Ausgeklü(n)gelt?
Wie man Nahostkorrespondent respektive Nahostkorrespondentin wird, hat Claudio Casula unlängst in seiner Anleitung treffend auf den Punkt gebracht:
„Obwohl der israelisch-arabische Konflikt schon etliche Jahrzehnte währt und hochkomplex ist, ist für den Berichterstatter kaum Grundwissen erforderlich. Es ist auch gar nicht nötig, den unwissenden Leser oder Zuschauer mit Fakten zu nerven und das ganz dicke Brett zu bohren. Ein simples Bild ist gefragt. Und die Sache ist ganz einfach: Israel ist die stärkere Partei in diesem Konflikt (Bad Guy), die Palästinenser die Underdogs (Good Guy). Nach diesem Muster biegen wir die Ereignisse vor Ort zurecht.“Eine, die diesem Leitfaden bislang stets streng folgte, ist Inge Günther, die unter anderem für die Frankfurter Rundschau, den Kölner Stadt-Anzeiger und die Berliner Zeitung ihren Dienst versieht. Nach dem Wahlerfolg der Hamas beispielsweise bescheinigte sie der antisemitischen Terrorbande „gute Aussichten“; ihr Sieg berge „enormes Risikopotenzial, aber eben auch die Chance konstruktiver Einflussnahme“, die nicht durch die „fatale Illusion“ verschenkt werden dürfe, „notfalls einen Regimewechsel zu erzwingen“ – zumal „in jüngster Zeit Hamas-Politiker zunehmend Israel als unumstößliche Realität“ begriffen.
Wahre Friedenstäubchen sind sie also, die Gotteskrieger, im Grunde nachgerade ein Segen für die Demokratie, und wer – aus welchen Gründen auch immer – anderer Ansicht ist, darf sich sicher sein, von Inge Günther und Ihresgleichen als veritables Friedenshindernis niedergeschrieben zu werden. Manchmal jedoch, in ganz seltenen Fällen, tragen sich Dinge zu, die selbst bei der unverwüstlichsten Berichterstatterin die ideologische Zuverlässigkeit ins Wanken bringt. Kurzzeitig zumindest. In den palästinensischen Gebieten tobt derzeit nämlich ein, sagen wir, unschöner Kampf zwischen den eher der Fatah nahe stehenden Polizeitruppen und den neu gegründeten Hamas-Milizen; kurzum: man streitet sich um die Exekutivgewalt.
Das Ganze ist weit weniger Ausdruck eines tatsächlichen Gegensatzes, sondern eher eine Form von Rivalität zwischen zwei Lagern, deren gemeinsames Ziel – die Zerstörung Israels – nicht in Frage steht; vielmehr zoffen sich hier allerlei Schurken um den effektivsten Weg dorthin. Diese Erkenntnis von Nahostkorrespondentinnen und -korrespondenten zu erwarten, wäre wohl ein bisschen zu viel verlangt; eher schon rechnet man mit einer Belehrung darüber, was Israels Anteil an den Fights und Schusswechseln ist, was also der Bad Guy nun wieder veranstaltet hat, um die Good Guys gegeneinander aufzuhetzen. Doch Inge Günthers gestriger Beitrag im Kölner Stadt-Anzeiger vernachlässigt erstaunlicherweise dieses allfällige Erklärungsmuster. Für einen regelmäßigen und aufmerksamen Kölner Leser dieses Blattes konnte das nur eins bedeuten: Der Artikel ist ein Fake! Und das hat er dann auch dem Herausgeber dieser Lokalzeitung, Alfred Neven DuMont (Foto), in einem Brief mitgeteilt. Da kaum anzunehmen ist, dass dieses Schreiben, das in Kopie an Lizas Welt ging, tatsächlich veröffentlicht wird, soll es hier dokumentiert werden.
