5.4.07

Der Propagandhi

Die Mullahs lassen die fünfzehn britischen Soldaten frei – Zeit für das Ritual der deutschen Medien, den unvermeidlichen Iran-Experten das Wort zu erteilen. Und einer fehlt bei solchen Gelegenheiten nie: Bahman Nirumand. Der sieht in der bizarren Inszenierung des Regimes allen Ernstes ein „Einlenken in der Geisel-Krise“, die „für den Präsidenten eine Niederlage“ sei. Denn: „Die Begnadigung war sicherlich nicht sein Wille, sondern der seiner Gegner, denen offenbar gelang, ihm Zügel anzulegen und damit eine dem Land drohende Gefahr abzuwenden.“ Und daraus resultiere nun eine existenzielle Entscheidung: „Iran steht an einem Scheideweg. Entweder wird es den Radikalislamisten um Ahmadinedjad [...] gelingen, die Macht zu monopolisieren, oder seine Kritiker, die Moderaten, die Reformer werden es schaffen, ihm das Steuer aus der Hand zu nehmen. In dieser Runde scheinen die Moderaten gesiegt zu haben.“ Die alte Mär also von den Gemäßigten, die man nur genügend unterstützen müsse, und fast alles werde auf allerfriedlichstem Wege gut; ein Plädoyer zudem für die Fortsetzung genau jenes Kritischen Dialogs, den Bundesregierungen seit einer gefühlten Ewigkeit mit Teheran führen – inklusive der bekannten Ergebnisse. Folgt man Nirumands Logik, dann hatte das Kidnapping sogar etwas richtig Gutes, denn immerhin hat es Ahmadinedjad geschwächt. Der muss bei seiner als groteske Demonstration der eigenen Friedfertigkeit aufgemachten Freilassungsshow also zwangsläufig nur gute Miene zum für ihn bösen Spiel gemacht und nicht einen Triumph genossen haben. An dieser Sichtweise sind wohl nicht unerhebliche Zweifel angebracht, um es zurückhaltend zu formulieren.

Leon de Winter hat denn auch eine ganz andere Einschätzung der Angelegenheit. Sein Text „Europa unterwirft sich dem Frieden“ wurde zwar vor der Freilassung der Soldaten verfasst, doch das ändert gerade nichts daran, dass er Recht hat, wenn er befindet, der iranische Plan sei wohl kalkuliert gewesen und kein Anzeichen einer Krise des Apparats: „Die Mullahs gehen davon aus, dass die Abneigung der Muslime gegen den Westen so tief und allgemein ist, dass kleine Siege und symbolische Demütigungen die Differenzen zwischen den Hauptzweigen des Islam überbrücken können.“ Die EU habe dem wie immer nichts entgegenzusetzen gehabt und sein Mitglied Großbritannien im Stich gelassen. Das sei das „zwangsläufige Ergebnis der europäischen ‚Friedenspolitik’“. Denn „welcher Art auch immer der Aggressor ist: Man kann mit ihm in Form endloser Verhandlungen einen Umgang finden“. Wer das anders sehe, werde als „Kriegstreiber“ verunglimpft. „Aber es gibt dramatische Scheidewege in der Geschichte, bei denen das Streben nach Frieden Krieg und Zerstörung bewirkte“, schreibt de Winter und nennt historische Beispiele, denen bei allen nicht unerheblichen Unterschieden eines gemeinsam sei: der Verzicht auf Freiheit zugunsten eines unbedingten Friedens, den mal das Appeasement gegenüber den Freiheitsfeinden und mal sogar die Kollaboration mit ihnen ausgezeichnet habe. Auf die Gegenwart bezogen, werde eine solche Haltung absehbar fatale Konsequenzen haben: „Aus Sicht der Mullahs wird es erst ‚Frieden’ geben, wenn sich die Menschheit dem Islam unterworfen hat.“ Lizas Welt hat de Winters Beitrag ins Deutsche übersetzt.


