Külbels Fata Morgana
Es lässt sich schlechterdings nicht bestreiten, dass Verschwörungstheorien aller Art Reize zu bieten haben, denen nicht wenige Menschen auf diesem Planeten nur allzu gerne erliegen. Wen überkäme nicht ein – durch eine Mischung aus Faszination und Entsetzen ausgelöster – Schauer bei dem Gedanken, dass die Geschicke dieser Welt von einer überschaubaren Anzahl sinistrer Schurken gelenkt werden, die überall ihre Finger im Spiel haben? Die Vorteile dieses Glaubens an allgegenwärtige Konspirationen liegen auf der Hand: Wenn in einer unübersichtlichen und komplexen Welt das Unrecht, das die Völker der Erde gegen deren Willen knechtet, Name und Adresse bekommt, sind Gut – wir da unten – und Böse – die da oben – plötzlich sauber zu identifizieren; damit das vermeintlich Gute letztlich siegt, muss dem Bösen das Handwerk gelegt werden, und zwar schnell und möglichst restlos. Zu diesem Behufe – der Rettung des Globus’, ach was: des Universums also vor dem sicheren Untergang – schwangen und schwingen sich immer wieder die Durchblicker und Bescheidwisser samt ihrer Fanklubs auf, und mit traumwandlerischer Sicherheit landen sie fast alle bei den immergleichen Schuldigen: den Juden nämlich und ihren Bütteln, vor allem denen in Amerika. Wurzellos und unsichtbar sollen sie sein, überall und nirgends, im Verborgenen wirkend und alles zersetzend, verantwortlich für sämtliche Übel des Erdreichs von der schlechten Spargelernte und der Vogelgrippe über die Urbanisierung und die Promiskuität bis hin zu Finanzkapital und Krieg.
Und natürlich für alles, was den Heimatverbundenen und Autochthonen des islamischen Nahen Ostens tagtäglich widerfährt. Ein Stachel im Fleische der arabischen Welt sei Israel, wissen die Antisemiten jeglicher Couleur, und nur dessen Entfernung könne den kranken (Volks-) Körper der Eingeborenen wieder gesunden lassen. Zu diesem Heilungsprozess tragen folglich Selbstmordattentate genauso bei wie Katjuschas und Kassams; als Ausdruck der Verzweiflung entwürdigter und erniedrigter Subjekte gelten sie den Verständnisinnigen, als allemal verständliche Reaktion auf eine Fremdbestimmung, der man sich selbst rund um die Uhr ausgesetzt sieht, weshalb die todessehnsüchtige und vernichtungswütige Entschlossenheit der antiimperialistischen Vorposten namens Hamas oder Hizbollah nicht selten mehr als nur klammheimliche Sympathie beanspruchen kann: Sind sie nicht ehrliche und tatkräftige Vollstrecker des Volkswillens, also in gewisser Weise das, was man sich unter echter Demokratie vorstellt?
Was könnte, folgte man derlei Auffassungen, nach dem Wahlsieg der Hamas also Besseres passieren als die Übernahme der Macht im Libanon durch die Hizbollah? Einer, der dem gewiss nicht widersprechen würde, ist der Jürgen Cain Külbel – richtig, der Kommunist, Kriminalist und Karatekämpfer, der es auch schon mal recht ungezielt krachen lässt, wenn ihm einer krumm kommt. Seit er in den 1990er Jahren „das seltene Glück“ hatte, das arabische Landleben kennen zu lernen und seiner Tochter sowohl den Viehaustrieb als auch fellachische Liebeslieder zu ermöglichen, lässt ihn der Nahe Osten „überhaupt nicht mehr los“, wie er dem Muslim Markt freimütig gestand. Also arbeitet er weiter fleißig an einer Welt ohne die „Regierungsclique in Jerusalem, die auf ihrem Staatsterritorium in Geheimgefängnisse verschleppte In- und Ausländer foltern lässt und suspekte Menschen gezielt und ‚vorbeugend’ eliminiert“, und ohne die „Barbaren im Weißen Haus“, die „kriminellen Amerikaner“ also samt ihrer „schwachköpfigen Weltrettungsorgien“.
