Küstennebel
Post aus dem Libanon: Die offizielle Bitte der dortigen Regierung an die Vereinten Nationen, ihr deutsches Pendant möge im Rahmen der UN-Mission Einheiten der Bundeswehr schicken, ist in Berlin eingetroffen. Doch damit sind noch längst nicht alle Fragen geklärt. Vordergründig scheint es vor allem darum zu gehen, wie weit entfernt vor der Küste die deutsche Marine patrouillieren soll und darf. Das ist allerdings keine Nebensächlichkeit, denn dieses Problem tangiert nicht unwesentlich die Möglichkeit, der Hizbollah den Waffennachschub aus dem Iran auf dem Seeweg abzuschneiden – und betrifft damit die Sicherheit Israels.
Dazu möchte allerdings die libanesischen Regierung gerne das letzte Wort behalten – und das lautet derzeit, dass ausgerechnet die Nasrallahs Truppen nicht eben feindlich gesinnte libanesische Armee die Kontrolle unmittelbar vor der Küste übernimmt, während UNO-Verbände nur in einiger Entfernung davon Patrouille fahren und nur dann eingreifen sollen, wenn sie ausdrücklich darum gebeten werden. Damit jedoch stünde weiteren Waffenlieferungen an die Hizbollah nicht allzu viel im Wege – und wohl auch nicht deren Einsatz gegen den jüdischen Staat, wenn man bedenkt, dass die Vereinten Nationen und ihre UNIFIL wie schon in der Vergangenheit nur wenig Neigung zeigen, die Terrororganisation abzurüsten oder gar zu zerschlagen.
In der Bundesregierung ist man sich uneins, was nun aus dem Mandat im Libanon werden und unter welchen Bedingungen man es antreten soll. Während es die Union bislang ablehnt, den Hampelmann für die Hizbollah zu spielen, haben die Sozialdemokraten traditionell wenig Probleme damit und sind daher gerne bereit, sich auf die Bedingungen der libanesischen Regierung einzulassen. „Zwar ist der Ausgang dieser grundlegenden Auseinandersetzung innerhalb der Großen Koalition noch offen. Doch spricht alles dafür, dass die Union letzten Endes kippt“, konstatiert der Publizist Matthias Küntzel (Foto); die „Janusköpfigkeit“ der UN-Resolution 1701 sei offensichtlich, und es stehe zu befürchten, dass sich in den einträchtigen europäischen Chor keine Misstöne mischen. Das jedoch könne fatale Folgen haben. Lizas Welt dokumentiert im Folgenden Küntzels bisher unveröffentlichten Beitrag.
Matthias Küntzel
Mit der Hizbollah oder gegen sie?
Die Bundesregierung vor einem Richtungsentscheid
Erstmals in der Geschichte des Nahostkonflikts sollen deutsche Marineverbände im Auftrag der Vereinten Nationen vor der Küste Libanons tätig werden, um die illegale Einfuhr iranischer Waffen für die Hizbollah nach UN-Resolution 1701 zu unterbinden. Dieser Auftrag wird zur Farce, wenn seine Durchführung von der Zustimmung der Terrorgruppe abhängig gemacht wird. Doch genau darum geht im Moment der Streit zwischen den Partnern der Großen Koalition: Wird sich die Bundesregierung den Bedingungen der libanesischen Regierung, die mit der Hizbollah nicht nur verbündet, sondern von ihr abhängig ist, unterwerfen?
Am 6. September 2006 beteuerten die Bundeskanzlerin sowie Sprecher der Unionsparteien, der deutsche Einsatz komme nur dann in Frage, wenn eine „effektive“ Unterbindung des Waffenschmuggels tatsächlich möglich sei. Falls die libanesische Regierung unabhängige Kontrollen innerhalb einer Sieben-Meilen-Abstandszone zur libanesischen Küsten verbiete, könne hiervon jedoch keine Rede mehr sein. (1) Am 10. September legte der Vorsitzende der Bundestagsfraktion der CDU, Volker Kauder, noch einmal nach: „Wir brauchen ein klares Mandat, das uns die Möglichkeit gibt, den Auftrag zu erfüllen.“ Es müsse möglich sein, ein verdächtiges Schiff zu stoppen und zu betreten. „Es darf nicht sein, dass die Hizbollah für den Kampf gegen Israel aufgerüstet“ werde und die Marine zum Zuschauen verurteilt sei. (2)
Doch genau dieses Szenario kündigte der Transportminister der libanesischen Regierung am 7. September 2006 an: Die Soldaten der UN-Truppe UNIFIL sollen verdächtige Schiffe nur außerhalb der Sieben-Meilen-Zone kontrollieren dürfen und auch das nur dann, wenn die libanesische Armee sie vorher darum gebeten hat. (3) Natürlich wird, wer auf diese Bedingungen sich einlässt, künftige Angriffe auf Israel nicht verhindern, sondern ganz im Gegenteil ermöglichen: Erstens ist es evident, dass jeder Waffenschmuggel von Syrien in den Libanon – wie in der Vergangenheit, so auch in Zukunft – nicht irgendwo im Mittelmeer, sondern exakt innerhalb dieser Sieben-Meilen Zone stattfinden wird. Und zweitens ist es geradezu grotesk, ausgerechnet von der libanesischen Armee entschlossene Maßnahmen gegen die Hizbollah zu erwarten – da könnte man genau so gut die Taliban mit der Verhaftung Osama bin Ladens beauftragen.
