Die Kurnazianer
Wann immer hierzulande das Gespräch auf das Gefangenenlager Guantánamo kommt, schlägt die Stunde der Bescheidwisser, und davon gibt es bekanntlich eine ganze Menge. „Auschwitz!“ trauen sich (noch) nur wenige laut zu rufen, aber dass es sich jedenfalls um ein „Konzentrationslager“ handelt, darin sind sich viele Deutsche – die es qua Urheberrecht schließlich wissen müssen – mit Reinhard Mey, der Friedensbewegung und dem Online-Lexikon Wikipedia* einig. Guantánamo – das wird als Synonym für vollendete Rechtlosigkeit, Willkür, Folter und Mord gehandelt; Guantánamo – das erscheint als Inbegriff für „das erste weltweite Gefängnis eines Imperiums, das die Weltherrschaft anstrebt“, wie es bei amnesty international heißt. Da man den USA in projektiver Umkehrung eigener Allmachtsfantasien schlichtweg alles zutraut, werden Widersprüche und abweichende Stellungnahmen entweder gar nicht erst zur Kenntnis genommen oder schlicht als Propaganda abgetan. Dafür stürzt man sich umso gieriger auf ehemalige Guantánamo-Häftlinge, deren Erzählungen in der Regel nicht nur nicht geprüft, sondern vielmehr als Tatsachenberichte aus- und deshalb oft genug gleich im Indikativ wiedergegeben werden. Auf diese Weise lässt sich auch das lästige Problem umschiffen, dass die Gefangenen in Guantánamo unter dem Verdacht stehen, islamischen Terrororganisationen anzugehören oder zumindest enge Verbindungen zu diesen zu unterhalten: Wenn ein Ex-Häftling versichert, er habe mit Al-Qaida oder anderen Mordbanden nie etwas zu tun gehabt, wird ihm das nur allzu bereitwillig geglaubt – schließlich eignen sich solche Beteuerungen prächtig, um dem Mythos von den durchweg unschuldig Eingesperrten weitere Nahrung zu geben.
Und so wird einer wie Murat Kurnaz (Foto) in Deutschland nachgerade zum (tragischen) Helden. Sein Leidensweg, den er bekanntlich zu einem Bestseller verarbeitet hat, „ist inzwischen weltweit bekannt“, schrieb die Publizistin Gudrun Eussner; „sein Ziel Ende 2001 sei es nur gewesen, in Pakistan ‚sich selbst zu finden und seinen Glauben zu vertiefen’, wie er den Abgeordneten des Europaparlaments weismacht, die das wohlwollend glauben, weil sie’s glauben wollen wie auch alle anderen, denen er es erzählt“ – zuletzt einmal mehr dem Reinhold Beckmann, im Verbund mit dem zum Islam konvertierten früheren Guantánamo-Seelsorger Yusuf Yee und flankiert vom notorischen Nahostexperten Peter Scholl-Latour sowie dem FDP-Obmann im BND-Untersuchungsausschuss Max Stadler, der Kurnaz „ohne jeden Zweifel für glaubwürdig“ hält. Auch die meisten Rezensenten von Kurnaz’ Buch Fünf Jahre meines Lebens nahmen dem heute 25-jährigen praktisch jedes Wort unbesehen ab; nur selten hinterfragen Journalisten seine Geschichte(n) so kritisch wie Alan Posener im DeutschlandRadio oder weisen wenigstens auf Ungereimtheiten hin, wie die FAZ in ihrer vorgestern erschienenen Besprechung: „Warum die vorgebliche Bildungsreise [nach Pakistan] konspirativ geplant wurde, warum Kurnaz bei Nacht und Nebel das Haus verlässt, ohne sich von Mutter und Vater zu verabschieden, warum das Ticket mit der Kreditkarte eines nachrichtendienstlich bekannten Islamisten gekauft wird, darauf gibt Kurnaz keine überzeugenden Antworten, wie überhaupt seine muslimische Version der Saulus-Paulus-Geschichte einigermaßen lückenhaft und wunderlich bleibt.“
Unabhängig davon, was in Guantánamo vonstatten geht und was Murat Kurnaz dort widerfahren ist, erfüllen seine Erzählungen in Deutschland vor allem einen Zweck: den nämlich, die antiamerikanischen Ressentiments einmal mehr ungehemmt von der Leine lassen und sie dabei mit den Weihen der Menschenrechte versehen zu können. Bisweilen scheut man dabei, wie so oft, auch die Parallelisierung der Vereinigten Staaten mit dem nationalsozialistischen Deutschland nicht – und dafür ist jeder Kronzeuge stets willkommen. Handelt es sich bei der von kaum einem Zweifel getrübten Kolportage von Kurnaz’ Erzählungen also letztlich „um einen selbst gebrauten Balsam für die deutsche Seele, mit dem die deutsche Öffentlichkeit dazu ermutigt werden soll, künstliche Analogien zwischen völlig verschiedenen historischen Ereignissen zu ziehen und dadurch das Ausmaß der Verbrechen zu verkleinern, denen Deutschland seinen traurigen Ruhm verdankt?“, fragt John Rosenthal in einem Beitrag für World Politics Review, in dem er der Frage nachgeht, wie Murat Kurnaz hierzulande zu einem gefragten Star werden konnte, warum das in elementarem Widerspruch zur journalistischen Sorgfaltspflicht steht und welche Funktion der Hype um den in Bremen geborenen Türken erfüllt, der gerne auch mal „mehr als die Wahrheit“ erzählt. Lizas Welt hat Rosenthals Text ins Deutsche übersetzt.
