20.4.07

Betriebsferien

Früher – als die Musik vom Vinyl oder aus Rekordern (die dann irgendwann Tapedecks hießen) kam, das Fernsehen nur drei Programme hatte (und nächtens das Testbild flimmerte), Snickers in einer roten Verpackung steckte (und der BigMac in einer Styroporschachtel), vierundsechzig Kilobyte fassende, klobige Computer als Nonplusultra galten (und mit monströsen Floppy Disks gefüttert wurden), Herr Kaiser Versicherungen verkaufte und man bei Hartz IV an eine Kreisliga-Reservemannschaft im Zonenrandgebiet gedacht hätte –, früher war ganz sicher nicht alles besser, aber alles ziemlich anders. Früher konnte es im Sommer auch schon mal passieren, dass man Tabak und Zeitungen im Einzelhandel kaufen wollte, aber ein großes Schild an der verschlossenen Ladentür die Betriebsferien verkündete. Das ist inzwischen selten geworden.

Sommer ist es zwar noch nicht, aber Lizas Welt hängt das nämliche Schild trotzdem für zweieinhalb Wochen raus: Bis zum 8. Mai ist Pause. Einstweilen seien ein paar Lesetipps gegeben: In der linken Spalte dieses Weblogs etwa finden sich viele Seiten, die einen Klick mehr als nur lohnen. Unbedingt zu empfehlen sind auch die drei Bücher auf dem Foto.* Und – ganz neu erschienen – die Broschüre ‚Fortschrittliches’ jüdisches Denken und der Neue Antisemitismus mit zwei Essays von Alvin H. Rosenfeld, einem Vorwort von Leon de Winter und einem Aufsatz zum Thema Israelkritik, zu bestellen beim Augsburger Ölbaum Verlag. Bis in Bälde!

* Für eine vergrößerte Ansicht aufs Bild klicken.

Freedom of Speech

Schon mal von Alan Johnston gehört? Genau, das ist der BBC-Journalist, der als letzter westlicher Medienvertreter im Gazastreifen geblieben war und am 12. März entführt wurde. Bis heute ist er nicht wieder aufgetaucht. Wer diesmal für das Kidnapping verantwortlich war, darüber wird eifrig gerätselt; angesichts der zahl- und oft namenlosen Rackets, die in den palästinensischen Gebieten vollkommen unbehelligt zu Werke gehen und regelmäßig ausländische Medienvertreter und Mitarbeiter internationaler Organisationen verschleppen, gab es bislang allenfalls Mutmaßungen. Dann meldete sich die islamistische Tawhid wa-Djihad (Einigung und heiliger Krieg) und behauptete, Johnston ermordet zu haben: Weil ihre Forderung nach Freilassung von gefangenen Palästinensern aus israelischer Haft nicht erfüllt worden sei, hätten sie mit der Ermordung Johnstons „dem Westen eine blutgetränkte Nachricht“ senden wollen . Die Aufregung bei den Palästinensern ist groß, denn der Reporter „hat unsere Probleme in die Welt getragen. Er war einer von uns“, wie es die Fatah ausdrückt. Beeindruckt hat das seine Entführer ganz offensichtlich nicht.

Was tut man da als britische National Union of Journalists (NUJ) – die nach eigener Einschätzung „zu den größten und etabliertesten Journalistenvereinigungen der Welt mit 35.000 Mitgliedern“ zählt und soeben ihren hundertsten Geburtstag gefeiert hat –, wenn ein Kollege einfach so von der Bildfläche verschwindet? Logisch: Man protestiert. Aber nicht gegen die Zustände im Gazastreifen und den anderen palästinensischen Regionen, die dazu führen, dass Presseleute als Geiseln genommen werden. Nicht gegen Selbstmordattentate und Raketenangriffe. Und nicht gegen die Palästinensische Autonomiebehörde, die Teil des Problems und nicht Teil der Lösung ist. Sondern – mit heiligem Ernst – gegen Israel: Auf ihrer Jahreshauptversammlung in Birmingham, die am vergangenen Wochenende stattfand, verabschiedete die NUJ zwei Anträge, mit denen der jüdische Staat „für seinen grausamen, geplanten Angriff auf den Libanon“ und „das Schlachten von palästinensischen Zivilisten durch seine Truppen“ verurteilt sowie der Boykott seiner Waren gefordert wurde – „angeführt von den Gewerkschaften und dem Trades Union Congress (TUC), um Sanktionen gegen Israel herbeizuführen, die von der britischen Regierung und den Vereinten Nationen getragen werden“. Man müsse handeln wie „beim Kampf gegen das Südafrika der Apartheid“.

Nicht nur die britische Autorin und Kolumnistin Melanie Phillips rang anschließend um Fassung: „Es ist schon bemerkenswert, wenn sich eine Körperschaft von Journalisten nicht dazu entschließt, Strafmaßnahmen als Ausdruck des Protests gegen die Entführung und mögliche Ermordung eines der Ihren zu ergreifen – weil dieser der Gefangene von Terroristen ist, die von der Vereinigung aus ideologischen Gründen unterstützt werden –, sondern stattdessen Sanktionen gegen die Nation beschließt, die das erste und ständige Opfer dieser Terroristen ist, aber von der Journalistenorganisation diffamiert wird, bloß weil es sich verteidigt.“ Auch Toby Harnden, Korrespondent des Daily Telegraph in Washington und NUJ-Mitglied, war außer sich: „Eine Vereinigung, die für bessere Bezahlung und bessere Bedingungen kämpft, ist das eine. Aber warum sollten meine Beiträge für ein antiisraelisches Gehabe verwendet werden, an dem ich wie viele andere Mitglieder nicht teilhaben will?“ Die Anträge seien „tendenziöse und politisch aufgeladene Propaganda, die eine Zeitung mit Anspruch auf Fairness sofort aus jedwedem Artikel streichen würde“, gleichwohl jedoch symptomatisch für „die kindische Fixierung auf modisch-linke Sachen“: Auch eine Verurteilung der USA wegen Guantánamo und eine Entschließung, die die venezolanische Regierung und ihren Präsidenten feiert, durften auf der Tagesordnung der NUJ nicht fehlen.

Die Proteste gegen ihre antiisraelischen Beschlüsse bewirkten eine schriftliche Rechtfertigung der National Union of Journalists – und die steigerte das Ganze noch weiter ins Absurde: „Der Boykottaufruf bezog sich teilweise auf die Entführung von Alan Johnston. Die palästinensische Journalistenvereinigung hat der Kampagne für seine Freilassung große Unterstützung angedeihen lassen – durch Demonstrationen und Streiks gegen die Palästinensische Autonomiebehörde, damit diese mehr unternimmt. Wir arbeiten über die ‚International Federation of Journalists’ eng mit der palästinensischen Vereinigung zusammen, und der Boykott war eine Geste der Unterstützung an das palästinensische Volk – besonders an diejenigen, die unter der Belagerung von Gaza leiden, eine Gemeinschaft, der Alan Johnston durch seine Berichte unbedingt helfen wollte.“ Die Logik ist fürwahr bestechend: Palästinenser kidnappen einen britischen Reporter, obwohl der sich treu bis in den Tod mit ihrem mörderischen Antizionismus gemein macht – und der wichtigste Berufsverband bedenkt diese Aktion mit einem Boykottaufruf gegen Israel, als Zückerchen für die palästinensischen Kollegen gewissermaßen. Anschließend verkündet eine Terrorgruppe die Exekution des Vermissten – das ist das Sahnehäubchen. Sollte Johnston aber doch noch leben – wie ganz aktuell vermutet wird – und wieder freikommen, wird die NUJ wahrscheinlich die Verhandlungsbereitschaft der Palästinenser rühmen. So etwas nennt man dann wohl eine Win-win-Situation.

Wie man selbst diesen haarsträubenden Unsinn noch toppen kann, demonstriert der frühere BBC- und ITN-Korrespondent Alan Hart auf seinem Weblog „für Wahrheit, Gerechtigkeit und Frieden“: Er macht gleich und ohne viel Federlesens Israel für die Entführung verantwortlich; schließlich sei der jüdische Staat „die Partei, die am meisten davon hat, dass Alan Johnson dauerhaft verschwindet. Es wäre nicht das erste Mal, dass israelische Agenten sich als Araber verkleiden, um einen Volltreffer zu landen“. Die Welt als Wille und Vorstellung. Aber das ist nichts Ungewöhnliches für einen, der in einem zweibändigen Werk den Zionismus als „wahren Feind der Juden“ vorstellt. Und zudem, bei Lichte betrachtet, die zwingende Konsequenz aus den Verlautbarungen der NUJ, die sich zweifellos als Ausdruck und Verteidigung der Freedom of Speech verstehen und diese Freiheit dabei zum Recht degradieren, ungestraft das blanke Ressentiment pflegen zu dürfen.

Großbritannien erweist sich immer mehr als eine der treibenden Kräfte beim Schulterschluss mit denen, die Israel nichts als Tod und Verderben wünschen. Der antisemitische Boykottaufruf der Journalisten ist nicht der erste seiner Art; vor knapp einem Jahr hatte bereits die Hochschullehrervereinigung Natfhe einen Antrag angenommen, in dem der jüdische Staat der Apartheid bezichtigt und Konsequenzen eingefordert wurden: „Die Konferenz [der Natfhe] lädt die Mitglieder ein, bei Kontakten mit israelischen Bildungseinrichtungen oder Individuen ihre eigene Verantwortung für Gleichheit und Nichtdiskriminierung zu bedenken und zu berücksichtigen, dass ein Boykott derer, die sich nicht öffentlich von derlei Politik distanzieren, angemessen ist.“ Zusätzlich und zur Abwechslung, aber stets im Sinne der nämlichen „Verantwortung für Gleichheit und Nichtsdiskriminierung“ wird auch schon mal ein Referent wieder ausgeladen, wenn er den Friedenswillen der Religion of Peace in Zweifel zieht. Dies alles hat mit Appeasement oder einer Kapitulation übrigens nichts zu tun: Es ist die offene Kollaboration mit den Feinden Israels zum Zwecke der Zerstörung des jüdischen Staates.

Übersetzungen: Lizas Welt – Hattip: Sebastian

17.4.07

Eine deutsche Affäre

Die Empörung über die Trauerrede, die Günther Oettinger auf Hans Filbinger (Foto), einen seiner Vorgänger im Amt des baden-württembergischen Ministerpräsidenten, gehalten hat, ist in weiten Teilen so bigott wie wohlfeil. Denn Oettinger hat bloß versucht, dem deutschen Geschichtsverständnis eines Nationalsozialismus ohne Nazis gerecht zu werden, also im Kern nichts anderes vertreten als das, was nicht wenige seiner jetzigen Kritiker zu staatstragender Stunde regelmäßig von sich geben. Sein Versuch, einen Funktionsträger des NS-Staates zum Widerstandskämpfer zu machen, kam allerdings ein bisschen zu früh und entpuppte sich daher als kontraproduktiv – in einem grundsätzlichen Widerspruch zu dem Ansinnen des postnazistischen Deutschlands, sich als geläutert und mit sich selbst im Reinen zu begreifen, stand er jedoch nicht.