Denn die libanesische Armee hat die jahrelange Aufrüstung der Hizbollah nicht nur geduldet, sondern deren Angriffe auf Israel vor wenigen Wochen logistisch unterstützt. Hinzu kommt: Fast die Hälfte der 70.000 libanesischen Soldaten sind Schiiten. Nach einer Meinungsumfrage von Ende August 2006 lehnen aber 84 Prozent der libanesischen Schiiten die Entwaffnung der Hizbollah ab. (4) Darüber hinaus macht auch der Chef der libanesischen Streitkräfte, Michel Suleiman – ein maronitischer Christ mit besten Beziehungen zu Damaskus –, aus seiner Sympathie für Hassan Nasrallah keinen Hehl. Nur die „andauernde gute Zusammenarbeit“ von Hizbollah und Armee, erklärte er im Juli 2006, könne die Einheit des Landes sichern. Und im Jahresbericht der libanesischen Armee von 2005 war zu lesen, dass die Unterstützung der Hizbollah eine „nationale und moralische Verpflichtung“ sei. (5)
Dies alles wissen auch jene Sozialdemokraten, die heute den Unionsparteien widersprechen und sich für die Unterordnung unter die Bedingungen des libanesischen Kabinetts – sprich der Hizbollah – verwenden. „Ich glaube, dass man diese Bedingungen akzeptieren sollte“, erklärte Peter Struck, der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. (6) Niels Annen (Foto), Vorstandsmitglied der SPD und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, möchte einen Marineeinsatz außerhalb der Sieben-Meilen-Zone nicht nur „nicht grundsätzlich ausschließen“, sondern bietet der Hizbollah darüber hinaus auch Gespräche an. Denn es handle sich bei ihr, so Annen im Deutschlandfunk, nicht nur um „eine Terrororganisation, die Gewalt anwendet“, sondern zugleich um „die wichtigste politische Bewegung der Schiiten im Libanon“. Dass die USA mit Bewegungen wie Hizbollah und Hamas nicht reden wollten, sei verkehrt: „Deshalb müssen wir diese Sprachlosigkeit überwinden. Ich bin für einen Vorstoß der Europäer in dieser Sache, und wir sind ja auch dabei, dort entsprechende Kontakte, die es gibt, auch zu nutzen.“ (7)
Nun hat der Führer der Hizbollah, Hassan Nasrallah, stets erneut die unverbrüchliche Einheit zwischen „Terrororganisation“ und „politischer Bewegung“ betont. Und doch ist Niels Annen nicht der einzige SPD-Funktionär, der die antisemitische Miliz nicht nur nicht ächten, sondern sie vielmehr als Dialogpartner achten und adeln will. So bereitete die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung dem antiamerikanischen Bündnis zwischen Islamisten und Sozialisten schon frühzeitig den Weg: Im Februar 2004 veranstaltete sie mit der Hizbollah eine gemeinsame Tagung unter dem Titel „Die islamische Welt und Europa: Vom Dialog zur Übereinkunft“. Damals schon war nicht nur das Bündnis zwischen den Think Tanks einer deutschen Regierungspartei und einer islamistischen Terrororganisation bemerkenswert, sondern auch die Tagesordnung jener Konferenz: Der Topos „Besatzung und Widerstand“ stand auf dem Programm, nicht aber die an Goebbels erinnernde antijüdische Propaganda des Hizbollah-Senders Al-Manar. (8) Die gegenwärtigen Rufe führender Sozialdemokraten, die von der Terrormiliz diktierten Bedingungen für den Marineeinsatz zu achten, stehen in dieser Tradition.
