30.10.06

Nassforsch in der Alster

Negativschlagzeilen mag keine Armee dieser Welt. Und die Bundeswehr, die eifrig bemüht ist, aus dem Schatten ihrer historischen Vorgängerin herauszutreten und weltweit das herbeizuführen, was sie für Frieden & Gerechtigkeit hält, kann sie sich schon gar nicht leisten. Doch die eigentlich empörenden Headlines werden derzeit nicht in Afghanistan produziert, wo Soldaten sich aufführen wie zu spät pubertierende Medizinstudenten, sondern vor der libanesischen Küste: Die deutsche Marine nimmt dort an einem UN-Einsatz teil, der Israel mehr schadet als nutzt; gleichzeitig fühlt sie sich mitsamt der veröffentlichten Meinung berufen, den jüdischen Staat, in dem sich ein „mutmaßlicher Sex-Täter ans Präsidentenamt klammert“ (Spiegel), per Video „der Lüge zu überführen“ (noch einmal der Spiegel), nachdem dieser den deutschen Ambitionen mit dem Einsatz von F-16-Flugzeugen (Foto) einen „überflüssigen Schuss vor den Bug“ (tagesschau.de) versetzt hatte und nicht nur die Deutsche Welle deshalb der Ansicht war, dass Israel sich „gefälligst zurückzuhalten hat“. Gestern Abend konnte schließlich Vollzug gemeldet werden: „Nach Zwischenfällen: Israels Premier ruft Luftwaffe zur Ordnung“ (erneut der Spiegel) und „Olmert gelobt Besserung“ (Die Welt). Wäre ja auch noch schöner, wenn die selbst gestellte Frage, ob 61 Jahre nach Auschwitz Deutsche auf Juden schießen dürfen, von letzteren einfach ungestraft umgekehrt wird.

Die Reaktionen in der deutschen Politik, der Bundeswehr und den Medien zeigen dabei zweierlei: Zum einen verdeutlichen sie die Ignoranz, mit der der Situation Israels nach dem Krieg gegen die Hizbollah und der UN-Resolution 1701 begegnet wird; zum anderen lassen sie erkennen, wie gekränkt man sich hierzulande fühlt, wenn der jüdische Staat die Sicherung seiner Existenz nicht einfach der deutschen Marine überlässt, sondern gegen die an der UN-Mission beteiligten Verbände begründetes Misstrauen hegt: Während der Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums, Thomas Raabe, altväterlich erwartet, „dass sich ein solcher Fall in Zukunft nicht wiederholen wird“, äußern sich andere noch deutlicher. „Die Israelis wollten uns eine Harke zeigen“, nölten beleidigte deutsche Offiziere, doch da gab es ja noch Vizeadmiral Hans Joachim Stricker, der den israelischen Einsatz als „unfreundlichen Akt“ bezeichnete und die Welt daran erinnerte, was echte deutsche Präzisionsarbeit ist: „Wir haben glücklicherweise alles akribisch auf Video mit guten Zeiss-Objektiven aufnehmen können und schon nach Berlin geschickt.“ Bei dem Flottendienstboot Alster, über dem die israelische Luftwaffe zwei ungezielte Schüsse und Anti-Raketen-Täuschkörper abgefeuert hatte, handelt es sich um ein so genanntes Aufklärungsschiff; aus deutschen Marinekreisen hieß es, die israelische Regierung sei offenbar „not amused“, weil sie fürchte, dass die Bundeswehr sie mit ihren Spionageanlagen an Bord „irgendwie überwachen kann“

