19.2.07

Deutsche Selbstbeehrung

Lebte der große Publizist Eike Geisel noch, er hätte dieser Tage ziemlich sicher in die Tasten gegriffen, um die Verleihung der Ehrendoktorwürde der Humboldt-Universität Berlin an Marcel Reich-Ranicki gebührend zu kommentieren. Und er hätte dazu nur bei sich selbst abzuschreiben brauchen, denn das, was er schon vor fünfzehn Jahren anlässlich der Monumentalausstellung Jüdische Lebenswelten im Berliner Gropiusbau in konkret ausführte, fasst auch 2007 noch immer punktgenau zusammen, was die Deutschen in der Regel leitet, wenn sie Juden respektive deren Wirken zu Ehren kommen lassen: „Alle beteuern, wie groß der Verlust durch die Austreibung und Ermordung der Juden sei“, stellte Geisel damals, im März 1992, fest. Doch diesen Verlust habe nicht nur nie jemand verspürt, „es ist gar keiner. Denn in Wahrheit hat die Massenvernichtung bewiesen, erstens, dass man sie veranstalten kann, und zweitens, dass ein derartiges Verbrechen langfristig gut ausgeht und sich nicht nur in Exportquoten, sondern auch in Kultur auszahlt.“ Wenn heute, 62 Jahre (!) nach der Befreiung von Auschwitz, einem jüdischen Literaturkritiker, also Kulturschaffenden, die Ehrendoktorwürde jener Hochschule zuteil wird, die ihn 1938 nicht aufnahm, weil er Jude ist, sind wirklich alle ergriffen und empfinden – wie der Präsident der Humboldt-Universität, Christoph Markschies„unendliche Wehmut und ungeheuere Ironie“. Doch dabei gilt, was schon Geisel wusste:
„Die Klage über den Verlust ist nicht ernst gemeint. Es handelt sich dabei um eine weinerliche Selbstbezogenheit, nicht um Trauer über andere, sondern um Mitleid mit der eigenen Banalität, kurz: um die Behauptung, die Deutschen hätten sich mit ihren Verbrechen selbst etwas angetan.“
Die Ironie, die Markschies beschwor, ergibt sich daraus wie von selbst. Mit ihrer Hilfe möge man „eine feierliche Erstarrung vermeiden“ und sich „der ständigen Bedrohung von Wahrheit und Freiheit in der Wissenschaft bewusst bleiben“, sagte er. Magnifizenz haben begriffen, dass man hierzulande nicht mehr einen Schlussstrich unter die deutsche Vergangenheit fordert, sondern das Bekenntnis zu ihr perpetuiert und es offensiv für ein anderes Deutschland nutzt, das seine Geschichte inklusive dem „Nie wieder!“ längst gewinnbringend einzusetzen versteht. Anders gesagt: Ohne Vernichtungslager kein größtes Mahnmal der Welt mitten in Berlin, ohne Treblinka und das Warschauer Ghetto keine Ehrendoktorwürde für Reich-Ranicki. Und deshalb ist es nur konsequent, dessen Auszeichnung als „eine Ehrung für uns alle“ zu begreifen, wie es der FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher tat, der darüber hinaus befand: „Dieser Tag heute, das sei gesagt, ist wichtiger für uns als für ihn.“ Und zwar deshalb:
„Geehrt wurde der Mann, der das alles durchlitt und die tiefste Kränkung empfand und doch, Jahrzehnte später, mit unendlichem Witz und Humor, mit Scharfsinn und Temperament, die deutsche Literatur belebte und befeuerte, ‚drüben und hüben’, wie eine seiner ersten Kolumnen hieß. Wir können unseren Kindern davon erzählen, weil, das ist keine Übertreibung, einer wie er nicht mehr ist und nicht mehr kommt. Marcel Reich-Ranicki ist die letzte Erscheinungsform (!) jener literarisch-kosmopolitischen Intelligenz, die die Weimarer Republik prägte. Er lässt uns ahnen, was hätte sein können, wenn sie geblieben wären und nicht ermordet oder in Tod und Exil getrieben worden wären: Menschen wie Walter Benjamin und Joseph Roth, Schönberg und Einstein, Wassermann und Kerr.“
Mit der Vernichtung der europäischen Juden haben die Deutschen demzufolge ein Menschheitsverbrechen begangen, unter dem zuvörderst sie selbst zu leiden haben, weil es nicht zuletzt ihr Selbstverständnis als Kulturnation nachhaltig desavouierte. Stärker noch als das Bedürfnis der Sieger, sich als Opfer einer kulturellen Selbstverstümmelung zu fühlen, ist indes ihr unersättliches Verlangen, die einst Ausgestoßenen sich auf jede nur denkbare Weise einzuverleiben“, resümierte Eike Geisel schon vor anderthalb Jahrzehnten den deutschen Versuch, die „Eigenschaften zu verzehren“, die man in die Juden als Schirrmachersche Erscheinungsformen hineinprojiziert: „Im Unterschied zur selbstlosen Niedertracht der Nazis gehorcht diese frivole Kommunion dem ganz eigennützigen Zweck jener ‚erwachsenen Form nationaler Identitätssuche’, deren heimliche Devise lautet: am jüdischen Wesen soll Deutschland genesen.“ Und nun, wo sie unheilbar gesund sind, lassen die Deutschen, hier vertreten durch den Präsidenten der ältesten Universität ihrer Hauptstadt, jemandem verbindlichen Dank ausrichten, den ihre Vorfahren 1938 ausgewiesen hatten und der – im Unterschied zu seinen Eltern, die in Treblinka ermordet wurden – mit knapper Not die Shoa überlebte: Dass Sie die Ihnen angetragene Ehrendoktorwürde angenommen haben und dieses von seiner Geschichte gezeichnete Haus nach so vielen Jahren wieder betreten haben, [...] bewegt uns sehr.“

