13.11.08

Guilty by association



Es war so absehbar wie das „Allahu akbar!“ in der Moschee: Kaum, dass Barack Obama bekannt gegeben hat, dass er mit Rahm Emanuel einen dem jüdischen Staat womöglich freundlich gesinnten Juden zu seinem Stabschef zu ernennen gedenkt, drehen die Israelfeinde aller Couleur durch. Ein besonderes Highlight hat dabei John V. Whitbeck produziert. Whitbeck ist amerikanischer Völkerrechtler und Publizist mit Wohnsitz in Saudi-Arabien; er hat die palästinensische Seite bei Verhandlungen mit Israel beraten und unterweist zudem die Fatah. Im Juni 2001 wurde ihm für den Zeitraum von vier Jahren verboten, seiner Tätigkeit als Jurist nachzugehen, weil er für ein saudisches Unternehmen Geld gewaschen hatte. Der Mann lässt also keinen Zweifel daran, auf wessen Seite er steht, weshalb die linke Internetpostille Neue Rheinische Zeitung seinen Beitrag „The Promised Land? Obama, Emanuel and Israel“ denn auch in deutscher Übersetzung veröffentlichte.

Whitbecks Text ist ein Traktat, das vor Antisemitismus und sachlichen Fehlern nur so strotzt. Die ersten beiden richtig dicken Böcke schießt der Verfasser dabei gleich im zweiten Satz: „Rahm Emanuel ist israelischer Staatsbürger und Veteran der israelischen Armee.“ Zum einen dienen diese Behauptungen ganz offensichtlich vor allem dazu, Emanuels Loyalität gegenüber den USA anzuzweifeln – als Israeli und ehemaliger IDF-Soldat wäre er ja in erster Linie dem jüdischen Staat verpflichtet. Zum anderen sind sie schlicht falsch: Der in den USA geborene 48-Jährige hat seinen israelischen Pass bereits vor 30 Jahren abgegeben und besitzt seitdem nur noch einen amerikanischen. Und er ist auch kein Veteran: Seine einzige Betätigung für die israelischen Streitkräfte bestand in der Teilnahme an einem wenige Wochen dauernden Volunteer-Programm der IDF, bei dem Zivilisten während des Golfkrieges 1991 auf Armeestützpunkten aushalfen. Das kann, nein: das muss der Publizist Whitbeck selbstverständlich wissen, zumal bereits ein Blick in die Wikipedia genügt hätte. Dass er diese Falschmeldungen trotzdem verbreitet, lässt daher nur den Rückschluss auf seine antisemitische Motivation zu, die da lautet: Juden verhalten sich Israel gegenüber stets loyaler als gegenüber den Staaten, in denen sie leben.

Whitbecks folgender Verweis darauf, dass der Vater von Obamas designiertem Stabschef ein Irgun-Kämpfer gewesen sei, der seinen Sohn nach einem Angehörigen der Untergrundorganisation Lehi benannt habe, enthält ebenfalls nur eine höchst assoziative Botschaft: Wie der Herr, so’s G’scherr, das heißt: Rahm Emanuel ist ein jüdischer Terrorist. Man könnte ohne nennenswerte Übertreibung auch von Sippenhaftung sprechen, denn Whitbeck verzichtet darauf, sein auf guilty by association lautendes Urteil zu begründen. Ersatzweise zitiert er im nächsten Absatz einfach die in seinem Wohnort Djiddah erscheinende Zeitung Arab News, die in einem Leitartikel geschrieben habe: „Macht euch keine allzu großen Hoffnungen – Emanuel ist [Obamas] Stabschef, und das ist eine Botschaft. (…) Weit davon entfernt, Israel herauszufordern, könnte das neue Team genauso Pro-Israel sein wie das vorangegangene.“

Und das, findet Whitbeck, sei ja auch kein Wunder: „Es war schon immer einfacher, sich vorzustellen, dass Amerika einen schwarzen Präsidenten wählt, als dass irgendein amerikanischer Präsident die Unabhängigkeit seines Landes von israelischer Dominanz erklärt.“ Na logo: Selbst die unterdrückten Neger stehen unter der Fuchtel der jüdischen Weltverschwörung. Trotzdem gebe es noch Hoffnung, denn dank Obama werde sich „die Zahl der Djihadisten verringern, die bereit sind, ihr Leben zu opfern, um dem gehassten Empire einen Schlag zu versetzen“. Schließlich sei er einer der Ihren: „Seine Eloquenz, seine Geschichte, seine Hautfarbe und sein Mittelname [Hussein] könnten die über eine Billion Muslime in der Welt in den Bann ziehen, die heute gegenüber den USA zum großen Teil Verachtung und Hass empfinden.“

