Der Doktor und die guten Deutschen
Ein erstaunliches Stück über den Felix Krull der israelischen Friedensbewegung, seine Rolle und Rezeption in Deutschland, den Verbleib seiner Promotionsschrift und das Zustandekommen akademischer Würden.
Henryk M. Broder
Doktorspiele eines rumänischen Patienten
Wer in Israel einen Doktortitel haben will, der muss sein Studium mit einer Dissertation abgeschlossen haben. Es gibt aber auch einige Ausnahmen, die nicht unter die Promotionsordnung fallen: „Doktor Foto“ und „Doktor Radio“ waren zwei Bastler, die jede Kamera und jedes Rundfunkgerät reparieren konnten, als solche Geräte noch zu den Luxusgütern zählten. „Doktor Schakschuka“ heißt ein nordafrikanisches Lokal in Jaffo, „Doktor Lek“ ist ein Eishersteller, der ein Dutzend Eisdielen im ganzen Land betreibt. Es gibt noch einen dritten Weg zum Doktortitel: nach Deutschland fahren, um dort den Nahostkonflikt an vorderster Front zu lösen. In einem solchen Fall entfallen alle Prüfungen; alles, was der Kandidat leisten muss, ist, dem deutschen Publikum das zu erzählen, was es von ihm hören möchte. Handelt es sich dazu noch um einen Holocaustüberlebenden, der für die Palästinenser Partei ergreift, ist seine politische und moralische Autorität von Anfang an garantiert.
Reuven Moskowitz, so steht es bei Wikipedia, „wurde 1928 im nordrumänischen Frumsiaca geboren“ und „mit elf Jahren ins Ghetto vertrieben“. 1947 wanderte er nach Palästina ein, wo er das „Friedensdorf Neve Shalom/Wahat al-Salam“ mitgründete. Etwas ausführlicher ist die Biografie, die man auf der Website SK Tours in Nature findet. Da heißt es u.a.: „After studying History and Hebrew Culture at the University at Tel Aviv and the Hebrew University at Jerusalem, he was a history teacher for many years. With his work on the subject ‚Germans and Jews between the power of spirit and the powerlessness of violence’ he received his doctorate in History in Berlin in 1974.” In einem Interview mit der jungen Welt gab er weitere Details aus seiner Studienzeit preis: „Übrigens war ich einer der letzten Schüler des Philosophen Martin Buber, der gar nichts anderes gesagt hat als ich.“
In einem Gespräch mit dem Schweizer Online-Magazin Zeit-Fragen sagte „Dr. Reuven Moskowitz“ den programmatischen Satz „Eine Welt, die duldet, was Israel im Nahen Osten macht, ist keine zivilisierte Welt“ und forderte Europa auf, „Israel in die Schranken“ zu weisen. Bei der Eröffnung der „Nahostwoche“ in Gummersbach im November 2005 hielt „Dr. Reuven Moskowitz“ die Festrede. Am Berufskolleg des Bistums Münster sprach „Dr. Reuven Moskowitz“ über das Thema „Die Gedanken sind frei“; am Studienseminar für Gymnasien des Landes Hessen in Darmstadt referierte „Dr. Reuven Moskowitz“ über „Israel und Palästina – ohne Gerechtigkeit kein Frieden“. In der Ankündigung hieß es: „Hat Israel das Recht, durch Gewalt und Besatzung die Freiheit und das Recht auf Leben und Besitz seiner Nachbarn zu verweigern? Dr. Reuven Moskovitz, Überlebender des Holocaust und Friedensaktivist aus Israel, schildert authentisch und aus nächster Nähe die Situation des eskalierenden Terrors und Gegenterrors im Nahen Osten.“
Er nahm als „Dr. Reuven Moskowitz“ an einer Studienfahrt der Deutsch-Rumänischen Gesellschaft von Berlin nach Bukarest, Kronstadt und Temesvar teil. Die evangelische Jakobusgemeinde Münster und die Projektgruppe Freundschaft Birzeit-Münster e.V. luden „Dr. Reuven Moskovitz“ zu einem Vortrag ins Gemeindehaus ein. Im Jahre 2003 wurde „Dr. Reuven Moskowitz“ sogar der Aachener Friedenspreis verliehen. Die Laudatio auf ihn hielt der Journalist Andreas Zumach, seinerseits altgedienter Friedensaktivist und Korrespondent der taz bei den Vereinten Nationen in Genf. Moskovitz’ Doktorarbeit zum Thema „Deutsche und Juden zwischen der Macht des Geistes und der Ohnmacht der Gewalt“ , so Zumach, sei auch nach 30 Jahren „mindestens so aktuell“ wie 1974. Zumach tat, was er am besten kann: Er simulierte die Kenntnis des Gegenstands, über den er sprach. Moskovitz bedankte sich mit einer Rede, in der er von „Verzweiflungstaten palästinensischer Jugendlicher und Fanatiker“ sprach, die zwar nicht zu rechtfertigen, aber doch zu verstehen seien, als Folge der „Empörung und Hoffnungslosigkeit“, für die Israel die Schuld trage.