John Rosenthal
Geschichten aus Guantánamo: Murat Kurnaz in den deutschen Medien
Deutschland hat einen neuen Superstar. Mit der Veröffentlichung seines Buches Fünf Jahre meines Lebens: Ein Bericht aus Guantánamo kam der ehemalige Guantánamo-Häftling Murat Kurnaz in alle deutschen Medien. Bereits vor dem offiziellen Erscheinen des Buches am 23. April dieses Jahres gab es ein Feature auf der Website des populären Wochenmagazins Stern, eine einfühlsame Besprechung bei Spiegel-Online sowie Berichte der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ARD und ZDF mit dem Starautor höchstselbst in der Hauptrolle. Rasch folgten begeisterte Rezensionen in allen führenden deutschen Zeitungen. Angesichts dieses Trommelfeuers verwundert es wenig, dass Kurnaz’ Buch – an dem der deutsche Journalist und Gelegenheitsschriftsteller Helmut Kuhn als Co-Autor mitwirkte – nur zwei Wochen nach seinem Erscheinen bis auf den 14. Platz der Sachbuch-Bestsellerliste des Spiegel emporgeschnellt war.
Aber ist es auch ein Sachbuch? Einige grundlegende Fakten über Kurnaz’ Weg sind unumstritten. Nur drei Wochen nach den Angriffen des 11. September, am 3. Oktober 2001, flog der 19 Jahre alte gebürtige Bremer von Frankfurt aus nach Karachi in Pakistan. Kurnaz, der unter den Einfluss der fundamentalistischen Tablighi Jamaat-Bewegung geraten war, behauptete, er habe seine Reise nach Pakistan lediglich zum Zwecke des Koranstudiums unternommen. Angesichts des auf den ersten Blick verdächtigen Timings betonte er, im benachbarten Afghanistan habe es zum Zeitpunkt seiner Abreise noch keinen Krieg gegeben. Dieser Punkt wurde in den deutschen Medien oft unkommentiert wiederholt, obwohl schon ein flüchtiger Blick auf die seinerzeitigen Presseberichte genügt hätte, um sich daran zu erinnern, dass Sympathisanten der Taliban angesichts der bevorstehenden, von den USA angeführten Intervention bereits Ende September 2001 nach dem Djihad riefen (siehe zum Beispiel den Bericht des Telegraph über eine Massendemonstration in Peshawar, einer Hochburg der Islamisten in der Nähe der afghanischen Grenze, die Kurnaz bekanntlich bereist hatte).
Am 7. Oktober begannen Amerikaner und Briten mit Luftschlägen gegen Ziele in Afghanistan. Mitte November verhafteten pakistanische Sicherheitskräfte Kurnaz im Rahmen einer Überprüfung von Passagieren eines Reisebusses in der Nähe von Peshawar. Die Pakistaner übergaben Kurnaz den amerikanischen Militärbehörden, die ihn als einen zu Al-Qaida gehörigen oder Al-Qaida verbundenen Kämpfer festhielten. Im Januar 2002 wurde Kurnaz von einer amerikanischen Militärbasis in Afghanistan ins neu erbaute Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba überstellt.