Noch bis vor kurzem waren derartige Differenzen zwischen der SPD und den Unionsparteien nicht an die Oberfläche gelangt. Als beispielsweise vor wenigen Wochen 213 Mitglieder des US-Kongresses die Europäer dazu aufriefen, die Hizbollah endlich auf ihre Terror-Liste zu setzten, wurde nicht nur dieser Brief, sondern auch Europas Antwort darauf von den Medien ignoriert. Und so blieb es, als die EU am 1. August 2006 auf einer Krisenkonferenz das Anliegen des US-Kongresses einvernehmlich – das heißt mit Zustimmung des sozialdemokratischen Außenministers – zurückwies, auch im Unionslager auffällig still. (9) Jetzt wird erneut die Bedeutung des Streits um das Einsatzkonzept der Marineverbände heruntergespielt oder als eine kaum nachvollziehbare Krittelei abgetan. „Deutschland tut sich mit der Entsendung von Truppen nach Libanon schwerer als andere westliche Nationen“, schreibt beispielsweise die Neue Zürcher Zeitung. Während jene „mit gewissen Ungenauigkeiten im UNO-Mandat leben können und ihr Militärengagement pragmatisch planen, will die deutsche Regierung die Einsatzbedingungen vorab genau klären.“ (10)
Tatsächlich aber geht es diesmal ausnahmsweise nicht um „Pragmatismus“ versus „Preußentum“, sondern um die Frage, ob sich die Weltgemeinschaft in Gestalt der Vereinten Nationen an der Seite Israels (und damit gegen die Hizbollah) oder an der Seite der Hizbollah (und damit gegen Israel) positioniert. Das Ergebnis dieser Entscheidung beeinflusst wiederum das Kräfteverhältnis zwischen dem Westen und dem Iran. Heute leitet Teheran nur deshalb riesige Finanzmitteln an Nasrallahs Truppen, damit morgen die iranische Frontmiliz im Kampf um die Auslöschung Israels wieder einsatzfähig ist. Zwar ist der Ausgang dieser grundlegenden Auseinandersetzung innerhalb der Großen Koalition noch offen. Doch spricht alles dafür, dass die Union letzten Endes kippt. Schließlich hatte Frankreich im August 2006 durchaus erfolgreich für die Verwässerung der UN-Resolution 1701 gekämpft. Deren Janusköpfigkeit ist evident: Sie fordert einerseits die Unterbindung jeglichen Waffenschmuggels an die Hizbollah und legt zugleich die maßgebliche Zuständigkeit für die Umsetzung dieser Forderung in die Hände der libanesischen Regierung – ausgerechnet jener Regierung also, die vom Wohlwollen der Hizbollah abhängig ist wie keine andere. Sollten die Vereinten Nationen den Standpunkt des Libanon unterstützten, deutete die Bundeskanzlerin bereits an, werde man es sich vielleicht doch noch einmal überlegen. Und hatte nicht Europa die Entscheidung zur Truppenentsendung in den Libanon ungeachtet jener „gewissen Ungenauigkeiten im UNO-Mandat“ schon mit großer Fanfare gefeiert? Hatte nicht Janvier Solana die „europäische Handschrift“ in der Resolution 1701 gerühmt und Italiens Außenminister D’Alema von dem gewachsenen Gewicht der Europäer und einer „neuen Phase im Verhältnis zu den USA“ geschwärmt?
Diesen einträchtigen Chor wird Deutschland heute mit seiner dissonanten Forderung nicht allzu lange stören. Dann sollte sich hierzulande aber auch niemand beschweren, wenn morgen israelische Kampfflieger den Waffenschmuggel an die Hizbollah auch in Sichtweite deutscher Marineverbände auf „effektive“ Weise unterbinden.
Anmerkungen:
(1) Johannes Leithäuser: Merkel hält am Libanon-Einsatz fest. Aber die Regierung pocht auf ihre Bedingungen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 7. September 2006.
(2) Peter Carstens/Jörg Bremer: Steinmeier drängt die Koalition. „Libanon-Einsatz rasch beschließen“, in: FAZ, 11. September 2006.
(3) Struck plädiert für Annahme libanesischer Bedingungen, in: Spiegel Online, 7. September 2006.
(4) Markus Bickel; „Wir hätten sie gar nicht erst gefangen“, in: Tageszeitung (taz), 29.August 2006.
(5) Michael Borgstede: Nicht gegen die Hizbollah. Die libanesische Armee kann im Süden nur mit der Schiiten-Miliz als Partner agieren, in: FAZ, 9.August 2006.
(6) Zit. nach Markus Bickel: Steinmeier hilft Libanon-Blockade zu lösen, in: Spiegel Online, 7. September 2006.
(7) Das gesamte Interview findet sich auf der Website des Deutschlandradios.
(8) Einer der eifrigsten Verfechter dieses Konferenzkonzepts und Teilnehmer der Tagung war Volker Perthes. Er wurde im Anschluss daran zum Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, dem wichtigsten außenpolitischen Think Tank in der Bundesrepublik, ernannt. Siehe zur Beiruter Tagung: Von Zeesen bis Beirut.
(9) Mark Beunderman: EU rebuffs US call to put Hezbollah on terror list, in: Euobserver.com, 2. August 2006.
(10) eg.: Deutsche Libanonpolitik mit Hindernissen, in: Neue Zürcher Zeitung (NZZ), 7. September 2006.