Das Kreuz mit dem Kreuz
Ein türkischer Rechtsanwalt bereichert den internationalen Fußball um eine weitere Groteske: Weil er der Überzeugung ist, dass der italienische Erstligaklub Inter Mailand beim Champions League-Rückspiel gegen Fenerbahce Istanbul mit seinen neuen Trikots an die Kreuzritter erinnern, also den Islam beleidigen wollte, hat Baris Kaska eine Klage eingereicht und einen Punktabzug für Inter gefordert. Das zuständige Gericht leitete die Eingabe an den Weltfußballverband FIFA und den europäischen Verband UEFA weiter, die sich nun mit ihr befassen müssen.
Dass Fußballtrikots Anstoß erregen, ist in der Vergangenheit schon häufiger passiert – auch in Deutschland: Als beispielsweise 1973 der damalige Bundesligist Eintracht Braunschweig als erster deutscher Klub die Leibchen seiner Spieler mit einem Reklameschriftzug versah – für den Kräuterlikör Jägermeister nämlich –, stieß er auf den entschiedenen Widerstand des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Denn der fand es überhaupt nicht in Ordnung, dass Kicker etwas anderes auf der Brust tragen als das Wappen ihres Vereins. Doch die Trikotwerbung setzte sich durch und wurde bald zum Standard; allerdings wollte der DFB stets ganz genau wissen, welche Produkte da angepriesen wurden. Und als es der FC 08 Homburg in der Saison 1987/88 wagte, für die Kondommarke London Reklame zu laufen, erkannten die Granden des Fußballverbands glatt einen Anschlag auf die guten Sitten und untersagten dem saarländischen Erstligisten die Werbung für den Gummihersteller. Die Homburger überklebten das Firmenlogo daraufhin mit einem schwarzen Zensurbalken, bevor das Frankfurter Landgericht schließlich in ihrem Sinne entschied.
Und nun hat die Fußballwelt ihren nächsten Aufreger, der durch die Gestaltung der Jerseys eines Klubs ausgelöst wurde. Denn Inter Mailand spielt derzeit zumeist nicht im gewohnten blau-schwarz gestreiften Outfit, sondern in blütenweißen Hemden, deren Vorderseite über die volle Länge und Breite ein rotes Kreuz ziert. Damit traten sie kürzlich auch im Champions League-Heimspiel gegen Fenerbahce Istanbul an – und erregten so den heiligen Zorn von Muslimen in der Türkei: „Wie konnte die UEFA dies zulassen?“, fragte etwa die Zeitung Radikal. Andere Medien des Landes kritisierten das Motiv des Inter-Trikots ebenfalls scharf und veröffentlichten neben ihm das Bild eines Kreuzritters, der Ende des elften Jahrhunderts nach Jerusalem aufbrach, um das Heilige Land aus den Händen der Muslime zu befreien.
Schwerstens verstimmt war auch der türkische Rechtsanwalt Baris Kaska: „Dieses Kreuz erinnert an die blutigen Tage der Vergangenheit“, sagte er der spanischen Zeitung La Vanguardia. Er habe beim Verfolgen des Spiels im Fernsehen „einen schrecklichen Schmerz in der Seele verspürt“. Inter sei es mit dem angeblichen Kreuzritter-Dress darum zu tun gewesen, „die rassistische Überlegenheit einer Religion“ zu zeigen, also den Islam zu beleidigen. Daher müssten sich nun die FIFA und die UEFA verantworten; sie sollten, findet Kaska, den lombardischen Klub nicht nur mit einem Bußgeld belegen, sondern ihm auch die Punkte aus dem mit 3:0 gewonnen Match gegen Fenerbahce aberkennen. Um seinem Ansinnen Nachdruck zu verleihen, erstattete der Jurist Anzeige bei einem örtlichen Gericht, das die Eingabe an die beiden internationalen Fußballverbände weiterleitete.
Der Istanbuler Verein selbst hatte mit den neuen Oberteilen der Mailänder nach Angaben der UEFA übrigens kein Problem. Zwar hatten die Inter-Fußballer beim Hinspiel in der Türkei Mitte September in Absprache mit Fenerbahce noch ihre traditionellen blau-schwarzen Trikots getragen; vor dem Rückspiel stimmte Fener dann aber ausdrücklich dem Wunsch der Interisti zu, im neuen Shirt auflaufen zu können. Doch ganz abgesehen davon symbolisiert das Textil ohnehin nicht das, was entrüstete Muslime in ihm zu erkennen glauben. Vielmehr feiert der FC Internazionale Milano in Kürze sein hundertjähriges Bestehen und erweist seiner Stadt mit dem Trikot seine Reverenz: Das rote Kreuz auf weißem Grund ist seit dem 12. Jahrhundert das Mailänder Stadtwappen; die Farben stehen für die Bauern (weiß) und die Bürger (rot).
Nebenbei bemerkt: Der empörte Anwalt Kaska und manche der türkischen Medien hätten im Grunde genommen einen Anlass gehabt, sich noch weit mehr zu echauffieren: Denn wenn man genau hinsieht, entdeckt man auch auf dem Trikot von Fenerbahce – Schockschwerenot! – ein Kreuz (im oberen linken Foto hellgrün hervorgehoben). Und jetzt haben Verschwörungstheoretiker viel Arbeit vor sich: Ist der Sponsor avea, immerhin der drittgrößte türkische Mobilfunkbetreiber, schuld an dieser hinterhältigen Attacke auf die Religion des Friedens? Der Ausrüster Adidas? Oder gar, Allah bewahre, ein heimlicher Kreuzritter im Vorstand des Klubs?