Zunächst – und das heißt: für mehrere Jahre nach seiner Festnahme – weckte Kurnaz’ Schicksal wenig Interesse bei den deutschen Behörden. Die Gleichgültigkeit der rot-grünen Koalitionsregierung ist nun jedoch Gegenstand einer Kontroverse in Deutschland, obwohl sie angesichts anhaltender Archaismen im deutschen Staatsbürgerschaftsrecht eigentlich wenig Beachtung verdient. Wie Zehntausende anderer Menschen türkischer Herkunft, die in Deutschland geboren wurden und dort leben, besitzt Murat Kurnaz nicht die deutsche Staatsangehörigkeit. Da er türkischer Staatsbürger war, schienen die deutschen Behörden beschlossen zu haben, dass er das Problem der Türkei ist. Sie hatten darüber hinaus einen weiteren Beweggrund für diese Haltung: Angesichts einer Reihe von Erkenntnissen über Kurnaz’ Verbindungen zur extremistischen islamischen Szene in Deutschland stufte das Bundeskriminalamt (BKA) Kurnaz als Sicherheitsrisiko ein (siehe dazu auch das BKA-Dossier zu Murat Kurnaz).
Im August 2006 wurde Kurnaz – Berichten zufolge nach der direkten Intervention der neuen deutschen Kanzlerin Angela Merkel zu seinen Gunsten – aus Guantánamo entlassen und nach Deutschland zurückgeschickt. Die Bereitschaft der amerikanischen Regierung, ihn freizulassen, wird in weiten Teilen der deutschen Medien als Beweis für seine „Unschuld“ gewertet. Und tatsächlich wird allgemein geltend gemacht, die amerikanischen Behörden hätten Kurnaz bereits 2002 von jedem Verdacht freigesprochen, Verbindungen zum Terrorismus zu haben. Dieser Behauptung steht jedoch in offenem Widerspruch zu einer Entscheidung des Combatant Status Review Tribunal (Tribunal zur Überprüfung des Kombattantenstatus, CSRT) aus dem Jahre 2004, das auf der Grundlage sowohl von geheimen als auch von öffentlichen Unterlagen die Einschätzung aufrecht erhielt, dass Kurnaz ein „feindlicher Kombattant“ mit Verbindungen zu Al-Qaida ist.
Es ist jedoch klar, dass die Faszination, die Kurnaz auf die deutschen Medien ausübt, nicht aus den Fakten seines Falls resultiert, sondern vielmehr aus seinen Folter- und Missbrauchsvorwürfen gegen die Vereinigten Staaten, die jedoch immer skandalöser und immer weniger plausibel werden. Die unhinterfragte Wiederholung dieser Gräuelgeschichten durch die deutschen Medien – wie auch ihre unhinterfragte Wiederholung entsprechender Behauptungen durch das angebliche „Justizopfer“ Khaled el-Masri (Foto) – veranschaulicht das Klima des Hasses und der Missgunst gegenüber den USA, das derzeit in der deutschen Öffentlichkeit herrscht.
Behauptungen, er sei von seinen amerikanischen Fängern geschlagen und Elektroschocks unterworfen worden, gehören genauso zu Kurnaz’ Repertoire wie seine Beschwerden über angebliche Schändungen des Koran. Aber seine Anklagen umfassen noch weit einfallsreichere Dinge, wie etwa die Behauptung, zur regulären Praxis des medizinischen Personals der Amerikaner in Guantánamo habe es gehört, Inhaftierten gesunde Körperteile zu amputieren. In einem Fernsehbericht, der erstmals am 19. April von Radio Bremen ausgestrahlt wurde, erklärte Kurnaz: „Fast jedes Mal, wenn jemand zur Krankenstation musste und mehrere Tage nicht zurückgekommen ist, kam er mit irgendeinem Teil seines Körpers weniger wieder. Das habe ich mit eigenen Augen gesehen, dass irgendwelche Nachbarn von mir zur Krankenstation gebracht wurden, irgendwann wiederkamen und denen was amputiert wurde. Obwohl sie nicht krank gewesen sind, obwohl das nicht nötig gewesen ist. Gesunde Finger zum Beispiel.“
Kurnaz wiederholt die gleiche Beschuldigung in seinem Buch, wobei die Körperteile dort seltsamerweise größer und wichtiger werden und sogar von Extremitäten die Rede ist. Kurnaz zufolge haben amerikanische Ärzte einem saudischen Häftling beide Beine amputiert, bevor sie ihn mit bandagierten Stümpfen, aus denen Blut und Eiter tropften, in seinen „Käfig“ zurückschickten. Charakteristisch für die deutsche Rezeption des Buches Fünf Jahre meines Lebens ist eine Besprechung von Yassin Musharbash im Spiegel, in der diese von Kurnaz erzählte Geschichte voller Abscheu wiedergegeben wird – jedoch ohne den leisesten Hinweis, dass sie möglicherweise einer Überprüfung bedarf. „Verzweifelt versucht der Mann, auf den Toiletteneimer zu klettern“, schreibt Musharbash, der dabei in Kurnaz’ Rolle als Erzähler schlüpft, „doch die Wärter verprügeln ihn, statt ihm zu helfen.“
In einem Bericht, den das ZDF-Nachrichtenmagazin Aspekte am 20. April sendete, behauptete Kurnaz, es habe in Guantánamo „alle Arten von Folter gegeben, die man sich vorstellen kann, und sogar solche, die man sich nicht vorstellen kann. Es gab auch Menschen, die an der Folter starben“. Er gab zudem an, Zeuge geworden zu sein, wie „ein Mann, der über hundert Jahre alt war“, von einem Wärter geschlagen wurde.
