Borats Casablanca
Seit einigen Wochen ist „Borat“ nun auch in den deutschen Kinos zu sehen, und wie zu erwarten war, gerät er zu einem veritablen Publikumserfolg. Warum die Zuschauer hierzulande über den Streifen lachen, möchte man manchmal lieber nicht so genau wissen; dass die Heiterkeit entweder auf dem Glauben beruht, hier führe endlich mal einer nach allen Regeln der Kunst die hinterwäldlerischen und bornierten Amerikaner vor, oder gleich dem Vergnügen über die scheinbar antisemitischen, rassistischen, sexistischen und homophoben Tabubrüche des Protagonisten folgt, dürfte jedoch keine prinzipiell abwegige Erklärung sein. Sacha Baron Cohen, dem Filmemacher und Hauptdarsteller also, ist es gleichwohl nicht vorzuwerfen, dass er auf ein aufgeklärtes oder doch zumindest aufklärbares Publikum setzt; sein Objekt sind selbstverständlich nicht die Minderheiten, sondern die Ressentiments gegen sie, und seine Methode ist nicht der Zynismus, sondern dessen Kritik.
Dabei demonstriert „Borat“ jedoch bei weitem nicht nur die relative Alltäglichkeit dessen, was eigentlich der Ausnahmezustand zu sein hätte; vielmehr zeigt der Film auch eine Reihe von Menschen, die beharrlich und geduldig mit dem seltsamen Gast verfahren, hilfsbereit sind und bis an die Grenze des für sie selbst Erträglichen gehen. Cohen „konstatiert nüchtern die Freiheit, die es einem gestattet, sich daneben zu benehmen, ohne Angst fremd zu sein und dennoch auf einen massiven Integrationswillen zu stoßen“, analysierte das Weblog Nichtidentisches den Film in einem lesenswerten Kommentar und ergänzte: „In den USA hat ein solcher Film einen unglaublichen Erfolg, in Deutschland wäre ein ähnlicher Film über Sachsen-Anhalt kaum möglich, hier ist Reflexionsgeheische und [das] obligatorische Timbre der Sozialkritik stets nur Selbstbeweihräucherung.“
Da dem Feuilleton – von Ausnahmen abgesehen – durchaus klar ist, dass es sich bei „Borat“ definitiv nicht um eine judenfeindliche, xenophobe sowie Frauen und Schwule hassende Produktion handelt, und es zudem vermutlich ahnt, dass die Botschaft des Films weitaus desaströser ausgefallen wäre, wenn dieser sich auf Europa und namentlich auf Deutschland kapriziert hätte, reiten vor allem die Printmedien inzwischen mit Genugtuung ihre bigotten Attacken auf Cohen: Die Bewohner des rumänischen Dorfes Glod etwa – das als „kasachischer“ Heimatort von „Borat“ diente – soll er überrumpelt und ausgenutzt haben, und auch die Prügel, die er kürzlich bezog, schienen irgendwo folgerichtig. Völlig daneben liegt man wohl nicht, wenn man aus solchen Meldungen eine deutsche Eifersucht herausliest – die Eifersucht darauf, nicht an Cohens Stelle mit denselben derben Mitteln die vermeintliche Beschränktheit der Osteuropäer und die angebliche Schlechtigkeit der Amerikaner offen legen zu können, weil das, was „Borat“ nur spielt, in Deutschland dereinst Realität war, bis heute fortwirkt und allemal heftigen Anstoß bei den ehemals und prospektiv Betroffenen erregen würde.
Gibt es dennoch eine Kritik an diesem Film, die ihren Namen verdient? Es gibt sie: Charles Krauthammer (Foto) räsoniert in der Washington Post darüber, warum Cohen den Antisemitismus eigentlich ausgerechnet in den USA gesucht hat und nicht in Europa oder der islamischen Welt, wo er weit bedrohlicher ist – eine Frage, auf die hierzulande niemand auch nur kommen würde. Lizas Welt hat den Beitrag ins Deutsche übersetzt.
Charles Krauthammer
Nur ein antisemitischer Lacher? Kaum.
Washington Post, 24. November 2006
„Borat“ ist vieles: ein zwerchfellerschütternder Triumph des Slapstick und der Fäkalsprache, ein absoluter Kassenschlager und eine blühende Franchise, das Schlimmste, was Kasachstan seit den mongolischen Horden passiert ist, und – wie der Kolumnist David Brooks verdeutlichte – oberster Ausweis eines elitären Snobismus, der die Erniedrigung gefoppter Hinterwäldler feiert. Aber er ist noch mehr; etwas, auf das Brooks en passant anspielte, das aber einer ausführlicheren Würdigung bedarf: eine unbeabsichtigt aufschlussreiche Demonstration der bedauerlichen Einstellung, die viele liberale Juden gegenüber amerikanischen Christen, vor allem den evangelikalen, aus der Arbeiterschaft haben.
Sie kennen das Stück. Borat reist durch Amerika und macht antisemitische Bemerkungen, um eine zustimmende antisemitische Reaktion auszulösen. Und mit genügend Alkohol und Schmeicheleien hat er auch Erfolg. In der berüchtigtsten dieser Szenen (in der „Ali G-Show“, wo die Figur geboren wurde) singt Borat in einer Bar in Arizona „Werft die Juden in den Brunnen“, und die Dorftrottel machen mit.
