Der freundliche Skinhead

Das hört sich alles harmlos und nicht unsympathisch an; das Problem dabei ist nur: Die Dinge liegen doch etwas anders. Der Psychologe und Autor Colin Goldner veröffentlichte bereits 1999 eine kritische Würdigung des Dalai Lama* und präsentierte dabei zahlreiche Tatsachen, die so gar nicht zum Selbstbild des Gottkönigs und zu der nicht nur unter seinen Anhängern verbreiteten Auffassung passen wollen, nach der das bis 1951 existierende „alte Tibet“ eine Oase des Pazifismus und der spirituellen Reife gewesen sei, bis die Chinesen diesem Paradies mit roher Gewalt ein Ende gesetzt hätten. Der tibetische Buddhismus ist jedoch vielmehr die vernunftwidrige, gegen die Aufklärung gerichtete Religion einer autoritären Sekte, die im 15. Jahrhundert den Kult um den Dalai Lama hervorbrachte, sich den Weg an die Spitze mit brutaler Gewalt und Intrigen bahnte und dabei mit Rivalen alles andere als zimperlich umsprang, um es zurückhaltend zu formulieren. Demokratisch legitimiert war die Lama-Dynastie nie; abwählbar ist sie dementsprechend auch nicht. Die Zeit, in der sie in Tibet unumschränkt herrschte, war für die Bevölkerung nicht von Sanftmütigkeit und Toleranz, sondern im Gegenteil von äußerster Armut, rabiater Unterdrückung und barbarischer Ausbeutung bei einer Alphabetisierungsquote von ganzen zwei Prozent geprägt. Das Justizsystem der feudalen Mönchsdiktatur stammte zudem aus grauer Vorzeit, wie Goldner schrieb:
„Das tibetische Strafrecht leitete sich aus einem Gesetzeswerk Dschingis Khans des frühen 13. Jahrhunderts ab und zeichnete sich durch extreme Grausamkeit aus. Zu den bis weit in das 20. Jahrhundert hinein üblichen Strafmaßnahmen zählten öffentliche Auspeitschung, das Abschneiden von Gliedmaßen, Herausreißen der Zungen, Ausstechen der Augen, das Abziehen der Haut bei lebendigem Leibe und dergleichen. Obgleich der 13. Dalai Lama 1913 das Abhacken von Gliedern unter Verbot gestellt hatte, wurden derlei Strafen noch bis in die 1950er Jahre hinein vorgenommen. [...] Selbst die ansonsten gänzlich unkritische Autorin Indra Majupuria weist in ihrem Buch Tibetan Women auf historische Belege dafür hin, dass im ‚alten Tibet’ eine Frau bei Ehebruch völlig legal von ihrem Ehemann getötet werden konnte.“ (S. 24 f.)Dessen ungeachtet gab es in Deutschland bereits zu Beginn der 1920er Jahre einen regelrechten Tibet-Boom mit zahlreichen Abenteuerfilmen, Büchern und Ausstellungen über das „Dach der Welt“. Auch die Nationalsozialisten zeigten großes Interesse an Tibet; sie gingen dort nicht zuletzt einer angeblichen Ur-Verwandtschaft zwischen der „indo-arischen“ und der „germanischen Menschenrasse“ nach. Heinrich Himmler – ein Verehrer der Theosophin Helena Blavatsky und ihrer „Rassenlehre“ – finanzierte 1938 sogar eine Expedition in das Schneeland und stellte sie unter seine persönliche Schirmherrschaft. Federführend war dabei der Biologe und Tibetforscher Ernst Schäfer; begleitet wurde er unter anderem vom „Rassekundler“ Bruno Beger, der an hunderten Tibetern Schädelvermessungen durchführte (und diese Tätigkeit ab 1943 als Arzt im Konzentrationslager Auschwitz fortsetzte; der Dalai Lama pflegte zu Beger noch in den 1990er Jahren enge Kontakte). Es kam zu einem Treffen mit Vertretern des tibetischen