Diese Behauptungen verdienen an sich keine besondere Beachtung. Es ist gängige Praxis bei früheren Guantánamo-Häftlingen, wüste Beschuldigungen über die Bedingungen ihrer Gefangenschaft zu verbreiten – auch wenn Kurnaz’ Vorwürfe vielleicht noch ein bisschen wilder sind als die anderer ehemaliger Häftlinge. Bemerkenswert ist hingegen der vollständige Verzicht deutscher Medien auf kritische Distanz gegenüber Kurnaz’ Haftgeschichten. Der Eifer, mit dem Musharbash in seiner Spiegel-Besprechung Kurnaz’ Rolle als Erzähler einnimmt, ist in diesem Zusammenhang symptomatisch. Die Identifikation mit Kurnaz ist in einem Bericht des Stern über Fünf Jahre meines Lebens sogar noch vollständiger – was kaum überrascht, denn es ist faktisch das Nachwort des Buches, verfasst von den Stern-Reportern Uli Rauss und Oliver Schröm. Der Untertitel von Musharbashs Beitrag lautet „Schläge, Amputationen, Folter – mehr als fünf Jahre lebte Murat Kurnaz in einer Umgebung, in der Qualen Alltag waren“ – als ob all dies bewiesene Tatsachen wären. Musharbash jedoch beteuert, sie seien es – unter Berufung auf: Rauss und Schröm.
Auch in den Fernsehberichten nehmen die Reporter eine aktive Rolle dabei ein, den Horror, den Kurnaz erlitten haben soll, nachzuerzählen. Wie ein griechischer Chor ergänzen und vervollständigen sie den Diskurs des Helden des Stückes und verleihen seiner Version der Ereignisse dadurch scheinbar eine transzendente Aura der Wahrhaftigkeit. Im Bericht von Radio Bremen beispielsweise schildern Kurnaz und Reporter Rainer Kahrs gemeinsam die angeblichen Umstände der Einzelhaft in Guantánamo:
Kurnaz: Es ist extrem dunkel. Absolut kein Licht. Man kann gar nichts sehen. Man sieht nie Tageslicht. Und auch kein künstliches Licht. [...]Kahrs erzählt im Indikativ, erneut so, als ob Kurnaz’ Behauptungen unhinterfragbare Fakten wären. (Gegen Ende des Berichts fragt Kahrs Kurnaz nichtsdestotrotz: „Ist das alles wahr?“ Kurnaz antwortet, wobei dem Interviewer die unbeabsichtigte Ironie nicht aufgefallen zu sein scheint: „Natürlich ist das alles wahr. Das ist alles nur die Wahrheit und auch sehr viel, wovon nie jemand etwas gewusst hat. Es ist einfach mehr als nur die Wahrheit.“)
Kahrs: Am besten war Schlafen, erzählt Kurnaz – gar nicht so einfach in der Zelle. Kaum war er weggenickt, schlugen oft die Wärter gegen die Tür. Und oben über dem Bett blies durch ein enges Loch eine laut dröhnende Klimaanlage eiskalten Wind in die Zelle, rund um die Uhr.
Kurnaz: Ich hatte eine Shorts. Sonst nichts. [...] Dann gab’s auch Zeiten, wo wir mal in Isolationshaft gewesen sind, wo wir Hose und T-Shirt behalten durften. Dann haben sie uns meistens mit Hitze gefoltert.