Denn damit wäre ein weiterer Schritt getan, den Nationalsozialismus letztlich als Betriebsunfall abhaken zu können, der am deutschen Ruf als Land der Dichter und Denker zwar vielleicht ein bisschen kratzte, ihn aber eigentlich nicht dauerhaft zu ruinieren vermocht haben soll. Deshalb durfte Kulturstaatsminister Bernd Neumann auch sagen, mit der Verleihung der Ehrendoktorwürde an Reich-Ranicki komme „etwas zum Ende, das vor langer, sehr langer Zeit“ begonnen habe. Und deshalb durfte er auch betonen, kaum einer habe „in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mehr für die deutsche Sprache und die Literatur getan als Sie, dem die Deutschen so viel Leid zugefügt haben“ und der diesen Deutschen die Sprache und Literatur „dennoch als Geschenk zurückgegeben“ habe. Als Präsent also – vermutlich aus lauter Dankbarkeit für die harte Schule, durch die der Geehrte gehen musste, die ihn jedoch nur noch stärker und reifer hat werden lassen, wie auch sein Laudator Peter Wapnewski (Foto) fand: „Er hat durch Zielsicherheit und Charakter und Entschiedenheit dazu beigetragen, dieses Unheil für sich und seine Frau zu überwinden.“

Dabei verzeiht man Reich-Ranicki hierzulande inzwischen offenbar auch die vermeintlichen Um- und Irrwege seines (Über-) Lebens, für die man ihn vor kurzem noch heftig gescholten hatte: Als 1994 bekannt wurde, dass der Literat kurz nach seiner Befreiung durch die Rote Armee zeitweilig erst für den kommunistischen Geheimdienst in Schlesien und danach für den polnischen Auslandsnachrichtendienst gearbeitet hatte – bevor er wegen „ideologischer Entfremdung“ entlassen, inhaftiert und aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen wurde –, brach in den Feuilletons ein Sturm der Entrüstung los. „Hinter dem ‚gnadenlosen Richter’ war plötzlich der jüdische Rächer zu sehen“, beschrieb Eike Geisel im Februar 1995 in konkret die kaum verhohlen antisemitischen Reaktionen, die dem Publizisten entgegenschlugen:
„Reich-Ranicki ist den Kommunismus losgeworden, nicht aber sein Judentum. Das hängt an ihm wie eine Zielscheibe, auf die sich seit Beginn der Affäre alle eingeschossen haben. ‚Jude und Kritiker’, so wird er seitdem ausgestellt. Im Verlauf dieser neuen Vergangenheitsbewältigung durch das Feuilleton wurde er zur fantastischen Wunschfigur des ideellen Gesamtantisemiten: Intellektueller, Jude, Kommunist. Erst im Geheimdienst, dann Verräter; übt Macht aus, sinnt auf Rache.“
Und noch 2002 – parallel zum Erscheinen von Martin Walsers „Tod eines Kritikers“, der gegen Reich-Ranicki gerichteten literarischen Vernichtungsfantasie eines Lieblingsdichters der Deutschen also, der sich wiederum als Sprachrohr der von diesem Kritiker hart beurteilten oder, schlimmer noch, ignorierten deutschen Schriftsteller verstand – bezichtigte ihn nicht nur der Fernsehsender 3.sat in der Sendung Kulturzeit „der fixen Ausrede, der autobiografischen Lüge“ und empfahl ihm nassforsch eine Erweiterung seiner Memoiren: „Vielleicht nutzt Marcel Reich-Ranicki die Zeit bis zum nächsten Aktenfund für ein kleines Zusatzkapitel, das die fatalen Jahre im Dienst der polnischen Staats-Sicherheit nicht länger selbstgerecht vertuscht.“ Denn im Aufarbeiten von Diktaturen macht den Deutschen so schnell keiner etwas vor, am wenigsten ein überlebender Jude, der angesichts der Bekanntwerdung seiner Tätigkeiten für den polnischen Staat noch einmal deren Hintergründe deutlich zu machen sich gezwungen gefühlt hatte:
„Vergessen Sie nicht, wir, meine Frau und ich, haben den Holocaust überlebt. Vergessen Sie nicht, Auschwitz war noch nicht befreit. Sie dürfen nicht vergessen, dass die deutschen Behörden in Polen alle Schulen verboten hatten. Und vergessen Sie nicht: Ich verdanke der Roten Armee mein Leben.“
Der konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza kommentierte dies im August 1994 so:
