24.2.06

Provinzgericht & Weltpolitik

Seit er vor einem dreiviertel Jahr im westfälischen 14.000 Seelen-Städtchen Senden mit dem Vertrieb von Toilettenpapierrollen, deren Blätter mit einem Koran-Stempel bedruckt waren, Spenden für ein Mahnmal für die Opfer des islamistischen Terrors sammeln wollte, hat der 61-jährige Manfred van Hove keine Ruhe mehr. Er sieht sich fortwährenden Morddrohungen ausgesetzt und fand in seinem Briefkasten einmal sogar eine Pistolenpatrone, schläft schlecht und lebt in ständiger Angst um seine körperliche Unversehrtheit. Das Amtsgericht Lüdinghausen verurteilte van Howe am gestrigen Donnerstag gleichwohl zu einer einjährigen Freiheitsstrafe auf Bewährung und 300 Sozialstunden wegen Verstoßes gegen den § 166 StGB. Lizas Welt bat ihn per E-Mail um ein Interview, und van Hove meldete sich daraufhin telefonisch.


Lizas Welt: Ein Jahr auf Bewährung wegen der Koranrolle – haben Sie mit einer Verurteilung, gar mit einem solch drastischen Urteil gerechnet?

Van Hove: Die Entscheidung war letztlich das Ergebnis eines Deals zwischen meinem Verteidiger, dem Oberstaatsanwalt und dem Richter. Wenn ich dem nicht zugestimmt hätte, wäre ich zu einer Gefängnisstrafe ohne Bewährung verurteilt worden. Das hatte der Richter bereits unmissverständlich angekündigt. Das Verfahren war ein Geschäft, nichts weiter. Man hat mir die Folterwerkzeuge gezeigt und die Bereitschaft, sie anzuwenden. Herausgekommen ist eine Lösung, mit der alle ihr Gesicht wahren können.

Das klingt eher nach Erpressung.

Ich hatte keine andere Wahl, wenn ich meine Existenz nicht ruinieren wollte. Ich hätte mit dem Kopf durch die Wand gehen, mich zu einer Haftstrafe verurteilen lassen und anschließend in die Berufung gehen können. Mindestens bis zur Berufungsverhandlung hätte ich dann allerdings hinter Gittern gesessen. Und ob das Urteil schließlich kassiert worden wäre, ist mehr als fraglich. In solchen Situationen muss man nicht den Märtyrer spielen. Ein Rohr, das sich nicht biegt, bricht.

In den Medien war der Prozess gegen Sie durchaus ein beachtetes Thema. Wie viel war denn los in Lüdinghausen?

Gestern war die große weite Welt zu Gast in der westfälischen Provinz: Jede Menge Polizei, ein riesiges Presseaufgebot, alles war abgesperrt. Das Schöffengericht ist die höchste Instanz, das es im ländlichen Westfalen überhaupt gibt. Welche Bedeutung der Verhandlung beigemessen wurde, konnte man aber auch daran erkennen, dass sie extra einen Oberstaatsanwalt aus Münster eingeflogen hatten. Das war so einer vom ganz alten Schlag, rigoros und kompromisslos. Der Richter hingegen war noch recht jung und sichtlich überfordert mit der ganzen Angelegenheit. Aber er hat das große Interesse auch sehr genossen und sich offenbar bei seiner Berufsehre gepackt gefühlt. An diesem Gericht verhandelt man ja sonst eher solche Kleinigkeiten wie Falschparken.

Im Kölner Stadt-Anzeiger wird der Oberstaatsanwalt mit den Worten zitiert, Sie hätten ein „Geständnis“ abgelegt, das nur „unter dem Druck der Beweisaufnahme“ zu Stande gekommen sei. Das hört sich nach einem regelrechten Tribunal gegen Sie an.

Die so genannte Beweisaufnahme war ein Witz. Der Richter meinte, eigentlich hätte er alle Imame und Vorsitzenden der Moscheen und Kulturvereine als Zeugen laden müssen, an die ich ein Blatt mit dem Stempel geschickt hatte. Aber was meinen Sie, was dann los gewesen wäre? Die wären ja nicht alleine gekommen, sondern hätten noch einen ganzen Schwarm Beleidigter mitgebracht. Und dann hätte hier alles Kopf gestanden und außerdem das Amtsgericht für mehrere Monate komplett lahm gelegt. Auch meinen Vorschlag, Experten zum Thema Islam zu befragen, wies das Gericht zurück. Aber auch so war das Ganze noch mehrere Nummern zu groß für so ein Amtsgericht in der Provinz.

Hinzu kommt der Zeitpunkt der Verhandlung...

Ich hatte noch letzte Woche beantragt, den Prozess um drei Monate zu verschieben, weil aus meiner Sicht ein rechtsstaatliches Verfahren derzeit einfach nicht möglich ist, weil wir auf einem Pulverfass sitzen. Denn das Ganze ist im Moment noch mehr ein Politikum als ohnehin schon, und es steht auch viel mehr im Mittelpunkt des Interesses als in ruhigeren Zeiten. Der Iran hatte meine Aktion ja schon seinerzeit ganz offiziell mit einer diplomatischen Note an das Auswärtige Amt verurteilt und Maßnahmen gefordert, und das hatte natürlich einen maßgeblichen Einfluss auf den Ausgang des Verfahrens, weil man den kritischen Dialog auf keinen Fall gefährden wollte. Seit Ahmadinedschad Präsident ist, steht der Iran außerdem noch mehr im Mittelpunkt des Interesses, und er droht mit einem Atomkrieg. Hinzu kommen die Ausschreitungen nach dem Bekanntwerden der Karikaturen in Jyllands Posten und die Abwiegelei und Verständnisheischerei in Europa. In einer solchen Situation konnte ich keinen fairen Prozess erwarten. Es war abzusehen, wie das Gericht entscheiden würde. Davon abgesehen war ich aufgrund der ständigen Morddrohungen und der damit verbundenen Angst einfach nicht in der Lage, mit meinem Anwalt eine vernünftige Verteidigungsstrategie vorzubereiten. Die Verhandlung hätte also unbedingt verlegt werden müssen.

