Bayerische Metamorphosen
Der FC Bayern München wittert wieder Morgenluft. Das ging überraschend schnell, denn dass die Nacht am schwärzesten war, liegt erst einen Monat zurück: Damals befand sich das Team in bemitleidenswertem Zustand, weshalb es beim Rekordmeister zum ersten Mal seit elf Jahren wieder einen Trainerrauswurf während der laufenden Saison gab; der neue Coach war zwar der alte, erkannte seine Kicker aber nicht mehr und kündigte darob an, zum Saisonende wieder das Weite zu suchen. Auf dem Höhe- beziehungsweise Tiefpunkt brachte sich schließlich auch noch der notorische Lothar Matthäus als neuer Übungsleiter selbst ins Gespräch („Ich bin ein Insider der Bundesliga und speziell des FC Bayern, und wer meine bisherige Laufbahn sieht, dem muss klar sein: Mein Ziel muss die Bundesliga sein“). Doch wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her. Heißt: Wenn man schon nicht gewinnt, kann man sich immer noch die Niederlagen schön reden. Also wurde das 2:3 bei Real Madrid im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League flugs zum Erfolg umgelogen, obwohl die Bayern froh sein durften, nicht ordentlich die Hütte voll gekriegt zu haben.
Doch anschließend ging es tatsächlich aufwärts, auch wenn es eher unwahrscheinlich ist, dass am Ende der Saison erneut irgendeine der verbleibenden Trophäen den Weg in die Vitrine der Säbener Straße 51 in München findet. Immerhin aber scheint Ottmar Hitzfeld dem Klub wieder Leben eingehaucht zu haben; zu verlieren hatte er nichts, dafür jedoch die ultimative Chance, allen zu zeigen, dass die schmachvolle Entlassung vor zweieinhalb Jahren ein Fehler war. Daher genießt er nun sichtlich das neue Werben der Vereinsverantwortlichen, die er aus gutem Grund zappeln lässt. Und ein Blick darauf, wer von verschiedener Seite für den Fall, dass Hitzfeld ab Juli doch lieber wieder das Premiere-Mikrofon in die Hand nimmt, so alles als Nachfolger ins Gespräch gebracht wird, lässt den Lörracher noch glänzender aussehen. Neuester Kandidat: Stefan Effenberg, von seinem Bayern-Nachfolger Michael Ballack wärmstens empfohlen („Sachverstand“, „hohe Identifikation mit dem Verein“, „unverbraucht“, „starke Persönlichkeit“).
Zeit also, dass der Klub seinen Erfolgscoach zum Alex Ferguson des FC Bayern macht und ihn mit einem Vertrag auf Lebenszeit ausstattet. Denn irgendwie kann es für die Münchner keinen anderen geben; die Liaison erinnert an ein Pärchen, das trotz Trennung nicht voneinander loskommt, aus Überzeugung, aus Gewohnheit oder einfach, weil die Alternativen fehlen. Auch die Spieler würden es wohl begrüßen, wenn ihr Herr und Meister bliebe; zumindest schienen nicht wenige in den letzten Wochen wie von der sprichwörtlichen Zentnerlast befreit. Hier ein kleiner Rück- und Ausblick auf das Personal und seine Metamorphosen.
Oliver Kahn: Hat zwar noch nicht wie gewünscht wieder eine Kabinentür eingetreten, dafür aber Mitspieler van Buyten in Aachen medienwirksam wachgewürgt. Glänzend im Hinspiel gegen Real, aber schuld am Bremer Gegentor. Begründung: Hexenschuss. Hat als Entschädigung dafür einen Rentenvertrag inklusive Luxus-Krankenversicherung angeboten bekommen. Prognose: Hört trotzdem spätestens 2008 auf, wird danach Motivationstrainer oder Inhaber der Münchner Edeldisse P1.
Michael Rensing: Opfer des Kahnschen Rentenvertrags, wenn es ihn geben sollte. Will dann weg. Verständlich. Prognose: Bleibt, weil Kahn aufhört, und wird Stammkeeper. Hat seinen ersten Hexenschuss aber schon mit 28, weil die Reservebänke in der Bundesliga eine orthopädische Katastrophe sind.