Sacha Baron Cohen, der Macher von Borat, offenbarte den Zweck dieses Unterfangens in einem der seltenen Interviews abseits seiner Rolle, das er Rolling Stone auszugsweise gewährte, um der Beschuldigung entgegenzutreten, er fördere Antisemitismus. Auf den ersten Blick wäre das auch seltsam angesichts der Tatsache, dass Cohen selbst ein den Shabbat achtender Jude ist. Er erwidert, dass er Borats Antisemitismus als „Werkzeug“ benutze, um ihn bei anderen bloßzulegen, und dass sein Trick in der Arizona-Bar wenn nicht Antisemitismus, dann doch zumindest eine „Gleichgültigkeit“ gegenüber Antisemitismus offenbart habe. Und das, so behauptet er, sei der Weg zum Holocaust gewesen.
Waaah! Glaubt er wirklich solch einen Unsinn? Glaubt ein solch smarter Mann (erst Cambridge, dann Investment-Banker und nun ein brillanter Filmemacher) tatsächlich, dass man Gleichgültigkeit gegenüber Antisemitismus und den Weg zum Holocaust in einer Country- und Western-Bar in Tucson findet? Von allen Kneipen in allen Städten in aller Welt?* Angesichts des Antisemitismus, der in Europa neu erscheint und in der islamischen Welt wild wuchert; angesichts des Iran, der nach der ultimativen genozidalen Waffe strebt und seine Absicht verkündet, die größte jüdische Gemeinde der Welt – Israel – auszulöschen; angesichts der Tatsache, dass Amerika und insbesondere seine evangelikalen Christen als einziger nichtjüdischer Kreis überhaupt verbleiben, der diese belagerte jüdische Außenstelle zu verteidigen willens ist: Ist das amerikanische Landesinnere wirklich der Ort des Antisemitismus? Ist dies der Ort, zu dem man gehen muss, um ihn zu finden?
In Venezuela sagt Hugo Chávez, dass die „Nachkommen derer, die Christus gekreuzigt haben, den ganzen Wohlstand in der Welt in Besitz genommen haben“. Just in diesem Monat war Teheran Gastgeber eines internationalen Festivals der Holocaust-Cartoons mit genügend Hakennasen und Hörnern in den Hauptrollen, um Goebbels ein posthumes Lächeln zu schenken. Überall in der islamischen Welt sind die Zeitungen und das Fernsehen, die Schulbücher und Predigten voll des widerwärtigsten Antisemitismus.
Baron Cohen hätte das, wonach er suchte, leicht näher an seiner Heimat finden können. Er kommt schließlich aus Europa, wo Synagogen abgebrannt und Friedhöfe entweiht werden; in einem Revival des Antisemitismus – nicht aus Gleichgültigkeit ihm gegenüber, sondern in aktiver Form –, das es seit dem Holocaust so nicht mehr gegeben hat. Wo ein Jude von französisch-afrikanischen Verbrechern zwecks Folter und Mord herausgepickt wird. Wo ein führender norwegischer Intellektueller – et tu, Norwegen? – über „Gottes auserwähltes Volk“ herzieht („Wir verlachen die Launenhaftigkeit dieses Volkes und heulen über seine Missetaten“) und nach der Zerstörung Israels – „des Staates, der auf den Ruinen einer archaischen nationalen und kriegerischen Religion gegründet wurde“ – ruft.
Und dennoch, inmitten dieser zunehmenden Dunkelheit, ist eine alarmierend große Zahl liberaler Juden in der Ansicht gefangen, dass die wirkliche Gefahr tief im Herzen der amerikanischen Protestanten lauert, speziell bei den Evangelikalen im Süden. Einige befürchten, dass ihre Kinder konvertiert werden; andere haben Angst, dass unter der Oberfläche ein Pogrom schlummert, das seines Ausbruchs harrt; wieder andere vermuten, dass die Evangelikalen die Macht in Washington übernehmen und ihre eigenen Sharia-Gesetze verordnen werden.
Das ist alles reichlich verrückt. Amerika ist das gastfreundlichste, in Bezug auf Religionen toleranteste, gegenüber Juden freundlichste Land der Welt. Keine Nation hat seit dem Persien Cyrus’ des Großen mehr für die Juden getan. Und zur Belohnung wird es von einem umher ziehenden Juden – der auf der Suche nach Lachern und, wie er uns feierlich versichert, dem Weg zum Holocaust ist – als latent antisemitisch entlarvt?
Schauen Sie: Harry Truman hat früher verächtliche jüdische Witze gemacht. Richard Nixon sagte üble Sachen über Juden in der Regierung und anderswo. Wen interessiert das? Truman und Nixon waren die beiden größten Freunde der Juden in der ganzen Nachkriegszeit: Truman sicherte ihnen eine Zuflucht im Staat Israel, und Nixon rettete sie während des Yom-Kippur-Krieges vor der Vernichtung.
Es ist heutzutage sehr hart, ein Jude zu sein, besonders in Baron Cohens Europa, wo antijüdische Hetze erneut akzeptabel wird. Aber es ist ein Zeichen der Orientierungslosigkeit eines verzweifelten und verwirrten Volkes, dass wir es so schwer finden, unsere Freunde von unseren Feinden zu unterscheiden.
* Diesen Satz sagt Rick alias Humphrey Bogart in Casablanca – im Original: „Of all the gin joints in all the towns in all the world, she had to walk into mine“ –, als Ilsa in seinem Café auftaucht. Charles Krauthammer meint mit seinem Filmzitat also sinngemäß: „ausgerechnet hier”.
Hattip: Olaf Kistenmacher