16.3.07

Akademische Präventivkriecher

Es gab Zeiten, da musste man schon halbwegs kreativ sein, um unliebsame Veranstaltungen an Universitäten zu verhindern oder wenigstens massiv zu stören: Die Achtundsechziger versuchten es noch mit Teach-ins, nachfolgende Studentengenerationen gegebenenfalls mit Blockaden oder Sitzstreiks. Heute ist es bisweilen deutlich einfacher, eine Vorlesung oder ein Seminar platzen zu lassen, und dabei muss man noch nicht einmal befürchten, Sabotage an der akademischen Freiheit vorgeworfen zu bekommen. Ein, zwei simple E-Mails können genügen, um Hochschulverantwortliche dazu zu bewegen, per vorauseilendem Gehorsam eine ganze Vortragsreihe abzublasen. So geschehen am vorgestrigen Mittwoch im englischen Leeds, wo der deutsche Publizist und Politikwissenschaftler Matthias Küntzel an der dortigen Universität eigentlich eine Vorlesung inklusive Diskussion und einen mehrtägigen Workshop zum Thema „Hitlers Vermächtnis: Islamischer Antisemitismus im Nahen Osten“ gestalten sollte. Doch die Lehranstalt cancelte die gesamte Veranstaltung wenige Stunden, bevor sie beginnen sollte – aus „Sicherheitsgründen“.

Küntzel war vom deutschen Fachbereich der Bildungseinrichtung eingeladen worden; unterstützt wurden Vortrag und Workshop von der School of Modern Languages. Seit mehreren Wochen schon kündigten Plakate und Handzettel das Ereignis an, und die Veranstalter rechneten mit großem Andrang. Die Hochschulleitung will allerdings erst kurz zuvor auf all dies aufmerksam geworden sein, insbesondere durch zwei Protestmails. Die eine stammte von einem Studenten mit, wie er selbst schrieb, „nahöstlichem und islamischem Hintergrund“. Er beklagte sich, die Veranstaltung sei „hochgradig verletzend“: „Zu unterstellen, dass es eine direkte Verbindung zwischen dem Islam und dem Antisemitismus gibt, ist nicht nur eine Pauschalisierung, sondern auch eine irrige Annahme, die kein Quäntchen Wahrheit enthält.“ In der anderen E-Mail hieß es: „Als Muslim und Araber bin ich schockiert. Die einzige Absicht, die Sie verfolgen, ist es, Hass hervorzurufen, denn ich halte das für einen offen rassistischen Angriff.“ Die Organisatoren wurden daraufhin am Dienstag – einen Tag vor dem Beginn des Meetings also – von den Universitätsverantwortlichen um eine Änderung des Titels gebeten und benannten ihn schließlich um in „Das Vermächtnis der Nazis: Der Export des Antisemitismus in den Nahen Osten“. Doch auch das half nichts: Am Mittwochmorgen wurde der Leiter des deutschen Fachbereichs, Stuart Taberner, zu einem Gespräch mit dem Vizekanzler der Bildungseinrichtung und dessen Mitarbeitern sowie dem Sicherheitsbeauftragten einbestellt. Dabei teilte man ihm mit, die Vorlesung und der Workshop seien abgesagt.

Ahmed Sawalem, der Präsident der studentischen Islamic Society an der Universität Leeds, bestätigte zwar, beim Vizekanzler Michael Arthur offiziell Protest eingelegt zu haben: „Der Titel des Vortrags ist provokativ. Ich habe im Internet Küntzels Schriften gelesen, und sie sind nicht sehr erfreulich.“ Doch er bekräftigte auch: „Wir sind nicht gegen die Meinungsfreiheit. Wir haben uns nur beschwert, aber nicht die Absage der Veranstaltung gefordert.“ Gleichwohl beharrte die Hochschule darauf, es sei Gefahr im Verzug, und gab auch noch den Ausrichtern die Schuld: „Die Versammlung wurde aus Sicherheitsgründen abgesagt und weil die Organisatoren – entgegen unseren Regeln – keine Einschätzung der Risiken vorgenommen, nicht für begleitende Maßnahmen gesorgt und uns nicht darum gebeten haben, die Sicherheit und öffentliche Ordnung zu gewährleisten.“ Das brachte Annette Seidel-Arpaci vom deutschen Fachbereich auf die Palme: „Das hier ist eine akademische Vorlesung von einem Wissenschaftler und keine politische Kundgebung. Die plötzliche Absage ist ein Ausverkauf der akademischen Freiheit, insbesondere der Redefreiheit, an der Universität Leeds.“ Universitätssekretär Richard Gair widersprach: „Die Absage hat nichts mit akademischer Freiheit, der Redefreiheit, Antisemitismus oder Islamophobie zu tun, und wer das Gegenteil behauptet, sorgt nur für böses Blut.“

