Kräfte mit Tradition
Eine Anmerkung noch zum Campus-Verlag und seiner Strategie bei der Vermarktung des prospektiven Bestsellers Die Israel-Lobby von John J. Mearsheimer und Stephen M. Walt: Man kann den Zuständigen auch in Bezug auf die Gestaltung der Titelseite nicht nachsagen, keinen Sinn für politisch-historische Bezüge gehabt zu haben. Denn das Buchcover ziert an seinem unteren Rand ein Ausschnitt der amerikanischen Stars and Stripes-Flagge – bei der die Stars jedoch durch Davidsterne ersetzt wurden und so der Untertitel „Wie die amerikanische Außenpolitik beeinflusst wird“ bereits auf dem Umschlag eine unzweideutige Veranschaulichung erfährt. Eine Überraschung ist das nicht; das Motiv ist bei den Antisemiten, pardon: Antizionisten jeglicher Couleur sehr beliebt und erfreut sich etwa auf Demo-Transparenten oder in Zeitschriften und Tageszeitungen dauerhafter Konjunktur. Und es ist alt, älter noch als der Staat Israel: Bereits 1942 erschien ein Buch, auf dessen Deckblatt eine mit dem jüdischen Symbol versehene US-Fahne zu sehen ist. Sein Titel: Kräfte hinter Roosevelt. Sein Autor: Johann von Leers, einer der radikalsten und wichtigsten nationalsozialistischen Ideologen.
Wer mit den „Kräften hinter Roosevelt“ gemeint ist, ist daher unschwer zu erraten; außerdem gibt schon das ebenfalls auf dem Cover abgebildete Foto unmissverständlich Aufschluss: Juden natürlich, zuvörderst in Gestalt reicher Kapitalisten wie Orthodox-Religiöser. Von Leers’ Werk sollte einer geneigten Leserschaft seinerzeit noch einmal verdeutlichen, wer beim Kriegsgegner USA angeblich die Macht hat und dass die Endlösung daher auch in Übersee exekutiert werden muss. Es blieb längst nicht die einzige Propagandaschrift dieses Autors – andere von ihm verfasste Bücher trugen Titel wie Juden sehen dich an oder Blut und Rasse in der Gesetzgebung –, der es mit seinen Kenntnissen in Rechts-, Wirtschafts- und politische Geschichte auf rassischer Grundlage in Deutschland zu professoralen Ehren brachte, eine lebenslange Männerfreundschaft mit Heinrich Himmler und Joseph Goebbels pflegte, schon früh in die NSDAP eintrat und dort einer der Vordenker des Lebensborn-Projektes und der Judenvernichtung war. Außerdem entdeckte von Leers bald den Islam als Bündnispartner der Nationalsozialisten und den gemeinsamen Judenhass als Fundament dieser Beziehung. Bereits Mohammeds antijüdische Feindseligkeiten hätten das „orientalische Judentum“ paralysiert, schrieb der 1902 geborene NS-Publizist. „Wenn der Rest der Welt eine ähnliche Politik betrieben hätte, hätten wir heute keine Judenfrage. Der Islam hat der Welt als Religion einen Dienst für die Ewigkeit geleistet.“
Nach der Niederschlagung des Nationalsozialismus floh von Leers erst nach Italien und dann nach Argentinien, wo er unter anderem die nationalsozialistische Zeitschrift Der Weg herausgab und beste Kontakte zu Adolf Eichmann pflegte. Nach dem Sturz Perons ging er 1955 schließlich nach Kairo. Dort arbeitete er für die ägyptische Regierung, konvertierte – ermutigt von seinem Freund Hadj Amin el-Husseini, dem vormaligen Mufti von Jerusalem – zum Islam und hieß fortan „Mustafa Ben Ali“ und „Omer Amin Johann von Leers“. Er sponserte die arabische Ausgabe der Protokolle der Weisen von Zion, verfasste und sendete antisemitische Traktate in mehreren Sprachen und stand mit der ersten Generation von Holocaustleugnern wie Paul Rassinier in enger Verbindung. Zudem fungierte er als Kontaktperson für die Organisation der ehemaligen SS-Angehörigen (ODESSA) im arabischen Raum. Johann von Leers starb 1965 in Kairo.
Nun ließe sich einwenden, der Campus-Verlag habe vermutlich gar nicht gewusst, welche historische Tradition er mit seiner Neuerscheinung Die Israel-Lobby bereits auf dem Umschlag pflegt. Aber das wäre kein Argument. Denn dass eine mit Davidsternen versehene amerikanische Flagge ein durch und durch antisemitisches Symbol ist, kann man auch wissen, ohne den Namen Johann von Leers jemals gehört oder gelesen zu haben. Andererseits ist die grafische Gestaltung der Titelseite nur konsequent und überdies offenherzig: Ein antisemitisches Buch wird so schon auf den ersten Blick als solches erkennbar. Das war zwar vermutlich nicht beabsichtigt, ist nichtsdestoweniger jedoch unbedingt zu begrüßen. Dass die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften einen Blick auf das Werk wirft, dürfte gleichwohl vermutlich zu viel verlangt sein.
Übrigens ist der Campus-Verlag, bei Lichte betrachtet, gar nicht das erste deutsche Publikationshaus, das Mearsheimers und Walts Wälzer veröffentlicht:* Das amerikanische Original erschien bei Farrar, Straus & Giroux. Und die gehören seit 1994 der – deutschen – Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck. Dort hat man Erfahrung mit antizionistischer Literatur. Denn auch der amerikanische Verlag Henry Holt ist Teil von Holtzbrinck; 1998 publizierte er in seiner Reihe Owl Books Norman G. Finkelsteins A Nation on Trial: The Goldhagen Thesis and Historical Truth (Eine Nation vor Gericht: Die Goldhagen-These und die historische Wahrheit). Sage ja niemand, 62 Jahre nach Auschwitz zahle sich Antisemitismus hierzulande nicht mehr aus.
* Herzlichen Dank an John Rosenthal für die sachdienlichen Hinweise.