„Sie haben es, wenn je gewusst, längst vergessen, die Redakteure der Bürgerpresse, die der Delinquent anlässlich der Interviews genannten Verhöre, denen sie ihn unterzogen, so flehentlich beschwor. Was, Reich-Ranicki, haben Sie gemacht damals, als unser Herausgeber, ein Leutnant des Führers, tief in Russland jene Front hielt, hinter der die Gasöfen friedlich brannten? Und als wir im Westen Deutschlands mit den alten Kameraden wieder Staat zu machen begannen, verdiente Männer der SS und der Gestapo zu ziviler Tätigkeit in der Regierung oder auch in der Redaktion eines bekannten deutschen Nachrichten-Magazins umerzogen? Wie bitte, Sie haben die Rote Armee herbeigesehnt? Sind Kommunist geworden und Capitan des polnischen Geheimdiensts? Und haben uns, die wir Sie, den polnischen Juden, dennoch aufgenommen und befördert haben, diese Verbrechen sechsunddreißig Jahre lang verheimlicht?“
„Bin ich als Jude, der ich 1938 nach Polen deportiert wurde und jahrelang im Warschauer Ghetto und später außerhalb des Ghettos unter deutscher Bestialität gelitten habe, bin ich ausgerechnet der deutschen Öffentlichkeit Auskunft und Rechenschaft schuldig darüber, was ich noch während des Krieges und in den ersten Nachkriegsjahren als polnischer Staatsbürger in der polnischen Armee und in polnischen Behörden getan habe?“, fragte Reich-Ranicki seinerzeit jene, denen immer schon daran gelegen war, die Opfer möglichst zu Tätern zu machen und dort, wo das nicht ohne Weiteres möglich war, doch zumindest eine gewisse Plausibilität für deren Verfolgung zu behaupten. Das ist auch heute nicht anders; mittlerweile verspricht die Verleihung der Ehrendoktorwürde an einen vormals Verfolgten allerdings deutlich mehr moralischen Gewinn abzuwerfen als das Insistieren darauf, dieser sei, den Deutschen entkommen, auch nicht besser gewesen als seine Peiniger. Wie man dennoch einen Seitenhieb verteilt, ohne einen Affront zu riskieren, demonstrierte der bereits erwähnte Kulturstaatsminister Bernd Neumann (Foto) bei der Zeremonie in der Humboldt-Universität. Denn in Anspielung auf das im dortigen Foyer noch immer zu lesende Marxsche Diktum von den Philosophen, die die Welt verschieden interpretiert hätten, wo es doch darauf ankomme, sie zu verändern, sagte Neumann, an den Geehrten gewandt:
„Ihr Leben war über Jahrzehnte geprägt von dem, ja, mörderischen Versuch, diesem Postulat Geltung zu verschaffen. Wenn auch der Sozialismus mit dem Zusatz ‚National’ sich natürlich nicht auf den Juden Marx berief, so hat er aber doch damit ernst gemacht, die Welt nicht mehr nur zu interpretieren, sondern mit äußerster und brutalster Gewalt nach seinen Vorstellungen zu ändern. Jedenfalls vergaben sich weder die stalinistischen noch die nationalsozialistischen Weltveränderer etwas in ihrer gnadenlosen Verfolgung von freiem Geist und seiner Schwester, der Kritik.“
Der erste Satz dieses Statements lässt, wörtlich genommen, durchaus die Interpretation zu, Reich-Ranicki habe über einen nicht unerheblichen Zeitraum hinweg Tötungsabsichten verfolgt. So wird es der Minister vermutlich aber nicht gemeint haben. Was er sagen wollte, war wahrscheinlich eher, dass der neue Ehrendoktor das Opfer zweier Diktaturen geworden sei. Dieser totalitarismustheoretische Ansatz ist jedoch nicht nur aus mehreren Gründen falsch, sondern er führt darüber hinaus auch zu einer Entsubjektivierung Reich-Ranickis und zu einer Verurteilung oder zumindest Missachtung von dessen politischen Aktivitäten. Dabei bedient er sich auch noch faktisch der Nürnberger Rassegesetze: Denn vom „Juden Marx“ zu sprechen, wie Neumann es tat, folgt nolens volens der Definition der Nationalsozialisten; für Marx selbst spielte sein Jüdischsein bekanntlich keine nennenswerte Rolle. Dessen Forderung nach einer Veränderung der Welt wiederum als etwas zu sehen, das der Sozialismus mit dem Zusatz ‚National’“ erst materialisiert habe – womit gleichzeitig gesagt ist, dass jeder Wunsch nach etwas grundlegend anderem als dem Status Quo notwendig „mit äußerster und brutalster Gewalt“ einhergehe und daher per se abzulehnen sei, die Welt sich also nicht wandeln dürfe, und wenn alles in Scherben fällt –, macht ihn ohne Umschweife und ohne jede Begründung zum Vordenker der Judenvernichtung, blendet geflissentlich aus, welche unterschiedlichen gesellschaftlichen und ökonomischen Voraussetzungen den Marxschen Vorstellungen einerseits und dem deutschen Wahn andererseits zugrunde lagen, und verschweigt darüber hinaus das Fortwesen des Nazismus und des für ihn konstitutiven Antisemitismus in Nachkriegsdeutschland – eines Antisemitismus, den nicht zuletzt Reich-Ranicki immer wieder zu spüren bekam.

