenergie“ zu plauschen, wo andere aus besten Gründen weitere Unterhaltungen verweigern. Eine ganze Menge wäre zu sagen über diese Form des Kritischen Dialogs von Stefan Austs NGO, auch wenn Mahmud Ahmadinedjad die ihm gebotene Plattform letztlich bloß nutzte, um Dinge kund zu tun, die man ohnehin schon von ihm kannte. Daniel Kulla resümierte das Meeting eines Holocaustleugners mit einem postnazistischen deutschen Wochenmagazin treffend so:

„Der iranische Präsident wollte mit deutschen Journalisten reden, weil er in ihnen potenzielle Verbündete, mindestens jedoch nützliche Idioten sieht: ‚Wir haben das deutsche Volk als Ansprechpartner gesehen. Mit Zionisten haben wir nichts zu tun.’ Er kann ihnen persönlich unterstellen, eine ‚Geisel der Zionisten’ zu sein und mit dieser Formel den ‚Spiegel’, ganz Deutschland und den Iran zu einer Interessengemeinschaft zusammenwerfen; er kann seine Interviewer in einer konstanten Defensivposition halten; er muss nicht befürchten, auf die Hisbollah angesprochen zu werden. Er genießt, dass seine Verschwörungstheorie unter Meinungsfreiheit fällt und dass sie von professionellen Journalisten auch als Meinung akzeptiert wird. Denn der ‚Spiegel’ ist unverkennbar stolz, vom ‚Mann, vor dem die Welt sich fürchtet’ (Titelseite) erwählt worden zu sein. Gleich ‚von diversen Regierungsstellen’ wurde signalisiert, dass die ‚Dialogbereitschaft’ Ahmadinedjads an diesem Interview abgelesen werden würde.“

Nun, dass er den Dialog verweigert hätte, lässt sich schwerlich behaupten. Und er hat Statements abgegeben und Fragen gestellt, die man hierzulande fraglos nicht einmal ungern hört. 68,3 Prozent der Deutschen „ärgern sich“ bekanntlich „darüber, dass den Deutschen auch heute noch die Verbrechen an den Juden vorgehalten werden“, weshalb diese satte Zweidrittelmehrheit heftig genickt haben dürfte, als der iranische Präsident die Spiegel-Redakteure anherrschte: „Wie lange soll das so weitergehen? Wie lange, glauben Sie, muss das deutsche Volk die Geisel der Zionisten sein? Wann ist das zu Ende – in 20, 50, in 1000 Jahren?“ Das wussten auch Augsteins Erben nicht – „Wir können nur für uns sprechen“ –, was Ahmadinedjad erst recht kampfeslustig machte: „Ich freue mich, dass Sie ehrliche Menschen sind und sagen, dass Sie verpflichtet sind, die Zionisten zu unterstützen.“ Eine solch freche Unterstellung wiesen seine Gäste entschieden zurück: „Das haben wir nicht gesagt, Herr Präsident.“ Natürlich nicht. Wo kämen wir da auch hin?

Es half nichts; die Spiegel-Schreiber blieben für den „Herrn Präsidenten“ Zionistenknechte, zumal sie seine Ansichten zur Shoa nicht teilen mochten. „Es ist doch ganz klar: Wenn der Holocaust in Europa passiert ist, dann muss man die Antwort darauf ebenfalls in Europa finden. Andererseits: Wenn der Holocaust nicht passiert ist, warum ist dann dieses Besatzerregime [...] zustande gekommen?“, fragte Ahmadinedjad bloß rhetorisch, um erneut „eine internationale und unparteiische Gruppe“ herbeizusehnen, die „ein für alle Mal Klarheit“ schaffen möge. Deren Ergebnisse dürfte er sich vermutlich ungefähr so vorstellen, wie Hossein Ebrahimi Moghadam aus Teheran – laut eigenen Angaben „Vater zweier Märtyrer“ – sie im nebenstehenden Cartoon bildlich umgesetzt hat: Nix Holocaust, stattdessen Israel und – sozusagen aus gegebenem Anlass – auch Dänemark als säuische Missgeburten des angloamerikanischen Imperialismus. Hier die deutsche Fassung* der Sprechblasen und Kommentare:
1. „Dich kennen gelernt zu haben, ist das Schönste in meinem Leben.“
2. „Gratuliere, Ihre Frau ist schwanger.“
3. „Ach! Warum sind die Kinder uns nicht ähnlich?“
4. „Mach dir keine Sorge, sie werden uns ähnlich.“
5. „Dänemark und Israel sind zwei schmutzige Samen von Amerika und England!“
*Übersetzung: Nasrin Amirsedghi