Küntzel (Foto) war bereits vor Ort, als er von der Absage erfuhr, und zeigte sich fassungslos: „Ich habe zu diesem Thema in zahlreichen Ländern gesprochen, und es ist das erste Mal, dass ich dafür nach Großbritannien eingeladen wurde. Aber so etwas wie hier ist mir noch nie passiert – das ist Zensur. Das Thema ist zwar kontrovers, aber ich bin an Diskussionen gewöhnt. Ich schätze die Freiheit akademischer Debatten sehr, und ich habe den Eindruck, dass sie hier wirklich gefährdet ist. Die Thematik ist sehr wichtig, und wenn man sie an einer Universität nicht angemessen besprechen kann, wofür gibt es eine Universität dann?“ Die Begründung der Hochschule konnte Küntzel nicht nachvollziehen: „Mir wurde gesagt, es gebe Sicherheitsbedenken – sie könnten mich nicht schützen, hieß es. Aber ich fühle mich in keiner Weise bedroht. Ich glaube vielmehr, dass sie das Thema hier vermeiden wollen, um die Lage ruhig zu halten. Dabei ist das schon deshalb Unsinn, weil ich auch über christlichen Antisemitismus spreche.“

In der Tat sind die angeblichen Sicherheitsbedenken ein schlechter Scherz. Die Protestschreiben sind zwar absurd und drastisch formuliert, kündigen aber keine Gewalttätigkeiten an. Drohungen gab es also schlicht und ergreifend nicht. Und selbst wenn es sie gegeben hätte, muss sich die Anstaltsleitung fragen lassen, warum sie es nicht vermochte, entsprechende Vorkehrungen zu treffen – Küntzels Beiträge waren schließlich schon längere Zeit angekündigt –, und ob ihre Maßnahme nicht tatsächlich politisch motiviert war. Matthias Küntzel arbeitet unter anderem für eines der bedeutendsten Institute für Antisemitismusforschung, das Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism (SICSA) an der Hebrew University of Jerusalem, und ist Mitglied des Direktorenrats der Scholars for Peace in the Middle East (SPME), einer akademischen Vereinigung, die weltweit mehr als 6.000 Mitglieder hat und an über 300 Hochschulen tätig ist. Seinen für Leeds geplanten Vortrag hatte er bereits mehrfach gehalten, unter anderem in Wien und – im Rahmen einer Reihe mit dem Titel „Antisemitismus in vergleichender Perspektive“ an der renommierten Yale University. Ein zweitägiges Seminar mit einem solch hochkarätigen Wissenschaftler zu streichen, noch dazu aus völlig abwegigen Gründen, ist ein Affront und ein handfester Skandal – und ein weiteres Beispiel für den höchst freiwilligen Kotau vor dem Islamismus, der in Großbritannien vor allem im akademischen Bereich alles andere als eine Seltenheit ist. Daniel Johnson hat daher Recht, wenn er auf der Website des Commentary Magazine konstatiert:
„Der Fall Küntzel zeigt, dass Muslime noch nicht einmal zu Gewaltdrohungen greifen müssen, um akademische Debatten zu Themen zu verhindern, die ihnen nicht passen. [...] Leeds hat einen Präzedenzfall geschaffen: das präventive Kriechen. Islamisten werden sich überall ein Herz fassen, nachdem eine renommierte Universität mit ihrem Spektakel deutlich gemacht hat, dass sie die akademische Freiheit geringer gewichtet als die Möglichkeit, dass muslimische Studenten beleidigt sein könnten. Es wird interessant sein zu beobachten, ob eine andere britische Universität diese schmachvolle Episode zu tilgen versucht, indem sie Küntzel einlädt, seinen in Leeds abgesagten Vortrag zu halten. Vielleicht folgt Oxford ja dem Beispiel Yales und vieler anderer und bietet Küntzel eine Plattform für seine Erläuterungen, wie die Nazis die Muslimbruderschaft in Ägypten und den Großmufti von Jerusalem unterstützten. Immerhin ist Oxford stolz darauf, eine solche Plattform einem Sprössling dieser Muslimbruderschaft zu geben: Tariq Ramadan.“
Zum Weiterlesen:
Matthias Küntzel: Hitler’s Legacy: Islamic Antisemitism in the Middle East
Matthias Küntzel: Islam, Faschismus und Nationalsozialismus
Matthias Küntzel: Islamischer Antisemitismus

Übersetzungen: Lizas Welt – Hattips: barbarashm, Olaf Kistenmacher, Niko Klaric, Sonja Wanner, Rowlf_the_Dog