29.10.08

Deutscher Konsens



Seit einigen Tagen tobt ein Streit über einen geplanten Allparteienbeschluss des Bundestages zum Thema Antisemitismus. Der Antrag sollte eigentlich pünktlich zum 9. November verabschiedet werden, dem 70. Jahrestag der Reichspogromnacht von 1938. Doch dann gab es Zoff: Die Unionsfraktion fand, die Linke sei kein Partner im Kampf gegen den Antisemitismus, weil sie sich nie vom Antizionismus der DDR distanziert habe und Abgeordnete ihrer Fraktion noch heute an antisemitischen Demonstrationen teilnähmen. Die Linke beschwerte sich, diese Vorwürfe seien „ahistorisch“ und eine Gleichsetzung der DDR mit dem „Dritten Reich“. Die Grünen wiederum waren der Meinung, die Union solle erst einmal vor ihrer eigenen Haustür kehren. Und die kreuzunglücklichen Sozis forderten die CDU und die CSU auf, endlich einzulenken.

Nun hat das Bundeskanzleramt einen Kompromissvorschlag vorgelegt; die ersten Reaktionen darauf fielen durchweg zustimmend aus. Bislang ist der Text zwar noch nicht öffentlich; Lizas Welt hat ihn jedoch bereits zugespielt bekommen. Die Vorlage umreißt in bemerkenswerter Deutlichkeit und Offenheit den deutschen Konsens in Bezug auf das Verständnis von Antisemitismus und den Kampf gegen ihn. Auch das parteiübergreifende Selbstverständnis hinsichtlich der deutschen Geschichte und Gegenwart wird überaus anschaulich. Nachfolgend sei der Entwurf deshalb in voller Länge dokumentiert.

Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen

Den Kampf gegen den Antisemitismus verstärken, jüdisches Leben in Deutschland fördern, Israels Sicherheit berücksichtigen


70 Jahre nach den Schrecken der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 hat jüdisches Leben in Deutschland neue Wurzeln geschlagen. Unsere früheren Feinde sind enge Freunde geworden. Dies ist Anlass zu großer Freude, wenngleich der Antisemitismus noch immer nicht besiegt ist. Denn weiterhin werden in Deutschland jedes Jahr Straftaten begangen, die sich gegen Jüdinnen und Juden richten. Damit wird dem internationalen Ansehen unseres Landes schwerer Schaden zufügt. Es kann jedoch kein Zweifel daran bestehen, dass die dunklen Jahre unserer Geschichte erfolgreich aufgearbeitet worden sind, wovon sinnbildlich das Holocaust-Mahnmal in Berlin zeugt, das weltweit größte seiner Art. Letztlich weiß niemand besser als die Deutschen, wie gefährlich und schädlich Antisemitismus ist: Die nationalsozialistische Judenvernichtung beraubte die Deutschen eines wesentlichen Teils ihrer Kultur und machte sie so zu den eigentlichen Leidtragenden. Diese Erfahrung schmerzt noch heute.

Umso bedeutsamer ist das gute und freundschaftliche Verhältnis, das die Bundesrepublik Deutschland – im Unterschied zur DDR – seit ihrer Gründung zum Staat Israel aufgebaut hat. Dessen Existenzrecht ist für alle im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen nicht verhandelbar; dies hat Bundeskanzlerin Angela Merkel auch in ihrer Ansprache vor dem israelischen Parlament im März 2008 bekräftigt. Wenn wir unseren israelischen Partner dennoch kritisieren, handelt es sich um eine Kritik unter Freunden und keinesfalls um Antisemitismus. Wir wissen aus eigener Erfahrung wie kein anderes Volk, was Unrecht ist, und stehen deshalb in der Pflicht, neues Unrecht zu verhindern. Krieg, Vertreibung und Besatzung können und dürfen keine Mittel der Politik sein. Die deutsche Außenpolitik unternimmt daher alles Erdenkliche, um die Sicherheit des jüdischen Staates zu garantieren – eine Sicherheit, die nicht zuletzt durch die fortdauernde israelische Besatzungspolitik gefährdet wird.

Mit Sorge betrachten wir aber auch verschiedene Äußerungen aus dem Iran. Die verbalen Attacken des iranischen Präsidenten gegen Israel sind moralisch verwerflich und unakzeptabel. Am 70. Jahrestag der Angriffe auf die Synagogen in Deutschland erklären wir deshalb feierlich: Wehret den Anfängen! Wir halten es jedoch bei aller Notwendigkeit einer deutlichen Kritik an solchen antisemitischen Ausfällen für gefährlich, den Iran zu isolieren oder in eine fundamentalistische Ecke zu drängen. Gewalt ist erst recht keine Option. Wer die Entwicklung in der Islamischen Republik beeinflussen will, darf die traditionell gute wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit nicht gefährden. Diese Zusammenarbeit im Rahmen des kritischen Dialogs ist ein Wesenskern der deutschen Außenpolitik. Deshalb werden wir uns von niemandem in die Falle einseitiger Sanktionen locken oder uns gar zu militärischen Drohungen verleiten lassen. Das ist unzweifelhaft auch im Interesse Israels, selbst wenn man dies dort anders beurteilt. Im Einklang mit dem UN-Sicherheitsrat treten wir für eine Aussetzung der iranischen Anreicherungsaktivitäten ein.

Unsere Maxime muss aber letztlich jene sein, die der israelische Friedensforscher Dr. Reuven Moskovitz so formuliert hat: „Nicht der ist ein Held, der einen Feind tötet, sondern wer einen Feind zu einem Freund macht.“ In diesem Sinne fordern wir alle Staaten des Nahen Ostens zu einer gedeihlichen Kooperation auf – einer Kooperation, die die Bundesrepublik Deutschland seit jeher nicht nur mit Israel, sondern auch mit dessen nahen und fernen Nachbarn pflegt, besonders mit dem Iran. So sehr wir parteiübergreifend den Antisemitismus und die Leugnung des Holocausts durch die Machthaber im Iran kritisieren, so sehr waren und sind sich alle Fraktionen des Deutschen Bundestages darin einig, dass eine Einschränkung der diplomatischen Beziehungen zum Iran, das Unterbinden der Hermes-Exportförderung oder eine Aussetzung der bilateralen Wirtschaftsförderung durch die Deutsch-Iranische Industrie- und Handelskammer nicht in Frage kommt.

Aus alledem folgt die innen- wie außenpolitische Notwendigkeit, die Stelle eines Bundesbeauftragten für die Bekämpfung des Antisemitismus einzurichten, der in einem ersten Schritt eine tragfähige Definition des Antisemitismus erarbeiten soll. Ausschlusskriterien müssen dabei jedoch sowohl die in der deutschen Bevölkerung dominierende Verurteilung der israelischen Politik als auch – insbesondere mit Rücksicht auf kulturell bedingte Eigenheiten – die teilweise plakative, jedoch nachvollziehbare Ablehnung des jüdischen Staates durch Zuwanderer aus islamischen Staaten sein. Stellen wir uns also der Aufgabe, „den Antisemitismus wirklich zu ächten und das auch der jungen Generation durch eigenes Handeln sehr, sehr deutlich zu machen“, wie es Bundeskanzlerin Angela Merkel kürzlich formulierte. 70 Jahre nach der Reichspogromnacht ist das allen Deutschen eine Herzensangelegenheit.
Siehe auch: Was heißt da Fake?

27.10.08

Gammal Svensk!

In Schweden ist ein Abteilungsleiter der Einwanderungsbehörde strafversetzt worden, weil er sich auf seinem privaten Weblog pro-israelisch geäußert hatte. Da er gegen die Versetzung klagte, landete die Sache vor Gericht. Dort bezeichnete ein Anwalt der Behörde die Hamas nun als „Befreiungsbewegung“ und deren Gründer Scheich Yassin als „palästinensischen Freiheitskämpfer“.

Lennart Eriksson (Foto) ist 51. Seit zwanzig Jahren arbeitet er für das Migrationsverket, die schwedische Einwanderungsbehörde; vor sieben Jahren wurde er dort zum Abteilungsleiter befördert. In seiner Freizeit betreibt er einen Weblog mit dem lateinischen Titel Sapere aude!, was wörtlich „Wage zu wissen“ bedeutet und von Immanuel Kant treffender mit „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“ übersetzt wurde. Dieser Mut wurde Eriksson jedoch im Sommer des vergangenen Jahres zum Verhängnis: Als er nach einem Urlaubsjahr an seinen Arbeitsplatz zurückkehrte, teilte ihm sein Vorgesetzter, Eugene Palmer, seine Versetzung in eine niedrigere und schlechter entlohnte Position mit. Der Grund: Eriksson hatte sich auf seinem Blog mehrfach pro-israelisch geäußert. Unter anderem schrieb er dort: „Ich möchte Freiheit und Demokratie verteidigen. Ich versuche, bescheiden und gerecht zu sein. Deshalb muss ich – wie jeder gute Demokrat – Israel verteidigen.“

Das ging Palmer zu weit: „Natürlich hat jeder das Recht auf eine Meinung“, sagte er der englischsprachigen schwedischen Zeitung The Local. „Aber wer eine gehobene Position in der Einwanderungsbehörde bekleidet, muss vorsichtig sein, wenn er seine private Meinung in der Öffentlichkeit äußert.“ Eriksson reichte eine Klage gegen seine Versetzung ein; zudem fordert er umgerechnet rund 10.000 Euro Schadenersatz. Über seinen Anwalt gab er zu Protokoll, schon häufiger mit seinem Chef aneinander geraten zu sein. Dieser habe ihn wegen seiner politischen Ansichten unter anderem als „Spinner“ bezeichnet. Die Anwälte der Einwanderungsbehörde betonten demgegenüber, Erikssons Rückstufung sei nicht aufgrund seiner Gesinnung erfolgt, sondern weil er schlechte Arbeit geleistet und damit das Vertrauen seines Vorgesetzten verspielt habe. Gleichzeitig gaben sie der Versetzung aber doch eine politische Note: „Lennart Erikssons Website unterstützt Israel, und das könnte palästinensische Asylsuchende stören. Asylsuchende sind besonders verletzlich, deshalb ist es wichtig, dass sie dem Personal der Einwanderungsbehörde vertrauen können.“