So nassforsch tönt es aus deutschen Armeeangehörigen, die gegenüber Israel am liebsten noch mehr Stärke demonstrieren würden; mit stolzgeschwellter Brust rühmen sie sich, die Aktivitäten des jüdischen Staates mit deutscher Gründlichkeit zu registrieren, und bei den diesbezüglichen nachrichtendienstlichen Tätigkeiten legt man eine Akribie an den Tag, die man der Hizbollah nie widmen wollen würde. Zum Skandal taugte das in den deutschen Medien gleichwohl nicht; vielmehr stand aufgeplusterte Aufregung über abgedrängte Hubschrauber und unerwartete Warnschüsse im Mittelpunkt: „Es ist nur einer glücklichen Fügung zu verdanken, dass der Beschuss eines unbewaffneten Aufklärungsschiffs der deutschen Marine in internationalen Gewässern vor der Küste des Libanon durch zwei israelische Kampfflugzeuge nicht in eine Katastrophe mündete“, behauptete etwa die Süddeutsche Zeitung; dem „sicherheitspolitischen GAU“ sei man „vor allem dank der Besonnenheit des Befehlshabers des Marineverbandes entgangen“ – der somit als personifizierte „glückliche Fügung“ gewissermaßen einen Heiligenstatus beanspruchen kann. Von einem „überflüssigen Manöver“ Israels und einem „Zeichen eines offenbar verinnerlichten Machtgehabes“ sprach wiederum der ARD-Korrespondent Clemens Verenkotte, und Peter Philipp konnte sich in seinem Kommentar für die Deutsche Welle gar nicht mehr beruhigen: „So kann das nicht weiter gehen: Vielleicht nicht Berlin, aber doch sicher die UNO sollte Israel nachdrücklich klar machen, dass es sich gefälligst zurückzuhalten hat. Solange Israel sich in Rambo-Manier über alles hinweg setzt, was international auch in seinem Interesse vereinbart wurde, gefährdet es den ohnehin zweifelhaften Erfolg der UNIFIL. Israel riskiert, auch noch die letzten Freunde zu verprellen, die es international hat.“ Zum Beispiel einen Mitarbeiter des deutschen Auslandssenders, der den Vorwurf, Antisemit und Hizbollah-Anhänger zu sein, gewiss empört von sich wiese, weil Juden selbstredend seine besten Freunde sind, für die der Medienrambo stets nur das Beste will und daher ein gestrenges „Machtwort“ der Vereinten Nationen einklagt, weil „Israel sich nicht um die Forderungen und Erfordernisse von UNIFIL kümmert“.

Dass es dafür Gründe geben könnte, käme den meisten deutschen Nahostberichterstattern selbstverständlich genauso wenig in den Sinn wie der Politik oder dem Militär. Die Süddeutsche Zeitung hatte zwar eine leise Idee, verwarf sie aber umgehend als lächerlich: „Die Israelis beobachten die Einsätze der UN-Truppe UNIFIL offenbar sehr genau, weil sie argwöhnen, dass der Waffenschmuggel für die islamistische Hizbollah-Miliz im Südlibanon nicht wirksam unterbunden wird.“ Derlei Argwohn kann, scheint’s, nur unbegründet sein, obwohl es die sprichwörtlichen Spatzen von den Dächern pfeifen, dass die Einheiten der Vereinten Nationen in erster Linie damit beschäftigt sind, Israel von seinen Flügen über den Libanon abzuhalten, während wirksame Maßnahmen gegen die Hizbollah unterbleiben. Dazu passt, dass die Vereinten Nationen bekanntlich ihren Beschluss widerriefen, nach dem deutsche Marineeinheiten innerhalb der Sechsmeilenzone vor der Küste Libanons Schiffe ohne Genehmigung der libanesischen Regierung auf Waffenlieferungen für Nasrallahs Truppen kontrollieren dürfen – was in Deutschland inzwischen für einen Streit sorgt, der wahrscheinlich robuster ist als das UN-Mandat.