An den
Kölner Stadt-Anzeiger
Herrn Alfred Neven DuMont
Neven-DuMont-Haus
50590 Köln
Fälschung im Kölner Stadt-Anzeiger vom Freitag, 19. Mai 2006
Sehr verehrter Herr Neven DuMont,
eine in Jahrzehnten treuer Leserschaft gewachsene Verbundenheit mit Ihrem Blatt veranlasst mich, Sie dringend auf eine Fälschung hinzuweisen, der Sie offensichtlich zum Opfer gefallen sind. In Ihrer heutigen Ausgabe des Kölner Stadt-Anzeigers veröffentlichen Sie auf Seite 5 den Artikel ‚Machtkampf in Gaza spitzt sich zu’. Dieser Beitrag soll angeblich von Frau Inge Günther verfasst worden sein; tatsächlich kann es sich jedoch nur um einen ebenso offenkundigen wie untauglichen Versuch handeln, sich mit den Federn Ihrer langjährigen Korrespondentin zu schmücken.
Plump und unbedacht unterlässt der/die Fälscher/in den sonst obligatorischen Hinweis Ihrer Auslandsvertreterin darauf, dass ‚die Israelis an allem schuld’ sind. Zwar kann Ihre altgediente Mitarbeiterin auf diesen einprägsamen Merksatz keine Urheberrechte geltend machen; andererseits hat aber die Beständigkeit, mit der sie von ihm Gebrauch macht, längst Gewohnheitsrecht entstehen lassen. Insofern stellt eine Veröffentlichung unter ihrem Namen, aber ohne ihr ‚Markenzeichen’ – neben anderen Rechtsverstößen – eine Fälschung dar.
Leider kann man Ihrer Redaktion den Vorwurf nicht ersparen, den offenkundigen Namensmissbrauch nicht vor der Veröffentlichung erkannt zu haben. Zwar ist nachvollziehbar, dass sich die für den Inhalt Ihres Blattes Verantwortlichen die Lektüre der Beiträge von Frau Günther ersparen wollten. Andererseits sollten für Ihre Mitarbeiter keine grundsätzlich anderen Zumutbarkeitsgrenzen gelten als für Ihre Leser.
Sie mögen vielleicht argumentieren, die Fälschung sei deswegen nicht aufgefallen, weil bei dem Bericht über die Auseinandersetzung zwischen heutigen und bisherigen palästinensischen Terroristen das Prinzip ‚die Israelis sind an allem Schuld’ nur schwer habe einbauen lassen; insofern habe das fehlende Zitat nicht unmittelbar auf die falsche Urheberschaft an dem Artikel schließen lassen. Dieser Einwand verkennt jedoch die absolut verlässliche Konstanz, mit der es Frau Günther in all den Jahren gelungen ist, unter Beibehaltung einer intellektuell gleichbleibenden Qualität einen Weg zu finden, dieses alles erklärende Phänomen zu beschwören – dies galt auch und insbesondere für Beispiele der vorliegenden Art, wo sie es verstand, mit Routine die einfachsten Gesetzmäßigkeiten der Logik zu überwinden.
Sehr geehrter Herr Neven DuMont, als treuer Abonnent des Kölner Stadt-Anzeigers möchte ich auch weiterhin aus Ihrem Blatt die Kraft der Argumente schöpfen, die stetige Wiederholung emporbringt. Verunsichern Sie mich bitte nicht, indem Sie es durch Unterlassen gestatten, dass durch Manipulationen schlichte, aber verlässliche Kommentierungspfade verlassen werden. Nehmen Sie bitte meinen Hinweis zum Anlass, durch einschlägige Maßnahmen (z.B. Plausibilitätsprüfungen) sicherzustellen, dass keine Unbefugten das durch Langmut geprägte Verhältnis Ihrer Leserschaft zu Ihrem Blatt beeinträchtigen.
In inniger Hoffnung auf Rückkehr zu Konstanz und Verlässlichkeit verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen
Ihr O. Anspach, Köln