Vor zwei Wochen kam die Causa schließlich vor einem Gericht im Göteborger Stadtteil Mölndal zur Verhandlung. Dort ergriff Staffan Opitz das Wort, einer der Anwälte der Einwanderungsbehörde und somit offiziell beauftragt, den Standpunkt des Amtes zu vertreten. Opitz bezeichnete in der Anhörung die Terrororganisation Hamas allen Ernstes als „Befreiungsbewegung“ und deren 2004 getöteten Gründer Scheich Yassin als „palästinensischen Freiheitskämpfer“. Dass er das nicht aus Überzeugung sagte, sondern nur, damit sich palästinensische Asylsuchende in Schweden wie zu Hause fühlen, darf man wohl bezweifeln. Die christdemokratische Parlamentsabgeordnete Annelie Enochson widersprach denn auch in aller Deutlichkeit: „Die Stellungnahme der Einwanderungsbehörde entspricht nicht der Linie der gegenwärtigen Regierung“, sagte sie in einer Presseerklärung. „Die schwedische Regierung setzt sich für das Existenzrecht Israels ein, während die Hamas Israel auslöschen will und das Ziel verfolgt, Palästina und Israel von den Juden zu ‚befreien’.“ Die Einwanderungsbehörde dürfe nicht ihre eigene außenpolitische Agenda verfolgen. Das Urteil in dem Rechtsstreit wird am 10. November gesprochen.

Schweden war Anfang Mai 2006 – unter den damals noch regierenden Sozialdemokraten – der erste europäische Staat, der einem Hamas-Minister eine Einreisegenehmigung erteilte. Kurz zuvor hatte die Regierung die Beteiligung Schwedens an einer internationalen Luftwaffenübung abgesagt, weil an dieser auch Israel teilnehmen sollte. Generell ist Antisemitismus in dem skandinavischen Land alles andere als ein Randproblem. Vor allem in linken Parteien und Organisationen, den Gewerkschaften und der evangelisch-lutherischen Kirche dominieren antiisraelische Einstellungen, die regelmäßig in Aufrufe zum Boykott israelischer Waren münden. Umfragen zufolge haben 36 Prozent der schwedischen Bevölkerung „eine mindestens ‚teilweise ambivalente‘ Haltung gegenüber Juden“. Mehr als ein Viertel bejaht die Frage, ob „die Juden großen Einfluss auf die Weltwirtschaft haben“; genauso viele möchten „keinen Juden als Ministerpräsidenten“.

Update 17. November 2008: Lennart Eriksson hat den Rechsstreit gewonnen. Das Gericht entschied, dass die Versetzung ungerechtfertigt war, und verurteilte die Einwanderungsbehörde zu einer Entschädigungszahlung von umgerechnet 9.900 Euro sowie zur Übernahme von Erikssons Anwalts- und Gerichtskosten. Ein ausführlicher Bericht dazu ist auf der Website der Zeitung The Local zu lesen.

Herzlichen Dank an Malte Schulz-Sembten und David R. für wertvolle Hinweise.

25.10.08

Friede den Mullahs



Mahmud Ahmadinedjad hat nie einen Hehl daraus gemacht, welche Ziele der Iran mit seinen Atomplänen verfolgt: Die Nuklearisierung des Landes sei, so sagte der Präsident der Islamischen Republik im Sommer des vergangenen Jahres, „der Beginn einer grundlegenden Veränderung in der Welt“; die Atomtechnik werde „in den Dienst derer gestellt, die entschlossen sind, den brutalen Mächten und Aggressoren entgegenzutreten.“ Wer diese „brutalen Mächte und Aggressoren“ sein sollen, denen es da „entgegenzutreten“ gelte, war ebenfalls zu keinem Zeitpunkt ein Geheimnis: Israel vor allem – in Ahmadinedjads Worten eine „schwarze und dreckige Mikrobe mit Namen ‚zionistisches Regime’“ – sowie, natürlich, die USA. Und dabei handelt es sich nicht bloß um folgenlose Propaganda. „Es ist dieses einzigartige ideologische Gebräu – Antisemitismus, Revolutionsideologie, Messianismus –, das die iranische Nuklearentwicklung so beispiellos gefährlich macht“, urteilte Matthias Küntzel, „jene Mischung aus Holocaust-Leugnung und High-Tec, aus Welteroberungsfantasie und Raketenforschung, aus apokalyptischer Heilserwartung und Plutonium“. Die Folge daraus: „Erstmals seit dem Dritten Reich haben im gegenwärtigen Iran die Machthaber eines großen Landes den Antisemitismus, die Holocaust-Leugnung und die Absicht, ein UN-Mitgliedsland zu liquidieren, ins Zentrum ihrer Außenpolitik gerückt.“

Man sollte meinen, dass das allerbeste Gründe sind, den absehbaren Konsequenzen mit allem Nachdruck und allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu begegnen. Doch die Bundesregierung – die bei jeder Gelegenheit die deutsche „Vergangenheitsbewältigung“ preist und dem jüdischen Staat in Sonntagsreden ihre Solidarität versichert – setzt weiter unbeirrt auf „Dialog“, Beschwichtigung sowie die vermeintlich „moderaten Kräfte“ im Iran; darüber hinaus unterläuft sie jeden Versuch, die Mullahs mit Sanktionen wirksam unter Druck zu setzen. Gemeinsam mit der deutschen Wirtschaft agiert sie so „ungestört als direkte Stütze des iranischen Regimes“, wie Jonathan Weckerle* vom Mideast Freedom Forum Berlin (MFFB) im folgenden, zuerst in der aktuellen Printausgabe der Zeitschrift iz3w erschienenen Beitrag befindet – eine Politik, die Ahmadinedjads Sehnsucht nach „grundlegenden Veränderungen in der Welt“ ihrer Verwirklichung Schritt für Schritt näher bringt.


VON JONATHAN WECKERLE

Den Iran bombardieren oder mit der iranischen Bombe leben – auf diese beiden schlechten Alternativen droht die derzeitige Entwicklung hinauszulaufen. Das iranische Regime ist bestenfalls wenige Jahre von der Fähigkeit entfernt, Atomwaffen produzieren und einsetzen zu können. (1) Wie schon die islamische Revolution 1979 im Iran hätte eine islamistische Bombe globale Auswirkungen, radikale islamische Kräfte würden Auftrieb erhalten, während liberale oder auch nur pragmatische Kräfte geschwächt würden – nicht nur im Nahen Osten.

Mit der Bombe leben könnte aber vor allem Israel nicht. Dabei geht es nicht nur um die Angst vor einem direkten atomaren Angriff; schon der Machtzuwachs der Islamischen Republik hätte nicht hinnehmbare Folgen, führt der Iran doch schon jetzt durch Unterstützung und Aufrüstung islamistischer Bewegungen wie Hamas und Hizbollah einen Stellvertreterkrieg gegen Israel. (2) In Israel herrscht ein breiter Konsens, dass die Begin-Doktrin, nach der es Israel keinem seiner regionalen Feinde erlauben darf, Atomwaffen zu erlangen, auf den Iran angewendet werden muss, wenn keine andere Lösung erzielt wird. Als verbleibendes Zeitfenster sind eineinhalb bis zwei Jahre im Gespräch. (3)

Eine standfeste Haltung

Doch alle Versuche, den Iran durch Angebote, Verhandlungen und Sanktionen von seinem Atomprogramm abzubringen, sind bislang gescheitert. „Die iranische Nation [...] wird keinen Millimeter vor den unterdrückenden Mächten zurückweichen [...]. Die iranische Nation hat ihren Weg gewählt“, verkündete Präsident Mahmud Ahmadinedjad am 23. Juli 2008. Solch großmäulige Ankündigungen zu machen, fällt dem Regime bislang leicht. Ernsthafter Druck durch politische und wirtschaftliche Sanktionen, der das Regime vor eine echte Entscheidung stellen würde, wurde noch nicht ausgeübt.

Die Verantwortung dafür trägt vor allem Deutschland, das seit der Aufdeckung des iranischen Atomwaffenprogramms 2002 konsequent zu den Ländern gehörte, die wirkungsvolle Sanktionen verzögert, verwässert oder blockiert haben. Stattdessen setzt die deutsche Außenpolitik unbeirrt auf „Dialog“, Beschwichtigung und „moderate Kräfte“. Während Deutschland die militärische Option vehement ablehnt, unterminiert es praktisch alle Versuche, den Iran durch nichtmilitärische Sanktionen unter Druck zu setzen. Und während Bundeskanzlerin Merkel die „besondere Verantwortung“ Deutschlands für Israel betont, agiert die deutsche Wirtschaft ungestört als direkte Stütze des iranischen Regimes.

Die iranfreundliche deutsche Außenpolitik geht eng einher mit dem Blühen der deutsch-iranischen Handelsbeziehungen. Die wichtigsten Daten fasste die iranische Tageszeitung Iran Daily am 27.8.2008 zusammen: „1.700 deutsche Firmen sind im Iran aktiv, 75% aller kleinen und mittelständischen Betriebe sind mit deutscher Technologie ausgestattet. [...] Sanktionen und Exportbeschränkungen haben sich als vollkommen unzureichend erwiesen. Unter dem Strich ist Deutschland Irans wichtigster Handelspartner im Westen. Tatsächlich könnte 2008 ein neues Rekordjahr werden.“ Hervorgehoben wird außerdem Deutschlands standfeste Haltung gegenüber dem „amerikanisch-israelischen Druck“.