Der Richter sagte nach der Urteilsverkündung: „Die Bedeutung hat sich erheblich gesteigert durch die weltpolitische Lage.“ Und der Oberstaatsanwalt meinte, es sei ein „deutliches Zeichen nach außen gesetzt worden“. Da hat ein Provinzgericht Weltpolitik gespielt, oder?

Wie schon gesagt: Sie haben es sichtlich genossen, im Fokus der Aufmerksamkeit zu stehen. Die Öffentlichkeit hat vom Gericht eine Verurteilung erwartet, und dieser Erwartung ist es nachgekommen. An mir sollte ein Exempel statuiert werden; ich war sozusagen ein Präzedenzfall, an dem sich weitere Strafverfahren orientieren werden. Ein ähnliches Urteil hat es in der deutschen Nachkriegsgeschichte noch nicht gegeben. Ich habe noch während des Verfahrens versucht, dem Richter deutlich zu machen, dass für den Islam das Gleiche gelten muss wie für das Christentum auch: dass man ihn nämlich verspotten darf, ohne sich dafür gleich vor Gericht rechtfertigen zu müssen und verurteilt zu werden. Um das zu untermauern, habe ich ihm einen Bericht über ein Theaterstück vorgelegt, in dem Jesus als Begründer der Sado-Maso-Szene dargestellt wird. Die Aufführung wurde mit 50.000 Euro aus öffentlichen Mitteln gefördert...

Wird das Urteil über die Grenzen Deutschlands hinaus Auswirkungen haben?

Das Gericht und die Staatsanwaltschaft werden sich noch wundern, wie ihre Entscheidung in der islamischen Welt aufgenommen wird. Dort steht auf das, was ich getan habe, der Tod. Meine Bewährungsstrafe wird dort betrachtet werden wie ein Freispruch, obwohl es überhaupt keiner war. Wenn schon ein paar Karikaturen in einer kleinen dänischen Zeitung solche Unruhen auslösen, kann man wohl auch nicht ausschließen, dass die Leute dort Sturm dagegen laufen, dass ich jetzt nicht wenigstens sitzen muss. Und dies umso mehr, als der Richter das Anschreiben zu dem Versand des Toilettenpapiers mit dem Stempelaufdruck gar nicht beanstandet hat: „Der Koran, das Kochbuch für Terroristen“ sei eine rechtlich zulässige Religionskritik. Hätte ich das Ganze auf eine Leinwand gepinselt, statt es auf Klopapier zu stempeln, wäre ich vermutlich ohne Strafe davon gekommen.

War der Prozess gegen Sie also ein politischer?

Eindeutig ja. Ich bin mir sicher, dass vor allem der Staatsanwalt Direktiven „von oben“ bekommen hat, wie er sich verhalten soll. Hier ging es um die Staatsräson, um die Beziehungen zur islamischen Welt, insbesondere zum Iran – das zeigte ja schon dessen diplomatische Eingabe. Ein Freispruch stand überhaupt nicht zur Debatte, zumal man mit Sicherheit befürchtete, dass die Randale dann von neuem losgehen und sich gegen deutsche Einrichtungen in arabischen Ländern richten würde. Ich habe lange genug dort gelebt, um zu wissen, was der Islam ganz real verursacht. Und hierzulande hat die Gesellschaft noch keinen adäquaten Umgang mit diesem Problem gefunden. Man sieht das ganz aktuell auch beispielsweise an den unsicheren Reaktionen auf den Film Das Tal der Wölfe. Abgesehen davon liegt der Koranvers, den der Mörder Theo van Goghs an seinem Opfer befestigt hatte, immer noch in jeder Moschee aus. In der Allgemeinheit scheint sich die Erkenntnis durchgesetzt zu haben, dass wir in Bezug auf das Verhältnis zum Islam an einem kritischen Punkt angekommen sind. Die Frage, wie das Problem zu handhaben ist, hat einen innerlichen Riss in der Gesellschaft verursacht. Auf der einen Seite steht das Lager derer, die meinen, man könne die Moslems durch Zugeständnisse und einen deutlich gezeigten Kulturrelativismus soweit ruhig stellen, dass sie zumindest nicht gewalttätig werden. Auf der anderen Seite steht das Lager derer, die erwarten, dass sich die Moslems zumindest in Europa auf uns zu bewegen, und die sich durch die latente Gewaltbereitschaft nicht erpressen lassen wollen. Ich bin in diesem Verfahren zwischen diese beiden Fronten geraten und hatte das Pech, in die Fänge der falschen Seite geraten zu sein. Mit Feinden der eigenen politischen Linie ist man noch nie zimperlich umgegangen, wenn man sie als hilfloses Opfer vor die Flinte bekommt.

Und was wird aus dem geplanten Mahnmal für die Opfer des Islamismus, für das Sie mit den Koranrollen Spenden sammeln wollten?

Das wird gebaut. Juristisch nach allen Seiten abgesichert, versteht sich.