Renaissance eines Gesinnungstextils

Dabei muss man gar keine Bücher wälzen, um etwas über die Geschichte und Gegenwart der Kafiya zu erfahren; eine simple Google-Suche genügt bereits. Schon die erste Seite liefert bei der Eingabe des Begriffs „Palästinensertuch“ (wahlweise auch „Palituch“) ausreichend Treffer, um wenigstens den Anflug einer Ahnung davon zu bekommen, welche historische und aktuelle Bedeutung dieser Stofffetzen hat. Bei den virtuellen Fundstücken stößt man rasch auch auf die beiden Flugblatt-Klassiker „Coole Kids tragen kein Pali-Tuch“ und „Ist dir kalt oder hast du was gegen Juden?“, die zwar teilweise etwas arg pädagogisch aufgezogen sind, aber trotzdem wesentliche Informationen bereithalten: Der tischdeckengroße Wickel war zu allen Zeiten ein Symbol für den Kampf gegen „die Juden“ und „den Westen“; zwischen 1936 und 1939 wurde er außerdem vom Mufti von Jerusalem, einem Verbündeten der Nationalsozialisten, mit unmittelbarem Zwang in der Bevölkerung durchgesetzt. Ende der sechziger Jahre schleppte ihn dann der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) nach Deutschland ein, und fortan war er Ausdruck der Solidarisierung der Linken mit den gegen „das zionistische Gebilde“ Israel kämpfenden Palästinensern – und überhaupt ein Zeichen für die Sympathie mit den gegen „den Imperialismus“ Front machenden „unterdrückten Völkern“.

Die Modedesigner scherte das jedoch einen feuchten Kehricht, und so erlebt die in jeder Hinsicht scheußliche Halskrause (daran ändert sich auch nichts, wenn sie in knalligen Farben daherkommt) derzeit ein fulminantes Comeback. Nur wenige stören sich daran, wie etwa die 23jährige Steffi Gratzke*, die sich im Kölner Stadt-Anzeiger wunderte: „Zuletzt thronte dieser Stoff nur auf dem alternden Haupt des inzwischen verstorbenen Yassir Arafat. Und plötzlich soll das Tuch der letzte Schrei aus Hollywood sein? Das passende Zubehör zu Röhrenjeans und gesteppter Ledertasche?“ Zumindest wird das augenscheinlich nicht als ästhetischer Widerspruch begriffen. Und selbst die Tatsache, dass längst auch die Neonazis den Lappen zur Schau stellen – sehr zu Recht übrigens –, tut dem Trend keinerlei Abbruch. Denn dem „Palituch“ eilt noch immer der Ruf voraus, ein Symbol für Rebellion und Nonkonformismus zu sein. Und dass dieses Image sich über all die Jahre und Jahrzehnte konservieren konnte, statt als Signum des genauen Gegenteils – nämlich einer durch und durch konformistischen Rebellion antisemitischer Mordsgesellen und ihrer fünften Kolonne – auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgt zu werden, spricht Bände.

Dabei schockt hierzulande keinen Erwachsenen mehr, wer sich mit dem ausladenden Lumpen drapiert. Denn in einem Land, in dem 68,3 Prozent der Ansicht sind, dass Israel einen „Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser“ führt und sogar 81,9 Prozent „wütend werden“, wenn sie „daran denken, wie Israel die Palästinenser behandelt“, ist das „Palituch“ längst ein mehrheitlich vollkommen akzeptiertes Kleidungsstück. Im Zweifelsfall muss dessen Kauf noch nicht einmal vom Taschengeld abgeknapst werden, weil die Eltern derlei Halsschmuck ausdrücklich gutheißen und höchst freiwillig finanzieren – zumal dann, wenn es in Warenhäusern feil geboten wird, in denen sie selbst verkehren. Mit den herkömmlichen Antisemitismustheorien kommt man dem Ganzen übrigens ganz gewiss nicht bei. Aber mit der Frage „Ist dir kalt, oder hast du was gegen Juden?“ erntet man zumindest einen Moment hektischer Verunsicherung.
* Der Nachname ist im Kölner Stadt-Anzeiger falsch geschrieben.
Eine gekürzte Fassung dieses Beitrags ist am 17. Dezember in der österreichischen Tageszeitung Die Presse erschienen.