Zu allem Überfluss meldete sich auch noch der EU-Außenbeauftragte Javier Solana (Foto) zu Wort, geißelte die Kontrollflüge Israels als Verstoß gegen die UN-Resolution 1701 und forderte ihre Beendigung. Zuvor hatte er gegenüber der israelischen Tageszeitung Jerusalem Post einen neuerlichen Einblick in seine gedanklichen Sphären gewährt: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass der wirkliche religiöse Imperativ jemanden dazu bringt, ein anderes Land zu zerstören. Das wäre ein Missbrauch der Religion. Ich glaube daher nicht, dass es das Wesen der Hamas ist, Israel zu vernichten. Ihr Wesen ist die Befreiung der Palästinenser.“ Solana – der sich, wie könnte es anders sein, einen „guten Freund Israels“ nannte – ergänzte, er sei vielmehr in Sorge, weil „einige der Positionen mancher israelischer Politiker nicht die besten Rezepte sind, um die Sicherheit Israels zu gewährleisten“. Beispiel gefällig? „Ich dachte nie, dass der Bau der Sicherheitsmauer eine gute Idee ist.“ Was also tun? Verhandeln, verhandeln, verhandeln: „Mit seinen Feinden zu sprechen, ist kein Appeasement.“ Es ist wie immer: Wehe dem, der solche Freunde hat. Denn sie verstehen nicht, warum Israel sich nicht auf UN-Truppen und diplomatische Gespräche verlässt – weil sie es nicht verstehen wollen.

„Die israelische Auffassung der neuen internationalen Einheit im Libanon ist die einer verbesserten Version der alten Südlibanesischen Armee, einer Bevollmächtigten also, die dort ist, um als Puffer zwischen Israel und der Terrorgefahr zu wirken. So haben sie unsere Politiker beschrieben. Aber wir sind die einzigen, die imstande sind, solch einer Illusion Glauben zu schenken“, fasste Anshel Pfeffer in der Jerusalem Post trocken zusammen, welche unterschiedlichen Interessen und Erwartungen mit dem UNIFIL-Einsatz verbunden sind: „Jedes Land, das seine Truppen den Risiken in Bint Jbail und Marjayoun aussetzt, bemüht sich um lokale Sicherheiten dafür, dass seine Angehörigen nicht erschossen werden oder unter Selbstmordbombern leiden. Als Verteidiger Israels zu erscheinen, ist dafür kein gangbarer Weg.“ Das erkläre auch die Differenzen mit Deutschland: „Trotz des Wunsches von Premierminister Ehud Olmert, Deutschland möge eine führende Rolle in der neue Truppe spielen, fürchtete Berlin, dass Bundeswehrsoldaten sechs Jahrzehnte nach dem Holocaust ihre Waffen erneut auf Juden richten. Nur wenige Israelis verstanden diese Bedenken. Sie erwarteten, dass die Waffen gegen die andere Seite gerichtet würden“ – eine Selbstverständlichkeit, die hierzulande trotz aller Beteuerungen, das „Existenzrecht Israels“ zu verteidigen, nie ein Thema war, wie auch Pfeffer feststellte: „Aber für die Deutschen und andere Nationen stellte sich diese Frage nicht – für sie ging es darum, den Frieden in beide Richtungen zu sichern.“

Es ist diese scheinbare Äquidistanz vermeintlicher Verbündeter, die Israels Lage noch prekärer macht, als sie es ohnehin schon ist – eine Äquidistanz, die jedoch eine De-facto-Parteinahme für die Feinde des jüdischen Staates darstellt. Anders ist das Wirken von Spionageschiffen, deren Besatzung stolz darauf ist, Israels militärisches Vorgehen lückenlos dokumentieren zu können, und von Einheiten, die die Hizbollah gewähren lassen, während sie Israels Selbstverteidigung behindern, jedenfalls nicht zu verstehen. Doch daran stößt sich in Deutschland – und nicht nur dort – kaum jemand.

Siehe auch: Provokation oder Verteidigung?
Übersetzungen: Lizas Welt – Hattips: barbarashm, Niko Klaric, Spirit of Entebbe