3.3.09

Kapitalvernichtung in Krisenzeiten



Die Hamas war zwar nicht zur „Geberkonferenz“ ins ägyptische Sharm al-Sheikh eingeladen worden, aber man kann getrost davon ausgehen, dass ihre Führer vor Freude über die Ergebnisse dieser Zusammenkunft das eine oder andere Tränchen verdrückt und ein Dabke-Tänzchen hingelegt haben. Mit über vier Milliarden Euro – und damit gleich doppelt so viel wie von der wenig bescheidenen Palästinensischen Autonomiebehörde gefordert – wollen die „Geberländer“ nun in den nächsten zwei Jahren den „Wiederaufbau“ des Gazastreifens alimentieren. Natürlich versprachen sie pflichtschuldigst, die Gotteskrieger sähen davon keinen Heller – allein: Es blieb offen, wie das in einem von der Hamas vollständig kontrollierten Gebiet eigentlich bewerkstelligt werden soll, will man keine monströse Kapitalvernichtung betreiben. Die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton sagte lediglich, Washington werde „dafür sorgen, dass die Extremisten nichts von diesem Geld erhalten“. Da kamen den Hamas-Granden erneut die Tränen, diesmal jedoch nicht vor Rührung, sondern vor Lachen.

Freude herrschte aber auch bei den spendablen Teilnehmern der Konferenz – Freude und trotzige Entschlossenheit. „Die Welt kann es sich nicht länger leisten, den Weltfrieden von der Laune und den Interessen der Extremisten auf beiden Seiten der Konfliktparteien abhängig zu machen“, formulierte Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy nachgerade prototypisch die europäische Äquidistanz aus, mit der de facto das israelische Recht auf Selbstverteidigung verneint wird. Hillary Clinton wiederum forderte „die Zwei-Staaten-Lösung, und zwar schnell“ – schneller womöglich noch, als Kassam-Raketen fliegen können. Und ein anderer amerikanischer Diplomat wird von Spiegel Online mit den Worten zitiert: „Die Tage sind vorbei, als sich israelische Ministerpräsidenten einfach mit Washington verbinden ließen, um politische Anweisungen zu erteilen.“ Da bedankte sich Syriens Außenminister Walid al-Muallim aufs Herzlichste bei Clinton, und der Vizegeneralsekretär der Arabischen Liga, Muhammad Sobeih, stieß spitze Schreie der Verzückung aus.

Dies gewiss umso mehr, als die prallen Zuwendungen an keinerlei Bedingungen geknüpft sind, die ihren Namen verdienten. Die Palästinenser sollten sich untereinander halt wieder vertragen, wurde gemurmelt. Dass die Hamas darauf kaum erpicht ist und schon gar kein Interesse an einem Ende der Raketenangriffe auf Israel hat – den Waffenstillstand hält sie wie selbstverständlich nicht ein –, ignorierte man dabei so geflissentlich wie absichtsvoll. Dafür wurde der jüdische Staat schroff auf die „Grenzen von 1967“ verwiesen – eine Forderung übrigens, die die meisten Israelis gerne erfüllen würden, wenn sie dafür nur von Raketenterror und Selbstmordanschlägen verschont blieben. Es ist schon bizarr: Die Hamas wird für den jahrelangen Raketenbeschuss geradezu fürstlich belohnt, während man Israel de facto auffordert, Selbstmord zu begehen, indem man von ihm verlangt, sein Selbstverteidigungsrecht nach den Vorstellungen der „Geberländer“ auszuüben – also am besten gar nicht.

