5.6.07

Rette sich, wer kann!

Eines muss man den Kämpfern wider die Geißel der Globalisierung wirklich lassen: Sie verstehen es, sich medienwirksam zu inszenieren. Und das muss einem gewissen Selbstzweck folgen, denn dass sie ernsthaft Werbung für ihre, sagen wir, Vorstellungen betreiben, glauben sie wohl selbst nicht. Wenn das, was sich dieser Tage in Rostock und Heiligendamm so alles zuträgt, die Fleischwerdung der Parole „Eine andere Welt ist möglich“ ist, dann möge uns die jetzige bei aller Kritik erhalten bleiben: Ein nicht unbeträchtlicher Haufen vollverkleideter Testosteronmonster zerdengelt die Stadt eines Aufsteigers in die Fußball-Bundesliga, während ein zerknautschter Peacenik mit dem klangvollen Namen Monty Schädel im „Schalom“-Jäckchen vor die Kamera tritt und in den Abendnachrichten etwas von „Deeskalation“ radebrecht. Andere bunte und fantasievolle Demonstranten wiederum begeben sich derweil in Volltrottelkostümen auf die Straße und erläutern bereitwillig und entschlossen, wie die „Huhn-Industrie in Kamerun“ von den Schönen und Reichen zuschanden geritten wird. Anschließend geht es dann – Überraschung! – rasch in eines der verhassten amerikanischen Schnellrestaurants. Burger schmecken halt doch besser als das Zeug auf dem Campingplatz. Allerdings riecht es jetzt auch stark nach einer Grundsatzdiskussion im Plenum.

Doch damit nicht genug der Zumutungen. Denn die No Globals aller Couleur warten außerdem mit einem musikalischen Programm auf, das an Folter grenzt. Soeben erschien beispielsweise eine CD mit dem Titel „Move against G8“, zu der unter anderem die Gruppen Kettcar, Wir sind Helden, Gentlemen, Tomte, Die Toten Hosen, Madsen, Blumfeld, Tocotronic und Jan Delay beitrugen. Stellvertretend durfte der Vorturner der letztgenannten Combo, mit bürgerlichem Namen Jan Eißfeldt, zu Protokoll geben: „Ich finde es grundsätzlich Scheiße, dass die Herrscher der acht reichsten Nationen festlegen, wie die Welt auszusehen hat.“ Denn: „Es darf kein Diktat von acht selbsternannten Weltherrschern geben.“ Der Hip-Hopper und Deutschland-Fan hält dabei sowohl George W. Bush als auch Angela Merkel für „Lakaien“, weshalb man „da mit der Faust reinhauen“ müsse. „Brennende Autos“ seien eine „super Aktion“, die Uno sei ebenfalls „’ne gute Sache“ und Kofi Annan „einer der respektabelsten Menschen in der Politik“. Und als ob das nicht schon schlimm genug wäre, steigt übermorgen im demolierten Rostock auch noch ein großes Konzert, auf dem sich vor allem die Dauerquälgeister Bono, Bod Geldof und Herbert Grönemeyer gegenseitig unterbieten dürfen. Begonnen haben sie mit dieser Übung übrigens schon vorher. Spiegel-TV berichtete, Geldof habe sich Bundeskanzlerin Angela Merkel angedient, Grönemeyer zu „mäßigen“. Bono war sogar noch schneller und ließ sich sowohl von Merkel als auch von Kurt Beck empfangen.

Es bleibt einem also auch gar nichts erspart, noch nicht einmal die schaurigen Eigenkreationen besonders beflissener Globalisierungskritiker. Zugegeben: Es war zu erwarten, dass der G8-Gipfel das Genre Protestsongs erweitern würde. Und tatsächlich gibt es ein Prachtexemplar, das für besondere Furore sorgt. Den Vergleich mit Klassikern wie „Wehrt euch, leistet Widerstand“ oder „Das weiche Wasser bricht den Stein“ braucht es jedenfalls nicht zu scheuen. „Komm, wir fahren nach Heiligendamm“ heißt das Stück, und im Internet ist nicht nur der Text verewigt, sondern sogar eine Studioaufnahme. „Singt und spielt alle mit!“, lautet die Tageslosung, bevor Reime wie „Doch was ist das? Ich glaub es kaum / Vor Heiligendamm steht ein großer Zaun“, „Hinter dieser kalten Wand / liegt der Strand“ und „Niemand stellt sich uns in den Weg / weil das bei Hunderttausend schlecht geht“ zur ultimativen Attacke auf die Geschmacksnerven ansetzen und von kommendem Unheil künden. Damit hinterher niemand behaupten kann, von nichts gewusst zu haben, sei der künftige Evergreen nachfolgend vollständig dokumentiert. Die dritte Strophe, so erfährt man, sei mit der zweiten deckungsgleich. Das macht die Sache allerdings auch nicht besser. Wahrscheinlich ist die Mauer doch eine gute Idee.

Komm, wir fahren nach Heiligendamm

Singt und spielt alle mit!


Komm, wir fahren nach Heiligendamm,
ist doch klar, dass uns nichts halten kann.
Endlich ist der Sommer da,
darauf warteten wir ein ganzes Jahr.
Doch was ist das? Ich glaub es kaum:
Vor Heiligendamm steht ein großer Zaun.
Und hinter dieser kalten Wand
liegt der Strand.

Komm, wir fahren nach Heiligendamm
mit dem Fahrrad oder der Deutschen Bahn.
Und wir sind auch nicht mal allein,
viele and’re wollen mit uns sein.
Niemand stellt sich uns in den Weg,
weil das bei Hunderttausend schlecht geht.
Erst mal über diesen Zaun,
dann weiterschau’n.

Refrain:
Traum von Heiligendamm,
was passieren kann.
Nach ’ner langen Nacht wurde es Licht,
Strand in Sicht!
Traum von Heiligendamm,
was passieren kann.
Und ich schreib’ an jedem Strand
die Parole in den Sand.
Hattip: Janis