Seit Jahren größter deutscher Partner des Iran ist Siemens – nicht nur, was das Handelsvolumen angeht. Der Konzern lieferte beispielsweise eine hoch leistungsfähige „Intelligence Platform“, mit der sämtliche Arten der Telekommunikation automatisch ausgewertet, gespeichert und mit anderen Datensätzen verbunden werden können, um damit gezielt nach politisch unliebsamen „Profilen“ zu suchen. (4) Vor kurzem sorgte die geplante Lieferung von Gasverflüssigungsanlagen der Firma SPG aus Siegen im Wert von 100 Millionen Euro für internationale Empörung, da damit direkt der Energiesektor als Haupteinnahmequelle des Regimes gestärkt würde. Ein Regierungsmitglied, Staatssekretär Hartmut Schauerte (CDU), hatte zudem in der Siegener Lokalpresse mit seinem Engagement für den Deal geprahlt. Nach Recherchen der Green Party of Iran handelt es sich beim iranischen Geschäftspartner um ein Sub-Unternehmen der iranischen Revolutionsgarden, die nicht zuletzt für das Atomprogramm zuständig sind. (5)

Wer braucht wen?

Doch nicht nur deutsche Unternehmen machen gute Geschäfte mit dem Regime. Im April 2007 hat der halbstaatliche österreichische Ölkonzern OMV mit dem Iran Vereinbarungen über Energielieferungen im Wert von 22 Milliarden Euro getroffen. Die Unterzeichnung der Verträge steht allerdings noch aus, nicht zuletzt wegen der Proteste der österreichischen Stop the Bomb-Koalition. Für die OMV sind Proteste grundlos, da die OMV wie inzwischen wohl jedes große Unternehmen, einen von „Verantwortung“ und „universellen Werten“ geprägten Verhaltenskodex („Code of Conduct“) besitzt, der ihre Geschäfte zu einer humanitären Mission veredelt: „Die OMV wird im Rahmen ihres Einfluss- und Tätigkeitsbereiches die Menschenrechte respektieren, erfüllen, sie unterstützen und darauf achten, dass es zu keinem Bruch derselben kommt.“

Im März 2008 schloss der Schweizer Energiekonzerns ELG einen ähnlichen Deal ab. Die schweizerische Außenministerin Micheline Calmy-Rey ließ sich dabei in Teheran lachend und sittsam verschleiert mit Präsident Ahmadinedjad ablichten. Weitere Lieferverträge werden spätestens ab 2013 folgen, wenn die Nabucco-Pipeline in Betrieb geht und Gas von der Region um das Kaspische Meer an Russland vorbei nach Europa transportiert. Auch der deutsche Energiekonzern RWE ist am Projekt beteiligt. Gerne wird dabei die verringerte Abhängigkeit von Russland betont – während die wachsende Abhängigkeit vom Iran, ohne die das Projekt keinen Sinn macht, verschwiegen wird. „Europa braucht Iran“, brachte es der iranische Ölminister Gholamhossein Nozari kürzlich auf den Punkt.

Wie sehr in Deutschland und anderen europäischen Staaten dem Iran gegenüber eine Politik betrieben wird, die die Bezeichnung Appeasement verdient, zeigt sich beim selektiven Umgang mit iranischen Kräften. Auf der einen Seite steht der verlängerte Arm Teherans, die Hizbollah. Dem deutschen BKA und Verfassungsschutz sind 900 Mitglieder bekannt, die sich unter anderem in 30 Kultur- und Moscheevereinen organisiert haben. Die Hizbollah verfügt laut den Behörden über „die Logistik, in Deutschland groß angelegte objekt- und personenbezogene Anschläge durchzuführen“. Während immer wieder vor dem Terror gewarnt wird, den der Iran im Falle einer Krise entfachen würde, kann sich die dafür verantwortliche Organisation in Deutschland ungestört organisieren, kritische Exil-Iraner bedrohen, neue Anhänger rekrutieren und über das „Waisenkinderprojekt Libanon e.V.“ steuerlich absetzbare Spenden sammeln. (6)

Ganz anders geht man in Europa hingegen mit der größten iranischen Oppositionsgruppe, den Volksmujahedin, um. Diese steht im Gegensatz zur Hizbollah seit 2002 auf der EU-Terrorliste – nicht wegen Terrorgefahr, wie offen eingestanden wird, sondern aus Gefälligkeit Teheran gegenüber. Im September 2008 wurde der Eintrag auf der Liste ohne Diskussion bestätigt. (7)

Vertrauensbildende Maßnahmen

Dass Europa – und insbesondere Deutschland – Partner der Mullahs sein soll, wird von großen Teilen des außenpolitischen Establishments ganz offen als Ziel deutscher Außenpolitik propagiert. Beispielhaft dafür steht der einflussreiche Politikberater und Publizist Christoph Bertram, der in seinem Buch „Partner, nicht Gegner“ für eine „andere Iran-Politik“ wirbt. (8) Schließlich „wären verlässliche Beziehungen zum Iran, dem Land der zweitgrößten fossilen Energieressourcen, von erheblichem strategischen Gewinn“. Und die Sache mit der Bombe? „Natürlich wäre es höchst unerfreulich, wenn ...“ – aber so schlimm auch wieder nicht. Und Israel? „Kanzlerin Angela Merkel sollte sich nicht hinter jede Katastrophenwarnung Israels stellen. Auch sie muss einsehen, dass man das Verhältnis zu einem so wichtigen Land wie Iran nicht dauerhaft auf die Atomfrage reduzieren darf.“

Bertram fordert die Erkenntnis ein, dass die bisherige deutsche Iran-Strategie gescheitert ist. Damit hat er recht – allerdings nicht, weil diese Strategie konfrontativ war, wie er kritisiert, sondern weil sie bereits seit der rotgrünen Regierung fast ausschließlich aus Angeboten, Dialog und Verständnis besteht. Was Bertram als „Strategiewechsel“ in der Iranpolitik einfordert, wäre also tatsächlich nur eine radikalere Variante der bisherigen Politik.

Von der schien sich Außenminister Steinmeier Ende September nur auf den ersten Blick zu verabschieden, als er vor der UN-Generalversammlung ein Ende der Zuckerbrot-ohne-Peitsche-Strategie andeutete: „Die Hinhalte-Taktik der iranischen Seite darf die Geduld der internationalen Staatengemeinschaft nicht überreizen. Wir erwarten ein klares Zeichen des Einlenkens und der Vertrauensbildung.“ Doch schon die einfache Tatsache, dass Steinmeier mit keinem Wort darauf einging, welche Konsequenzen dem Iran wann und von wem drohen würden, machte deutlich, dass es auch weiterhin leere Drohungen bleiben. Und da mit China und insbesondere Russland keine effektiven Sanktionen auf UN-Ebene gegen den Iran durchsetzbar sind, ist Steinmeiers Festhalten am „unilateralen“ Ansatz, der selbst Sanktionen auf EU-Ebene ablehnt, nichts weiter als ein Freifahrschein für Teheran auf dem Weg zur Bombe.

Bei derselben UN-Generalversammlung wurde zudem klar, dass nicht der Iran, sondern Israel der in der „internationalen Staatengemeinschaft“ weitgehend isolierte ‚Schurkenstaat’ ist. Die unverhohlen auf die antisemitischen „Protokolle der Weisen von Zion“ anspielende Brandrede des iranischen Präsidenten Ahmadinedjad wurde dort mit Applaus und einer Umarmung des nicaraguanischen Versammlungspräsidenten Miguel d’Escoto Brockmann bedacht. Steinmeier verurteilte die Rede Ahmadinedjads zunächst deutlich als „blanken Antisemitismus“, führte dies aber Sekunden später ad absurdum, als er von einer Welt sprach, in der „wir alle mehr Partner und nicht mehr Gegner“ bräuchten und in der die „vereinfachenden Kategorien von Gut und Böse“ nicht mehr zeitgemäß seien.

Friedensbewegung auf Schmusekurs

Ein Blick auf die Analysen vieler deutscher Linker und der Friedensbewegung zeigt, dass diese durchaus im Einklang mit der deutschen Beschwichtigungs- und Kollaborationspolitik stehen. Deren Prämissen werden aber noch deutlicher ausgesprochen und vor allem eine noch deutlichere Stellung gegen die ‚eigentliche’ Gefahr eingefordert – Israel und die USA. Fixiert auf deren stets kurz bevorstehenden Angriff auf die iranischen Atomanlagen, erscheint das Mullah-Regime vielen Friedensbewegten allein als Opfer westlicher Aggression, nicht als von einer aggressiven und totalitären Ideologie motivierter Akteur.