Das Münchner Friedensbündnis bat ihn zu einem Vortrag über „Die Gewalt im Gaza-Streifen. Wege zu einer Lösung“ in den Pfarrsaal von St. Ignatius, und mit den Worten „Er widmet seit mehr als 50 Jahren sein Leben der jüdisch palästinensischen Aussöhnung, aber auch der deutsch-israelischen Versöhnung und dem Frieden“ kündigte Pax Christi einen Auftritt des „Juden und charismatischen Israeli“ in Freiburg an. Missio Aachen holte den „promovierten Historiker“ Reuven Moskowitz („bekannt für seine pointierten, unbequemen Gedanken, die nur manchmal von namhaften Zeitungen zitiert werden“) im Rahmen der „Kampagne zum Monat der Weltmission“ in die Erzdiözese Paderborn und in die Diözese Aachen. Im Deutschlandfunk kommentierte „der israelische Friedensaktivist Reuven Moskovitz“ den letzten Libanonkrieg und zog Parallelen zur Politik der Nazis in Europa: „Weil die Denkstrukturen sind dieselben.“ Das tat „der israelische Historiker und Friedensaktivist Dr. Reuven Moskowitz“ auch im WDR, wobei es sich der „unermüdliche Warner vor der Gefahr des eskalierenden Terrors und Gegenterrors im Nahen Osten“ nicht nehmen ließ, am Ende des Gesprächs auf seiner Mundharmonika ein „jiddisches Ghettolied“ zu spielen.
Am Hoffmann-von-Fallersleben-Gymnasium in Braunschweig äußerte „Dr. Moskovitz“ als „Zeitzeuge der NS-Zeit“ vor Schülern der Klassen 10 bis 12 die Ansicht, „dass er eine friedliche Lösung in jedem Fall bevorzuge“, da er sich dem jüdischen Sprichwort „Ein Held ist, wer seinen Feind zum Freund macht“ verpflichtet fühle. „Die Veranstaltung wurde organisiert und ermöglicht vom Deutschen Gewerkschaftsbund – DGB-Region SüdOstNiedersachsen.“ Zuletzt trat „Dr. Reuven Moskovitz, Friedensaktivist aus Jerusalem“ am 16. November im Deutsch-Amerikanischen Institut in Heidelberg auf, wo er zusammen mit einer Partnerin („Frieden – einmal anders“) jiddische Texte und Lieder zum Besten gab.
Natürlich ist es denkbar, dass es nicht einen, sondern zwei oder gar drei „Reuven“ gibt, die gleichzeitig durch die Bundesrepublik touren, Schulen, Erwachsenenbildungsstätten, evangelische und katholische Einrichtungen, autonome Jugendzentren und Friedensfeste besuchen, um die täglich wachsende deutsche Obsession mit „Palästina“ zu bedienen. Es handelt sich um eine Wachstumsindustrie, der schon etliche Trittbrettfahrer des Zeitgeistes (zum Beispiel „Die Tochter“) ein paar aufregende Minuten im Fahrtwind der Geschichte verdanken. Es gibt aber keinen „Dr. Reuven Moskowitz“, weder in Israel noch in der Bundesrepublik. An keiner deutschen oder israelischen Universität ist eine Promotion über das Thema „Deutsche und Juden zwischen der Macht des Geistes und der Ohnmacht der Gewalt“ gelistet. Sie existiert nur in der Vorstellungswelt des „Friedensaktivisten aus Jerusalem“, der lange nicht mehr auf einer Friedensdemo in Israel gesehen wurde, weil er inzwischen mehr Zeit in der deutschen Etappe als an der israelisch-palästinensischen Front verbringt. Ruft man bei ihm zu Hause in Jerusalem an, sagt seine Frau: „Mein Mann ist geschäftlich unterwegs“, womit sie zweifellos die Wahrheit sagt.