Regimes, dessen Verlauf und Ergebnisse nie öffentlich gemacht wurden. Goldner: „Der Dalai Lama, dessen Regent und persönlicher Tutor Jamphel Yeshe Gyaltsen, bekannt als Reting Rinpoche, im Jahre 1939 eine SS-Delegation offiziell im Potala empfangen hatte, weigert sich bis heute, irgendwelche Auskunft zu den damaligen Unterredungen zu geben; auch aus den Aufzeichnungen des Delegationsleiters Ernst Schäfer, der mehrfach mit dem Regenten sowie hochrangigen Regierungsmitgliedern zusammengetroffen war, geht kaum etwas über deren Inhalt hervor.” (S. 87)

Marcus Hammerschmitt hob in einem lesenswerten Beitrag hervor, dass es beileibe nicht bloß diese groteske Form von Hilfsbereitschaft und auch nicht nur die Suche nach „rassischen“ Gemeinsamkeiten waren, die den tibetischen Buddhismus für die Nationalsozialisten so attraktiv machten. Sie interessierten sich zudem stark für dessen Karma-Lehre, nach der „das gegenwärtige Geschick eines Menschen unmittelbar mit dem Verhalten in einem früheren Leben zusammenhängt und seinerseits wiederum Art und Qualität noch folgender Wiedergeburten bestimmt“. Das bedeutet, „dass jeder Mensch für jede Art von Unglück aufgrund ‚böser’ Handlungen in einem früheren Leben selbst verantwortlich sei“. Die Konsequenz liegt auf der Hand: „Dehnt man diese Interpretation auf ganze Gruppen von Menschen aus, ist es nur noch ein kleiner Schritt dahin, die Diskriminierung und Unterdrückung dieser Gruppe als das Wirken karmischer Gesetze zu lesen: Sie hätten eben früher nicht so böse sein sollen.“
Folgerichtig erscheint die Vernichtung der Juden als Strafe für schlechte Taten in früheren Epochen – eine Ansicht, die Heinrich Himmler vertrat und später auch der in der Esoterikszene hoch gehandelte „Reinkarnationstherapeut“ Trutz Hardo (bürgerlich Tom Hockemeyer). Die Karma-Ideologie wird darüber hinaus „sehr gezielt als individuelle und soziale Zuchtrute“ eingesetzt, wie Hammerschmitt schrieb: „Mit surreal gesteigerten Bestrafungsfantasien werden die Gläubigen vor dem Abweichen vom Pfad der Tugend gewarnt. In diesen Bestrafungsfantasien wimmelt es nur so von Teufeln, Dämonen und Höllen. Die genau ausgemalten Qualen, denen der karmisch unzuverlässige Buddhist in einer künftigen Wiedergeburt, oder in der Phase zwischen den verschiedenen Inkarnationen [...] ausgesetzt ist, wirken wie die Fieberfantasien von Sadisten.“

Nicht zuverlässig belegbar sind darüber hinaus die von tibetischer Seite immer wieder kolportierten Opferzahlen. Als fragwürdig darf beispielsweise die Darstellung der Niederschlagung des antichinesischen Aufstands in Lhasa 1959 gelten: 87.000 Tote habe es damals gegeben, behauptet der Dalai Lama; „eine Differenzierung nach Kampfparteien unterlässt er wohlweislich, was die Suggestion nährt, es habe sich ausschließlich um tibetische Opfer gehandelt: Laut Report des US Joint Publications Research Service in Washington waren indes drei von vier der insgesamt 65.000 Toten Chinesen” (Goldner, S. 142 f.). Und last but not least ist auch die beständig wiederholte These eines „kulturellen Genozids“ durch „Sinisierung“ nicht haltbar, wie Goldner nachwies:
„Die Argumentation des Dalai Lama [bezieht sich] stets auf das ‚ethnografische’ Tibet, das heißt auf den gesamten großtibetischen Siedlungsraum. Er unterschlägt, dass das zwischen 1913 und 1951, dem Zeitraum tibetischer ‚de-facto-Unabhängigkeit’, von Lhasa kontrollierte ‚politische’ Tibet im wesentlichen der nur etwa halb so großen heutigen Autonomen Region Tibet entspricht. Die darüber hinaus reichenden östlichen Territorien (mithin Amdo und Kham) unterstehen bereits seit 1720 (!) mandschurischer (ab 1912 nationalchinesischer) Kontrolle, sie waren nicht Teil des ‚politischen’ Tibet, für das 1913 die ‚Unabhängigkeit’ erklärt wurde. [...] Der han-chinesische Bevölkerungsanteil in der Autonomen Region Tibet [ART] liegt einschließlich militärischen Personals bei maximal 14 Prozent; rechnet man die rund 100.000 chinesischen Siedler allein, liegt er bei unter fünf Prozent. Seit Beginn der 1990er ist die zivile Migrationsbilanz (aller ethnischen Gruppen) in die ART sogar negativ. [...] Die Behauptung der tibetischen Exilregierung, es habe sich seit Ende der 1980er ‚eine Million Chinesen, nicht einbezogen militärisches Personal’ in der ART ansässig gemacht, ‚davon einige hunderttausend Händler und Siedler allein in Lhasa’, ist barer Unsinn.“ (S. 196)

Hinter der Botschaft des Dalai Lama verberge sich bei näherer Betrachtung „eine durch und durch unfriedliche und undemokratische Praxis“: „Einerseits ist das so genannte geistige und politische Oberhaupt der Tibeter nie demokratisch gewählt worden. Als kleiner Junge wurde er auf Grund eines okkultistischen Rituals zum Staatsoberhaupt erkoren. Zum anderen billigte der ‚gewaltfreie’ Dalai Lama den von 1958 bis 1973 gegen die Chinesen geführten bewaffneten tibetischen Untergrundkampf und begrüßte die indische Atombewaffnung.“ Weiterhin schlössen „die ‚sexualmagischen, spirituellen’ Praktiken des tibetischen Tantra die Vergewaltigung junger Frauen und sexuellen Kindesmissbrauch ein“, und die „freundschaftlichen Beziehungen der buddhistischen Herrscher Tibets zu den Nationalsozialisten“ fänden ihre Fortsetzung in den guten Beziehungen des Dalai Lama zu Vertretern rassistischer und antisemitischer Esoteriksekten: „So war Shoko Asahara, Gründer der japanischen AUM-Sekte und Hauptverantwortlicher für den tödlichen Giftgasanschlag auf die U-Bahn von Tokio im März 1995, ein Schützling des Dalai Lama.“
Möglicherweise wissen die Lama-Anhänger und Esoterik-Freaks davon nichts, möglicherweise billigen sie all dies aber auch oder nehmen es zumindest in Kauf. Das Ergebnis bleibt jedoch das gleiche; Claudia Barth brachte es auf den Punkt: „Der Tibet-Boom ist ein eindrucksvolles Beispiel, wozu die grundsätzliche Ablehnung der erkennenden Ratio, also der Wissenschaft, führen kann. Wer das wissenschaftliche, vernünftige Denken verwirft, wendet sich gegen die Grundwerte der Aufklärung und damit gegen die Grundidee der modernen bürgerlichen Gesellschaft. Die Anhängerschaft des Dalai Lama landet im Ergebnis ihrer linear-historischen Rückwärtsgewandtheit wieder in der vor-demokratischen Gedankenwelt des Feudalismus.“ (S. 149) Und in der haben durchaus auch Popstars ihren Platz.
* Colin Goldner: Dalai Lama. Fall eines Gottkönigs, Aschaffenburg (Alibri Verlag) 1999
** Claudia Barth: Über alles in der Welt – Esoterik und Leitkultur. Eine Einführung in die Kritik irrationaler Welterklärungen, Aschaffenburg (Alibri Verlag) 2003
Hattip: Gesine