Ein besonderes Augenmerk hat Külbel auf den Libanon gerichtet. Vor etwas mehr als zwei Wochen wurde dort der Industrieminister Pierre Gemayel (Foto) ermordet, und bis jetzt ist noch nicht ermittelt, wer für das Attentat verantwortlich war. Der Hauptverdacht gilt Syrien, was gewiss nicht völlig abwegig ist – Gemayel gehörte in der libanesischen Regierung zu denjenigen, die die syrische Kontrolle über den Libanon scharf ablehnten. Er war seit dem Mord an Ex-Premierminister Rafiq Hariri im Februar 2005 bereits der fünfte prominente antisyrische Politiker, der umgebracht wurde – während die Hizbollah immer stärker auf den Sturz der Regierung um Fuad Siniora drängt und zudem natürlich kein Interesse an dem bevorstehenden Tribunal zur Aufklärung der Mordsache Hariri hat. „Das ist auch eine Art, Siniora zu einer Regierungsauflösung zu zwingen: indem man seine Minister liquidiert“, verortete nicht nur Tagesspiegel-Redakteur Clemens Wergin die Verantwortlichkeit für den Tod Gemayels beim prosyrischen Lager.
Für Külbel jedoch schied diese Möglichkeit a priori aus, wie er auch die wahren Schuldigen für das Attentat auf Rafiq Hariri zu kennen glaubt: „Viele Spuren in dem Mordfall führen in ein absonderliches Konglomerat, das Zugang zu den Zentren der Macht in Washington und Jerusalem hat, aus militanten, rechtsradikalen, neokonservativen und oder dem Mammon verpflichteten US-amerikanischen und israelischen Gruppierungen besteht und eng liiert ist mit einem Konsortium antisyrischer Exillibanesen mit engen Verbindungen zur libanesischen Opposition.“ Eine veritable amerikanisch-zionistische Verschwörung zum Nachteil Syriens also, der Külbel gleich ein ganzes Buch widmete. Man wird ja schließlich noch fragen dürfen, ob nicht „der Mossad Drahtzieher des Mordes an Hariri sein könnte“, um „Syrien an den Schandpfahl [zu] pflocken“. Beweise hat Cain the Brain natürlich nicht, nur die bei Konspirationstheoretikern obligatorische Mischung aus ideologischem Gewäsch und zusammengereimten Scheinindizien, die nahe legen sollen, dass hier von den üblichen Verdächtigen eine ganz große Schweinerei ins Werk gesetzt wurde. Quod erat demonstrandum.
Es war so sicher wie das Allahu akbar! in der Moschee, dass Külbel auch nach dem tödlichen Attentat auf Gemayel rasch wusste, wer die Draht-, um nicht zu sagen Strippenzieher waren. Im Ostblatt Neues Deutschland stellte er die Hizbollah zu diesem Zweck zunächst als ganz normale Oppositionspartei dar, die mit Rücktritten und „friedlichen Massendemonstrationen“ bloß ein bisschen Druck gegen die angeblich zu proamerikanische Regierung macht, während Syrien automatisch aus dem Schneider war, weil es die Verantwortung für den Mord von sich wies. Dafür geriet der „mit der Regierungskoalition verbandelte Politiker Samir Geagea“ in Külbels Visier, weil der angeblich „hinter den Mordanschlägen gegen den früheren Ministerpräsidenten Omar Karamé und weitere politische Konkurrenten aus dem christlichen Lager stecken und enge Beziehungen zum israelischen Geheimdienst Mossad unterhalten“ soll und zudem gewarnt habe, „dass demnächst drei Minister ermordet werden würden“ – honni soit qui mal y pense. Darüber hinaus möge man doch überprüfen, ob nicht die US-Botschaft in Beirut etwas mit den Waffen zu tun haben könnte, mit denen auf Gemayel geschossen wurde.