Der Felix Krull der israelischen Friedensbewegung kann zwar keinen Gedanken in klare Worte fassen und keine zwei Sätze fehlerfrei formulieren, aber er weiß, wie man sich als „Kritiker der israelischen Politik“ vermarktet. In einem Land, in dem „Holocaustüberlebende“ noch mehr als tote Juden geliebt werden (weil es so schlimm nicht gewesen sein kann, wenn doch ein paar davongekommen sind) und jeder bekloppte Rentner, der früher „Juda verrecke!“ gebrüllt hätte, eine Spontanerektion bekommt, wenn von „zionistischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ geredet wird. „Dr. Reuven Moskovitz“ ist ein Aufschneider, ein Hochstapler und ein Impersonator, der jeden alten Rumänenwitz („Entschuldigen Sie bitte, haben Sie heute schon ein Bad genommen?“ – „Wieso, fehlt eins?“) zu einem subtilen Genuss erhebt.
Unser Kollege und Welt-Korrespondent Norbert Jessen aus Tel Aviv, der zurzeit Material über den Wandel in den deutsch-israelischen Beziehungen sammelt und dazu Arbeiten aus den sechziger und siebziger Jahren auswertet, hat „Dr. Reuven Moskovitz“ am Samstag in Berlin angerufen. Hier das Protokoll der Unterhaltung:
„Hannah Arendt und ich“
Ein Telefonat von Norbert Jessen mit Reuven Moskovitz
Norbert Jessen: Schalom, angesichts der neu aufkommenden Debatte um die Entschädigungen versuche ich, mich über die Entwicklung der deutsch-israelischen und deutsch-jüdischen Beziehungen kundig zu machen, und suche daher alle akademischen Arbeiten zum Thema. Vom Internet her kenne ich den Titel „Deutsche und Juden zwischen der Macht des Geistes und der Ohnmacht der Gewalt“, konnte die Dissertation aber nicht in den israelischen Universitätsbibliotheken finden. Könnten Sie mir da vielleicht direkt helfen?
Reuven Moskovitz: Das ist so eine Sache. Zunächst einmal hat es da einen Einbruch in mein Arbeitszimmer gegeben. Ich möchte Ihnen eines sagen, damit Sie das besser verstehen, und um Missverständnisse zu vermeiden: Ich glaube nicht, dass die Welt ein Interesse daran haben könnte, meine Worte zu veröffentlichen, da ich ja zu dem „so genannten“ linken Flügel der politischen Szene in Israel gehöre.
Jessen: Ich suche das zu meiner eigenen Information und Weiterbildung.
Moskovitz: Öh, ah, sind Sie denn Israeli oder Korrespondent?
Jessen: Korrespondent, ich spreche aber fließend Hebräisch.
Moskovitz: Ich habe da ja etwas auf Deutsch geschrieben, denn in Israel ist meine politische Ausrichtung vielleicht aussichtslos. Ich gehöre zu den Befürwortern der Zweistaatenlösung, und doch halte ich viel von Martin Buber, der ja die Einstaatenlösung vertrat, dabei aber vielleicht doch ein größerer Realist war als viele andere. Ich weiß nicht, wie weit Sie mir da zustimmen. Ich bin ja auch zufrieden damit, dass wir einen eigenen Staat haben, nur dass nach 60 Jahren alles eine Entwicklung genommen hat, in eine faschistische Richtung, gegen die ich vorgehen möchte, darüber könnten Sie mich ja, falls Interesse besteht, mal interviewen.
Jessen: Vielleicht aber erst mal einfach Ihre Arbeit. Ich bin an der Entwicklung des gegenseitigen Spiegelbildes von Deutschen und Israelis im Laufe der Jahrzehnte interessiert, angefangen von den fünfziger Jahren bis heute...
Moskovitz: Also, die fünfziger Jahre, das liegt weiter zurück als meine Arbeiten...
Jessen: Nicht nur die fünfziger Jahre, die Gesamtentwicklung bis heute...
Moskovitz: Also, meine Beziehungen mit Deutschland beginnen in den siebziger Jahren, mit Ende des Sechstagekrieges und vor allem mit dem Jom-Kippur-Krieg. Gehöre ich doch zu denen, die überzeugt sind, dass wir eine große Gelegenheit damals versäumt haben, indem wir den Sieg nicht zu irgendeinen Ziehhebel umfunktionierten in Richtung auf ein Abkommen hin. Mit unseren Nachbarstaaten und auch mit den Palästinensern. Ich rede jetzt nicht von allen möglichen Doktrinen seinerzeit, sondern darüber, dass der Sieg tatsächlich so etwas wie eine Gelegenheit bot. Aber seit dem Jom-Kippur-Krieg bin ich einfach sehr besorgt, weil mir die Problematik aufging zwischen unserer politischen Existenz und den Entwicklungen, wie sie im Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg verliefen. Meine Arbeit schrieb ich in den Siebzigern, das war nach dem Jom-Kippur-Krieg, da kam ich 1974 das erste Mal nach Deutschland...