Jahrzehnte lang dominierte in der Bundesrepublik der Versuch, die Shoa zu historisieren – das präzedenzlose Menschheitsverbrechen also in einem größeren Kontext auf-, das heißt untergehen zu lassen, etwa in einem „europäischen Bürgerkrieg“ (Ernst Nolte) – und sie mit dem deutschen Leiden an „Vertreibung“ und „Bombenkrieg“ zu verrechnen. In der DDR und der westdeutschen Linken wurden Vernichtungskrieg und Judenmord derweil den „Verbrechen des Imperialismus“ eingemeindet. Wenn auch die Vorzeichen unterschiedliche waren: Beide Herangehensweisen abstrahierten von den Spezifika des Nationalsozialismus und bagatellisierten ihn auf diese Weise. Mit dem Zusammenbruch des Realsozialismus und der damit verbundenen Revision der Nachkriegsordnung bildete sich allmählich eine neue Geschichtspolitik heraus, die unter Rot-Grün zu voller Blüte gelangte: Frei von den Fesseln eingeschränkter staatlicher Souveränität und nicht mehr unter alliierter Aufsicht stehend, mutierte die Bürde der Vergangenheit zunehmend zur selbst auferlegten Verpflichtung, das Nie wieder! allerorten handfest werden zu lassen: Joseph Fischers mit sorgenzerfurchtem Gesicht vorgetragenes Diktum, man habe im Kosovo ein „zweites Auschwitz“ zu verhindern, zeugt ebenso davon wie Schröders antiamerikanische Invektiven gegen den Sturz des Saddam-Regimes.

Aus der Last der Geschichte wurde die Lust auf Geschichte made in Germany: Der Mythos von der „sauberen Wehrmacht“ ging mit dem Stahlhelmflügel der CDU unter, denn weit zukunftsträchtiger als das nationalkonservative Beharren darauf, dass die Deutschen doch über all die Jahre ihres Daseins anständige Menschen geblieben seien und ihre Geschichte mehr vorzuweisen habe als die Jahre zwischen dreiunddreißig und fünfundvierzig, schien das Bekenntnis zur Vergangenheit zu sein. Die musste nun perpetuiert werden, wollte man doch mit dem Verweis auf sie die eigene Läuterung umso nachdrücklicher inszenieren. Als Folge dessen entstand nicht zuletzt das Holocaust-Mahnmal in Berlin, das als nationales Symbol die Neue Wache ablöste: Zu ihm solle man gerne gehen, fand Gerhard Schröder; das größte Mahnmal der Welt – das es ohne den größten Massenmord der Weltgeschichte nicht gäbe – kündet mitten in der deutschen Hauptstadt monumental von den Lehren der Geschichte, und die Stelenspringer demonstrieren auf ihm die neue deutsche Unbeschwertheit, Marke Fanmeile. Am 8. Mai 2005, dem sechzigsten Jahrestag der Kapitulation, feierte Deutschland mit unzähligen Veranstaltungen die Befreiung – nicht die der überlebenden Juden, Zwangsarbeiter, Roma und Sinti von der deutschen Barbarei wohlgemerkt, sondern die Befreiung der Deutschen vom Nationalsozialismus, was allemal voraussetzt, sich respektive die Vorfahren als Opfer zu begreifen und nicht als Täter.

Und darin haben die Deutschen Übung, nur hat sich ihre Vorgehensweise bei der Selbsteinopferung verändert: Heute gehört es im Unterschied zu früheren Zeiten zum guten Ton, etwa die Ausweisung der Deutschen aus Osteuropa pflichtschuldigst als Folge des von den Nationalsozialisten begonnenen Krieges darzustellen – um sich durch diese Vorleistung desto mehr im Recht zu fühlen, Flucht & Vertreibung als universelle Menschheitsverbrechen zu beziffern, unter denen zuvörderst die eigenen Eltern und Großeltern gelitten hätten. „In der üblichen Behauptung, das eine Leiden, das deutsche nämlich, nicht mit dem anderen aufrechnen zu wollen, ist die halbe Volte der Neudeutung von Geschichte bereits gelungen: Leiden als Schicksal hier wie dort; und wo von Schicksal die Rede ist, wird nach dem Grund, nach der Bedeutung individuellen Handelns, nach kollektiver Verantwortung und individueller Schuld kaum mehr gefragt. Doch: Wo überall nur noch Opfer sind, da drängt sich die Frage auf, wer die Taten dann überhaupt beging“, schrieb Hector Calvelli anlässlich des TV-Rührstücks Die Flucht, in dem selbst der ostpreußischen Adel als von den Nazis verfolgt, auf eine Stufe mit Zwangsarbeitern gestellt und somit exkulpiert wurde. Ja, wo sind sie denn, die Täter? Und wer sind sie? Ein paar hat man nach Nürnberg aufgehängt, aber sonst?

Sonst scheint es keine gegeben zu haben, denn da waren schließlich die „Zwänge des Regimes“, denen sich Millionen „nicht entziehen“ konnten. Sie lebten – das dürfen „wir als Nachgeborene nie vergessen“„damals unter einer brutalen und schlimmen Diktatur“ und mussten gegen ihren Willen Dinge tun, die sie aus eigenem Antrieb selbstverständlich nie getan hätten. Sie hatten nämlich entweder keine „Entscheidungsmacht“ oder keine „Entscheidungsfreiheit“, was umso ärger ist, als sie doch eigentlich „Gegner des NS-Regimes“ waren, wenngleich sie „nicht die Kraft zu offenem Widerstand“ hatten und deshalb in ihrer Not in die NSDAP, die SA oder die SS eintraten, bevor es die Nazis taten. Dort retteten sie Menschenleben; zumindest wäre ohne sie alles noch schlimmer gekommen. Jedenfalls haben sie nichts unternommen, wodurch „ein Mensch sein Leben verloren hätte“. Das alles sagte Günther Oettinger (Foto) über Hans Filbinger – und damit im Grundsatz nichts, was im postnazistischen Deutschland nicht ohnehin schon weitgehende Zustimmung hervorriefe. Dem dieser Sichtweise zugrunde liegenden Paradoxon eines Nationalsozialismus ohne Nationalsozialisten sind bereits Harald Welzer, Sabine Moller und Karoline Tschuggnall in ihrem Buch Opa war kein Nazi nachgegangen, und was sie herausfanden, passt exakt zu Oettingers Rede: Die Kinder und Enkel verfügen über eine ganze Menge an historischem Wissen über Vernichtungskrieg und Holocaust, aber: Die Nazis, das waren die anderen – in der eigenen Familie hatte man schließlich etwas gegen sie, selbst respektive erst recht, wenn die Vorfahren das gar nicht behaupten. Willige Vollstrecker, das geigte man dereinst schon dem frechen Goldhagen, konnten die Deutschen jedenfalls nicht gewesen sein.

Und so betrauert man inzwischen am 27. Januar oder am 9. November die toten Juden – mit den (über)lebenden hat man es nur dann, wenn sie sich als Israelkritiker ausweisen können –, begeht am 1. September den Antikriegstag, erkennt Adolf Hitler (einem der wenigen Nazis, die wirklich welche waren) seine Ehrenbürgerschaften ab, baut riesige Mahnmale, vergibt Ehrendoktorwürden und beklagt den Verlust, der Deutschland durch die Vernichtung der Juden entstanden sei. Opfer, das waren damals irgendwie alle, Opfer von Verhältnissen eben, wie wir sie heute gar nicht mehr kennen – aber Täter? Eine schwierige Frage. Die Richter? Haben halt den Gesetzen entsprochen, die es damals gab. Die Polizisten? Haben nur umgesetzt, was sie gelernt haben. Die Soldaten? Haben bloß ihre Pflicht getan. Die SS? War das reinste Abenteuer und hat sogar einen Literaturnobelpreisträger hervorgebracht. Und überhaupt: Es gab ja keinen Spielraum; man konnte schließlich nichts tun, war daher auch für nichts verantwortlich und litt außerdem selbst unter der Unmenschlichkeit des Krieges.

Was sich nach Oettingers Rede abspielte, war deshalb in jeder Hinsicht bezeichnend. Der Protest blieb zunächst einmal denen überlassen, die man hierzulande – wie immer in solchen Fällen – offensichtlich für zuständig hält: dem Zentralrat der Juden und dem Simon Wiesenthal Center beispielsweise. Erst mit einiger Verspätung reagierte auch das politische Establishment, aber noch nicht mit Rücktrittsforderungen, sondern nur mit dem Appell an Oettinger, sich zu entschuldigen – nicht selten verbunden mit dem Hinweis, er hätte Filbingers „große Lebensleistung“ (Angela Merkel) auch würdigen können, ohne „die kritischen Fragen in Zusammenhang mit der Zeit des Nationalsozialismus“, wie die Bundeskanzlerin Filbingers Tätigkeit als NS-Marinerichter mäßig elegant umschrieb, auszusparen. Die Frage, wie und warum einer wie Filbinger im Nachfolgestaat des Dritten Reichs Karriere machen konnte und nie für seine Taten zur Rechenschaft gezogen wurde, stellte niemand. Kein Wunder: Sie hätte die bundesrepublikanische Lebenslüge von der „Stunde null“ tangiert und die „große Lebensleistung“ des Verstorbenen deutlich kleiner ausfallen lassen, um es zurückhaltend zu formulieren.

Günther Oettinger geriet zunehmend unter Druck und ließ seiner Entschuldigung für die Wirkung, nicht aber für den Inhalt seiner Rede nach weiterem Drängen nun doch noch einen (vermeintlichen) Widerruf folgen – der in einem nichtssagenden „Ich halte meine Formulierung nicht aufrecht. Ich distanziere mich davon und glaube, dass damit alles (!) gesagt worden ist“ kulminierte. Das war eine Folge davon, dass er mit seinem Versuch, einen Funktionsträger des Nationalsozialismus zum Widerstandskämpfer umzulügen, ein bisschen arg früh dran war. Aber eigentlich hatte er es doch gut gemeint, und deshalb ist seine Entschuldigung bei den Angehörigen und Opfern der Nazis – „Es war mir ernst, und es ist mir ernst“ – gar kein Widerspruch zu seiner Ansprache an die Trauergemeinde des Verblichenen. Indem er dem Modell des Nationalsozialismus ohne Nazis eine prominente Ikone hinzufügte, glaubte Oettinger, mit dem Freispruch eines Mörders zur Wiedergutwerdung der Deutschen beitragen zu können. Doch für ein solch grobschlächtiges Format ist die Zeit noch nicht ganz reif: Vor allem der Widerspruch des Zentralrats verhinderte trotz der unsinnigen Einwilligung in Oettingers „Gesprächsangebot“, dass NS-Schergen mit einer Karriere wie der Filbingers schon jetzt ohne viel Federlesens eingeopfert werden können. Sollte sich daran irgendwann etwas ändern, bliebe als weitere Aufgabe nur noch, Josef Mengele nachträglich den Nobelpreis für Medizin zu verleihen, weil seine Verdienste auf dem Gebiet der Zwillingsforschung eine Lebensleistung für die deutsche Forschung darstellen, die gar zu lange ungewürdigt blieb.