Leon de Winter

Europa unterwirft sich dem Frieden


Am 30. März trafen sich die Außenminister der EU in Bremen, um über die Entführung von 15 britischen Soldaten durch den Iran zu diskutieren. Die Minister verweigerten dem britischen Vorschlag die Unterstützung, die Mullahs mit der Androhung eines Widerrufs der Exportgarantien unter Druck zu setzen. Ihre gemeinsame Erklärung „missbilligt den fortgesetzten Arrest von 15 britischen Bürgern durch den Iran“ natürlich und „unterstreicht die bedingungslose Unterstützung der britischen Regierung“. Aber das war schon alles, was sie unter „bedingungsloser Unterstützung“ verstanden. Es gab keinen diplomatischen oder wirtschaftlichen Boykott, nicht einmal in Ansätzen, ganz zu schweigen von einer militärischen Drohung. Die EU brachte nicht die Kraft auf, einen ihrer wichtigsten Mitgliedsstaaten zu unterstützen. Die Substanzlosigkeit der Erklärung steht in scharfem Gegensatz zur Schwere des Vorfalls. Die britischen Soldaten befanden sich in irakischen Gewässern, und zwar mit Billigung des UN-Sicherheitsrats.

Die iranischen Führer haben diesen Zwischenfall herbeigeführt, um den Willen des Westens zu prüfen und ihre eigene Macht zu demonstrieren, genau wie die vom Iran unterstützte Hizbollah Israels Entschlossenheit und die Unterstützung durch die eigenen Massen testen wollte, als sie die Reaktion aus Jerusalem auf die Entführung israelischer Soldaten erwartete. Warum will der Iran erst provozieren und dann die Reaktionen taxieren? Erstens: Teheran strebt danach, die islamische Welt zu dominieren, und glaubt, durch das Herausfordern des Westens die Bewunderung sowohl von den Sunniten als auch von den Schiiten gewinnen zu können. Die Mullahs gehen davon aus, dass die Abneigung der Muslime gegen den Westen so tief und allgemein ist, dass kleine Siege und symbolische Demütigungen die Differenzen zwischen den Hauptzweigen des Islam überbrücken können. Afshin Ellian, ein iranischer Rechtsprofessor an der Universität Leiden, stellte fest, dass die persischsprachigen Fernsehsender des Iran dem Vorfall weniger Aufmerksamkeit schenken als die arabischen Programme; das Kidnapping als publicityträchtiges Ereignis ist speziell für das sunnitische arabische Publikum inszeniert worden.

Die Holocaustleugnungen dienen einem ähnlichen Zweck. Indem Zweifel an der Existenz von Gaskammern geäußert und Juden der finanziellen und moralischen Erpressung der Menschheit durch eine Lüge geziehen werden, hofft man, die Antisemiten und Antizionisten in Ost und West zusammenzubringen. Darüber hinaus will der Iran deutlich machen, dass er seine nuklearen Pläne nicht aufgeben wird. Die Entführungen scheinen auszudrücken: Der Iran kann und wird 15 britische Soldaten aus dem Meer pflücken, und er kann Amerikaner und Briten im Irak furchtbar bluten lassen, wenn die iranischen Atomanlagen angegriffen werden. Die EU reagierte, wie es die Mullahs erwartet hatten: Sie tat nichts. Sie droht noch nicht einmal mit dem Ende der Exportgarantien, obwohl Europa einen möglichen Verlust der entsprechenden Erlöse, die gerade einmal 1,5 Prozent des gesamten Exportvolumens ausmachen, leicht verschmerzen könnte. Stattdessen beschloss sie, den Iran mit Glacéhandschuhen anzufassen – wie seit Jahren schon.