Die Technik des „griechischen Chors“ kommt im Aspekte-Beitrag des ZDF noch besser zum Ausdruck; sie wird dort sozusagen perfektioniert. Die Aspekte-Moderatorin Luzia Braun schafft zunächst die Voraussetzungen, indem sie Kurnaz’ Erfahrungen in amerikanischer Gefangenschaft als eine Art „Martyrium“ beschreibt und Kurnaz als „Opfer von Folter und Willkür“ bezeichnet, das darüber hinaus „mit Terrorismus nichts zu tun hatte“. Anschließend übernimmt Reporterin Felicitas von Twickel, die die Geschichte vom „Martyrium“ mit dem angeblichen „Märtyrer“ teilt – der nicht nur sehr lebendig wirkt, sondern sogar bei bester Gesundheit zu sein scheint. Zur Steigerung der Dramatik werden einige nachgestellte Szenen aus Michael Winterbottoms Anti-Guantánamo-Film Der Weg nach Guantánamo in den Bericht eingestreut. In ihm wird – erzählt von „Kurnaz/von Twickel“ oder von „von Twickel/Kurnaz“ – beispielsweise behauptet, das „Foltern“ der Insassen in Einzelhaft habe im Entzug von Sauerstoff bestanden:
Von Twickel: Im Camp X-Ray ist nur Sitzen erlaubt. Steht der Gefangene auf oder spricht er mit einem Zellennachbarn, greift die Immediate Reaction Force ein, ein Schlägertrupp, der die Gefangenen nach den Prügeln wegschafft – in Isolationshaft. Tage, Wochen in einer Zelle, manchmal ohne ausreichend Sauerstoff...Der Bericht des ZDF macht sich noch nicht einmal die Mühe, zu präzisieren, dass „Kurnaz sagte“, er sei Tage oder Wochen ohne ausreichend Sauerstoff in Einzelhaft gewesen. Die Stimme Felicitas von Twickels verkündet einfach aus dem Off, es sei so gewesen.
Kurnaz: ...dass man wirklich nur noch so viel Luft hat, dass man am Leben bleibt und die meiste Zeit sogar in Ohnmacht verbringen muss.
Es ist bemerkenswert, dass kein hier zitiertes deutsches Medium versucht, seinen jeweiligen Bericht dadurch ins Gleichgewicht zu bringen, dass es einen Kommentar des US-Militärs zu Kurnaz’ Vorwürfen einholt. Ein Sprecher des Pentagon, dem World Politics Review Auszüge aus Kurnaz’ Behauptungen bei Radio Bremen und im ZDF vorlegte, wies diese als „frei erfunden“ zurück. „Wir sollten uns alle in Erinnerung rufen“, fuhr der Kommandeur der US-Navy Jeffrey D. Gordon fort und verwies auf das so genannte Manchester Manual, „dass Al-Qaida ihre Mitglieder in Trainingshandbüchern anstiftet, zu lügen und Missbrauchsvorwürfe zu erheben, um die Sympathie der Öffentlichkeit zu gewinnen, sei es zum Zwecke der eigenen Freilassung oder – nachdem sie entlassen worden sind – um das zu unterminieren, was wir in den Vereinigten Staaten tun“.
Es ist möglich, dass Kurnaz tatsächlich, wie Gordon andeutet, nach der Pfeife der Al-Qaida tanzt. Aber es ist genauso denkbar, dass er für die deutsche Galerie auftritt und sagt, was die deutschen Unterhändler und Interviewer – und offensichtlich auch ein bedeutender Teil der deutschen Öffentlichkeit – hören wollen. Wie sonst ließe sich der folgende bizarre Schatz aus dem ZDF-Beitrag Felicitas von Twickels erklären? „Perfide: Amerikanische Soldaten [in Guantánamo] drohen dem in Bremen geborenen Türken, das mit ihm zu machen, was die Nazis mit den Juden machten.“ Ist es wirklich glaubwürdig, dass einem amerikanischen Soldaten solche Sätze einfallen würden? Oder handelt es sich eher um einen selbst gebrauten Balsam für die deutsche Seele, mit dem die deutsche Öffentlichkeit dazu ermutigt werden soll, künstliche Analogien zwischen völlig verschiedenen historischen Ereignissen zu ziehen und dadurch das Ausmaß der Verbrechen zu verkleinern, denen Deutschland seinen traurigen Ruhm verdankt?
John Rosenthal ist freier Mitarbeiter der World Politics Review. Er schrieb ausführlich über die europäische Ablehnung des Gefangenenlagers Guantánamo in seinem bei The Claremont Review of Books erschienenen Beitrag „The Road to Condemning Guantanamo“.
* Update: Inzwischen – das heißt nach dem Erscheinen dieses Beitrags – wurde der entsprechende Wikipedia-Eintrag verändert; statt „Konzentrationslager“ heißt es dort nun „Gefangenenlager“. Die Versionsunterschiede sind dokumentiert.