Als durchaus repräsentatives Beispiel für diese Tendenz können die „IPPNW – Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges“ dienen, die sich unter anderem auf Christoph Bertram berufen. „Europa lässt sich von Washington manipulieren“, warnt beispielsweise ein Artikel auf ihrer Webseite: „Es heißt, Irans Präsident Ahmadinedjad sei ein Islamist und Antisemit. Das sind zwei Eigenschaften, die reflexartig und ohne weitere Diskussion das Schlimmste befürchten lassen: Terroranschläge in der westlichen Welt und die Vernichtung Israels. Die innenpolitischen Probleme und die Sicherheitsbedürfnisse des Iran zu analysieren sowie die Rhetorik zu hinterfragen, wäre die Voraussetzung für eine diplomatische Lösung. Feindbilder sind notwendig für eine militärische Lösung.“ (9)

Antisemitismus, Islamismus, Terror und die angekündigte Vernichtung Israels zum Ausdruck von „innenpolitischen Problemen“ und „Sicherheitsbedürfnissen“ zu rationalisieren und zu verharmlosen, ist tatsächlich die zentrale Voraussetzung für die propagierten „diplomatischen Lösungen“. Aus den Vernichtungsdrohungen einer islamistischen Diktatur gegen den jüdischen Staat macht die IPPNW einen „Konflikt“ gleichwertiger Parteien, bei dem beide legitime „Sicherheitsbedürfnisse“ haben. Als ob Antisemitismus sich nicht immer als Notwehr gegen die jüdische Aggression darstelle, fordern die Ärzte gegen Atomwaffen unter dem wohlklingenden Motto „atomwaffenfreier Naher Osten“ primär die israelische Abrüstung. (10)

Und bis das geschieht, hat man alle Zeit der Welt: „Notwendig ist ein fortwährender Dialog, der die Beziehungen zwischen den Verhandlungspartnern stabilisiert und Vertrauen erzeugt. [...] Es ist Zeit zu reden“, schrieben die IPPNW im Juni 2008 in einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Merkel: „Das iranische Volk sieht dieses [Urananreicherungs-] Programm als ein Symbol der nationalen Souveränität und des Stolzes. Druck und Drohungen werden innerhalb der Bevölkerung die Kräfte stärken, die eher auf Eskalation setzen und nicht die moderaten Kräfte, die wir unterstützen müssen.“

Ebenso wenig wie für die Ideologie interessiert man sich bei den IPPNW also für die realen Machtverhältnisse der islamischen Diktatur. So entscheidet nicht die zum großen Teil brutal unterdrückte „Bevölkerung“, sondern der nicht abwählbare Revolutionsführer Khamenei über das Atomprogramm. „Kräfte“, die in den entscheidenden Fragen – Theokratie, Feindschaft gegen Israel und den Westen, Atomprogramm – grundlegend abweichen, werden systematisch aus dem politischen System ausgeschlossen. Und die realen Fraktionskämpfe innerhalb des Systems gehen außer um Macht und Geld vor allem um die Frage, mit welcher Strategie die „islamische Revolution“ am besten vorangetrieben werden kann.

Eskalation durch Kooperation

Dies alles kann wissen, wer beispielsweise die Analysen und Erfahrungen iranischer Oppositioneller zur Kenntnis nimmt, statt sich auf die zynischen Strategien deutscher Politikberater zu beziehen. Wem es um die Verhinderung der iranischen Bombe ohne Bombardierung des Iran geht, sollte sich dafür einsetzen, dass die nichtmilitärischen Mittel konsequent und effektiv eingesetzt werden – was zuallererst die Forderung nach einem Ende der deutsch-iranischen Partnerschaft beinhalten müsste. Ein Pazifismus hingegen, der selbst politischen und ökonomischen Druck als Teil einer „Eskalationsspirale“ ablehnt, ist nicht nur hilflos, sondern gefährlich.


* Jonathan Weckerle ist Mitinitiator der Stop the Bomb-Kampagne in Deutschland (die am 28. Oktober online geht) und Mitglied des Mideast Freedom Forum Berlin (MFFB). Sein Beitrag ist soeben im November/Dezember-Heft der Zeitschrift iz3w erschienen (nur Printausgabe); die Veröffentlichung auf Lizas Welt erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors. Eine PDF-Version des Textes findet sich auf der Homepage des MFFB.

Anmerkungen:
(1) Vgl.: Kassem Ja’afar: Bombing Iran or Living with Iran’s Bomb?, Juli 2008.
(2) Yossi Klein Halevi/Michael B. Oren: Israel’s Worst Nightmare.
(3) „Israel reaches strategic decision not to let Iran go nuclear“, in: Jerusalem Post, 29.8.2008.
(4) Erich Moechel: Datenjagd auf Dissidenten.
(5) Dokumentiert unter http://www.mideastfreedomforum.org
(6) Siehe etwa die Artikel von Alexander Ritzmann: http://ritzmann.wordpress.com/
(7) Agrarminister segnen Liste von Terrorverdächtigen ab, in: Spiegel Online, 19.9.2008. Mit Blick auf Geschichte und Organisationsstruktur der Volksmujahedin lässt sich einige Kritik gegen sie vorbringen, aber der Eintrag auf die EU-Terrorliste ist sachlich derzeit unberechtigt.
(8) Christoph Bertram: Partner, nicht Gegner. Für eine andere Iran-Politik. Hamburg 2008. Bertram war bis 2005 Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik, die dem Außenministerium nahe steht. In die gleiche Richtung geht ein Buch seines Nachfolgers Volker Perthes (Iran – Eine politische Herausforderung. Frankfurt a.M., 2008).
(9) http://www.ippnw.de/frieden/konfliktregionen/iran/
(10) Da verwundert es nicht, dass der Iran mittels Organisationen wie CASMII versucht, an die internationale Friedensbewegung anzuknüpfen – im Falle der IPPNW bereits mit Erfolg (vgl. den Beitrag des Weblogs Wind in the Wires: Wie die deutsche Friedensbewegung mit den Mullahs paktiert). Auch der von Khomeini initiierte alljährliche antisemitische Aufmarsch zum „al-Quds-Tag“ nannte sich dieses Jahr „Friedensmarsch“ und forderte die „Abschaffung der Atomwaffen aller Atommächte, insbesondere Israels“.

21.10.08

Da lachen doch die Mullahs!

Das versprach glatt eine Meldung zu sein, mit der man wirklich nicht (mehr) rechnen konnte: „Berlin verschärft Sanktionen gegen Iran“, schlagzeilte Spiegel Online am vergangenen Samstag exklusiv. Und zu Beginn des Beitrags hieß es bestätigend: „Unter dem Druck der westlichen Verbündeten will die Bundesregierung jetzt ihren Sanktionskurs gegen Iran deutlich verschärfen.“ Vor allem in Israel, aber auch in Frankreich und Großbritannien war nämlich die Tatsache, dass die deutsch-iranischen Handelsbeziehungen wachsen, blühen und gedeihen, auf Kritik gestoßen. Sollte diese Kritik nun tatsächlich eine Einsicht und damit verbunden einen unmissverständlichen Fingerzeig Richtung Teheran zur Folge haben? Und wie sieht er aus, der deutlich verschärfte deutsche Sanktionskurs gegenüber den Mullahs? So: „Berlin möchte künftig Unternehmen der Banken- und Versicherungswirtschaft sowie der Energiebranche davon überzeugen, keine Geschäfte mit Iran zu machen.“ Dadurch solle „das Regime in Teheran zum Stopp seines Atomprogramms bewegt werden“.

Wer bislang davon ausging, dass es sich bei Sanktionen, juristisch verstanden, um nichts anderes als Strafmaßnahmen handelt, sieht sich nun zum Umdenken genötigt. Folgt man nämlich der Bundesregierung (und mit ihr Spiegel Online), dann sind sie nichts weiter als höfliche Bitten oder Wünsche, nur sanft formulierte Anliegen also mit dem Ziel, jemanden – und sei er noch so uneinsichtig – in aller Zurückhaltung von etwas zu überzeugen, ohne dass das Beharren des Gegenübers auf seinem Standpunkt, seiner Entscheidung oder seiner Politik spürbare Konsequenzen hätte. Dementsprechend wollen das Bundeswirtschafts- und das -finanzministerium auch nur „das Gespräch mit den betreffenden Wirtschaftsverbänden suchen“ und sie in Bezug auf ihre Irangeschäfte ein wenig „entmutigen“. Bei Kaffee, Keksen und Kerzenschein wird dann gewiss so mancher Manager tränenfeuchten Auges Abstand von weiteren Deals mit den Theokraten in Teheran nehmen. Und auch die Letztgenannten werden sich irgendwann ganz bestimmt davon überzeugen lassen – so von Mensch zu Mensch und in aller Freundschaft –, nicht weiter an der Vernichtung Israels zu basteln. Falls alle „Entmutigung“ aber wider Erwarten doch nicht fruchten sollte, bleibt immer noch das gute Gefühl: Schön, dass wir mal darüber geredet haben.

Was das iranische Regime derweil so alles im Detail plant, davon glaubte noch bis vor wenigen Tagen der Bundesnachrichtendienst (BND) mehr als nur eine Ahnung zu haben. Schließlich arbeitete ihm jahrelang ein iranischer Unternehmer mit dem Tarnnamen „Sindbad“ als Spion zu. Als dieser „Sindbad“ unlängst mal wieder auf dem Frankfurter Flughafen einschwebte, klickten jedoch plötzlich die Handschellen. Denn er verdiente sein Geld laut Spiegel Online nicht nur als Lieferant von Informationen an den deutschen Geheimdienst, sondern auch mit dem Export von Geräten an eine iranische Firma, die selbst von der sonst so reservierten Bundesregierung verdächtigt wird, an einem „sehr ehrgeizigen Trägerraketenprogramm“ zu arbeiten: „Die Werkzeuge, glaubt die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, waren für die Produktion der Schahab-Raketen gedacht, die Teherans großer Stolz sind. Mit einer geschätzten Reichweite zwischen 1.300 und 1.600 Kilometern können sie bis nach Israel fliegen – und irgendwann womöglich mit nuklearen Sprengköpfen ausgestattet werden.“ Was angesichts dessen die Auskünfte „Sindbads“ an den BND überhaupt wert waren, fragt man sich jetzt, nach der peinlichen Pleite, nicht nur in Pullach.

Unterdessen ist der deutsche Botschafter im Iran, Herbert Honsowitz, an seinen Arbeitsplatz zurückgekehrt. Er war Anfang Oktober nach Berlin ins Außenministerium einbestellt worden, nachdem sein Verteidigungsattaché gegen den Beschluss der EU-Botschafter im Iran an einer Militärparade in Teheran teilgenommen hatte, auf der Mahmud Ahmadinedjad (Foto) eine Rede hielt und den Zuschauern neben Waffen auch Banner mit dem Aufruf zur Vernichtung Israels präsentiert wurden. Schmerzhafte Maßnahmen infolge dieser Peinlichkeit musste Honsowitz aber weder hinnehmen noch ergreifen – Frank-Walter Steinmeier hat ihm nämlich offenbar bloß eine freundliche Ermahnung zukommen lassen, und der Parade(n)attaché hat seine dreijährige Amtszeit ohnehin soeben beendet. Jetzt kann Honsowitz bis zu seiner Verrentung nächstes Jahr wieder die deutsch-iranischen Wirtschaftskontakte befördern, an denen ihm so viel liegt. Unter „verschärften Sanktionen“ versteht die Bundesregierung schließlich bloß unverbindliche Empfehlungen.

