Echte Kerle

Nun jedoch hat Marco Materazzi, dessen Brustbein so unsanft traktiert wurde, mit knapp zweimonatiger Verspätung kund getan, was „Zizou“ so in Rage brachte. „Ich habe an seinem Trikot gezogen. Da hat er gesagt: Wenn ich sein Trikot unbedingt haben wolle, könne ich es ja nach dem Abpfiff haben. Ich habe geantwortet, dass mir seine Schwester lieber wäre“, schilderte Materazzi gestern den – angeblichen – Ablauf seines Dialogs mit dem Spielmacher der Franzosen. Letzterer hatte auf den Textiltest des Italieners zweifellos den intelligenteren Kommentar parat; durch Materazzis Reaktion fühlte sich Zidane in punkto Schlagfertigkeit gleichwohl ganz offensichtlich final herausgefordert. Eine Auseinandersetzung unter echten Kerlen eben, die unbedingt die Frage „Mann oder Memme?“ klären wollten, nicht mehr und nicht weniger. Womöglich wäre der Ablauf bei einer umgekehrten Rollenverteilung ganz ähnlich gewesen. Mehr Niveau als auf einer gewöhnlichen Dorfkirmes darf man beim Fußball einfach nicht erwarten – weder auf dem Feld noch auf den Tribünen, wo Sprechchöre und Gesänge an der Tagesordnung sind, mit denen Fans und gegnerische Spieler wahlweise der falschen sexuellen Neigung geziehen, als Zöglinge von Prostituierten verhöhnt oder zu inzestuösen Kreaturen herabgewürdigt werden („Eure Eltern sind Geschwister“).

Doch das Endspiel einer Fußball-WM zu wiederholen, wäre zweifellos arg unverhältnismäßig gewesen, und ein Interesse daran hatten weder die unterlegenen Franzosen – die die Einspruchsfrist wohl genau deshalb auch verstreichen ließen – noch die sonst für unangenehme Überraschungen jedweder Art berüchtigten Bürokraten der FIFA. Gelegenheit zur Revanche besteht für Frankreich dennoch: In einem Qualifikationsspiel zur Europameisterschaft 2008 trifft die Equipe Tricolore am heutigen Mittwochabend in Paris erneut auf den Weltmeister. Zidane ist nicht dabei; er hat seine Karriere bekanntlich inzwischen beendet, wäre wegen seiner roten Karte im WM-Finale jedoch ohnehin nicht spielberechtigt gewesen. Und auch Materazzi wird fehlen: Er wurde wegen seiner Provokation im Endspiel nachträglich für zwei Länderspiele gesperrt. Einer wird darüber vermutlich nicht unglücklich sein: der Schiedsrichter. Der heißt Herbert Fandel, kommt aus Deutschland – und wird sich gewiss noch einmal durchgelesen haben, bis wann er im Fall der Fälle eine Karte zücken darf.