Oettingers Pseudo-Distanzierung veranlasste einstweilen die deutschen Regierenden dazu, ein rasches Ende der Debatte zu fordern: „Ich erwarte jetzt, dass die Entschuldigung gehört wird“, sagte Angela Merkel, und Kurt Beck sekundierte: „Herr Oettinger hat seine Aussagen vollständig korrigiert. Das respektiere ich.“ Mehr soll es nicht sein, denn der Ministerpräsident wird vielleicht noch als Visionär gebraucht. Der von Merkel befürchtete „Ansehensverlust Deutschlands im Ausland“ – der GAU also – trat vorerst nicht ein, weil die Kanzlerin höchstselbst versicherte, das Sprechen über die „Perspektiven der Opfer und der Verfolgten“ liege ihr am Herzen. Denn: „Deutschland kann seine Zukunft nur gestalten, wenn es Verantwortung für seine Vergangenheit übernimmt.“ Wie man sich diese Zukunft vorzustellen hat und wie die Verantwortung für die Vergangenheit denn konkret aussehen soll, verschwieg Merkel – wahrscheinlich aus Respekt vor der „großen Lebensleistung“ eines Staatsdieners.

Eine Chance hat Oettinger aber noch: Wenn ihm der Nachweis gelingt, dass Filbinger tatsächlich von den Männern des 20. Juli „zur Verwendung“ vorgesehen war, könnte er die ganz große Nummer werden. „Filbinger hätte, wie es anderen in ähnlicher Lage ergangen ist, mit langer Haft und quälenden Verhören rechnen müssen, wenn man erfahren hätte, dass die Verschwörer auf ihn gerechnet hatten“, heißt es auf der Homepage des zu Grabe Getragenen. Die Gestapo habe Filbinger schlicht übersehen. Das muss diesen so frustriert haben, dass er noch kurz vor dem Kriegsende Todesurteile beantragte, den Befehl zu mindestens einer Exekution gab und auch nach dem Krieg volksfeindliche Elemente wegsperren ließ. Doch selbst wenn die Geschichte mit dem 20. Juli stimmte, änderte sich nichts: In dieser Gruppe gab es bereits reichlich Personal, das zunächst die halbe Welt in Schutt und Asche gelegt hatte, bevor es angesichts des Absehbaren Panik bekam und den Führer loswerden wollte, der gerade den schönen Krieg verlor. Hans Filbinger hätte diese Helden des deutschen Widerstands gut ergänzt. Aber daraus wurde nichts, und so machte er einfach weiter wie bisher und bekleidete später das Amt eines Ministerpräsident. Fürwahr eine deutsche Karriere.

„Ich erinnere mich gerne, wie er auch nach dem Ausscheiden aus der aktiven Politik immer dabei war, wenn die Pflicht rief“, rief Günther Oettinger seinem verflossenen Amtskollegen nach. Der „war streng, er war fürsorglich, er war vorbildlich, er war fleißig, er war sachkundig, er war mutig und weitsichtig und er hat früh Talente und Begabungen erkannt und gefördert“. Kurz: Er war deutsch bis auf die Knochen. Daher hofft der Ministerpräsident: „Bekanntlich ist nur der wirklich tot und vergessen, der aus den Herzen und der Erinnerung der Menschen verschwindet. Ich bin sicher: Hans Filbinger wird weiterleben – in unseren Herzen, in unserer Erinnerung und mit seinem politischen Lebenswerk für uns und die nächsten Generationen.“ Vielleicht kann man dann eines Tages auch mal ohne Widerspruch behaupten, dass Filbinger eigentlich ein zweiter Dreyfus war. So sah er sich nämlich selbst, den „bedeutenden jüdischen Rechtsgelehrten Professor Dr. Ernst Hirsch“ zitierend, der ihn, Emile Zolas „J’accuse“ missbrauchend, zum Verfolgten machte. Denn Opa war schließlich kein Nazi, sondern nur: ein ganz normales deutsches Opfer. Wie so viele im Nationalsozialismus.

Hattips: barbarashm, Gereon L., Gesine, Ulrich S.

12.4.07

Fight to Exist

Vor kurzem erschien im Hamburger Konkret Literatur Verlag ein Buch, das völlig quer zum politischen Mainstream in Deutschland liegt und genau deshalb Pflichtlektüre zu sein hätte. Bereits sein Titel lässt keine Zweideutigkeiten zu: Israels Existenzkampf. Eine moralische Verteidigung seiner Kriege heißt es, und es ist die Übersetzung der 2003 in englischer Sprache veröffentlichten Erstausgabe Right to Exist. Autor dieses Bandes ist Yaacov Lozowick, Jahrgang 1957 und Archivdirektor der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Der deutschen Fassung fügte er noch ein im Mai 2006 verfasstes Vorwort sowie eine im August letzten Jahres geschriebene Vorbemerkung hinzu. In diesen und in weiteren elf Kapiteln zeigt der Historiker, dass es keine „Gewaltspirale“ gibt und nicht Israel das Hindernis für eine einträgliche Friedenslösung darstellt, sondern die Weigerung der arabischen Welt, „einen jüdischen Staat zu akzeptieren“: „Um es so deutlich wie möglich zu sagen: Israel blockiert lediglich die nationalen Ambitionen der Palästinenser (beziehungsweise hat das früher getan), die Palästinenser hingegen bedrohen die nackte Existenz der Juden.“ Seit 1967 übe Israel die Herrschaft über einen großen Teil der palästinensischen Bevölkerung aus, schreibt Lozowick, und daran sei vieles zu kritisieren. „Dennoch könnte nur ein Narr behaupten, dass sich die Palästinenser in der umgekehrten Situation mit den Maßnahmen, wie sie die Israelis getroffen haben, zufrieden geben würden.“ Im Gegenteil: „Sollten die Palästinenser jemals Herrschaft über die Juden erlangen, wird Palästina ebenso judenrein werden, wie es der größte Teil Europas heute ist: eine kleine Gemeinde hier und dort und Gespenster überall.“

Von Yaacov Lozowick ist bereits ein Buch in deutscher Sprache erschienen: Hitlers Bürokraten. Eichmann, seine willigen Vollstrecker und die Banalität des Bösen, im Jahr 2000 publiziert in Zürich-Münchener Pendo-Verlag. Unlängst ging er mit seinem neuen Werk auf eine Lesereise quer durch Deutschland. Lizas Welt führte mit ihm vor einer der Veranstaltungen ein Interview, in dem Lozowick über seine politischen Veränderungen, Israels einseitigen Rückzug aus dem Gazastreifen, Szenarien der Palästinenser, antiisraelische Europäer und den Libanonkrieg sprach.

Lizas Welt: Sie schildern in Ihrem Buch Ihre Metamorphose vom begeisterten Zionisten zum Anhänger von Peace Now und schließlich zum Wähler Ariel Sharons. Welche Ereignisse und Erkenntnisse waren es, die diese Veränderungen beeinflussten?
Yaacov Lozowick (Foto): Ich war zwar nicht sonderlich aktiv bei Peace Now, gehörte dieser Organisation aber zumindest zwanzig Jahre lang an. Als aufgeklärter Mensch glaubte ich, dass es rationale Gründe für den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern gibt, dass beide Seiten im Recht sind und keine Seite alles bekommen kann, sondern man einen Kompromiss finden muss. Zum Ende des Jahres 2000 und zu Beginn des Jahres 2001 habe ich erkennen müssen, dass das falsch war. Denn wenn es tatsächlich so gewesen wäre, wie ich dachte, dann hätten die Palästinenser nach dem Beginn des Osloer Prozesses mit uns verhandeln müssen, um mehr zu bekommen. Sie hätten nicht alles akzeptieren müssen, was wir vorgeschlagen haben, obwohl unsere Angebote fair waren. Aber bei Verhandlungen verhandelt man, bis man einen Kompromiss gefunden hat und beide Seiten von ihren Maximalforderungen abgerückt sind. Während der gesamten neunziger Jahre habe ich mir einreden lassen, dass genau das passieren wird. Es gibt keine große Liebe, es gibt keinen großen Frieden, aber wir verhandeln, bis wir endlich zu einer Lösung kommen.

Im Sommer 2000 hat Ehud Barak ein gutes Angebot gemacht, vielleicht nicht gut genug, aber das beste für die Palästinenser, das es je gab. Wir waren bereit, schmerzliche Kompromisse einzugehen, weil die Palästinenser uns zu verstehen gegeben haben – schriftlich übrigens –, dass sie eine Zweistaatenlösung akzeptieren und dass es Gewalt – von Terror gar nicht zu reden – nie wieder geben wird. Alles schien in rationalen Bahnen zu verlaufen, und das fand ich gut. Im Jahr 2000 hat man dann gesehen, dass das nicht stimmte: Die Palästinenser haben ein gutes Angebot erhalten, doch statt weiter zu verhandeln, haben sie erneut den Weg der Gewalt gewählt, obwohl sie das Gegenteil versprochen hatten. Wenn wir den Friedensprozess gestoppt und damit begonnen hätten, Palästinenser zu deportieren – dann wäre es rational gewesen, wenn sie wieder Gewalt angewendet hätten. Aber genau in dem Moment, in dem wir gesagt haben, wir bauen fast alle Siedlungen ab, griffen sie wieder zur Gewalt, und da musste ich erkennen, dass dieser Konflikt irrationale Bestandteile hat, und mich korrigieren. Nicht nur für die aktuelle Situation, sondern auch rückwirkend.
„Sharon musste die Palästinenser ihrer zwei mächtigsten Waffen berauben“, schreiben Sie und meinen damit die Selbstmordattentate und die Besatzung durch Israel. Die Selbstmordattentate wurden nicht zuletzt durch den Bau des Sicherheitszauns wesentlich entschärft. Israel hat außerdem den Gazastreifen geräumt. Doch die Sicherheit seiner Bevölkerung hat sich nicht verbessert. Zudem finden die Palästinenser immer neue Gründe, um sich als Opfer zu präsentieren. War der einseitige Rückzug also ein Fehler?
Nein, der Rückzug war kein Fehler. Erstens deshalb, weil wir nicht mehr in Gaza sind, und das ist eine gute Sache. Zweitens, weil man auch die außenpolitische Wirkung bedenken muss. Ein europäischer Boykott einer Hamas-geführten Regierung wäre wesentlich weniger wahrscheinlich gewesen, wenn wir im Gazastreifen geblieben wären. Was dann nach dem Rückzug passierte – Israel zog sich zurück, aber die Palästinenser schossen weiter –, war so eindeutig, dass sogar manche Europäer es verstanden haben. Ich zitiere oft Amos Oz, der vor dem 11. September schrieb, dass es eigentlich zwei Kriege gebe: den Krieg wegen der Siedlungen, der rationale Gründe hat, und den Krieg gegen die Existenz Israels – der ist irrational. Sein Plädoyer damals war, die rationalen Gründe aus der Welt zu schaffen. Dann bleibe nur der zweite Krieg, es herrsche Klarheit, und es werde leichter, diesen zweiten Krieg zu führen. Oz hat nicht gesagt, es werde Frieden geben; er hat gesagt, es werde weiter Krieg geben, aber dann sei wenigstens klar, worum es geht.