Da lachen doch die Mullahs – und zwar mit Recht.

15.10.08

Sieg Unheil



Dass man über Tote nicht schlecht reden soll, fanden bekanntlich schon die Römer. „De mortuis nil nisi bene“, lautete ihr diesbezüglicher, noch heute oft zitierter Leitspruch, der eine Mahnung zur Pietät sein sollte, auch in solchen Fällen, in denen es schwer fällt, über einen Dahingeschiedenen nur Gutes zu sagen. Doch Pietät ist das eine, Verklärung und Huldigung sind etwas anderes. Und das, was zahlreiche österreichische Politiker fast aller Parteien nach dem Unfalltod des Rechtsaußen Jörg Haider von sich gaben, ging über die obligatorische Zurückhaltung weit hinaus und machte den BZÖ-Politiker posthum zu „einer Art Mutter Teresa“, wie Karl Pfeifer befremdet feststellte. Der österreichische Bundespräsident Heinz Fischer etwa attestierte Haider „große Begabungen“, zeigte sich „tief betroffen“ und hielt das selbst verschuldete Ableben des Kärntner Landeshauptmanns infolge einer abrupt beendeten Hochgeschwindigkeitsfahrt für eine „menschliche Tragödie“. Auch Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) war „sehr betroffen“ und äußerte „tiefes Mitgefühl“. Vizekanzler Wilhelm Molterer (ÖVP) sprach Haider seinen „großen Respekt“ aus, schließlich habe dieser „immer eindeutige Standpunkte bezogen“. Der SPÖ-Vorsitzende Werner Faymann war – man ahnt es – ebenfalls „tief betroffen“ vom „tragischen Ableben“ des „Ausnahmepolitikers“. Alexander Van der Bellen, ehemaliger Parteichef der Grünen, erklärte, Haider sein „ein außergewöhnlicher Politiker“ gewesen, „hochbefähigt, Menschen zu begeistern und für sich einzunehmen“. Die sozialdemokratische Nationalratspräsidentin Barbara Prammer rühmte „die große politische Lebensleistung Haiders“. Parteigenosse Franz Voves, Landeshauptmann der Steiermark, trauerte „einer der charismatischsten Persönlichkeiten in der österreichischen Politik in den letzten Jahrzehnten“ nach, die sich „mit viel Erfolg für den Süden Österreichs eingesetzt“ habe. Und diese Statements sind nur ein kleiner Ausschnitt aus den ungezählten verbalen Verbeugungen der politischen Klasse der Alpenrepublik vor dem verblichenen 58-Jährigen.

Noch ärger ist es in der Bevölkerung, besonders in Kärnten, wo es eine regelrechte Hysterie gibt. Bernhard Torsch vom profilierten österreichischen Weblog Der Lindwurm verglich die Reaktionen mit denen in Nordkorea nach dem Tod Kim Il-Sungs und berichtete: „Die Trauerkerzenhersteller schieben schon Überstunden, und in den Wirtshäusern werden Haiderbilder wie Altäre aufgestellt.“ Vor dem Kondolenzbuch gibt es Warteschlangen, Menschen schluchzen hemmungslos und legen Blumen, Porträtfotos oder Briefe nieder. „Du warst für uns wie Lady Di, ein Mann der Herzen“, schrieb eine Familie, „König der Kärntner Herzen“, steht auf einem anderen Zettel. „Was wird jetzt aus uns, was wird jetzt aus Kärnten?“, ist eine oft gehörte Frage. Und „die Massenhysterie wird ihren Höhepunkt wohl erst mit dem Begräbnis Haiders erreichen“, vermutet Blogger Torsch, „welches übrigens eine bizarre Veranstaltung zu werden verspricht, werden doch dort SS-Veteranen und Rechtsaußenpolitiker aus ganz Europa Seite an Seite mit dem politischen Establishment Österreichs vom Bundespräsidenten abwärts Haider die letzte Ehre erweisen“. Darüber hinaus kursieren die wüstesten Verschwörungstheorien, im Internet sowieso, aber auch ganz öffentlich. Der ehemalige FPÖ-Politiker Karlheinz Klement beispielsweise ist überzeugt, dass der Mossad seine Finger im Spiel hatte, als Haider noch weiter nach rechts abdriftete als gewohnt: „Attentate auf Politiker durch Geheimdienste werden sehr gerne verübt, während sie sich in ihrem Auto befinden. Man denke nur an JFK in Dallas.“

Um der Wahrheit die Ehre zu geben, sei an dieser Stelle in Erinnerung gerufen, worin die tatsächliche politische Lebensleistung jenes Mannes bestand, der da in seinem geleasten Volkswagen mit beachtlichen 1,8 Promille und sagenhaften hundertzweiundvierzig Sachen – erlaubt waren 70 Stundenkilometer – eine Schneise durch den Klagenfurter Vorort Lambichl pflügte. Jörg Haider, das war der Sohn überzeugter Nationalsozialisten: der Vater illegales Mitglied der in Österreich damals noch verbotenen NSDAP und beteiligt am „Juliputsch“ 1934, die Mutter BDM-Führerin. Ihren Sprössling erzogen sie ganz im Geiste der NS-Ideologie, und das war ihm offenkundig ein Wohlgefallen: Jörg Haider, das war der,
  • der 1991 vor dem Kärntner Landtag die „ordentliche Beschäftigungspolitik“ der Nazis lobte,
  • der 1995 in einer Rede vor SS-Veteranen – darunter Otto Kumm, der letzte Kommandant der „SS-Leibstandarte Adolf Hitler“ – seine „lieben Freunde“ als „anständige Menschen“ ansprach, „die einen Charakter haben und die auch bei größtem Gegenwind zu ihrer Überzeugung stehen und ihrer Überzeugung bis heute treu geblieben sind“,
  • der ebenfalls 1995 die Waffen-SS „als Teil der Wehrmacht“ mit „Ehre und Anerkennung“ bedachte,
  • der 2001 den Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Ariel Muzicant, mit den Worten attackierte: „Ich verstehe überhaupt nicht, wie einer, der Ariel heißt, so viel Dreck am Stecken haben kann“,
  • der ebenfalls 2001 im Zusammenhang mit den Entschädigungszahlungen für jüdische Überlebende des Nationalsozialismus sagte, Bundeskanzler Schüssel wolle sich offenbar „den ungeteilten Applaus der US-Ostküste“ verdienen,
  • der 2002 über den Präsidenten des österreichischen Verfassungsgerichtshofs, Ludwig Adamovich, sagte: „Wenn einer schon Adamovich heißt, muss man zuerst einmal fragen, ob er überhaupt eine aufrechte Aufenthaltsberechtigung hat“,
  • der 2004 gegen die Errichtung eines Denkmals am Wiener Hauptbahnhof zum Gedenken an die von dort in den Tod deportierten Juden wetterte,
  • der im Juli dieses Jahres Asylsuchende als „Lumpen von Dealern und Gewalttätern“ bezeichnete und auch ansonsten regelmäßig gegen Zuwanderer und die slowenische Minderheit in Österreich ausfällig wurde,
  • der ein ausgesprochen freundschaftliches Verhältnis zu arabischen Despoten wie Saddam Hussein und Muhammar al-Gaddafi pflegte, zwei der übelsten Feinde Israels,
um nur einige Beispiele zu nennen. Jörg Haider war nicht „nur“ ein „Rechtspopulist“, sondern ein waschechter Nazi, „der geistige Enkel Hitlers“, wie die israelische Tageszeitung Yediot Ahronot befand. So einer konnte in Österreich – dem Land, in dem der Mythos, das „erste Opfer Hitlers“ gewesen zu sein, immer noch quicklebendig ist – die große Nummer werden, so einer wurde dort zweimal zum Landeshauptmann gewählt, so einer konnte mit seiner (damaligen) Partei zeitweilig sogar auf nationaler Ebene Regierungsmacht bekommen, so einer macht nicht vor seinem Tod alle betroffen, sondern erst danach. Und selbst dort, wo man Haider zumindest einigermaßen kritisch gegenüber zu stehen glaubt, hat man durchaus Verständnis für ihn: „Man mag seinen Antiamerikanismus und seine Zuflucht zum politisch Inkorrekten aus seiner fragwürdigen Interpretation der europäischen Vergangenheit oder als Reaktion auf die eigene Zurückweisung sehen, besonders durch Israel, das ja wegen der FPÖ-Regierungsbeteiligung 2000 seinen Botschafter aus Wien zurückrief“, schrieb Gudrun Harrer kürzlich im Standard. Haiders Antisemitismus ist also nur eine „Zuflucht zum politisch Inkorrekten“ und außerdem bloß das Resultat einer „Zurückweisung“, also quasi einer unerwiderten Liebe. Eigentlich mochte der Jörgl aus Kärnten die Juden nämlich sehr, aber weil sie ihn nicht mochten, musste er halt zum Judenhasser werden. So und nicht anders stand es in einer nicht ganz unbedeutenden linksliberalen österreichischen Tageszeitung.

Mit dem Grundsatz „de mortuis nil nisi bene“ hatte das nichts mehr zu tun, wie auch die servilen Reaktionen österreichischer Politiker und die Hysterie in nicht unerheblichen Teilen der Bevölkerung damit nicht zu erklären sind. Womöglich wird in der Alpenrepublik jetzt sehnsüchtig nach einer neuen Führerfigur gefahndet. H.C. Strache, der frühere Aktivist der Wiking-Jugend, fährt dem Vernehmen nach bereits deutlich langsamer in die Kurven als zuvor.

