Dänische Kommunikationsguerilla
Die Frau war aufgebracht und wild entschlossen. „Kann ich hier gegen die vielen Ausländer unterschreiben?“, fragte sie die Betreiber eines Standes in der Marbacher Fußgängerzone. „Nein, hier können Sie gegen die doppelte Staatshörigkeit und für die Integration der CDU unterschreiben“, bekam sie zur Antwort – da bat sie um einen Stift. „Staatshörigkeit“ stand auf den Unterschriftenlisten, nicht „Staatsangehörigkeit“, und auch der restliche Text des Aufrufs wich nicht unerheblich von dem der CDU ab, die vor knapp acht Jahren Autogramme gegen den Doppelpass sammelte. „Deutsche Bürger stehen oft erst am Anfang einer gelungenen Integration. Ein klare Kenntnis der Grundzüge zivilen Verhaltens ist daher gerade für Deutsche unverzichtbar“, hieß es etwa, und bei den „Eckpunkten für ein Konzept zur Integration der CDU/CSU“ las man unter anderem: „Kultur und Bildung dürfen nicht nur den Nicht-Deutschen vorbehalten bleiben. Auch die Deutschen müssen sich dieser Anstrengung unterziehen. Benimmkurse und Fernsehverbot erscheinen uns als geeignete Mittel, um öffentliches Urinieren und regelmäßige Drogenexzesse einzudämmen. Es kann nicht angehen, dass es vor allem der Konsum von Alkohol und insbesondere Bier ist, der weithin das Bild des Deutschen im Ausland prägt.“
Von den Unterschriftswilligen schaute sich jedoch kaum jemand den Appell genau an, dessen optische Erscheinung dem der CDU-Kampagne nachempfunden war. Einzelne Bürger nahmen sogar Listen mit nach Hause, unterschrieben sie dort und schickten sie anschließend an den Marbacher CDU-Ortsvorsitzenden. Die Aktion einer Initiative aus der Neckarstadt, die es in ähnlicher Form auch in zahlreichen anderen deutschen Städten gab – teilweise sogar um einen „Sprachtest zur Überprüfung der Integrationsfähigkeit und Integrationsbereitschaft der Deutschen“ ergänzt –, sorgte für einige Aufregung, und die Presse berichtete ausführlich über die ungewöhnliche Maßnahme, mit der das Ansinnen der Unionsparteien, den Wahlkampf durch das Thema „Ausländer“ zu verschärfen, kritisiert wurde.
Kommunikationsguerilla nennt sich das Konzept, dem die Marbacher Aktivisten folgten; zu seinem Repertoire gehört eine ganze Reihe nicht alltäglicher Protestformen wie beispielsweise die Camouflage, das Fake, die Verfremdung, die Umdeutung, die Satire oder die Überspitzung. Ziel ist es, Irritation und Verunsicherung herbeizuführen, gewohnte Codes zu instrumentalisieren oder vertraute Verhaltensmuster umzudrehen; im Unterschied zu herkömmlichen Protestformen wie Demonstrationen, Petitionen oder Flugblättern erreichen die Kommunikationsguerilleros mit relativ geringem Aufwand oft wesentlich mehr Aufmerksamkeit und nicht selten durch die (selbst-)ironische Art der Inszenierung auch mehr Sympathien für ihr Anliegen. Im Falle der geschilderten Aktion gegen die Unterschriftensammlung etwa gelang es den Initiatoren vermutlich weit besser, Absichten und Folgen des CDU-Wahlkampfs zu verdeutlichen, als es etwa durch Kundgebungen möglich gewesen wäre; grundsätzlich sollen letztere durch Kommunikationsguerilla-Aktivitäten jedoch nicht ersetzt, sondern ergänzt werden.
Seit knapp einem Jahr gibt es in Dänemark eine zweiköpfige Gruppe namens Surrend, die sich vor allem der Idee verschrieben hat, „die mächtigen Männer dieser Welt lächerlich zu machen“, und die bereits in sechs verschiedenen Ländern für Aufsehen sorgte. In Weißrussland etwa klebte Surrend zahlreiche propagandistisch gestylte Poster mit dem Konterfei des Diktators Lukashenko und verschiedenen Parolen; eine davon lautete „Du bist so schön wie eine Kartoffel“, eine andere „Du beherrschst die Sonne, den Mond und die Korruption“. Am gestrigen Mittwoch trat das Surrend-Team erneut in Aktion – und diesmal traf es Mahmud Ahmadinedjad: In der Tehran Times erschien eine halbseitige Anzeige mit dem Konterfei des iranischen Präsidenten; darunter standen in englischer Sprache politische Forderungen:
Unterstützt seinen Kampf gegen BushUnterschrieben war das Ganze mit „Dänen für den Weltfrieden“, und auf den ersten Blick sah die Botschaft ganz nach einer Sympathieerklärung für Ahmadinedjad aus. Doch bei genauerem Hinsehen ergaben die Anfangsbuchstaben des Fünfzeilers, von oben nach unten gelesen, das Wort „S-W-I-N-E“, Schwein. „Wir haben es getan, um eine Reaktion auszulösen. Es gibt eine junge Bevölkerung im Iran, die mehr Freiheiten wünscht. Hoffentlich werden sie dadurch inspiriert“, klärte Surrend-Mitglied Jan Egesborg über die Absicht der Aktion auf, und er ergänzte: „Das ist nichts gegen das Land oder die Leute, sondern gegen die Person an der Macht. Wir dachten uns, wir nehmen Ahmadinedjad auf die Schippe, denn er ist nicht sehr liberal oder feinfühlig. Wir meinen, dass er eine extreme Ideologie repräsentiert.“ Bei der Tehran Times war man hingegen not amused und erklärte, die Künstlergruppe habe behauptet, ihre Anzeige sei ein Akt der Solidarität mit dem Iran sowie eine Wiedergutmachung für die Veröffentlichung der Mohammed-Cartoons im vergangenen Jahr. Doch nun werde der Hass gegen die Dänen wieder wachsen.
Auch wir haben Bush satt
Iran hat das Recht, Atomenergie zu produzieren
Keine US-Aggression gegen irgendein Land
Böses US-Militär, bleib zu Hause
Denn bei den Mullahs versteht man bekanntlich keinen Spaß, den man nicht selbst ins Werk gesetzt hat. Man darf gespannt sein, was für Reaktionen die in des Wortes bester Bedeutung subversive Tat von Surrend auslöst, mit der der iranische Präsident in einem regimetreuen Medium der Lächerlichkeit preisgegeben wurde. So etwas kratzt zumindest ein wenig an der Autorität, weil es zeigt, dass die Zensur unterlaufen werden kann. Viel mehr kann man von einer Kommunikationsguerilla wirklich nicht erwarten.
Hattip: barbarashm