Eigentlich gibt es sogar drei Kriege – neben den beiden erwähnten noch den der Islamisten gegen die Menschheit. Trotzdem bin ich dafür, den Palästinensern die rationalen Gründe zu nehmen, Krieg zu führen. Auch die Mehrheit der Israelis hat bei den letzten Wahlen die Parteien unterstützt, die den Rückzug und eine Teilung befürworten. Doch durch zwei einseitige Rückzüge – 2000 aus dem Libanon und 2005 aus Gaza – haben wir vor allem weitere Gewalt geerntet, und die israelische Wählerschaft hat, für eine Weile wenigstens, ihren Geschmack an Einseitigkeit verloren, was ich persönlich schade finde, aber auch verstehen kann. Doch irgendwann werden wir dahin zurückkehren, weil es der einzige rationale Weg ist – es sei denn, die Palästinenser entscheiden sich für Frieden, woran ich nicht glaube.
Den Kern des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern bilde das „moralische Ungleichgewicht“ zwischen beiden, schreiben Sie, und: „Immer schon hatte die palästinensische Herrschaft über Juden weitaus schrecklichere Konsequenzen für die Betroffenen als die jüdische Herrschaft über die Palästinenser sie je hatte.“ Dennoch geben Sie die Hoffnung auf eine Friedenslösung nicht auf, die dann möglich sei, „wenn es Palästinenser gibt, die unsere Identität anerkennen können“. Welche Palästinenser könnten das sein, wenn selbst diejenigen, die keine religiösen Fanatiker sind, nicht von ihrer Position abrücken, „dass Juden, die auf ‚arabischem Land’ leben, den Tod verdienen“?
Es sind zweieinhalb Szenarien denkbar. Das erste ist ein undemokratisches, aber es ist das wahrscheinlichste. Es kann sein, dass die Palästinenser eines Tages einen starken Mann finden, der die Macht übernimmt – vielleicht mit Gewalt, auf jeden Fall aber mit Stärke –, und entscheidet, mit uns Frieden zu schließen. Das ist nicht demokratisch, und Palästina wird deshalb auch nicht demokratisch sein, aber ich kenne Leute, die sagen: Das ist die einzige Möglichkeit. Daran schließt sich die Frage an, ob so einer schon heute existiert. Das weiß ich nicht; zumindest sehen wir ihn nicht. Die zweite Möglichkeit besteht darin, dass die Palästinenser demokratisch entscheiden, uns zu akzeptieren. Damit ist auf absehbare Zeit nicht zu rechnen, aber vielleicht irgendwann einmal.

Warum ich sehr für den einseitigen Rückzug bin, hat in diesem Zusammenhang noch einen Grund: Ich habe die Hoffnung, dass – wenn wir auf Dauer keine direkte Herrschaft über die Palästinenser ausüben – eine Generation von Palästinensern heranwachsen wird, die nicht mehr direkt mit uns konfrontiert ist. Wenn diese Menschen dann groß sind, also in etwa zwanzig Jahren, werden sie sich fragen: Wozu das Ganze? Das hat übrigens einen ironischen Unterton, weil es das Gegenteil vom dem ist, was sich normale europäische Bürger vorstellen: dass man nämlich unbedingt miteinander reden soll. Aber das Gegenteil ist in diesem Fall besser: Wenn die Seiten sich aus dem Weg gehen, gibt es vielleicht Hoffnung auf Frieden – später.

Die zweieinhalbte Möglichkeit – ob sie wahrscheinlich ist, weiß ich nicht, aber sie ist im Gange und steht jetzt auf dem Prüfstand – ist, dass Saudi-Arabien entscheidet. Die Saudis haben in den letzten eineinhalb Jahren erkannt, dass der allergrößte Feind eigentlich der Iran ist, nicht Israel. Um gegen den Iran etwas unternehmen zu können, braucht man die Amerikaner. Damit die Saudis mit den Amerikanern gegen den Iran vorgehen können, brauchen sie wiederum Ruhe bei den Palästinensern. Ob Saudi-Arabien in der Lage ist, sie und ihre Führung dazu zu bewegen, Kompromisse mit uns eingehen und auch zu ihnen zu stehen, weiß ich nicht; ich kann es nur hoffen. Es ist alles sehr kompliziert, weil die Hamas über gute Verbindungen zum Iran verfügt. Die Saudis wollen gegen den Iran handeln und werden deshalb Druck auf die Palästinenser ausüben, und jene Palästinenser, die dem Iran näher stehen, werden sich dagegen wehren. Große Hoffnungen sollte man also nicht haben.
„Wenn man überhaupt eine Lehre aus dem zwanzigsten Jahrhundert ziehen kann, dann ist es diese: Wer ständig verkündet, er wünsche den Juden den Tod, meint das auch so“, halten Sie in Ihrem Buch fest. In den europäischen Medien und der europäischen Politik scheint man zu dieser Erkenntnis jedoch nicht bereit zu sein; die Vernichtungsdrohungen etwa der Hamas und der Hizbollah gegen Israel werden häufig als reine Propaganda abgetan, die nicht wirklich ernst genommen werden könne. Gleichzeitig wird die Gewalt gegen den jüdischen Staat nicht selten als von Israel provoziert betrachtet; Selbstmordanschläge und Raketenangriffe seien ein Ausdruck von Verzweiflung der Unterdrückten. Wie erklärt sich diese Haltung?
Die leichteste Antwort ist, zu sagen, dass die Europäer immer noch tief antisemitisch sind. Und das stimmt wahrscheinlich. Aber es gibt noch andere Gründe. Juden bestehen darauf, sich national betätigen zu können, während der Sinn des europäischen Projekts im Abbau von Nationalismus und von nationalstaatlicher Souveränität besteht. Vor 200 Jahren war es genau umgekehrt: Es gab zwar Juden, die bereit waren, beispielsweise deutsche Nationalisten zu sein, aber sie verstanden sich nicht so sehr als jüdische Nation, sondern vor allem als Religionsgemeinschaft. Den Europäern ist es nach Jahrhunderten des Krieges gelungen, ohne Gewalt miteinander zu leben. Man verhandelt, findet Wege – der ganze Zeitgeist ist geprägt von Pazifismus und von dem Gedanken, rational zu handeln. Das ist wirklich toll für die Europäer und sogar für die Menschheit, denn wenn die Europäer untereinander Krieg führen, hat das Auswirkungen weit über Europa hinaus.

Aber draußen in der Welt ist es anders; die Israelis – und auch die Amerikaner – befinden sich in einer ganz anderen Situation. Was also gut für Europa ist, muss nicht automatisch auch bei uns funktionieren. Ich glaube, dass es den Europäern schwer fällt, unsere Gegenwart und unsere Probleme zu verstehen. Denn dann müssten sie auch anerkennen, dass ihr Projekt auf Europa begrenzt ist und dass sie nicht die Zukunft der Menschheit sind, sondern einfach einen Weg für sich gefunden haben. Ich habe in den letzten Tagen oft gehört: „Kriege kann man nicht rechtfertigen.“ Aber das ist totaler Quatsch. Was ist mit dem Einsatz der Alliierten im Zweiten Weltkrieg? Ohne ihn hätte es eine neue Weltordnung gegeben – unter den Nazis. Und nun scheinen die Europäer nicht akzeptieren zu können, dass die Hamas deshalb die Wahlen gewonnen hat, weil eine Mehrheit der palästinensischen Wäh­ler ihren Ideen zustimmt. Denn das würde bedeuten, dass eine demokratische Wählerschaft eine irrationale Politik befürwortet, eine Politik, in der Krieg über Friedensverhandlungen rangiert.
Ist das auch der Grund, warum die Palästinenser von der EU finanziell so großzügig unterstützt werden? Glaubt man also in Europa, dass man nur genügend Geld geben muss, dann regelt sich alles Weitere fast von selbst?
Wahrscheinlich. Ich glaube, dabei spielt auch diese dumme und ahistorische Ansicht vieler Europäer eine Rolle, dass die armen Palästinenser unter den Juden leiden müssen, weil sie von den Europäern vertrieben und ermordet wurden.

Während Sie die Vorbemerkung für die deutsche Ausgabe Ihres Buches verfassten, zog die Hizbollah Israel in einen Krieg, der für den jüdischen Staat nicht den erhofften Erfolg brachte. Die entführten Soldaten sind bis heute nicht frei gekommen, die Gotteskrieger erstarken erneut, und in Israel wird allgemein befürchtet, dass es zu einem erneuten Waffengang kommt. In einem Interview mit dem Journalisten Michael Totten bezeichneten Sie den zweiten Libanonkrieg gleichwohl als „dumm“. Weshalb?
Zum Libanonkrieg muss man drei Dinge sagen. Erstens: Die Entscheidung, diesen Krieg zu führen, ist moralisch und politisch zu rechtfertigen. Die Hizbollah wird vom Iran finanziert und bewaffnet, und sie sagt klar und eindeutig: Unser Ziel ist es, Israel zu zerstören. Der Krieg, den sie dann geführt hat, bestand darin, auf Zivilisten zu schießen. Einen Krieg gegen die Hizbollah kann man also leicht rechtfertigen, zumal sie einige Male Israel direkt angegriffen hat. Zweitens: Die Berichterstattung über den Krieg in Europa war schlicht und ergreifend verlogen. Und dieses Problem werden die Europäer lösen müssen. Drittens: Der Krieg wurde einfach schlecht geführt. Zum Schluss hatten wir mehrere hundert libanesische Zivilisten umgebracht, ohne unsere Ziele zu erreichen, denn wir haben mehrere tausend Hizbollah-Kämpfer nicht umgebracht. Es hätte umgekehrt sein müssen. Wenn wir genügend Hizbollah-Kämpfer getötet hätten, wären manche unserer Ziele wahrscheinlich erreicht worden. Wir hätten einfach besser auf die Zivilisten achten müssen.