13.10.08

Mit Hätz un Siel jejen Israel



Der Kölner an sich ist bekanntlich das toleranteste Exemplar der Gattung Mensch, das auf diesem Planeten frei herumläuft. Mit Hätz, Siel un vill Jeföhl* feiert er bei jeder sich bietenden Gelegenheit – also immer – sich selbst und seine Stadt als den Mittelpunkt des Kosmos, hat allerweil eine superjeile Zick, ist mit Blootwoosch, Kölsch un e lecker Mädsche rundum zufrieden zu stellen und heißt die Besucher von Spielen seines stets abstiegsgefährdeten Fußballvereins ohne jeden Anflug von Ironie in der „schönsten Stadt Deutschlands“ willkommen. Des Kölners Spezialität sind Volksfrontspektakel aller Art, sei es in der von den Eingeborenen so genannten fünften Jahreszeit, sei es bei der kürzlich mit 75 Jahren Verspätung vorgenommenen, dafür aber umso erfolgreicheren Abwehr der nationalsozialistischen Machtübernahme.

Und der Kölner an sich ist stolz auf seine Touristenattraktionen, etwa das Schokoladenmuseum, den großen Zoo und die unzähligen Museen. Ob sich zu den letztgenannten irgendwann auch ein jüdisches gesellt, ist übrigens mehr als fraglich: Zwar kann Colonia die älteste jüdische Gemeinde nördlich der Alpen vorweisen, aber so weit geht der kölsche Stolz dann doch nicht, dass man deshalb ein Haus und Museum der jüdischen Kultur am historischen Ort in der Innenstadt begrüßen würde. Da könnte ja jeder kommen. Mit einer anderen, noch zentraler gelegenen Dauerausstellung hingegen hat man in der Rheinmetropole durchaus kein Problem: Die „Klagemauer“ genannten 20 Quadratmeter gegen Israel, die da gleich neben dem Dom installiert sind, gehören schon zur Stadt wie die Narrenkappe, der Eff-Zeh und der Klüngel. Henryk M. Broder hat sie sich angesehen und fotografisch dokumentiert.


VON HENRYK M. BRODER

Wer mit dem Zug in Köln ankommt, bekommt gleich einen richtigen Eindruck von der Stadt. Der Hauptbahnhof, mehrfach runderneuert, ist vollkommen verwahrlost. Bei dem Versuch, eine Shopping-Mall mit Gleisanschluss herzustellen wie in Leipzig, Hannover und Berlin, ist eine Schnäppchenmeile entstanden, die man mit Schrecken betritt und mit Schüttelfrost verlässt. Wäre da nicht der Dom, man würde sich gleich umdrehen und nach Recklinghausen weiterfahren wollen.

Aber das Beste hat der Besucher noch vor sich: die Kölner „Klagemauer“, eine antisemitisch-antizionistische Installation mitten auf der Domplatte, eine Art „Kunstwerk“, mit der Israel als blutsaugendes und mordendes Monster dämonisiert wird, das nicht nur die Palästinenser misshandelt, sondern auch eine Gefahr für den Weltfrieden darstellt. Waren früher die Juden an allen Übeln der Welt schuld, so sind es heute die Zionisten. Die Nummer ist nicht neu, aber für J. und W., die Paten der Klagemauer, ist es die Mission ihres Lebens. Zwei ehemalige Wasauchimmer, die seit Jahren praktisch auf der Domplatte leben, um auf das Schicksal der Palästinenser aufmerksam zu machen und sich nebenbei ein kleines Zubrot zu verdienen. Die Frage, warum sie so was nicht mit einer „Klagemauer“ über den Völkermord im Kongo oder im Sudan machen, können sie nicht beantworten. Sie sind halt auf Palästina fixiert, denn auch sie gehören zu den ehrenamtlichen deutschen Bewährungshelfern, die aus der Geschichte gelernt und es sich zur Aufgabe gemacht haben, darauf zu achten, dass die Juden nicht rückfällig werden.

Auch auf die Frage, wer diese Dauerdemo lizenziert hat, haben sie keine eindeutige Antwort. „Die Stadt“ sagt der eine, „die Kirche“ der andere. Wie in Köln üblich, gibt es immer mehrere Optionen. Fest steht nur, dass die beiden es seit vielen Jahren machen und sich auf eine Art Gewohnheitsrecht berufen. Der Chef des Erzbistums Köln, Joachim Kardinal Meisner, ein Experte für gottlose und entartete Kunst, nimmt an der kleinen Sauerei vor seiner Haustür keinen Anstoß, der Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma, der vor kurzem mit Autonomen gemeinsame Sache gemacht hat, um eine „Anti-Islamisierungs-Kundgebung“ zu verhindern, schweigt ebenso. Und auch die Kölner jüdische Gemeinde hält sich bedeckt, vermutlich, um ihren hart erkämpften Dhimmi-Status nicht zu riskieren.


Was Beiträge zum Frieden und Mauern betrifft, verfügen die Deutschen über einen reichen Erfahrungsschatz, an dem sie auch die Juden teilhaben lassen, damit diese nicht rückfällig werden.


„Gott schütze mich vor meinen Freunden. Mit meinen Feinden werde ich selber fertig“ (Voltaire) – bzw.: No brain, no pain.


Seinen von ihm bevorzugten Richter hat der friedliebende Scheich Yassin dann aber immerhin im Paradies getroffen. Nebst 72 Jungfrauen.


Oder sich selbst einen Doktortitel bastelt.


Mahmuds fünfte Kolonne: echte Bescheidwisser. Können perfekt Farsi, kennen sich mit „Konferenzen zum Thema Zionismus“ aus und waren in ihrem früheren Leben schwimmende Abschussrampen.


Die Maximalprovokation für die Palästinenser: ein amerikanisches Fast-Food-Restaurant in Ramallah, das einen BigMacZion feilbietet. Dann schon lieber Hungerkatastrophe.


Beim Hungern / und beim Essen: / Vorwärts! / Und nicht vergessen: / die So-li-da-ri-tät!

* Für eine Übersetzung bitte hier klicken.

6.10.08

Im Visier der Antikapitalisten



Die deutschen Fußballfans haben ein neues Feindbild: Dietmar Hopp. Kaum ein Wochenende vergeht, an dem der Mäzen des Bundesliga-Aufsteigers 1899 Hoffenheim in den Stadien nicht auf Transparenten und in Sprechchören aufs Übelste attackiert wird. Mönchengladbacher Anhänger beschimpften ihn als „Sohn einer Hure“, Dortmunder Fans bildeten sein Konterfei hinter einem Fadenkreuz ab und unterschrieben die Montage mit dem Slogan „Hasta la vista Hopp!“. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) kündigte inzwischen an, seine Sportgerichtsbarkeit einzuschalten, sollten sich die Angriffe fortsetzen. Dafür hatte der Chefredakteur des Berliner Tagesspiegel, Lorenz Maroldt, überhaupt kein Verständnis. Hopp und Hoffenheim sollten sich mal nicht so haben, fand er: „Im Stadion stehen Folklore und Verunglimpfung dicht beieinander. Es geht beim Fußball anders zu als beim Federball; Provokationen, Emotionen, Aggressionen gehören dazu, bringen Leben ins Stadion.“ Außerdem seien der Milliardär und sein Klub aus dem Rhein-Neckar-Kreis nun mal „eine Provokation für die Fans jener Vereine, die stolz auf ihre ruhmreiche Vergangenheit sein müssen, weil die Gegenwart auf sie eher traurig wirkt“.

Publizistischen Flankenschutz erhielt die Anti-Hopp-Front auch durch die nationalbolschewistische Tageszeitung junge Welt. Dort beklagte Marek Lantz eine „Entproletarisierung des Fußballsports“, gegen die sich „in breiten Fankreisen Haltungen ausgebildet“ hätten, „die den Verlust an Tradition und die fortschreitende Kommerzialisierung kritisieren“. Es seien „zumindest partiell antikapitalistische Motive“, die dabei artikuliert würden. „Zwar häufig in recht kruder Form, aber immerhin.“ Der „Milliardär Hopp“ jedoch rücke im Verbund mit dem DFB „der Kritik an seiner Person und seinem Retortenverein mit allen Mitteln auf die Pelle“. Was jetzt nur noch fehle, sei „ein braver Antideutscher, der mit ein paar argumentativen Winkelzügen jegliche Kritik an Hopp als per se antisemitisch abkanzelt“. Denn: „Wenn aus einer noch so kruden antikapitalistischen Bewegung heraus dem Gegner ein Gesicht zugeordnet und ein Name gegeben wird, sind die in der Regel nicht weit.“

Was Lantz offenkundig als absurd empfindet, ist so abwegig jedoch nicht, und er selbst liefert die besten Beweise dafür. Denn seine Ausführungen erinnern nicht zufällig stark an das linke Geschwätz über den jüdischen Staat, das unvermeidlich die lautstarke Beschwerde über die „Antideutschen“ beinhaltet, die „mit ein paar argumentativen Winkelzügen jegliche Kritik an Israel als per se antisemitisch abkanzeln“. Und so, wie es in dem diesbezüglichen Kontext stets heißt, man werde doch wohl noch Israel kritisieren dürfen, lautet die Botschaft nun: Man wird doch wohl noch Hopp kritisieren dürfen – als ob das eine wie das andere von irgendjemandem verboten worden wäre. Hopp und mit ihm der DFB wollen lediglich persönlichen und niederträchtigen Hassattacken Einhalt gebieten, die jenseits dessen liegen, was man als fußballtypische, das heißt nicht weiter verwerfliche Provokationen, Emotionen und Aggressionen bezeichnen könnte. Dass gleich „jegliche Kritik“ unterbunden werden soll, wie Marek Lantz glaubt, und das auch noch „mit allen Mitteln“, ist schlicht Unsinn, der Züge einer Paranoia trägt.

