7.9.06

Kinder in der Kiste

Die Älteren unter uns erinnern sich vielleicht noch an eine Sendung, die in den achtziger Jahren regelmäßig im Nachmittagsprogramm der ARD lief und mit einer Mischung aus penetrantem Sozialkitsch und infantilem Nonsens etwas kreierte, das man heutzutage wohl Format nennen würde. Annemieke Kesselaar – die Tochter von Rudi Carrell – und Dieter Klar zerrten Minderjährige vor Kameras und Mikrofone, die wahlweise ihre Haustiere zeigten, alberne Grimassen schnitten, Mitleid für ihr Übergewicht einklagten oder altklug über die gesammelten Ungerechtigkeiten dieser Welt dozierten. „Kinder in der Kiste“ hieß der Viertelstünder, bei dem nicht so ganz klar war, ob mit ihm erwachsene Menschen ihre eigene Regression als Fortschritt zu verkaufen gedachten oder ihren Schutzbefohlenen ernsthaft so etwas wie Fantasie und Kreativität eintrichtern wollten. Aber das Ganze war irgendwie auch epochal harmlos, tat niemandem so recht weh und bot dem Nachwuchs die Möglichkeit, Seinesgleichen gepflegt zu langweilen.

Mehr als zwanzig Jahre später ist die Welt, nun ja, unübersichtlicher geworden. Gefahren lauern allenthalben, und schuld daran ist bekanntlich zuvörderst das, was da so aus der Glotze erst auf die Kurzen herniederprasselt und sich später vermeintlich naturwüchsig reproduziert: Mord, Totschlag, Krieg und Gewalt. Dagegen erfand man erst die Teletubbies und später Pokémon, also nur ausgesucht Anspruchsloses und pädagogisch daher garantiert Wertvolles. Doch der Teufel steckt wie immer im Detail, und sei es in Form einer scheinbar unverfänglichen nachmittäglichen Werbung für Schokoladeneier und ihre darin zusammengepferchten Bastelsätze. Eigentlich war das natürlich alles gar nicht so gemeint mit dem Eintauchen in die süße Überraschungswelt, aber zumindest im Allgäu hat ein Dreijähriger die Gelegenheit, schon früh ins Fernsehen zu kommen, nicht ungenutzt verstreichen lassen. Bei seiner Mutter mochte sich Stolz auf den entschlossenen Sohn jedoch nicht so recht einstellen; sie klagt nun – na klar – die „Werbeindustrie“ an, „unverantwortliche“ Spots zu drehen. Im Grunde ist das aber durchaus beruhigend: Schlimmer als Kinder vor der Kiste sind allemal Kinder in der Kiste. Das war schon in den Achtzigern so.

Zeichnung: André Poloczek