Trotzdem muss man sagen, auch wenn es hart klingt: Um die Hizbollah militärisch zu zerstören, muss man auch einige hundert Zivilisten umbringen. In jedem Krieg kommen Zivilisten um, auch bei uns, so ist das leider. Wenn es einen Krieg zwischen Israel und Ägypten gibt und der in der Wüste stattfindet, sind dort keine Zivilisten gefährdet. Aber das ist ein seltener Fall. So, wie der Libanonkrieg geführt wurde, hatte er die falschen Ergebnisse zur Folge. Zu der Zahl der toten Zivilisten ist zu sagen: Auch wenn es schrecklich ist, muss man genau hinsehen, was geschehen ist. Israel hat kleinere Gebiete aus der Luft angegriffen, nicht ganz Beirut, wie es in den europäischen Medien oft hieß. In diesen Gebieten haben -zigtausend Menschen gewohnt, und sie sind nicht umgekommen. Sie haben wahrscheinlich mit unseren Flugzeugen gerechnet, und unsere Piloten haben gewartet, bis die Bevölkerung abgezogen ist. Wenn wir wirklich größere Teile der Bevölkerung bombardiert hätten, dann hätte es nicht 500 Tote gegeben, sondern 5.000 oder 50.000. Das heißt: Wir haben schon aufgepasst, aber nicht genug. Und wenn wir die Ziele nicht erreicht haben, gibt es keine Rechtfertigung mehr für den Krieg. Deshalb habe ich gesagt, dass es ein dummer Krieg war.
Die Unterscheidung in diesem Krieg zwischen Kombattanten und Zivilisten war allerdings auch nicht so einfach. Denn die Hizbollah nahm die Bevölkerung als „menschliche Schutzschilde“ und schoss ihre Raketen aus Wohngebieten ab. In rationalen Kriegen passiert so etwas vielleicht weniger, aber eine Gotteskriegertruppe hat den Anspruch, jeden zum Kombattanten zu machen, und sie kennt auch auf der Seite des Feindes, also Israels, keine Zivilisten.
Die Unterscheidung ist tatsächlich schwierig, wahrscheinlich sogar gar nicht möglich, aber die Israelis haben es versucht. Sie haben beispielsweise keine Dörfer angegriffen, in denen die Christen leben. Das heißt: Sie haben nicht einfach irgendwo in den Libanon geschossen, sondern sich Gedanken gemacht, wer und was getroffen werden soll. Es gab Orte, da haben vorher 30.000 Libanesen gelebt, und davon sind vielleicht fünfzig umgekommen oder hundert. Es war also doch möglich, eine Unterscheidung zu treffen. Auch wenn die Hizbollah sagt, es gebe auf beiden Seiten nur Kombattanten: Kleine Kinder gehören nicht dazu, egal, was sie von sich gibt. Unsere Aufgabe bei der Kriegsführung ist es, unser Bestes zu tun, um die zu rechtfertigenden Ziele zu erreichen – mit so geringen Verlusten wie möglich, auch auf der anderen Seite. Wir planen keine „Kollateralschäden“ ein, sondern versuchen im Gegenteil, sie zu vermeiden. Manchmal gibt es sie trotzdem, und dann versuchen wir aus ihnen zu lernen, damit sie beim nächsten Mal nicht mehr vorkommen. So muss es sein. Auf der Seite der Hizbollah gibt es Männer, die schießen, und es gibt kleine Kinder, die keine Krieger sind. Man muss einen Weg finden, beide voneinander zu trennen. Wir wollen keine Kinder töten, auch dann nicht, wenn die Gegenseite sie als Schutzschilde missbraucht.
In den palästinensischen Autonomiegebieten haben die Hamas und die Fatah eine Einheitsregierung gebildet. Der Boykott der Hamas bröckelt nun und droht zusammenzubrechen. Zwar bleiben die Sanktionen in Kraft; dennoch haben einige Länder angekündigt, sie zu lockern. Was bedeutet das für Israel?
Mir persönlich macht die Änderung in der Linie der Europäer keine so großen Sorgen. Sie haben vierzehn Monate lang den Boykott der Hamas mitgetragen. Das war richtig – und unerwartet. Denn zuvor gab es Jahrzehnte, in denen sie anders gehandelt haben, und nun handeln sie so wie sonst auch immer. Aber die Haltung der Europäer ist auch nicht so entscheidend, weil wir uns ohnehin nicht auf sie verlassen.
Hattip für die Fotos aus Yad Vashem: Franklin D. Rosenfeld

10.4.07

Preiset die Eier!

Es ist, das sei konzediert, Jahr für Jahr das Gleiche: Einem stummen Zwang respektive gewohnten Ritual folgend, begehen Tausende zu Ostern die Wiederauferstehung des Inbegriffs demonstrativer Gewaltlosigkeit – die einen die personifizierte, die anderen die organisierte Ausgabe, und manche Symbioten gar beides. Das Modell mit dem weißen Vogel ist dabei deutlich jünger als das mit dem Gekreuzigten, gleichwohl jedoch schneller gealtert; die Anhänger beider Varianten eint jedenfalls der unerschütterliche Glaube daran, dass die Welt schon von selbst friedfertiger wird, wenn man nur beizeiten die andere Wange hinhält. Also machten sich hierzulande auch dieses Jahr Jünger(e) wie zuvörderst Ältere auf, ihre Botschaft zu verkünden, die mal in der Forderung nach einer „Revolution der Liebe“ gipfelte und mal markig die „systematisch geschürte Islamophobie und Antiterror-Hysterie“ beklagte. Wie zum Dank für so viel Zuneigung tat der höchste Repräsentant der weltweiten Friedensbewegung daraufhin kund: Iran steht seit heute auf der Liste derjenigen Staaten, die in der Lage sind, nuklearen Brennstoff herzustellen.“ Sapperlot!, möchte man da ausrufen. Die hiesigen Appeaseniks hatten sich nämlich in durchaus weiser Voraussicht in Marsch gesetzt und den Mullahs ein freundliches Bahn frei! entboten. Zum Lohn dafür lag bei den Besten eine Anerkennung im Korb. Hier sind die Hauptpreisträger:

Das bronzene Osterei für den dritten Platz ging an die Organisatoren des Berliner Ostermarschs für ihre wirklich bestechende Logik. „Statt die Atomwaffen endlich weltweit abzuschaffen, sind die Arsenale“ – regionalspezifisches Beispiel gefällig? Bitteschön: „so auch die Lager der US-Armee im Hunsrück“„mit ihnen gefüllt, und“, Männer: aufgepasst!, „es werden immer noch neue Typen erforscht.“ Das hat natürlich Folgen, denn so was kommt schließlich von so was: „Gleichzeitig streben immer mehr Staaten nach Atomwaffen, um nicht militärisch angegriffen zu werden.“ Nordkorea und der Iran zuvörderst, steht allerdings bloß zu vermuten, denn getraut hat man sich – aus welchen Gründen auch immer – offenbar nicht, die Aufrüstung etwa der Mullahs offensiv als Defensivmaßnahme gegen die jüdische Weltverschwörung in Anschlag zu bringen. Jedenfalls gilt, und hier geraten die Bezüge vollends ins Straucheln: „Damit wächst die Gefahr des Einsatzes dieser Waffen, statt den Verpflichtungen aus dem Atomwaffensperrvertrag nachzukommen.“ Uno, bitte übernehmen! Und die Gefahr per Resolution respektvoll ermahnen, dass sie mal ein Papier unterschrieben hat! Bevor „immer noch neue Typen erforscht“ werden.

Mit Platz zwei und also dem silbernen Osterei durften sich die Friedensfreunde aus und in Hamburg schmücken. Die hatten selbstbewusst verkündet: Der Ostermarsch ist notwendig wie eh und je“, bevor sie befanden: „Der von den USA angeführte Krieg gegen den Terror im Irak und in Afghanistan eskaliert weiter.“ Was jedoch, versteht sich, keinesfalls an den Terrorfreunden liegen kann, denn: „Dabei geht es nicht um Demokratisierung, sondern um weltweite Dominanz über rohstoffreiche und geostrategisch bedeutsame Regionen.“ Kein Blut für Öl!, tönt es ergo aus der Pipeline-Fraktion, denn: „Eine militärische Auseinandersetzung um das Atomprogramm des Iran droht.“ So kann man das Ansinnen der Mullahs, Israel zu vernichten, und den Versuch, sie davon abzuhalten, natürlich auch formulieren und daher fordern: „Faire Verhandlungen mit dem Iran – ohne Sanktions- und Kriegsdrohungen!“ Sondern stattdessen vielleicht mit dem Versprechen, eine World without Zionism auf, nun ja, herkömmlichem Weg ins Werk zu setzen.

Das goldene Osterei für den Sieger jedoch gebührte den Veranstaltern des Ostermarschs Rhein/Ruhr 2007. Denn die hatten nicht nur die schlichteste und kürzeste Kausalkette zu bieten – Vor allem die Drohpolitik der USA führt zu neuer atomarer Aufrüstung“ –, sondern glänzten auch mit der neckischen und fast schon in Vergessenheit geratenen Wortkreation „USAtombomben“. Nächstes Jahr geht es dann vermutlich gegen „IsraÖl“ auf die Straße. Hatten wir auch schon länger nicht mehr. Oder – man ist ja nicht nur anti – für „Machmut“. Der heißt schließlich nicht umsonst so.

5.4.07

Berufsbreschenschläger

Wenn jemand einen Preis bekommt, der nach einem Künstler, Schriftsteller, Unternehmer oder Politiker benannt ist, gehört es zu den vornehmen Pflichten des zuständigen Laudators, seine Hommage auf den oder die Gewinner mit einem markanten Bonmot des Namensgebers der Auszeichnung einzuleiten. Damit soll in aller Regel gezeigt werden, dass die Geehrten in dessen Tradition stehen. Anders läuft es auch bei der Vergabe des Erich-Fromm-Preises nicht; der mit der diesjährigen Huldigung beauftragte Festredner Norbert Copray – Direktor einer Einrichtung mit dem virtuosen Namen Fairness-Stiftung – zitierte gleich zu Beginn den zur Hochzeit der Friedensbewegung verstorbenen Schriftsteller: „Wenn die Menschen wüssten, welchen Weg die amerikanische Gesellschaft vermutlich einschlagen wird, wären viele, wenn nicht die meisten, so entsetzt darüber, dass sie wohl geeignete Vorkehrungen treffen würden, den Kurs zu ändern. Wenn sie sich dagegen nicht darüber klar sind, in welcher Richtung sie sich bewegen, dann werden sie erst erwachen, wenn es bereits zu spät ist und wenn ihr Schicksal unwiderruflich besiegelt ist.“

Die beiden fromm Bepreisten, denen durch diese Zeilen geschmeichelt werden sollte, sind fürwahr würdige Ordensträger, weil qua Profession den lieben langen Tag „entsetzt“ und deshalb damit befasst, „geeignete Vorkehrungen“ gegen das Armageddon der Amis zu treffen. Zwei „Persönlichkeiten“ wurden also dekoriert, „die – seit sie öffentlich wirken und wirksam sind – der Dehumanisierung des Menschen und der Gesellschaft entgegen treten und der Humanität im Sinne Erich Fromms eine Bresche schlagen in Politik, Gesellschaft, Religion und Kirche“. Man ahnt es schon: Die Berufsbreschenschläger und Antidehumanisierer Eugen Drewermann und Konstantin Wecker waren es, die unlängst ein paar Mille dafür zugesteckt bekamen, dass sie ihre „Wut und Traurigkeit über das, was Menschen Menschen an Leid antun“, einfach nicht für sich behalten können, sondern allerweil sturzbetroffen Gott und aller Welt vorbeten respektive -singen, wie der Globus „durch eine entfesselte Technik, Wirtschaft und Kriegsmaschinerie, der offenbar keiner der Machtinhaber wirklich Einhalt gebieten will“, zuschanden geritten wird.