Das war noch vergleichsweise andeutungsvoll formuliert, doch an anderer Stelle ließ Karate Kid dann seinen Fantasien umso freieren Lauf: Auf seiner Homepage findet sich die deutsche Fassung eines Beitrags, den er am 3. Dezember in der libanesischen Zeitung Al Watan veröffentlichen durfte – „John ‚Moustache’ Bolton auf des toten Manns Kiste“ ist er überschrieben. In diesem von ihm selbst erfundenen „Schiffstagebuch zum Gemayel-Mord“ erzählt Külbel, wie das Attentat vorbereitet worden und wer für es verantwortlich sein soll. „Gab die Hauptstadt des westlichen Imperiums grünes Licht für die Tötung des Faschisten und libanesischen Industrieministers Pierre Gemayel? Was haben Freibeuter John ‚Moustache’ Bolton [Foto], eines der größten Übel der Neuzeit, die US-Bürgerkriegszentrale im Beiruter Vorort Awkar, die ‚sozialistisch fortschrittliche’ Zwerggarnele Walid Dschumblatt, Krebs deshalb, weil er wie der seine Grundfärbung braungrün je nach Stimmung schlagartig nach rot oder auch blau verändern kann, und Samir Tötungsmaschine Geagea mit dem Attentat zu tun?“, leitet er rhetorisch fragend zu seinem „Tagebuch“ hin, das eine Verschwörung der Genannten und weiterer finsterer Kräfte in Israel, den USA, dem Libanon und den Vereinten Nationen suggeriert.
„Fata morgana democratica“ nennt Külbel das imaginäre „waffenstarrende Schlachtschiff“, auf dem er diese Konspiration aushecken lässt; es sei „klein wie eine Nussschale zwar und marode, aber auffallend durch seine Besatzung, genannt der ‚Schwarze Orden’“, zu dem das fiktive Protokoll gehört und der „dafür bekannt ist, ganz bestimmte Verderben zu bringen, diesmal aber betrunken ist und grölt, weil ihn das Fatum der Endzeitstimmung erfasst hat“. Der Kahn schwimmt auf einem „Meer von Blut, in dem getötete Kinderleiber wie Fische schwimmen, abgetrennte Köpfe, zerfetzte Gliedmaßen die Bewohner sind und Haare, Haut und Knochen eine bizarre Pflanzenwelt formen“.
Die paranoiden Allmachts- und Vernichtungsfantasien, die der Hizbollah-Freund hier anderen unterstellt, sind seine eigenen; nach der Verschwörung, die er behauptet, strebt er selbst, und in der faschistischen Ästhetik, die das „Tagebuch“ durchzieht, drücken sich Affirmation und Bewunderung aus. „Anstatt der Stimme des Gewissens hört es Stimmen; anstatt in sich zu gehen, um das Protokoll der eigenen Machtgier aufzunehmen, schreibt es die Protokolle der Weisen von Zion den andern zu“, notierte Theodor W. Adorno in den „Elementen des Antisemitismus“ zur pathischen Projektion des Subjekts, und auf Külbel passen diese Worte wie maßgeschneidert. Immerhin scheinen seine Publikationsmöglichkeiten zumindest im deutschsprachigen Raum recht begrenzt zu sein – doch auch das gehört ja zum Repertoire der Konspirationstheoretiker: sich als wissende Minderheit zu fühlen, deren unumstößliche Wahrheiten von den Mächtigen dieser Welt unterdrückt werden. Dabei macht Külbel bloß ein bisschen zu viel Radau; seine Ansicht jedoch, dass der Erdball von Juden und Amerikanern beherrscht wird, trifft bei mehr Menschen auf Zustimmung, als er selbst es glaubt.