Das Problem ist, dass die EU kein anderes Paar Handschuhe hat. Die gegenwärtige Krise ist das zwangsläufige Ergebnis der europäischen „Friedenspolitik“. Europas obere Klassen hüten das Konzept soft power wie ihren Augapfel. Welcher Art auch immer der Aggressor ist: Man kann mit ihm in Form endloser Verhandlungen einen Umgang finden. Man mutmaßt offenbar, dass jemand, der spricht, nicht kämpfen kann. Europas Eliten sind vom Prinzip des „Friedens“ beseelt, und wer kann dagegen etwas haben? Diejenigen, die damit nicht einverstanden sind, müssen „Kriegstreiber“ sein. Aber es gibt dramatische Scheidewege in der Geschichte, bei denen das Streben nach Frieden Krieg und Zerstörung bewirkte. Frieden war Chamberlains Motivation, mit Hitler einen Deal zu machen. Frieden war auch die Motivation der gleichnamigen westeuropäischen Bewegung in den 1980er Jahren, gegen amerikanische cruise missiles auf dem Kontinent zu sein: „Lieber rot als tot“, lautete die Parole auf Demonstrationen von Amsterdam bis Paris. Währenddessen litten Dissidenten im Gulag, weil sie nicht rot werden wollten. In Osteuropa regierte wirklich „Frieden“ das Land, aber es war der Frieden eines Polizeistaats. Wie Churchill bereits begriffen hatte: Die westliche Zivilisation basiert nicht auf dem Kampf für Frieden, sondern auf dem Kampf für Freiheit.

Nach dem Fall der Berliner Mauer richteten die Progressiven im Westen den Fokus darauf, den Frieden im Nahen Osten zu bewahren. Friedensaktivisten gingen 1990 als menschliche Schutzschilde für Saddam Hussein in den Irak, um den Frieden dieses Vergewaltigers eines jeden Menschenrechts zu erhalten und um die Freiheit zu verhindern, die die Koalitionstruppen bringen würden. Die USA entschieden sich schließlich gegen die Freiheit für den Irak – mit bitteren Konsequenzen für die Zukunft. Die Mullahs sagen, ihr Streben nach Weltbeherrschung bringe ebenfalls den Frieden – denn sie behaupten, das sei die Bedeutung von „Islam“. Aber das Wort bedeutet, wörtlich übersetzt, „Unterwerfung“. Aus Sicht der Mullahs wird es erst „Frieden“ geben, wenn sich die Menschheit dem Islam unterworfen hat. Europa kann diese iranische Art von Frieden nicht stoppen, wenn man davon ausgeht, dass die EU sich an den lieblichen, aber gefährlichen Gedanken kettet, dass Frieden immer besser als Krieg ist. In der Praxis bedeutet dies das schleichende Ende der liberalen europäischen Demokratien.

Denn soft power ist ihre Waffe. Europa hat seine Armeen verkleinert, weshalb sie kaum zu gebrauchen sind. Als die Niederlande vor einigen Jahren eine Flotte in den Golf schickte, warnten Soldatenvereinigungen, das sei gefährlich und könne Opfer fordern; der Gedanke, dass Soldaten vielleicht kämpfen müssen und sterben könnten, war für sie absurd. Großbritannien hat seine Armee in einem solchen Ausmaß verkleinert, dass die Kriegserklärung des Iran – einer aggressiven, aber chaotisch organisierten Theokratie – nicht adäquat beantwortet werden konnte. Die EU könnte – zumindest theoretisch – kollektiv auf die Bedrohung reagieren, aber welcher Mitgliedsstaat ist bereit, seine eigenen Söhne für 15 britische Soldaten zu geben? Aber wenn nicht, wo ist die Reizschwelle? Würde die EU eingreifen, wenn 20 polnische Soldaten entführt würden? 25 Rumänen? 50 Niederländer?

Die unfähige Reaktion auf die iranische Kriegserklärung zeigt, dass Frieden wenig mehr ist als der Frieden des Friedhofs, auf dem europäische Politiker – gute, wohlmeinende Leute mit den besten Absichten – ihre Zivilisation begraben werden. Im Moment verhandelt die britische Regierung – verzweifelt, verlegen und machtlos – mit den Mullahs. Die Briten werden einen Preis für die Freilassung ihrer Soldaten bezahlen müssen. Wenn der Iran einmal ein Atomstaat ist, wird er uns alle als Geiseln nehmen. Und wir werden dann ebenfalls einen Preis zahlen.

Hattip: barbarashm, Nasrin Amirsedghi