Der hatte sich entschlossen, vor der sicheren Vernichtung zu fliehen, sich dem Geheimdienst und dem Nachrichtendienst eines Staates anzuschließen, der von den Deutschen überfallen worden war, und dabei selbstbewusst eine Idee zu vertreten, die jedenfalls eine Gewähr dafür zu bieten versprach, nicht noch einmal zur Zielscheibe eines antisemitischen Ausrottungswahns zu werden. Wenn Neumann den Literaturkritiker nun den Opfern der „stalinistischen Weltveränderer“ zuschlägt und die Realsozialisten dabei in ihrer gnadenlosen Verfolgung von freiem Geist“ den Nationalsozialisten gleichstellt, spricht er ihm jegliche Subjektivität ab, jegliche Fähigkeit, selbstständig und aus eigenem Antrieb heraus gehandelt zu haben, wie es ihm notwendig erschien. Das ist an Paternalismus kaum noch zu überbieten; zudem unterstreicht es, wie unbedingt es Neumann darum geht, zu bestimmen, wie Reich-Ranicki hierzulande eingestuft zu werden hat – als einer nämlich, den die Nationalsozialisten sozusagen zu Unrecht nicht als Verdienstjuden behandeln wollten –, und nicht, wie dieser sich selbst sieht.

Eine Faszination übe Berlin immer noch aus, sagte Reich-Ranicki dem Deutschlandfunk nach der Ehrung. „Aber Berlin heute ist eine ganz andere Stadt als damals. Wollen Sie den wichtigsten Unterschied kennen?“, fragte er den Interviewer und gab, als der bejahte, zur Antwort: „Die Juden sind nicht da. Die Juden, die die Philharmonie füllten und die Theater und die Opernhäuser, die sind nicht da. Deswegen wird Berlin solche Opern- und Theaterhäuser wie einst wohl kaum in absehbarer Zeit haben.“ Auch Reich-Ranicki drückt also seine Trauer über einen Verlust aus – aber es ist ein Verlust, den er, seine Familie und seine Freunde erleiden mussten und nicht diejenigen, die ihn erst ins Werk setzten und darüber nun Krokodilstränen vergießen. Und als er gefragt wurde, ob „das Fehlen der Juden in Berlin und ja auch in anderen deutschen Städten“ auch „ein Fehlen in der Literatur“ sei, bemerkte er: „Das kann sich jetzt ändern. Es sind ja Juden aus Russland gekommen, und unter denen sind nicht wenige literarisch begabte. Das kann man nicht voraussagen, was das bringen wird.“

Man merkt diesen Sätzen an, wie sehr sich Reich-Ranicki gegen Vereinnahmungen wehrt und dass er nicht gewillt ist, den Deutschen die Opferrolle zu gestatten. Über die Ehrendoktorwürde hat er sich gefreut; sie sei für ihn „mit Sicherheit etwas Besonderes“. Denn: „Es ist schließlich die Universität der Stadt, die auf mich den stärksten prägenden Einfluss ausgeübt hat, und das ist schließlich jene Universität, die mir den Zugang zum Studium in Deutschland verweigert hat.“ Aber sie war nicht die erste, die ihm eine solche Anerkennung zuteil werden ließ; 1972 machte die Universität im schwedischen Uppsala den Anfang, und für Reich-Ranicki war es „eine Genugtuung, dass mir der Ehrendoktor nicht in Deutschland verliehen wurde. Später zahlreich, später habe ich den Ehrendoktor in München und Düsseldorf, Bamberg und Augsburg bekommen, verschiedene Universitäten. Aber damals war es der erste, und das war eben ein ausländischer“.

Dreizehn Jahre vor Reich-Ranicki, also 1994, hatte die Berliner Humboldt-Universität einen gewissen Wilhelm Krelle mit der nämlichen Auszeichnung bedacht, für dessen Aktivitäten bei der Abwicklung von Ost-Professoren. Zwei Jahre später entdeckten Studenten der Hochschule Dokumente, die zeigten, dass just dieser Krelle ab August 1944 bei der Waffen-SS und ab Januar 1945 sogar 1. Generalstabsoffizier der für ihre Kriegsverbrechen berüchtigten SS-Panzergrenadierdivision Götz von Berlichingen war. Die Humboldt-Universität sah jedoch trotz massiver Proteste keine Veranlassung, Krelle die Ehrendoktorwürde wieder abzuerkennen. Und 1999 lehnte sie einen ersten Vorstoß, Marcel Reich-Ranicki für die Ablehnung seiner Immatrikulation um Entschuldigung zu bitten, ab. Dieser steht nun, weitere acht Jahre später, in einer Reihe mit einem SS-Mann. Das gereicht aber nicht ihm zum Nachteil, sondern der akademischen Bildungseinrichtung. Die glaubt jedoch, mit ihrem jetzigen Schritt aus dem Schneider zu sein. Und fast alle glauben mit.

Die Textauszüge aus konkret sind nur in der Printausgabe bzw. auf einer CD dieser Zeitschrift verfügbar. – Hattips: Gesine, barbarashm