20.3.09

Vorschlag zur Güte



Hätten die arabischen Staaten ein Interesse daran, ließe sich die „humanitäre Katastrophe“ in den Palästinensergebieten beenden: durch die Vereinigung des Gazastreifens mit Ägypten und der Westbank mit Jordanien beispielsweise.


VON TILMAN TARACH*


Einen Vorwurf der besonderen Art äußerte unlängst Uri Avnery gegen Ariel Scharon: Der damalige Verteidigungsminister Israels habe 1981 den Plan gehabt, „die Palästinenser zu ermutigen, in Jordanien eine Revolution auszulösen und König Hussein abzusetzen“, um dann „Jordanien in einen palästinensischen Staat unter Yassir Arafat zu verwandeln und mit der palästinen­sischen Regierung in Amman über die Zukunft der Westbank zu verhandeln“. Avnery war in jenen Jahren noch Mitglied der israelischen Knesset, inzwischen ist er ein allseits beliebter Antizionist und Antikommunist, und der bitterböse Plan, in den ihn damals Scharon persönlich eingeweiht haben soll, empört ihn heute mächtig, gerade so als wäre er ein bekennender Monarchist, dem der Thron des jordanischen Königs heilig ist.

Was hätte eigentlich wirklich gegen eine „jordanische Option“ gesprochen? Und was spräche heute gegen sie? Jordanien war ursprünglich wie Restpalästina Teil der vom britischen Empire beherrschten palästinensischen Region („Mandatsgebiet Palästina“), auf deren Fläche für einen jüdischen und einen arabischen Staat reichlich Platz gewesen wäre; es umfasst 78 Prozent dieses Gebiets und wurde 1922 von den Briten als „Transjordanien“ abgetrennt. Restpalästina dagegen, das heute aus Israel plus Westjordanland plus Gaza-Streifen besteht und insgesamt nur wenig größer als Kuwait ist, verträgt kaum zwei souveräne Staaten, die sich zudem noch feindlich gesonnen sind.

Werfen wir einen nüchternen Blick auf die Hintergründe: Das jordanische Staatsgebiet ist mehr als viermal so groß wie dasjenige Israels, und seine Bevölkerungs­dichte beträgt nur ein Sechstel derjenigen Israels. Die meisten palästinensischen Flücht­linge der Kriege von 1948 und 1967 leben in Jordanien, etwa 60 Prozent aller Jordanier nennen sich „Palästinenser“, und auch der Rest unterscheidet sich von diesen, soweit es sich um Araber handelt, weder in Sprache, Religion noch Kultur. Bis 1967 war das Westjordanland jordanisch besetzt und auch förmlich annektiert, die dort lebenden palästinen­sischen Araber galten als Jordanier (und sind auch heute häufig im Besitz eines jordanischen Passes). Aber bezeich­nen­der­weise hat in jener Zeit keiner von ihnen eine Intifada gegen Jordanien ausgerufen, um im Westjordanland einen palästinensischen Staat zu schaffen, und kein palästinensischer Araber kämpfte je in Gaza gegen die Ägypter, die den Gaza-Streifen seit 1948 besetzt hatten: Der Kampf richtete sich immer nur gegen die Existenz Israels.

Als 1964 die PLO gegründet wurde, rief sie nicht zur Befreiung dieser jordanisch und ägyptisch besetzten Gebiete auf, sondern zur Zerstörung Israels; niemand innerhalb der PLO sprach damals von einem palästinen­sischen Staat, auch Ahmad Schukeiri nicht, der vormalige UN-Botschafter Saudi-Arabiens und (bis 1967) Vorsitzen­de der PLO. In Artikel 24 ihrer Charta von 1964 verzichtete die PLO sogar noch ausdrücklich auf Souveräni­täts­ansprüche auf das West­jordanland und den Gaza-Streifen. Die Strategie änderte sich erst nach 1967, als diese Gebiete nicht mehr jordanisch bzw. ägyptisch, sondern israelisch besetzt waren. Schon 1965 rühmte sich die PLO aber, 35 Juden getötet zu haben, die Zahl erhöhte sich in den Folgejahren. Auch dies zeigt die Verlogenheit des gebets­mühlenhaft vorge­tra­genen Lamen­tos, die Angriffe auf Juden seien nur eine Reaktion auf die israelische Besetzung der Westbank, die jedoch erst im Zuge des Sechstagekriegs 1967 erfolgte.