Wie anders ginge es hienieden zu, ließe man nur Eugen & Konstantin ran; schließlich verbindet sie „das Engagement für eine Welt ohne Gewalt und ohne das Sieger-Verlierer-Prinzip, für eine unbeirrbare Hoffnung auf eine humanitäre Gesellschaft. Sie eint eine Orientierung am Sein statt am Habenwollen, die Hingabe für Frieden, Freiheit und Würde der Menschen“, wie Laudator Copray es formulierte. Wie diese „humanitäre Gesellschaft“ und das „Sein“ beschaffen sind und was sich hinter der „Hingabe für Frieden, Freiheit und Würde der Menschen“ verbirgt, erläutert Clemens Heni in seiner Würdigung Drewermanns.


Clemens Heni

Paderborner Brandredner


Es war der 12. August letzten Jahres, als sich der Theologe Eugen Drewermann im ostwestfälischen Paderborn im Rahmen einer „Kundgebung gegen den Krieg im Nahen Osten“ einmal mehr als Starredner feiern ließ. Umgeben von verschleierten muslimischen Frauen zog er mit Verve gegen Israel und die USA zu Felde und ließ nichts aus, was er an antizivilisatorischen, antijüdischen und deutschnationalen Ressentiments in seinem Repertoire beherbergt. Der Ort seiner Ansprache war dabei passend gewählt, und das weniger deshalb, weil Drewermann in Paderborn studierte, arbeitete und heute als Lehrbeauftragter an der dortigen Universität tätig ist, sondern weil diese Stadt für solche Brandreden geradezu prädestiniert ist. In ihr steht beispielsweise das Hermann-Löns-Stadion, in dem der SC Paderborn 07 seine Zweitligaspiele austrägt. Namensgeber Löns hatte einen der meistverkauften völkischen Blut-und-Boden-Bauernromane des 20. Jahrhunderts verfasst; er war ein „Freund der Heide“, und die Nazis mochten ihn sehr. Kein Wunder: „Ich bin Teutone hoch vier. Wir haben genug mit Humanistik, National-Altruismus und Internationalismus uns kaputt gemacht, so sehr, dass ich eine ganz gehörige Portion Chauvinismus sogar für unbedingt nötig halte. Natürlich passt das den Juden nicht.“

Der von Löns verteufelte Internationalismus ist auch für Dr. Eugen Drewermann, Jahrgang 1940 und eine Art männliche Antje Vollmer, das Feindbild: „Der konsequent gehandhabte Pazifismus wäre ein sicherer Weg gewesen, den Faschismus zu verhindern. [...] Mir scheint, dass Adolf Hitler uns erspart geblieben wäre, hätten die Nationen 1920 nicht einfach einem einzelnen Volk die Schuld an allem, was geschah, aufgebürdet, sondern den Beschluss gefasst, auf allen Seiten abzurüsten, und hätten sie dem deutschen 60-Millionen-Volk die Schande erspart, als einziges abrüsten zu müssen.“ (1) Eine solche Schuldprojektion ist typisch für den sekundären Antisemitismus nach 1945. Nicht der Antisemitismus der Deutschen ist schuld an Auschwitz, nein: Versailles! Das ist das Märchen und die aggressive Propaganda, die nicht nur von ordinären Holocaustleugnern verbreitet wird, sondern auch von anderen Nationalisten, von Schriftstellern wie Martin Walser oder eben einem Theologen wie Drewermann.

Gegen Ende des Nationalsozialismus war dieser anscheinend Zeuge eines alliierten Luftangriffs auf seine Geburtsstadt Bergkamen. Der Knirps war ganz schockiert, dass all die arischen Erwachsenen, die sonst so glücklich waren, auf einmal Angst hatten, wie Uwe Birnstein und Klaus-Peter Lehmann in ihrem Buch „Phänomen Drewermann“ berichten: „Auf tausenden Seiten zur menschlichen Grundbefindlichkeit hochstilisiert, wird Drewermanns Kriegserlebnis Jahrzehnte später zum Schlüsselbegriff für Millionen Gläubige. Die kindliche Verarbeitungsmethode dieses Schreckens wird er in vermeintlich erwachsener Form seinen Anhängern predigen: ‚Ich muss das sehr früh kompensiert haben mit der Hoffnung, dass es irgendwo doch eine Sicherheit gäbe. [...] Ich hab sie gesucht, [...] in meinem Kopfkissen, in meinem Teddybär.’“ (2) So ist es kein Wunder, dass der Paderborner Gottesgelehrte später behauptete: „Die träumende Imagination, nicht das begriffliche Denken bestimmt die Grunderfahrung des Religiösen.“ (3)

Begriffe sind im Unterschied zu Teddybären also nicht die Freunde des allseits beliebten Seelsorgers und Tiefenpsychologen. Er setzt sie als Ressentiment ein, nicht als Mittel zur Wahrheitsfindung. So kreierte er letztes Jahr zur Zeit des Libanon-Krieges eine neue Form der Holocaustrelativierung, die herkömmliche Negationisten vor Neid erblassen lassen dürfte: „Streubomben einzusetzen bedeutet, eine ganze Fläche so groß wie einen Sportplatz, mit einer einzigen Bombe zu belegen, die die menschlichen Leiber bis zur Unkenntlichkeit zerfetzen. Brandbomben einzusetzen, wissen die Älteren hier aus Paderborn in der eigenen Erinnerung sich noch zu vergewärtigen, besteht darin, Menschenleiber in lebendige Fackeln zu verwandeln. Das ist im wörtlichen griechischen Sinn eine Ganzkörperverbrennung, ein Holocaustoma. Will Israel dieses grauenhafte Wort tatsächlich in seine Praxis übernommen wissen? Kann es im Sinne eines israelischen Selbstverständnisses liegen, diese Art von Praxis im Umgang mit Menschen zu legitimieren?“ Und damit nicht genug: Drewermann hat auch etwas in petto, das gut zum friedensbewegten Alarmismus wegen der angeblichen ökologischen Folgen dieses Krieges passt. Bereits vor sechzehn Jahren ergänzte er nämlich seinen Antisemitismus um ein traditionell antijudaistisches Element: „Auch das Christentum, das politisch und kulturell das Erbe der Römer antrat und damit das ‚Abendland’ begründete, hat den Anthropozentrismus der römischen Grundeinstellung und die Fremdheit gegenüber der Natur keinesfalls gemildert, sondern eher noch aufgrund des jüdischen Ansatzes gesteigert. Die Religion Israels, von der das Christentum wesentlich geprägt ist, besaß zur Natur von vornherein ein außerordentlich heikles Verhältnis.“ (4)

Nun erhielt Drewermann zusammen mit dem Saddam-Freund und Volksbarden Konstantin Wecker – dem Datteln im Palast des seinerzeitigen irakischen Diktators doch näher standen als die Kritik am Judenhass des Ba’thismus oder die Abscheu vor dem Blut der hingemetzelten Kurden im Nordirak – den Erich-Fromm-Preis. Schlimm genug und Ausdruck der Liebe zur Regression allemal. Doch was hat das Internetportal haGalil geritten, auch noch für den Deutschen Drewermann zu werben, den die christlichen Schwaben im Mozartsaal der Liederhalle in Stuttgart bei der Preisverleihung feierten? Oder war die Publikation der Laudatio auf Wecker und Drewermann als Dokumentation des Schreckens gedacht? Gar ironisch gemeint? Wohl kaum.

Anmerkungen:
(1) Zitiert nach Uwe Birnstein/Klaus-Peter Lehmann (1994): Phänomen Drewermann. Politik und Religion einer Kultfigur, Frankfurt am Main: Eichborn, S. 91f.
(2) Birnstein/Lehmann 1994: 14
(3) Eugen Drewermann (1984): Tiefenpsychologie und Exegese. Band I. Die Wahrheit der Formen. Traum, Mythos, Märchen, Sage und Legende, Olten/Freiburg: Walter-Verlag, S. 16f.
(4) Eugen Drewermann (1991): Der tödliche Fortschritt. Von der Zerstörung der Erde und des Menschen im Erbe des Christentums, Freiburg/Basel/Wien: Herder, S. 71

Der Propagandhi

Die Mullahs lassen die fünfzehn britischen Soldaten frei – Zeit für das Ritual der deutschen Medien, den unvermeidlichen Iran-Experten das Wort zu erteilen. Und einer fehlt bei solchen Gelegenheiten nie: Bahman Nirumand. Der sieht in der bizarren Inszenierung des Regimes allen Ernstes ein „Einlenken in der Geisel-Krise“, die „für den Präsidenten eine Niederlage“ sei. Denn: „Die Begnadigung war sicherlich nicht sein Wille, sondern der seiner Gegner, denen offenbar gelang, ihm Zügel anzulegen und damit eine dem Land drohende Gefahr abzuwenden.“ Und daraus resultiere nun eine existenzielle Entscheidung: „Iran steht an einem Scheideweg. Entweder wird es den Radikalislamisten um Ahmadinedjad [...] gelingen, die Macht zu monopolisieren, oder seine Kritiker, die Moderaten, die Reformer werden es schaffen, ihm das Steuer aus der Hand zu nehmen. In dieser Runde scheinen die Moderaten gesiegt zu haben.“ Die alte Mär also von den Gemäßigten, die man nur genügend unterstützen müsse, und fast alles werde auf allerfriedlichstem Wege gut; ein Plädoyer zudem für die Fortsetzung genau jenes Kritischen Dialogs, den Bundesregierungen seit einer gefühlten Ewigkeit mit Teheran führen – inklusive der bekannten Ergebnisse. Folgt man Nirumands Logik, dann hatte das Kidnapping sogar etwas richtig Gutes, denn immerhin hat es Ahmadinedjad geschwächt. Der muss bei seiner als groteske Demonstration der eigenen Friedfertigkeit aufgemachten Freilassungsshow also zwangsläufig nur gute Miene zum für ihn bösen Spiel gemacht und nicht einen Triumph genossen haben. An dieser Sichtweise sind wohl nicht unerhebliche Zweifel angebracht, um es zurückhaltend zu formulieren.