Aber verweilen wir noch einen Moment bei dem Autor der jungen Welt und seiner Furcht vor den „Antideutschen“, die ihm gemeinsam mit dem „Milliardär Hopp“ und einem willfährigen Fußballverband sein zartes Pflänzchen namens „antikapitalistische Bewegung“ zertrampeln wollen. Eine Beanstandung des „Verlustes an Traditionen“ im Fußball und der „fortschreitenden Kommerzialisierung“ dieser Sportart ist es Lantz zufolge, was sich da – „zwar häufig in recht kruder Form, aber immerhin“ – in den Stadien äußert, wenn Hopp und sein „Retortenverein“ auflaufen. „Immerhin“ also zeihen sie den Unternehmer, Abkömmling einer Prostituierten zu sein, „immerhin“ nehmen sie ihn ins Visier und geben ihn bildlich zum Abschuss frei. Es ist dies ein „Immerhin“, wie es seinem Gehalt nach schon die in der jungen Welt nicht eben gering geschätzte KPD-Politikerin Ruth Fischer formulierte, als sie 1923 völkischen Studenten zurief: „Wer gegen das Judenkapital aufruft, meine Herren, ist schon Klassenkämpfer, auch wenn er es nicht weiß. Sie sind gegen das Judenkapital und wollen die Börsenjobber niederkämpfen. Recht so. Tretet die Judenkapitalisten nieder, hängt sie an die Laterne, zertrampelt sie. Aber, meine Herren, wie stehen Sie zu den Großkapitalisten, den Stinnes, Klöckner?“

Fischer mochte in den Ressentiments überzeugter Antisemiten also keinen originären Judenhass erkennen, sondern hielt sie vielmehr für eine Art verirrten und fehlgeleiteten, im Grundsatz jedoch schätzenswerten Antikapitalismus. 85 Jahre und eine Shoa später könnten zumindest ihre geistigen Erben klüger sein und wissen, was ein solcher Antikapitalismus anzurichten jederzeit fähig ist. Doch sie sind nicht klüger, sondern freuen sich noch immer wie ein Fußballfan nach einem Tor für seine Lieblingsmannschaft, sobald ein vermeintlicher oder tatsächlicher Kapitalist auf unflätigste Weise beschimpft, mit den reaktionärsten „Argumenten“ angegangen und buchstäblich zur Zielscheibe gemacht und sobald „dem Gegner ein Gesicht zugeordnet und ein Name gegeben“ wird. Noch finden geschulte Antikapitalisten wie Marek Lantz das alles zwar etwas „krude“, sprich: entwicklungsbedürftig. Aber im Grunde genommen sind sie felsenfest davon überzeugt, dass ein Anfang gemacht ist, die Massen ihnen beizeiten folgen werden und die Revolution deshalb allenfalls eine Frage der Zeit sein kann.

Vielleicht bricht sie ja in einem Fußballstadion aus, zum Beispiel mit einem tätlichen Angriff auf Dietmar Hopp. Dessen Kapitalverbrechen bestehen – folgt man den „Hopp-Kritikern“ in den Stadien, zahllosen Fußballforen und einer realsozialistischen Zeitung – immerhin darin, die vermeintliche Ursprünglichkeit und Naturwüchsigkeit des Fußballs in Form seiner gewachsenen Traditionen zu zerstören und stattdessen auf eine seelenlose Künstlichkeit zu setzen („Retortenverein“), maßlos geldgierig zu sein und eine so unüberschaubare wie unumschränkte Macht zu haben, die mit einem kalten Lächeln gegen alle eingesetzt wird, die im Wege stehen. Vergleichbares wird im deutschen Fußball nur noch Uli Hoeneß und dem FC Bayern München vorgeworfen. Nein, nicht jede Kritik an Dietmar Hopp ist „per se antisemitisch“, aber wie so oft weisen auch die gegen ihn in Anschlag gebrachten „partiell antikapitalistischen Motive“ (Lantz) bemerkenswerte Parallelen zum antisemitischen Ressentiment auf.

Nur am Rande sei erwähnt, dass sich die Realität rund um den Bundesliga-Neuling 1899 Hoffenheim und seinen Mäzen gänzlich anders darstellt, als diejenigen glauben, die Hopp für den „Totengräber des deutschen Fußballs“ und Schlimmeres halten. Denn der 68-Jährige hat sein Geld nicht einfach bloß in möglichst teure Neueinkäufe gesteckt, also eine Mannschaft „zusammengekauft“, wie es nicht selten heißt. Vielmehr wurde die Infrastruktur des Vereins deutlich verbessert, die Jugendarbeit nachhaltig gefördert – nicht nur in sportlicher Hinsicht, sondern auch in Bezug auf eine Unterstützung in der Schule oder beim Berufseinstieg –, das Personal in Trainerstab und Management professionalisiert und dem gesamten Projekt so eine Perspektive gegeben, die nicht nur auf den kurzfristigen Erfolg orientiert ist. Kurz: In Hoffenheim wurde und wird vergleichsweise sinnvoll gewirtschaftet, nicht mehr und nicht weniger. Dass das ohne Hopps Millionen nicht möglich wäre, ist so wahr wie unspektakulär: Fußball ist längst ein glänzend laufendes Marktprodukt geworden, mit allen Vorzügen und Nachteilen, die damit zwangsläufig einhergehen. Und wer über die Schechter-Anleihen des „Traditionsklubs“ Borussia Dortmund oder den Gazprom-Deal des „Arbeitervereins“ Schalke 04 nicht reden will, möge von Hopp und Hoffenheim, bitteschön, erst recht schweigen.

4.10.08

„Das Ausmaß hat überrascht“

1938 flüchtete Karl Pfeifer als Zehnjähriger mit seiner Familie vor den Nationalsozialisten aus Österreich und zunächst nach Ungarn. 1943 gelang ihm mit einem der letzten Kindertransporte der sozialistisch-zionistischen Jugendorganisation Hashomer Hatzair, der er seit 1940 angehörte, die Flucht nach Palästina. Er lebte dort im Kibbuz, kämpfte im israelischen Unabhängigkeitskrieg und kehrte 1951 schließlich nach Österreich zurück. Dort angekommen, musste Pfeifer bei der Staatspolizei vorsprechen. Heimkehrer, so wurde ihm gesagt, seien in Österreich nur die, die in der Wehrmacht und in der Waffen-SS gedient hätten. Mit dem in Wien lebenden Publizisten (Foto), der kürzlich seinen 80. Geburtstag feierte, sprach Lizas Welt über die Gründe für den Rechtsruck bei den Nationalratswahlen in Österreich.

Lizas Welt: Die Wahlen in Österreich haben einen erdrutschartigen Sieg für die beiden rechtsextremen Parteien FPÖ und BZÖ gebracht, die zusammen auf 29 Prozent der Wählerstimmen kamen. War damit zu rechnen?

Karl Pfeifer: Leider ja. Wer nüchtern die politische Szene beobachtete, konnte ahnen, was da kommt. Trotzdem hat das Ausmaß überrascht.

Was sind die Gründe für diesen massiven Rechtsrutsch? Mit welchen Themen haben sich FPÖ und BZÖ Ihrem Eindruck nach besonders profilieren können?

Vor allem mit Fremdenhass. Mit ungezügelter Hetze gegen „Asylmissbrauch“ und mit der Parole „Österreich den Österreichern“ auf Plakaten. Die Linken wollten die Probleme, die mit der Einwanderung von Nichteuropäern zusammenhängen, aber einfach nicht zur Kenntnis nehmen, was natürlich der tagtäglichen Erfahrung vieler Menschen widerspricht. FPÖ und BZÖ hatten einfache und daher falsche Lösungen, die jedoch viele Wähler beeindruckten. Sie punkteten aber auch mit der Agitation gegen die EU – die nicht nur von Rechtsextremisten ausgeht –, mit der suggeriert wurde, die Österreicher seien eigentlich Opfer der Europäischen Union. Eine besonders üble Rolle spielte dabei die Tageszeitung Neue Kronenzeitung (NKZ), die seit Monaten eine regelrechte Kampagne gegen die EU führt. Dazu kam noch der Brief, den Werner Faymann, der neue Vorsitzende der SPÖ, an den Herausgeber und Teilhaber der NKZ gerichtet hatte und in dem er versprach, alle wichtigen Entscheidungen zum Thema EU in Volksabstimmungen klären zu lassen. Damit öffnete er die Schleusen, denn die NKZ ist die von SPÖ-Mitgliedern am meisten gelesene Zeitung, die gleichzeitig immer wieder fremdenfeindliche und rassistische Texte bringt und noch Anfang dieses Jahrtausends antisemitische Artikel druckte. All das hat die österreichischen Sozialdemokraten aber nicht gestört. Faymann und die SPÖ glaubten, der FPÖ den Wind aus den Segeln nehmen zu können. Doch es ist genau das Gegenteil eingetreten: Sie haben den Wind in deren Segel geblasen, und viele Wähler sagten sich: Da gehe ich doch lieber zum Schmied als zum Schmiedl.

Bei den Wählern unter 30 Jahren kamen diese beiden Parteien sogar auf 40 Prozent. Warum war der Stimmanteil vor allem in dieser Altersgruppe so hoch?

Unter anderem, weil die anderen Parteien fantasielos waren und der Jugend kein Angebot machten. H.C. Strache hingegen, der junge Anführer der FPÖ, ging in die Diskos und passte sich der gängigen Jugendmode an. FPÖ und BZÖ vermittelten jungen Menschen das Gefühl, dass sie ihnen zuhören und auf die Bedürfnisse der Jugend eingehen.

Auffällig ist auch, dass die rechtsextremen Parteien in den Wiener Arbeiterbezirken stark hinzugewonnen haben, also in traditionellen Hochburgen der SPÖ. Wie erklärt sich diese Entwicklung?