Jessen: Haben Sie das denn in Deutschland geschrieben? Ich habe hier in Israel gesucht...
Moskovitz: ...geschrieben hab ich aber auf Hebräisch, nicht auf Deutsch...
Jessen: Macht nichts, ich lese Hebräisch, deshalb suchte ich ja auch hier Ihre Arbeit. An welcher Universität in Deutschland haben Sie denn Ihre Arbeit geschrieben?
Moskovitz: Ich habe an der Freien Universität gearbeitet und unter der Anleitung von, ich weiß nicht, ob Sie den kennen? Professor Grab...
Jessen: Avraham?
Moskovitz: Grab!
Jessen: Professor Walter Grab? Bei dem habe ich doch auch studiert, aber hier in Tel Aviv, der war doch Historiker an der Uni Tel Aviv.
Moskovitz: Das ist eine sehr verzwickte Sache, und es ist auch so, dass Professor Grab schon nicht mehr unter den Lebenden weilt und der Titel der Arbeit sehr politisch ist. In Israel wurde mir beschieden... (undeutlich: „Vorwarnungen“), und da besteht die Gefahr, dass es in Israel zu sehr faschistischen Entwicklungen kommen kann, da müssen Sie mir ja nicht zustimmen, obwohl ich glaube, dass dies gerade geschieht.
Jessen: Davon ist ja nicht nur heute die Rede, sondern das ist eine Dimension, die seit der Staatsgründung viele sehen...
Moskovitz: Ich sehe, Sie verstehen etwas davon. Der Einfluss deutschen Denkens auf die ersten Zionsten, auch auf Bialik, wenn Sie mich fragen, ist immens. Über diese Periode können Sie mich mal interviewen.
Jessen: Dann muss ich also an der FU suchen, das habe ich ja nicht ahnen können...
Moskovitz: Wie ich schon sagte, das ist nicht so einfach, ich schrieb das doch auf Hebräisch...
Jessen: Okay, ich lese das auch auf Hebräisch...
Moskovitz: ... das Problem aber ist, dass ich nicht so ordentlich bin, und deshalb habe ich keine Kopien angelegt, und ich habe doch bei Dr. Grab gearbeitet.
Jessen: War der denn an der FU?
Moskovitz: Er war, er gab dort Gastvorlesungen und (undeutlich) ich gebe zu, dass ich seinerzeit noch kein Deutsch sprach.
Jessen: Ist doch ganz ohne Belang, ich möchte doch nur wissen, wo ich die Arbeit finden kann...
Moskovitz: Das kann ich Ihnen sagen... Die finden Sie nicht. Das ist es ja, vor ein, zwei Jahren dieser Einbruch, ich will jetzt keine Vermutungen anstellen, aber es ist sehr interessant, da wurde eigentlich nichts gestohlen.
Jessen: Das war bei Ihnen zu Hause, aber es gibt doch Kopien an der Uni...
Moskovitz: Nein, nein, nein, da müssen wir erst gar nicht drüber reden, das war seinerzeit sehr problematisch, schon die These...
Jessen: Das hab ich verstanden, die steht stark unter dem Einfluss Martin Bubers, daher habe ich mir schon überlegt, wer als Doktorvater einen solchen Titel annehmen könnte, aber Dr. Grab, das könnte ja schon sein...
Moskovitz: Ich habe Buber seinerzeit noch gehört, aber das wirklich schon in seinen letzten Tagen...
Jessen: ...aber Grab, das könnte sein...
Moskovitz: ...richtig, schon richtig, aber... Hören Sie, Sie verwickeln sich hier in Probleme, und das verwickelt mich auch. Denn in Israel hätten sie auch dann diesen Titel als zu politisch statt wissenschaftlicher These abgetan. Andererseits habe ich alles, was ich gesammelt habe, also das Material so von verschiedenen Richtungen, angelegt, mit Reden aus dem Dritten Reich, den Tendenzen in den Burschenschaften, Wandervogel, Turnverband usw. Ja, wenn ich das dann verglich mit Reden aus der Zeit des Sechstagekrieges in unserer Knesset zum Beispiel, die Ähnlichkeit war einfach erschreckend, aber das ändert ja alles nichts...
Jessen: ...genau das aber ist doch interessant. Wo finde ich die Arbeit?