Willy Sagnol: Schlug bis vor kurzem noch eine Christian-Ziege-Gedächtnisflanke nach der anderen, zielt inzwischen aber wieder besser, weil er das nicht mehr mit Medizinbällen üben muss. Prognose: Glänzend. Wird spätestens 2008 wunschgemäß Kapitän, wenn Kahn in Rente geht.
Lúcio: Wollte unbedingt zu den Alten Herren von Real Madrid und spielte lange Zeit auch so. Inzwischen wieder besser beieinander und mit weniger brachialen Vorstößen, dafür mit wichtigen Kopfballtoren. Prognose: Wird erneut Weltklasseform erreichen und auch aufhören, beim Torjubel seine schwangere Frau nachzuäffen, wenn die erst mal nicht mehr schwanger ist.
Daniel van Buyten: Niederlage beim Catchen gegen Kahn in Aachen, überlässt oft höflich dem einen Kopf kleineren Philipp Lahm die entscheidenden Luftduelle. Brachte aber Bayern in der Champions League eine Runde weiter: Hätte er nicht in der 90. Minute seine Hand gehoben, wäre der Schiri nie darauf gekommen, dass der Ausgleich für Real irregulär war. Prognose: Eher Ersatzbank, aber immer gut drauf.
Philipp Lahm: Wortspiele mit seinem Nachnamen füllen nur das Phrasenschwein, obwohl sie nach der WM durchaus gerechtfertigt waren. Hat laut kicker-Statistik aber immer die meisten Ballkontakte und wird von van Buyten außerdem zur Verbesserung seines Kopfballspiels genötigt. Zuletzt wieder rasanter unterwegs. Prognose: Wird mit 35 immer noch aussehen wie 16, aber auch dann noch Stammkraft sein.
Martin Demichelis: Einer der letzten Vertreter der Knochenbrecherfraktion; wollte sich wg. Nichtberufung zur WM schon das Leben nehmen, ließ es dann aber doch bleiben. Derzeit unterbeschäftigt, dafür als Auswechselspieler sehr engagiert beim Torjubel. Prognose: Konkurrenz für van Buyten, außerdem ab der nächsten Saison endlich mit argentinischem Teamkollegen (Sosa). Ansonsten gilt für ihn: „Lebbe geht weider.“ (D. Stepanovic)
Andreas Görlitz: Hat aus lauter Langeweile während seiner Verletzungspausen ein Saiteninstrument studiert; gab nach seiner Rettungsgrätsche gegen Wolfsburg eine Kostprobe davon (Air-Guitar-Solo). Scheint etwas übergewichtig, aber das täuscht. Prognose: Wird auch fürderhin gelegentlich zum Einsatz kommen und ansonsten in der Kabine mit der Klampfe für Stimmung sorgen.
Valérien Ismael: Zeigte zuletzt bei den Bayern-Amateuren, dass der Klub doch einen guten Freistoßschützen hat. Sollte im Training aber wieder mit Schienbeinschützern spielen. Prognose: Ebenfalls ein Anwärter, um van Buyten zu verdrängen; kann ansonsten kurz vor Schluss bei Standardsituationen wirkungsvoll eingewechselt werden.
Christian Lell: Wurde nur aus Köln zurückgeholt, weil es bei den Bayern Tradition ist, kleine Außenverteidiger zu haben. Prognose: Spielt nur, wenn ein anderer kleiner Außenverteidiger ausfällt. Ist für ihn aber immer noch angenehmer als die Zweite Liga.
Bastian Schweinsteiger: Wieder besser, seit er sich erst von seinem Berater und dann von seiner Cousine getrennt hat. Muss sich aber abgewöhnen, jeden Ball mit der Sohle zu stoppen, denn das kostet wertvolle Zeit und bringt nur Stollenabrieb. Prognose: Rückkehr zur Boygroup-Zeit mit Poldi, wenn er solo bleibt.
Mark van Bommel: Wollte mehr Arschlöcher in der Mannschaft und ging mit gutem Beispiel voran. Ohne ihn keine Hitzfeldsche Wortneuschöpfung Aggressiv-Leader. Mit philosophischen Qualitäten („Wir müssen jedes Spiel gewinnen, so einfach ist das jetzt. Es ist nicht so einfach, wie ich das jetzt sage, aber eigentlich schon.“), aber bei Elfmetern gegen das eigene Team bisweilen infantil. Prognose: Unangefochtener Chef, darf sogar Mitspieler schubsen, sollte aber dringend seinen Bewährungshelfer wechseln.