Bekanntlich bot Israel noch im selben Jahr an, im Rahmen eines Friedensvertrags über die Rückgabe der besetzten Gebiete zu verhandeln, doch die arabischen Staaten antworteten auf der Konferenz von Khartum mit dem berühmt gewordenen „dreifachen Nein“: Nein zum Frieden mit Israel, nein zur Anerkennung Israels, nein zu Verhandlungen mit Israel (nur Habib Bourguiba, der Präsident der weitgehend säkularen tunesischen Repu­blik, war schon 1965 für eine Einigung mit Israel eingetreten). Es ist die alte Position des berüchtigten Muftis von Jerusalem: No inch des heiligen musli­mischen Bodens für einen souveränen jüdischen Staat. In diesem Zusammenhang muss in Erinnerung gerufen werden, dass es Jimmy Carter war, der einen palästinensischen Staat im Westjordanland und Gaza-Streifen vor­schlug; erst darauf­hin griff die PLO diese Idee auf.

In Wahrheit ist die einzige prakti­kable Option, gegen die auch die Palästinenser keine ver­nünf­tigen Ein­wän­de vor­brin­gen können, diese: Das West­jordan­land (oder große Teile davon) vereinigt sich mit Jordanien und Gaza mit Ägypten. (Als im Februar 2008 die Palästinenser Gazas die ägyptische Grenzbefestigung zum Sinai überrannten, geschah dies schließlich unter der an die Ägypter gerichteten Parole „Wir sind ein Volk“.) Sowohl mit Ägypten als auch mit Jordanien unterhält Israel immerhin einen Friedensvertrag, anders als mit allen anderen arabischen Ländern, die an den Kriegen beteiligt waren. 30 Pro­zent der Palästinenser im Westjordanland befür­worten laut Umfragen eine derartige Lösung, die ja in gewisser Weise sogar panarabischen Charakter hätte. Doch bekämpft wird sie von der jordanischen Haschemiten-Dynastie, die um ihren Thron fürchtet und deshalb schon 1988 auf sämtliche territorialen Ansprüche auf das Westjordanland verzichtete.

Wie die Jerusalem Post berichtet, bezeichnete König Abdullah schon eine bloße Konföderation zwischen Jordanien und dem Westjordanland als eine „Verschwö­rung gegen das Königreich und gegen die Palästinenser“. Auch alle bekannteren palästinensischen Gruppen verteufeln einen solchen Plan: Die Schaffung eines zweiten palä­sti­nensischen Staates neben Jordanien war für sie stets nur ein Vorwand, der ihre antiisraelische Politik kaschieren sollte, und die Anerkennung des um die Westbank vergrößerten Jordanien als Staat der Palästinenser würde ihnen diesen Vorwand nehmen.

Ihr eigentliches Ziel war stets die Zerstörung Israels, und dieses Ziel würden sie in ihrem unheiligen Zorn über die „zionistische Anmaßung“ auch dann noch verfolgen, wenn sich die Juden Israels mit ihrem Staat auf die Festung Masada im Judäischen Gebirge oder auf die Strandpromenade von Tel Aviv zurückziehen würden.

* Tilman Tarach hat soeben das Buch Der ewige Sündenbock. Heiliger Krieg, die „Protokolle der Weisen von Zion“ und die Verlogenheit der sogenannten Linken im Nahostkonflikt veröffentlicht (Edition Telok). Der Text „Vorschlag zur Güte“ erschien zuerst in KONKRET 2/2009. Der Nachdruck auf Lizas Welt erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Zeitschrift.

Zum Foto: Ein Hamas-Terrorist versucht, Bewohner des Gazastreifens vom Sturm auf die Grenze zu Ägypten abzuhalten, die von ägyptischen Polizisten (im Bildhintergrund) gesichert wird. Rafah, Januar 2008.