17.6.09

Where’s the support?



Es ist schon erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit die hunderttausenden oppositionellen Demonstranten im Iran in den meisten deutschen und europäischen Medien einfach unter der Rubrik „Moussavi-Anhänger“ zusammengefasst werden. Für manche Teilnehmer an den riesigen Aufzügen mag diese Bezeichnung zwar unmittelbar zutreffen, und viele von ihnen haben Moussavi bei der „Wahl“ auch ihre Stimme gegeben. Aber die Beweggründe für die größten Demonstrationen im Iran seit 1979 dürften deutlich weiter reichen – weiter auch, als ausschließlich ein Protest gegen die wahrscheinliche Manipulation der „Wahl“-Ergebnisse zu sein: „Die Demonstranten benutzen den Konflikt innerhalb des islamistischen Apparates, also vor allem zwischen Ahmadinedjad und Moussavi, um gegen das System zu protestieren“, sagte Wahied Wahdat-Hagh, Publizist und Senior Research Fellow bei der European Foundation for Democracy in Brüssel, im Interview mit der Zeit. „‚Tod der Diktatur’, rufen sie. Nur: Die Diktatur abschaffen will keiner der Kandidaten!“ Moussavi sei „kein Reformer, sondern selbst ein Hardliner“, befand Wahdat-Hagh, wie überhaupt gelte: „Das heutige politische System Irans ist nicht reformierbar.“

Wie lange sich die Proteste fortsetzen werden und ob sie sich möglicherweise sogar weiter ausdehnen, ist derzeit noch überhaupt nicht abzusehen. Was sich da auf den Straßen versammelt, ist eine ausgesprochen heterogene, disparate Bewegung ohne organisatorisches Zentrum, dafür aber mit einer ganz eigenen Dynamik. Und dafür gibt es Gründe: In der Mullah-Diktatur widerständische Strukturen aufzubauen, ist lebensgefährlich; hinzu kommt, dass im Laufe der Jahrzehnte etliche Oppositionelle das Land verlassen haben und ihre politischen Aktivitäten im Exil entfalten mussten. In diesen Tagen mobilisieren deshalb nicht Parteien oder Organisationen zu den Demonstrationen gegen das Regime, sondern die Demonstranten tun es hunderttausendfach selbst: einerseits über modernste Kommunikationsmittel wie Twitter, Facebook und Blogs, andererseits durch die gute alte Mundpropaganda. Mit ihren Handys nehmen sie Fotos oder Videosequenzen auf und stellen sie ins Netz. Mag das Regime auch das Mobilfunknetz außer Funktion setzen und Journalisten massiv in ihrer Arbeit einschränken – es kann nicht verhindern, dass Berichte und Bilder veröffentlicht werden.

Und es kommt der Wut und dem Freiheitsstreben großer Teile der iranischen Bevölkerung auch nicht durch brutale Repression bei – bis jetzt zumindest nicht. Die Demonstranten ignorieren selbst Moussavis Aufforderungen, zu Hause zu bleiben. Die Mullahs sind deshalb erkennbar nervös; dass sie nicht mehr ausschließlich auf rohe Gewalt setzen, sondern zur Beruhigung der Lage auch ein paar vermeintliche Konzessionen gewähren (wozu die Ankündigung gehört, einen Teil der Stimmen neu auszuzählen – was mit Sicherheit zu keiner nennenswerten Änderung des Ergebnisses führen wird) und ansonsten „ausländische Mächte“ bezichtigen, Drahtzieher der Demonstrationen zu sein, sind deutliche Zeichen dafür. Die Theokraten spüren, dass sie die Massenproteste weder verhindern noch kontrollieren können – und dass die Möglichkeit besteht, von ihnen überrollt zu werden. Sie spielen momentan auf Zeit und bauen auf die Ermüdung, Abnutzung und Zermürbung der Demonstranten. Zumindest eines ist sicher: Die Hoffnung auf einen Regime Change hatte noch nie so viel Substanz wie jetzt – ob dieser Wechsel auch wahrscheinlich ist, steht auf einem anderen Blatt.

Extrem wichtig, ja, unverzichtbar ist daher eine Unterstützung dieses mutigen Protestes auch von außen. Doch in dieser Hinsicht tut sich bislang noch erbärmlich wenig. Der amerikanische Präsident Barack Obama etwa fühlt sich ein bisschen „troubled“ und ergeht sich in Nullsätzen; auch von europäischen Politikern kommen bestenfalls die obligatorischen Keine-Gewalt-Phrasen. Dabei wäre es so einfach: Sie könnten beispielsweise der Farce namens „Wahlen“ konzertiert die Anerkennung verweigern und den Einsatz internationaler Beobachter fordern. Sie könnten die Wirtschaftsbeziehungen ihrer Staaten mit dem Mullah-Regime endlich einstellen und wirksame (!) Sanktionen erlassen. Sie könnten auf die Freilassung der politischen Gefangenen aus den Gefängnissen drängen und zumindest verbal ihre Solidarität mit den Aktivitäten der oppositionellen iranischen Demonstranten bekunden. Doch kaum etwas davon geschieht auch nur ansatzweise; stattdessen herrscht business as usual. Und jede Wette: Noch die blutigste Niederschlagung der Proteste würde vor allem dazu führen, dass die „Nahostexperten“ in Politik und Medien „erst recht“ für eine Fortsetzung des „Dialogs“ mit den Mullahs plädieren. Die Welt darf sich schließlich nicht ändern, auch wenn alles in Scherben fällt.

Update 21.30 Uhr: Wer sagt’s denn? – „Bundestag unterstützt die Demonstrationen“. Manchmal täuscht man sich wirklich gerne.

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