Und dass der Bevölkerung des Gazastreifens ein Gefallen getan wird, wenn man Alimente ausschüttet, die sich die Hamas unter den Nagel reißt, darf man zumindest bezweifeln. Die britische Schriftstellerin Yvonne Green hat soeben in einem äußerst lesenswerten Reisebericht für die Jerusalem Post beschrieben, wie es in und um Gaza aussieht. Was sie wahrnahm, hatte mit den – fast ausnahmslos auf palästinensische Quellen gestützten – deutschen und europäischen Lageberichten nichts gemein: „Der Gazastreifen, den ich sah, war gesellschaftlich intakt. Es gab keine Obdachlosen, verletzt umher Irrende, hungrige oder notdürftig bekleidete Menschen. Die Straßen waren belebt. Die Läden waren mit bestickten Kleidern und riesigen Kochtöpfen behängt, die Märkte voll frischem Fleisch und wunderschönem Gemüse [...]. Mütter, begleitet von dreizehnjährigen Buben, erzählten mir, dass sie es satt hätten, außer Haus zu sein, den ganzen Tag auf Trümmern herumzusitzen und der Presse zu erzählen, wie sie überlebt hätten. [...] Niemand pries die Regierung, während sie mir die Tunnel zeigten, in die Kämpfer verschwanden. Niemand erklärte Hamas zum Sieger dafür, dass sie eine zivile Front geschaffen hatten, während sie mir die Reste von verminten Häusern und Schulen zeigten.“

Green begab sich auch an Orte vorgeblicher israelischer Kriegsverbrechen – und fand dort vor allem Belege für palästinensische Inszenierungen und Mythenbildungen, angefangen bei der Zahl der Toten und Verletzten und noch längst nicht beendet bei der angeblich durch die israelische Armee beschossenen UN-Schule: „Beim Anblick von Al-Fakhora ist es unmöglich nachzuvollziehen, wie UN und Presse je behaupten konnten, die Schule sei von israelischen Panzergranaten getroffen worden. Die Schule, wie der Großteil von Gaza-Stadt, war offensichtlich intakt. Mir wurde der Punkt gezeigt, von wo die Hamas aus der Umgebung der Schule gefeuert hatte, und die Anzeichen der israelischen Geschosse auf der Straße außerhalb der Schule waren unverkennbar. Ich traf Mona al-Ashkor, eine der 40 Verletzten, die auf Al-Fahora zurannten – und sich nicht darin aufhielten, wie weithin und wiederholt berichtet wurde. Ich erfuhr, dass Israel die Leute gewarnt hatte, nicht in die Schule zu fliehen, weil die Hamas in der Umgebung operierte. Einige Menschen hatten die Warnung ignoriert, weil die UNRWA ihnen sagte, dass sie in der Schule sicher seien. Presseberichten, wonach 40 Menschen getötet wurden, wurden bestritten.“ Greens Einschätzung wird inzwischen übrigens nicht einmal mehr von der Uno selbst bestritten.

Unterdessen freut sich die Hamas schon auf die nächste Konferenz – die just heute in Teheran beginnt und sich um „israelische Kriegsverbrechen“ dreht. „Nähere Einzelheiten wurden zunächst nicht bekannt gegeben“, meldete die Deutsche Presse-Agentur, die gleichwohl ohne weiteres Risiko zu der Einschätzung gelangen konnte, dass die Veranstaltung eine „Unterstützung für die radikal-islamische Hamas im Gazastreifen“ ist. De iure war das die „Geberkonferenz“ in Sharm al-Sheikh zwar vielleicht nicht, de facto aber sehr wohl – das ist bezeichnend genug. Und so kann sich die Gotteskriegertruppe in Bälde güldene Abschussrampen leisten – sowie Raketen, die mit Allahs Wille und iranischer Hilfe noch ein bisschen weiter fliegen als bisher. Wenn Israel dann die Antwort erneut nicht schuldig bleibt, sind wieder ein paar Milliarden fällig. Und damit die nächsten Freudentränen und Dabke-Tänzchen bei der Hamas.

Herzlichen Dank an Mona Rieboldt und Claudio Casula für wertvolle Hinweise. – Das Foto zeigt (von links) die Hamas-Führer Ismail Hanija und Khaled Meshaal nebst Palästinenserpräsident Mahmud Abbas von der Fatah.