Abgesehen von der eklatanten Widersprüchlichkeit, mit der hier der neue Präsident der Vereinigten Staaten erst als Parteigänger der „zionistischen Lobby“ und dann als hoffnungsvoller Blutsbruder präsentiert wird, sticht eine bizarre Zahl ins Auge: „über eine Billion Muslime“! Hat sich diese Bevölkerungsgruppe, an der doch angeblich ein Genozid menschheitsgeschichtlichen Ausmaßes verbrochen wird, plötzlich exponentiell vergrößert? Herrscht also überall in der Welt eine drangvolle Enge wie im Gazastreifen? Nein – es handelt sich nur um ein Missgeschick der Übersetzerin, die das englische Wort „billion“ nicht, wie es richtig gewesen wäre, mit „Milliarde“ übersetzt hat, sondern mal eben mit dem Tausendfachen. Vielleicht war hier ja der Wunsch Vater des Gedankens – man weiß es nicht, man steckt nicht drin. Dieser Übersetzungsfehler ist zumindest insofern bemerkenswert, als die Neue Rheinische Zeitung an anderer Stelle überaus großen Wert auf das korrekte Zitieren eines Politikers gelegt hat: Mahmud Ahmadinedjad, so hieß es dort, habe nämlich gar nicht die Vernichtung Israels gefordert, wie es die allmächtige „USA-Israel-Lobby“ behaupte, sondern lediglich gesagt: „Das Besatzungsregime muss von den Seiten der Geschichte verschwinden.“ Über eine Billion vollkommen friedlicher Muslime sind da gewiss einer Meinung
mit ihm.

Doch zurück zu John V. Whitbeck, der auch noch das dümmste Märchen als Argument bringt: „Die tiefe Verachtung und der Hass, die die muslimische Welt gegenüber den USA empfindet, wurzeln in Amerikas bedingungsloser Unterstützung für das Unrecht, das den Palästinensern angetan wurde und wird. Dies muss wohl als das Kernproblem der Außenpolitik der USA und ihrer nationalen Sicherheit in den letzten Jahren gesehen werden.“ Kurz: Keine amerikanische Unterstützung Israels = kein Hass der Muslime gegen die USA. Noch kürzer: Kein Israel = Weltfrieden. Schließlich ist der Terror der Islamisten ja bloß eine allemal verständliche Reaktion auf erlittenes Unrecht und keinesfalls antisemitisch motiviert. Ohnehin wäre die Welt oder doch wenigstens der Nahe Osten Whitbeck zufolge nachgerade ein Paradies, würde man nur endlich die Idee einer Zweistaatenlösung verwerfen: „Nach einer langen, kostspieligen und schmerzhaften Ablenkung könnte die palästinensische Führung zu Grundprinzipien zurückkehren und sich endlich dem Ziel widmen, einen demokratischen, nicht rassistischen und nicht sektiererischen Staat in ganz Israel/Palästina zu schaffen, mit gleichen Rechten für all seine Bewohner.“ Zu denen – und darüber täuscht die ganze Demokratiehuberei nicht hinweg – dann allerdings keine Juden mehr gehören würden. Grundprinzip ist schließlich Grundprinzip.

Von Paul Spiegel, dem verstorbenen früheren Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, stammt der Satz: „Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die Mörder.“ John V. Whitbeck hat neuerlich den Beweis angetreten, wie Recht Spiegel hatte. Und mit ihm eine linke deutsche Onlinezeitung, die in amerikanischen Präsidenten bloße Erfüllungsgehilfen der angeblichen jüdisch-israelischen Allmacht sieht. Doch sie steht – und das ist das so Entscheidende wie Grausame – längst nicht alleine da.

Herzlichen Dank an Stefan Frank und Claudio Casula für wertvolle Hinweise.