Leon de Winter hat denn auch eine ganz andere Einschätzung der Angelegenheit. Sein Text „Europa unterwirft sich dem Frieden“ wurde zwar vor der Freilassung der Soldaten verfasst, doch das ändert gerade nichts daran, dass er Recht hat, wenn er befindet, der iranische Plan sei wohl kalkuliert gewesen und kein Anzeichen einer Krise des Apparats: „Die Mullahs gehen davon aus, dass die Abneigung der Muslime gegen den Westen so tief und allgemein ist, dass kleine Siege und symbolische Demütigungen die Differenzen zwischen den Hauptzweigen des Islam überbrücken können.“ Die EU habe dem wie immer nichts entgegenzusetzen gehabt und sein Mitglied Großbritannien im Stich gelassen. Das sei das „zwangsläufige Ergebnis der europäischen ‚Friedenspolitik’“. Denn „welcher Art auch immer der Aggressor ist: Man kann mit ihm in Form endloser Verhandlungen einen Umgang finden“. Wer das anders sehe, werde als „Kriegstreiber“ verunglimpft. „Aber es gibt dramatische Scheidewege in der Geschichte, bei denen das Streben nach Frieden Krieg und Zerstörung bewirkte“, schreibt de Winter und nennt historische Beispiele, denen bei allen nicht unerheblichen Unterschieden eines gemeinsam sei: der Verzicht auf Freiheit zugunsten eines unbedingten Friedens, den mal das Appeasement gegenüber den Freiheitsfeinden und mal sogar die Kollaboration mit ihnen ausgezeichnet habe. Auf die Gegenwart bezogen, werde eine solche Haltung absehbar fatale Konsequenzen haben: „Aus Sicht der Mullahs wird es erst ‚Frieden’ geben, wenn sich die Menschheit dem Islam unterworfen hat.“ Lizas Welt hat de Winters Beitrag ins Deutsche übersetzt.


Leon de Winter

Europa unterwirft sich dem Frieden


Am 30. März trafen sich die Außenminister der EU in Bremen, um über die Entführung von 15 britischen Soldaten durch den Iran zu diskutieren. Die Minister verweigerten dem britischen Vorschlag die Unterstützung, die Mullahs mit der Androhung eines Widerrufs der Exportgarantien unter Druck zu setzen. Ihre gemeinsame Erklärung „missbilligt den fortgesetzten Arrest von 15 britischen Bürgern durch den Iran“ natürlich und „unterstreicht die bedingungslose Unterstützung der britischen Regierung“. Aber das war schon alles, was sie unter „bedingungsloser Unterstützung“ verstanden. Es gab keinen diplomatischen oder wirtschaftlichen Boykott, nicht einmal in Ansätzen, ganz zu schweigen von einer militärischen Drohung. Die EU brachte nicht die Kraft auf, einen ihrer wichtigsten Mitgliedsstaaten zu unterstützen. Die Substanzlosigkeit der Erklärung steht in scharfem Gegensatz zur Schwere des Vorfalls. Die britischen Soldaten befanden sich in irakischen Gewässern, und zwar mit Billigung des UN-Sicherheitsrats.

Die iranischen Führer haben diesen Zwischenfall herbeigeführt, um den Willen des Westens zu prüfen und ihre eigene Macht zu demonstrieren, genau wie die vom Iran unterstützte Hizbollah Israels Entschlossenheit und die Unterstützung durch die eigenen Massen testen wollte, als sie die Reaktion aus Jerusalem auf die Entführung israelischer Soldaten erwartete. Warum will der Iran erst provozieren und dann die Reaktionen taxieren? Erstens: Teheran strebt danach, die islamische Welt zu dominieren, und glaubt, durch das Herausfordern des Westens die Bewunderung sowohl von den Sunniten als auch von den Schiiten gewinnen zu können. Die Mullahs gehen davon aus, dass die Abneigung der Muslime gegen den Westen so tief und allgemein ist, dass kleine Siege und symbolische Demütigungen die Differenzen zwischen den Hauptzweigen des Islam überbrücken können. Afshin Ellian, ein iranischer Rechtsprofessor an der Universität Leiden, stellte fest, dass die persischsprachigen Fernsehsender des Iran dem Vorfall weniger Aufmerksamkeit schenken als die arabischen Programme; das Kidnapping als publicityträchtiges Ereignis ist speziell für das sunnitische arabische Publikum inszeniert worden.

Die Holocaustleugnungen dienen einem ähnlichen Zweck. Indem Zweifel an der Existenz von Gaskammern geäußert und Juden der finanziellen und moralischen Erpressung der Menschheit durch eine Lüge geziehen werden, hofft man, die Antisemiten und Antizionisten in Ost und West zusammenzubringen. Darüber hinaus will der Iran deutlich machen, dass er seine nuklearen Pläne nicht aufgeben wird. Die Entführungen scheinen auszudrücken: Der Iran kann und wird 15 britische Soldaten aus dem Meer pflücken, und er kann Amerikaner und Briten im Irak furchtbar bluten lassen, wenn die iranischen Atomanlagen angegriffen werden. Die EU reagierte, wie es die Mullahs erwartet hatten: Sie tat nichts. Sie droht noch nicht einmal mit dem Ende der Exportgarantien, obwohl Europa einen möglichen Verlust der entsprechenden Erlöse, die gerade einmal 1,5 Prozent des gesamten Exportvolumens ausmachen, leicht verschmerzen könnte. Stattdessen beschloss sie, den Iran mit Glacéhandschuhen anzufassen – wie seit Jahren schon.

Das Problem ist, dass die EU kein anderes Paar Handschuhe hat. Die gegenwärtige Krise ist das zwangsläufige Ergebnis der europäischen „Friedenspolitik“. Europas obere Klassen hüten das Konzept soft power wie ihren Augapfel. Welcher Art auch immer der Aggressor ist: Man kann mit ihm in Form endloser Verhandlungen einen Umgang finden. Man mutmaßt offenbar, dass jemand, der spricht, nicht kämpfen kann. Europas Eliten sind vom Prinzip des „Friedens“ beseelt, und wer kann dagegen etwas haben? Diejenigen, die damit nicht einverstanden sind, müssen „Kriegstreiber“ sein. Aber es gibt dramatische Scheidewege in der Geschichte, bei denen das Streben nach Frieden Krieg und Zerstörung bewirkte. Frieden war Chamberlains Motivation, mit Hitler einen Deal zu machen. Frieden war auch die Motivation der gleichnamigen westeuropäischen Bewegung in den 1980er Jahren, gegen amerikanische cruise missiles auf dem Kontinent zu sein: „Lieber rot als tot“, lautete die Parole auf Demonstrationen von Amsterdam bis Paris. Währenddessen litten Dissidenten im Gulag, weil sie nicht rot werden wollten. In Osteuropa regierte wirklich „Frieden“ das Land, aber es war der Frieden eines Polizeistaats. Wie Churchill bereits begriffen hatte: Die westliche Zivilisation basiert nicht auf dem Kampf für Frieden, sondern auf dem Kampf für Freiheit.

Nach dem Fall der Berliner Mauer richteten die Progressiven im Westen den Fokus darauf, den Frieden im Nahen Osten zu bewahren. Friedensaktivisten gingen 1990 als menschliche Schutzschilde für Saddam Hussein in den Irak, um den Frieden dieses Vergewaltigers eines jeden Menschenrechts zu erhalten und um die Freiheit zu verhindern, die die Koalitionstruppen bringen würden. Die USA entschieden sich schließlich gegen die Freiheit für den Irak – mit bitteren Konsequenzen für die Zukunft. Die Mullahs sagen, ihr Streben nach Weltbeherrschung bringe ebenfalls den Frieden – denn sie behaupten, das sei die Bedeutung von „Islam“. Aber das Wort bedeutet, wörtlich übersetzt, „Unterwerfung“. Aus Sicht der Mullahs wird es erst „Frieden“ geben, wenn sich die Menschheit dem Islam unterworfen hat. Europa kann diese iranische Art von Frieden nicht stoppen, wenn man davon ausgeht, dass die EU sich an den lieblichen, aber gefährlichen Gedanken kettet, dass Frieden immer besser als Krieg ist. In der Praxis bedeutet dies das schleichende Ende der liberalen europäischen Demokratien.

Denn soft power ist ihre Waffe. Europa hat seine Armeen verkleinert, weshalb sie kaum zu gebrauchen sind. Als die Niederlande vor einigen Jahren eine Flotte in den Golf schickte, warnten Soldatenvereinigungen, das sei gefährlich und könne Opfer fordern; der Gedanke, dass Soldaten vielleicht kämpfen müssen und sterben könnten, war für sie absurd. Großbritannien hat seine Armee in einem solchen Ausmaß verkleinert, dass die Kriegserklärung des Iran – einer aggressiven, aber chaotisch organisierten Theokratie – nicht adäquat beantwortet werden konnte. Die EU könnte – zumindest theoretisch – kollektiv auf die Bedrohung reagieren, aber welcher Mitgliedsstaat ist bereit, seine eigenen Söhne für 15 britische Soldaten zu geben? Aber wenn nicht, wo ist die Reizschwelle? Würde die EU eingreifen, wenn 20 polnische Soldaten entführt würden? 25 Rumänen? 50 Niederländer?

Die unfähige Reaktion auf die iranische Kriegserklärung zeigt, dass Frieden wenig mehr ist als der Frieden des Friedhofs, auf dem europäische Politiker – gute, wohlmeinende Leute mit den besten Absichten – ihre Zivilisation begraben werden. Im Moment verhandelt die britische Regierung – verzweifelt, verlegen und machtlos – mit den Mullahs. Die Briten werden einen Preis für die Freilassung ihrer Soldaten bezahlen müssen. Wenn der Iran einmal ein Atomstaat ist, wird er uns alle als Geiseln nehmen. Und wir werden dann ebenfalls einen Preis zahlen.

Hattip: barbarashm, Nasrin Amirsedghi

2.4.07

Schal gewordene Demarkationen

Wenn es gegen Juden, Verzeihung: Zionisten und die USA geht, kommen seit geraumer Zeit – und verstärkt seit Nine Eleven – Allianzen zustande, die man mit einigem Recht als antisemitische Internationale bezeichnen kann. Linke, Rechte und Islamisten demonstrieren zusammen gegen „Krieg“ und „Besatzung“, und sie sind sich einig darin, dass die Welt vom „großen Satan“, den Vereinigten Staaten von Amerika also, und seinem Verbündeten Israel beherrscht wird und von diesen „befreit“ werden muss. Ideologische Gemeinsamkeiten ergeben sich dabei vor allem durch das, was bei diesen politischen Strömungen unter dem Begriff Antiimperialismus firmiert, der längst schon keine linke Domäne mehr ist, sondern nicht zuletzt mit seinen Völkeleien konsequent eine veritable Schnittmenge anbietet. Und so lassen sich Forderungen wie die nach einem „arabischen Palästina vom Jordan bis zum Mittelmeer“, in dem die „Besiedlung im Dienste des Imperialismus nicht geduldet“ werde und „rückgängig gemacht werden“ müsse, oder Stellungnahmen à la Die Zerstörung des Zionismus und eines so genannten Staates Israel ist der einzige Weg zur Gerechtigkeit“ nicht mehr eindeutig zuordnen. In diesem Fall stammen sie von österreichischen Antiimperialisten, doch auch bei Rechtsextremisten und Djihadisten stoßen sie auf begeisterte Zustimmung. Sonstige Differenzen verblassen, wenn es ums große Ganze geht.

