18.3.09

Boykott oder Hintertür?



Die Schlagzeilen klingen eindeutig: „Merkel gegen ‚Durban II’“ (Süddeutsche Zeitung), „Steinmeier gegen Durban-II-Konferenz“ (taz), „Bundesregierung will UN-Konferenz boykottieren“ (Die Welt) oder gar „Deutschland bleibt ‚Durban II’ fern“ (FAZ). Folgt man ihnen, dann distanziert sich das verantwortliche politische Personal dieser Republik in räumlicher wie inhaltlicher Hinsicht umfänglich von dem Ende April stattfindenden Tribunal des Uno-Menschenrechtsrats gegen Israel und alle anderen, deren politische Kritik an der Herrschaftspraxis des Islam von einer Mehrheit des Rats rundweg als „Islamophobie“ gegeißelt wird. Doch die Überschriften sind irreführend, denn die Bundesregierung hat sich erkennbar eine Hintertür offen gelassen, indem sie ein lautes „Wenn“ aussprach und eine Frist setzte: Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ließ ausrichten, man werde „Durban II“ verlassen, wenn nach der für diese Woche geplanten Befassung der EU-Außenminister mit der Konferenz in Genf keine „signifikanten Verbesserungen“ erkennbar seien. Und Außenminister Steinmeier sagte, fast gleichlautend: „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt plädiere ich dafür, dass wir die Teilnahme bei der anstehenden Konferenz absagen, wenn es in den nächsten Stunden, in den nächsten Tagen zu keiner wirklich substanziellen Änderung der Dokumente kommt.“

Mit „Dokumente“ ist der über 60 Seiten umfassende Entwurf für die Abschlusserklärung gemeint, die bei der Zusammenkunft in der Schweiz verabschiedet werden soll. In ihr finden sich diverse Verurteilungen Israels, das im Übrigen als einziges Land explizit erwähnt wird. Dem jüdischen Staat werden unter anderem die „rassistische Diskriminierung des palästinensischen Volkes“, „Folter“, „Apartheid“ und „Verbrechen gegen die Menschheit“ vorgeworfen. Darüber hinaus richtet das Papier seinen Fokus auf das nach Ansicht des Menschenrechtsrats schlimmste rassistische Übel der Neuzeit: die „Islamophobie“. Das verwundert nicht angesichts der Tatsache, dass im Rat selbst eine Erörterung von Zwangsverheiratungen, Steinigungen und Genitalverstümmelungen verunmöglicht wird – mit der bemerkenswerten Begründung, derlei verletze die religiösen Gefühle der Muslime. Kanada und Israel hatten aus diesen Gründen bereits vor längerer Zeit angekündigt, „Durban II“ zu boykottieren; die USA und Italien schlossen sich unlängst an. Die Europäische Union hatte im September vergangenen Jahres zwar mitgeteilt, ihre „roten Linien“ würden überschritten, wenn an der Erklärung nicht grundsätzliche Korrekturen vorgenommen würden. Doch obwohl das Dokument sogar noch verschärft wurde, mochte sie bislang keine Konsequenzen ziehen.

Die Bundesregierung wiederum äußerte sich lange Zeit gar nicht zu dem Thema, was gleichbedeutend damit war, dass sie als Mitglied des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen an der Durban-Folgekonferenz teilzunehmen gedachte. Womöglich waren es ein Boykottaufruf von Journalisten, Publizisten, Wissenschaftlern und Künstlern sowie das schlagartig gewachsene Interesse der Medien, die ihr Beine machten. Nach einigem Zögern zieht sie nun offenbar in Erwägung, der Veranstaltung fern zu bleiben. Jetzt darf man gespannt sein, ob es wirklich dazu kommt. Einstweilen sind daran noch Zweifel angebracht, denn die Forderung nach „signifikanten Verbesserungen“ respektive einer „substanziellen Änderung“ des Entwurfs für die „Durban II“-Abschlusserklärung lässt, weil sie nicht konkretisiert wurde, einigen Spielraum. Es ist zwar nicht sonderlich wahrscheinlich, aber auch nicht auszuschließen, dass sich das Vorbereitungskomitee, in dem Libyen und der Iran federführend sind, auf geringfügige Modifikationen bei einigen Formulierungen einlässt und dadurch so etwas wie interpretatorischen Platz gewährt, mit dem die islamischen Staaten genauso leben könnten wie die Bundesregierung. Von signifikanten Verbesserungen oder substanziellen Veränderungen könnte dann zwar gewiss keine Rede sein, aber sie würden in diesem Fall fraglos als solche verkauft.

Und „selbst wenn es zu keiner gravierenden Veränderung kommt, ist zweifelhaft, dass Deutschland sich für einen Boykott entscheidet – insbesondere dann, wenn nicht die gesamte EU mitzieht“, befand Ansgar Graw kürzlich in der Welt. „Denn Deutschland will im Jahr 2011 in den UN-Sicherheitsrat und konkurriert um einen der zehn nicht ständigen Sitze vor allem mit Portugal. Da allein die Afrikaner 50 Stimmen in die Waagschale bringen, könnte ein Boykott insbesondere im Alleingang zu einer Abstimmungsniederlage führen.“ Das kann allerdings kein Grund für eine Teilnahme an der UN-Tagung sein, wie Graw deutlich macht: „Auch Kanada bewirbt sich im Herbst kommenden Jahres für einen der Sitze im UN-Sicherheitsrat. Dennoch will Ottawa die bevorstehende Genfer Konferenz boykottieren.“ Ein weiterer Anlass für die Bundesregierung, der grotesk-schauerlichen Versammlung in der Schweiz aller Kritik zum Trotz beizuwohnen, könnten die bekanntermaßen überaus guten ökonomischen Beziehungen Deutschlands zu den arabisch-muslimischen Staaten und zum Iran sein, die sich durch einen deutschen Boykott womöglich verschlechtern würden.

Falls die deutsche Regierung aber tatsächlich aus „Durban II“ aussteigen sollte, müsste sie konsequenterweise den nächsten Schritt gehen und insbesondere die wirtschaftliche Kooperation mit dem Iran von sich aus beenden. Alles andere würde keinen Sinn ergeben, denn man kann schlecht eine Konferenz ächten, auf der Israel verdammt wird, und gleichzeitig seine Zusammenarbeit mit dessen Feinden fortsetzen. Allerdings hat die Bundesregierung dieser Widerspruch zwischen Solidaritätsbekundungen gegenüber dem jüdischen Staat und einer Packelei mit denen, die ihn vernichten wollen, noch nie sonderlich gestört.

Das Foto entstammt einer Kundgebung gegen einen antisemitischen Aufmarsch in Köln am 10. Januar 2009. © Lizas Welt