Moskovitz: Das ist ja das Problem, da gab es diesen Einbruch in meine Abstellkammer, also eigentlich mein Arbeitszimmer, ich finde sie selbst nicht mehr...
Jessen: ...aber Sie haben die Arbeit doch einer Uni vorgelegt...
Moskovitz: ...eben nicht. Das ist ja das Interessante. Professor Grab kränkelte damals schon, darum bat ich um ein Stipendium auch in Deutschland. Das war damals schon sehr spät, ich weiß nicht, haben sie von Professor Gollwitz [sic!] gehört? Der schaffte es damals, mir etwas zu beschaffen, und nahm sich Zeit für mich, eigentlich, die Arbeit habe ich geschrieben, aber mit der Vorlage, das war so was, Professor Grab wurde krank und weilt nicht mehr unter den Lebenden...
Jessen: ...schon seit einiger Zeit nicht mehr.
Moskovitz: Die Sache ist ja eigentlich die, dass ich an die Sache nicht von einem wissenschaftlichen Ansatz herangehe, sondern mehr aus einer politischen Besorgnis heraus... Die Wahrheit ist ja auch, dass ich Illusionen nachhing (undeutlich)...
Jessen: ...geschrieben haben Sie aber grundsätzlich als Historiker, habe ich das richtig verstanden? Die These geht ja eher in eine philosophische Richtung...
Moskovitz: ...schon wahr, aber dann habe ich eingesehen, dass das keine Aussichten hat. Ich musste auch Arbeit suchen und habe deshalb an einem Gymnasium als Lehrer gearbeitet. In Israel gab es keine andere Möglichkeit, auch nicht in Deutschland... Wie auch Hannah Arendt ja immer irgendwie hoffte, in Israel Erfolg zu haben, sie hat ja schon gesehen, sie schrieb darüber, und als ich mit meiner Idee begann, da war ich mir schon ihrer Sorgen bewusst zu all den politischen Umstürzen und der Lage, in der wir uns heute befinden. Also, wenn Sie meine Dissertation suchen, die ich schrieb, werden Sie sie nicht finden können. Also, öh, es ist wahr, dass Dr. Grab eine Tochter in Deutschland hat, bei ihr war er meistens zu Gast in Deutschland. Was also sein könnte, dass sich bei ihr noch seine Kopie findet, aber wie gesagt, ich schrieb sie ja auf Hebräisch (undeutlich)...
Jessen: Ich war eben deswegen sicher, dass die Dissertation sich in Israel befinden muss, aber wie kommt es dann eigentlich, dass sie sich auf allen möglichen Webseiten als Dr. Reuven Moskovitz wiederfinden? Zum Beispiel beim Aachener Friedenspreis...
Moskovitz: Das ist es ja, die Deutschen, sie können sich einfach nicht vorstellen, dass ein Mensch, der denkt und schreibt, kein Professor ist, öh, da habe ich wirklich ein Problem mit ihnen. Da habe ich eine Geschichte für Sie, wenn ich hier so in Universitäten komme, dann sagen die mir: Hören Sie mal, wir stellen Sie als Doktor vor. Und dann sage ich denen: Hören Sie mal, ich bin nicht Doktor und nicht Professor, ich arbeite an meinen Forschungen, und das ist es, aber da kommt man dann einfach nicht mehr raus... Jetzt bin ich ja nicht mal in Israel.
Jessen: Schade, was Sie so über die Arbeit erzählt haben, hört sich ja wirklich interessant an.
Moskovitz: ...tut mir leid... (undeutlich) Ich hätte Sie Ihnen gerne zu lesen gegeben... (undeutlich) Ich bin ja kein Anhänger der Zweistaatentheorie, ich weiß nicht, ob Sie mir da zustimmen. Ich glaube, wir müssen jetzt erst mal die Vorteile der Zweistaatenlösung ausnutzen für die absehbare Zukunft. Aber bis die europäische Einheitsidee auf den Nahen Osten übergreift, wird noch einige Zeit verstreichen. Jetzt gilt es erst mal, das Abrutschen in den Apartheidstaat zu verhindern, darüber müssen wir nachdenken...
Jessen: Das werden wohl wir beide nicht mehr erleben. Was machen Sie jetzt eigentlich in Berlin? Sind Sie wieder an der FU?
Moskovitz: Ich werde eingeladen von verschiedenen Akademien, Volkshochschulen u.ä.
Jessen: Dann mache ich hier mal weiter mit meinem Schabbat...
Moskovitz: Ja, dann: Schabbat Schalom!