Da war die nationale und soziale Demagogie der Rechtsextremen wirksam, die den Wählern einredete, man könne sogar zwei Sozialversicherungen schaffen: eine für Inländer und eine für Ausländer. Nicht zu vergessen: Wien wird seit der Befreiung 1945 von Sozialisten regiert, und viele in der Stadtverwaltung benehmen sich so, als ob die Bürger für sie da wären und nicht sie für die Bürger. Erfreulich immerhin, dass die Grünen in einigen Bezirken stimmenstärkste Partei wurden.

Die Rechtsparteien feiern gerade in Österreich immer wieder Wahlerfolge...

Ihr wirklicher Aufstieg begann, nachdem die SPÖ mit der FPÖ von 1983 bis 1986 eine kleine Koalition gebildet hatte und Kurt Waldheim im Frühjahr 1986 mit einer erfolgreichen antisemitischen Kampagne der ÖVP Bundespräsident wurde. Im Herbst 1986 gelang es Jörg Haider, mit einer „Palastrevolte“ der rechtsextremen Kreise in der FPÖ die Führung in die Hand zu bekommen. Er verstand es, die große Koalition vor sich herzutreiben. Bei den Wahlen 1999 erhielt die FPÖ schließlich 27 Prozent der Stimmen. Im Februar 2000 trat die schwarz-blaue Koalition als neue Regierung an, begleitet von internationalen Protesten. Die FPÖ hatte mehr Stimmen als die „Schwarzen“, die konservative ÖVP. Doch deren Chef Wolfgang Schüssel verstand es, Haider zu überzeugen, und wurde Bundeskanzler.

Was unterscheidet FPÖ und BZÖ überhaupt nennenswert voneinander? Und was eint diese beiden Parteien?

Die FPÖ versuchte nach 2000, gleichzeitig Regierungs- und Oppositionspartei zu sein, was 2002 zur Spaltung führte. Die FPÖ wird seither vom jungen und dynamischen H.C. Strache angeführt, in der BZÖ schwingt Haider das Zepter, der als Kärntner Landeshauptmann davon träumte, aus seiner Truppe eine Art österreichische CSU zu machen. Was die beiden trennt, sind die Anführer und die Klientel. Haider versucht, sich staatsmännisch zu geben, und er appelliert eher an bürgerliche Kreise, während Strache eher die Unterschicht bedient. Beide kommen aus rechtsextremistischen Burschenschaften und wurden dort sozialisiert.

Welchen Einfluss werden FPÖ und BZÖ auf die künftige Entwicklung in Österreich nehmen?

Schon nach 2000 erhielten viel mehr Rechtsextreme Zugang zu wichtigen Stellen im Staat. Diese Tendenz wird sich fortsetzen. Ein Beispiel: In Österreich nominieren die drei stärksten Parteien die drei Präsidenten des Parlaments. Die FPÖ schlägt nun Dr. Martin Graf als ihren Kandidaten vor – einen Mann, der in der rechtsextremen Burschenschaft „Olympia“ sozialisiert wurde und der noch immer deren „Alter Herr“ ist. 2005 wurde der Holocaustleugner David Irving nach Österreich eingeladen, um einen Vortrag vor dieser „Olympia“ zu halten. Allein die Grünen beziehen eindeutig Stellung gegen einen Rechtsextremisten als dritten Nationalratspräsidenten. Die SPÖ und die ÖVP werden nun wahrscheinlich für Graf stimmen. Damit setzen sie die unheilvolle Politik der Legitimierung von Rechtsextremisten fort.

Israel hat bereits angekündigt, die diplomatischen Beziehungen zu Österreich zu überdenken und gegebenenfalls erneut abzubrechen. Halten Sie einen solchen Schritt für sinnvoll?

Der 2000 erfolgte Abbruch der Beziehungen war kontraproduktiv. Israel, das leider nicht wählerisch sein kann, pflegt gute Beziehungen zu Italien, wo Apologeten des Faschismus in der Regierung sitzen. Man wird sich in Jerusalem wahrscheinlich gründlich überlegen, wie man sich verhalten soll, wenn es in Wien zu einer Regierungsbeteiligung von Rechtsextremisten kommen sollte.

Die FPÖ hat 2008 in Graz eine antimuslimische Wahlkampagne veranstaltet und auch mit Plakaten wie „Daham (daheim) statt Islam“ geworben. Wie verhält sich die kleine jüdische Gemeinde in Österreich dazu?

Der Präsident der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde, Ariel Muzicant, hat sich immer wieder gegen die menschenverachtende Politik der FPÖ gewandt. Deren Hetze gegen Muslime in Österreich dient gerade den Aktivisten des politischen Islam, die aus dem Dunstkreis der Muslimbruderschaft kommen, um sich als Kämpfer gegen den Rassismus auszugeben. Fremdenfeindlichkeit, Agitation gegen die EU und der Wunsch, die NS-Verbotsgesetze abzuschaffen, um damit die Apologie des Nationalsozialismus in die Mitte der Gesellschaft zu bringen – all das kennzeichnet die FPÖ. Damit will die jüdische Gemeinde Österreichs nichts zu tun haben.

Anlässlich seines 80. Geburtstags haben Daniel Binder, Mary Kreutzer, Ingo Lauggas, Maria Pohn-Weidinger und Thomas Schmidinger für die Gesellschaft für kritische Antisemitismusforschung einen Dokumentarfilm über Karl Pfeifer produziert: „Zwischen allen Stühlen“. Die Premiere fand am 14. September im ausverkauften Wiener Metrokino statt. Außerdem wird der Film am 23. Oktober im Wiener Republikanischen Klub, am 13. November im Zentrum für Interkulturelle Begegnung der Jüdischen Gemeinde Baden und am 25. November im Wiener Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands – dessen Kurator Karl Pfeifer ist gezeigt.

Foto: Karl Pfeifer bei einem Besuch des Palmach-Museums in Tel Aviv im Jahr 2007. © haGalil

1.10.08

Honsowitz des Tages



Es steht zu vermuten, dass der Verteidigungsattaché der deutschen Botschaft in Teheran von der Ansprache Mahmud Ahmadinedjads vor der UN-Vollversammlung derart beeindruckt war, dass er den Mann anschließend dringend einmal live sehen und hören musste. Anders ist die folgende Meldung der Nachrichtenagentur AFP nämlich kaum zu erklären:
Der deutsche Botschafter im Iran ist ins Auswärtige Amt einbestellt worden. Herbert Honsowitz sei „zu Konsultationen zurück nach Berlin gerufen“ worden, teilte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes in Berlin mit. Wie aus Regierungskreisen verlautete, steht die Einbestellung in Zusammenhang mit einem Vorfall in Teheran, über den der „Spiegel“ am Wochenende berichtet hatte. Demnach war der Verteidigungsattaché der Botschaft zu einer Militärparade in der iranischen Hauptstadt gegangen, obwohl die EU-Botschafter sich darauf verständigt hatten, der Veranstaltung fernzubleiben. Bei der Parade, auf der Irans Präsident Mahmud Ahmadinedjad eine Rede hielt, wurden den Zuschauern neben Waffen auch Banner mit dem Aufruf zur Vernichtung Israels präsentiert. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) ist dem Bericht des „Spiegel“ zufolge „sehr verärgert“ über den Vorfall. Er wolle mit Honsowitz, der als iranfreundlich gelte, am Montag klären, ob der Botschafter seinem Verteidigungsattaché keine ausreichend klaren Anweisungen erteilt habe.
Man darf gespannt sein, welche Ergebnisse diese Unterredung zutage fördert. Möglicherweise war die Anweisung des „iranfreundlichen“ Botschafters ja durchaus hinreichend eindeutig und lautete, sich die Banner auf der Parade ganz genau anzusehen, um im absehbaren Falle böswilliger Übersetzungsfehler seitens der zionistischen Kampfpresse gewappnet zu sein. Dann dürfte Steinmeier beruhigt sein, wenn ihm Honsowitz mitteilt, dass beim Aufmarsch in Teheran gar nicht zur Vernichtung Israels aufgerufen wurde, sondern nur dazu, das „Besatzungsregime von den Seiten der Geschichte zu tilgen“. So wie Ahmadinedjad bekanntlich auch vor den Vereinten Nationen bloß vor der jüdischen Weltverschwörung warnen, also ein bisschen Israelkritik betreiben wollte. Vielleicht hatte der Verteidigungsattaché – also der offizielle Vertreter des deutschen Verteidigungsministeriums im Iran – aber auch lediglich vor, die Möglichkeiten einer militärischen Kooperation mit den Mullahs auszuloten oder mit ihnen darüber zu plaudern, wie man eigentlich an Atomwaffen kommt.

Nennenswerte Konsequenzen wird Steinmeier aller Voraussicht nach jedenfalls nicht folgen lassen. Denn man kennt das Spielchen inzwischen: Für die Öffentlichkeit wird ein bisschen der Zeigefinger gehoben, aber viel mehr kommt nicht dabei heraus. Allenfalls muss sich der Herr Attaché halt künftig in irgendeinem anderen Schurkenstaat die Militärparaden anschauen. Der ach so verärgerte Außenminister selbst geht schließlich mit schlechtem Beispiel voran: Nach Ahmadinedjads UN-Rede sprach er zwar von „blankem Antisemitismus“, doch dann beließ er es – Überraschung! – dabei, „unsere gemeinsame Verurteilung“ einzufordern und vom Iran „ein klares Zeichen des Einlenkens und der Vertrauensbildung“ zu verlangen. Weitergehende Maßnahmen muss das Mullah-Regime selbstverständlich nicht fürchten. Wäre ja auch noch schöner, wenn die gut gehenden deutsch-iranischen Wirtschaftsbeziehungen Schaden nähmen, nur weil der Präsident der „Islamischen Republik“ redet wie der Führer persönlich.