Hasan Salihamidzic: Schläft wieder mit dem Finger in der Steckdose und ist deshalb der heimliche Aggressiv-Leader. Technisch limitiert, aber mit graziler Urgewalt. Daher völlig unverzichtbar. Prognose: Schwerer Fehler des Klubs, „Brazzo“ zu Juve gehen zu lassen. Wird dort aber nicht glücklich und kommt nach einem Jahr wieder.
Owen Hargreaves: In England zum Fußballer des Jahres gewählt, in München ständig mit taktischer Grippe, um seinen Marktwert nicht zu gefährden. Wenn er spielt, dann solide. Prognose: Wechselt nach der Saison für geschätzte 100 Millionen Pfund zu ManU, bleibt dort, bis Alex Ferguson von der Bank kippt, und kehrt anschließend als Konditionstrainer oder Fanbeauftragter nach München zurück.
Andreas Ottl: Shooting Star unter Magath, aber zu schüchtern und daher jetzt wieder auf Normalmaß. Dafür mit echt bayerischem Namen, also regionaler street credibility. Prognose: Ersetzt Hargreaves in jeder Hinsicht: als idealer Schwiegersohn, Laufwunder und Popstar.
Ali Karimi: Technisch versierter als sein Staatspräsident, kommt im und mit dem Westen aber auch nicht besser klar. Prognose: Geht nach Dubai, kickt dort ein bisschen und organisiert den Bayern ansonsten die nächsten Wintertrainingslager.
Mehmet Scholl: Steckte laut kicker der Klubführung, dass Magath öde ist, und war damit hauptverantwortlich für den Trainerwechsel. Muss zum Dank nicht mehr so oft ran. Prognose: Bekommt entweder einen Job als Jugendausbilder bei den Bayern oder verlängert dort so lange seinen Vertrag, bis er gemeinsam mit seinem Sohn in einer Mannschaft spielen kann.
Roy Makaay: Dank Roberto Carlos und Brazzo schnellstes Champions League-Tor aller Zeiten, neuerdings gelegentlich jedoch Rotationsopfer. Beschwert sich aber grundsätzlich nie, nicht mal, wenn ihm ein Mitspieler beim Elfmeter den Ball wegschnappt. Prognose: Spielt weiter, trifft weiter, rotiert weiter. Normaal.
Claudio Pizarro: Konstant unkonstant, zwischen genialen Ideen hier und Anfällen akuter Lustlosigkeit dort. Künstler eben. Mehr Potenzial ist nicht, auch wenn das alle anders sehen wollen. Prognose: Bleibt zum gleichen Gehalt, weil er sich nächste Saison mit Jan Schlaudraff bei den Promillefahrten abwechseln kann.
Roque Santa Cruz: Doch nicht der Ballack-Nachfolger, was abzusehen war. Hat ausgedient, weil er sich nicht mehr mit Verletzungen herausreden kann – die letzte ist nämlich schon eine Weile her. Prognose: Verlässt den Klub und wird ewiges Talent in Spanien. Schafft später aber den internationalen Durchbruch als Koryphäe für Arthroskopismus.
Lukas Podolski: Erfinder des Stakkato-Interviews und Schrecken jedes Platzwartes, weil er nach seinen Toren die nächstgelegene Eckfahne demoliert. Das kommt in letzter Zeit häufiger vor, dank Ottmar Hitzfelds Streichelzoo. Prognose: Bestens. Wird erst absoluter Publikumsliebling, später Torschützenkönig und nach seiner Karriere Platzwart. Heiratet Schweini nur deshalb nicht, weil der nicht kochen kann.
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Update: Das ging dann doch schneller als erwartet und erhofft: Ottmar Hitzfeld bleibt Bayern-Coach – zumindest bis 2008. Ein Lebensvertrag wäre zweifellos angemessener gewesen, aber wie sagte Manager Uli Hoeneß immerhin? Der Kontrakt könne sich „Jahr für Jahr um zwölf Monate verlängern“. Na also.