„Einig sind sich Links- und Rechtsextremisten, wenn es darum geht, den Juden Moral und Anstand beizubringen“, resümiert Karl Pfeifer im seinem folgenden Beitrag; zum Zwecke dieser ganz speziellen Art von Erziehung berufen sich beide Lager bevorzugt auf einen jüdischen Kronzeugen, den sie verehren, weil er sich „wenig um schal gewordene Demarkationen zwischen links und rechts“ kümmere. Im Ergebnis wollten die Nationalbolschewisten, so Pfeifer, „das Werk der Nationalsozialisten vollendet sehen“: „Hatten die Nazis noch explizit die Juden für alles Unglück in der Welt verantwortlich gemacht, so geben die linken Kameraden dem ‚zionistischen Gebilde’ für alles Schlimme, was im Nahen Osten passiert, die Schuld.“ Und das nicht nur in Österreich.


Karl Pfeifer

Die gemeinsame Plattform


In der nationalbolschewistischen Berliner Tageszeitung junge Welt berichtete Harald Neuber kürzlich aus Caracas und leugnete dabei den Antisemitismus des Chávez-Regimes – schließlich gehe es doch nur um zulässige Kritik am Staat Israel. Ein Blick auf die offizielle und halboffizielle Judenhetze in Venezuela genügt allerdings, um festzustellen, wie es dort wirklich aussieht. Neuber appelliert an die prolet-arischen Ressentiments, wenn er etwa vom „reichen Ostteil Caracas’“ schreibt, „in dem sich das hebräische Zentrum befindet“, oder „einige der größten Unternehmensfamilien“ hervorhebt, die im Dachverband der jüdischen Vereine Venezuelas organisiert sein sollen. Solche Zeilen implizieren die alte, doch stets wirksame Leier von der Gegnerschaft der Juden Venezuelas zur Regierung – nicht etwa wegen des gegen sie gerichteten Antisemitismus, sondern weil sie das Hauptanliegen des Regimes, „die Umverteilung des Reichtums“, nicht teilten. Selbst der krudeste Antisemitismus, wie er von offizieller Seite in Venezuela betrieben wird, stört Kameraden wie Neuber nicht. Denn für die gute Sache des Antiimperialismus ist alles erlaubt – da nimmt man auch Holocaustleugner in Schutz.

Einig sind sich Links- und Rechtsextremisten, wenn es darum geht, den Juden Moral und Anstand beizubringen. Und da haben sie einen Juden nach ihrem Geschmack gefunden: Moishe Arye Friedman nämlich, einen US-Bürger, der vor ein paar Jahren plötzlich in Wien auftauchte, nachdem er in Belgien Konkurs gemacht hatte und nun zum Liebling der Antiimperialisten, der rechtsextremen FPÖ und der Palästinensergemeinde wurde. Der Mann hat zwar keine Gemeinde in Wien, aber er nennt sich trotzdem „Oberrabbiner“, ist der Schnittlauch auf links- und rechtsextremen sowie islamistischen Suppen und betet für „für ganz Palästina mit einem vom Zionismus befreiten Jerusalem“.

Willi Langthaler, umtriebiger Anführer der Wiener Antiimperialistischen Koordination (AIK), brachte es auf den Punkt, als er die „antizionistische Gemeinde des orthodoxen Rabbiners Friedman“ lobte, denn „dieser kümmert sich tatsächlich wenig um schal gewordene Demarkationen zwischen links und rechts, deren Denominationen aber allesamt den Zionismus und das American Empire anerkennen und aktiv verteidigen“. Die AIK warb zudem für eine von Friedman initiierte „Internationale Konferenz religiöser Führer verschiedener Religionen“ im „Austria Konvention Center (beim UNO Gebäude) (mit Buffet)“. Und auch die sattsam bekannte linkradikale Arbeiterfotografie verteidigte Friedman, nachdem dieser in Teheran den Holocaust geleugnet hatte, und versuchte, dies mit abfälligen Worten über die Wiener Aktion gegen Antisemitismus und mit einem Zitat des Muslim-Markts zu rechtfertigen. So weit die linken Kameraden.

Nun zu den rechtsextremen Kameraden. Auch in der vom österreichischen Staat hoch subventionierten Wochenzeitung Zur Zeit wird von Martin Pfeiffer ein Jude gelobt: Moishe Arye Friedman, so das in der Slowakei gedruckte „deutschnationale“ Blatt, sei schließlich nicht irgendeiner: „Er ging weiter seinen Weg und hielt Kontakt zu Exponenten des nationalfreiheitlichen Lagers, ja lud sogar deren Vertreter zu religiösen Feiern ein, wie etwa einer Bar Mizwa (Firmung). [...] Im Jahre 2004 veranstaltete er in Wien eine internationale Rabbinerkonferenz, an der so prominente Politiker wie Ex-Innen- und Außenminister Erwin Lanc (SPÖ) und der damalige CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann teilnahmen.“

Doch das war natürlich nicht alles: „Weltbekannt wurde Friedman schließlich Ende 2006, als er zusammen mit gleichgesinnten Rabbinern zur internationalen ‚Holocaust-Konferenz’ nach Teheran reiste und dort sehr herzlich vom iranischen Staatspräsidenten Mahmud Ahmadinedschad empfangen wurde. Die unorthodoxen Äußerungen des orthodoxen Oberrabbiners zur jüngsten Geschichte empörten prozionistische Kreise in aller Welt. Sein Infragestellen gewisser – nicht nur in Österreich – gerichtsnotorischer ‚Offenkundigkeiten’ hätten den Staatsanwalt in ‚good old Austria’ auf den Plan gerufen, wäre Friedman nicht US-amerikanischer Staatsbürger und hätte er seine Aussagen nicht im Ausland getätigt.“* Friedman (Foto) ist auch der Liebling von deutschen Neonazis und palästinensischen Organisationen wie der Palästinensischen Gemeinde Österreichs.**

Doch kehren wir zurück zu den Nationalbolschewisten der jungen Welt, wo sich Rainer Rupp für einen ungebändigten Terror stark macht und mit Begeisterung von einer Zusammenkunft von Terrorsympathisanten in Italien berichtet. Den Organisatoren „unter der Leitung des österreichischen Antiimperialisten Willi Langthaler“ sei es „gelungen“, für führende Vertreter des „irakischen Widerstandes“ eine Einreiseerlaubnis nach Italien zu bekommen. Es handelt sich dabei unter anderem um einen Iraker, der in Deutschland unerwünscht ist. Dieser kritisiert die „europäische Linke“, weil sie mit den irakischen Halsabschneidern und Massenmördern wegen „zivilgesellschaftlicher Bedenken“ nicht solidarisch sei. Rupp nimmt jedoch an, dass „die Prodi-Regierung nicht abgeneigt ist, sich auf diese Weise eine Hintertür für eventuelle eigene Kontakte zu irakischen Widerstandsgruppen zu schaffen“.

Die AIK veröffentlichte eine Schlussresolution dieser Zusammenrottung in Italien, deren Endzeitstimmung an die nationalsozialistische Propaganda erinnert: „Es ist ein historischer Kampf, der im Nahen Osten ausgefochten wird. Von seinem Ausgang wird die Zukunft der Region und schließlich der ganzen Menschheit abhängen.“ Und es kommt noch schlimmer: „Der Kampfschrei des irakischen Widerstands hat dem heroischen palästinensischen Volk Aufwind gegeben, welches nach Jahrzehnten einer unnachgiebigen Intifada seinen Kampf noch intensiviert hat und die Zionisten aus Gaza vertrieben und für jene Kräfte, welche das historische Ziel der vollständigen Befreiung Palästinas nicht verraten haben, bei den Wahlen gestimmt hat.“ Die Nationalbolschewisten wünschen sich also ganz offen eine Zerschlagung des Staates Israel; sie sehnen sich also nach einem Völkermord an Juden – denn Illusionen kann sich niemand machen, der sieht, wie Muslime im Irak untereinander und miteinander verfahren und wie im Sudan ein Völkermord – unter den Augen der Uno! – begangen wird. Wenn Muslime nicht miteinander leben können, welche Chance hätten dann wehrlose Juden in Palästina?

Hatten die Nationalsozialisten von der „jüdischen Weltverschwörung“ fantasiert, so behaupten nun die Nationalbolschewisten: „Im Libanon, unter der Führung der allbekannten Vereinten Nationen, brachten die USA und die Zionisten Frankreich, Italien und Deutschland dazu, ihre Truppen zu schicken, darauf bauend, sie auch in ihren dauerhaften Plan den nationalen Widerstand auszulöschen und den Libanon unter ihre Vorherrschaft zu bekommen, zu integrieren.“ Das ist nichts anderes als ein Aufwärmen der alten Mär von der Weltverschwörung, nur dass jetzt das Wort „Juden“ durch „Zionisten“ ersetzt wird. Hatten die Nazis noch explizit die Juden für alles Unglück in der Welt verantwortlich gemacht, so geben die linken Kameraden dem „zionistischen Gebilde“ für alles Schlimme, was im Nahen Osten – auch zwischen Muslimen – passiert, die Schuld: „Solange die USA und ihre Verbündeten [...] das zionistische Gebilde weiter aufrechterhalten, kann es keinen Frieden in der Region geben.“

Die Forderung der Nationalbolschewisten lautet: „Zerschlagt den Zionismus – für die vollständige Befreiung Palästinas!“ Sie wollen also das Werk der Nationalsozialisten vollendet sehen und kümmern sich wenig um „schal gewordene Demarkationen“ zwischen links- und rechtsextrem. Ein mörderischer Antisemitismus ist die gemeinsame Plattform der Nationalbolschewisten, Rechtsextremisten und Islamisten.

Zum mittleren Bild: Diese Parole – „Jüdische Mörder“ – wurde an die Mauer des jüdischen Zentrums in Caracas geschmiert.

Anmerkungen:
* Querschläger: Martin Pfeiffer über Friedman und die Israelitische Kultusgemeinde (IKG), Zur Zeit vom 23. März 2007, Seite 7. Pfeiffer nimmt in seinem Beitrag den Alibijuden der Rechtsextremisten und Neonazis in Schutz. Moishe Arye Friedman war aus der IKG ausgeschlossen worden. Nachdem seine Kinder aus einer von der orthodoxen Gruppe Machsike Hadas geführten Schule abgemeldet worden waren, weil die Mutter mit ihnen in die USA fuhr, wurden sie nach ihrer Rückkehr nicht mehr in die Schule aufgenommen, auch, weil die Eltern nicht den Sabbat einhalten und zudem seit Jahren kein Schulgeld bezahlen. Johannes Hübner, Anwalt der FPÖ, klagte deswegen gegen die Schule und wurde abgewiesen. Doch das Wiener Oberlandesgericht verfügte – ohne Anhörung der Schulleitung und der IKG –, dass die Kinder in diese Privatschule aufgenommen werden müssen. Die Schule soll für jeden Tag, an dem die Kinder nicht an der Schule lernen dürfen, 5.000 Euro Bußgeld bezahlen. Die IKG hat sich nun an das Oberste Gericht gewandt und überlegt, die älteste jüdische Schule, die in den 150 Jahren ihrer Existenz nur während der Nazizeit nicht geöffnet war, zu schließen.
** Nur einige Beispiele, die dies belegen:
http://www.palaestinensische-gemeinde.at/briefoberrabbiner.shtml
http://www.palaestinensische-gemeinde.at/rabbinerkonferenz.shtml
http://www.palaestinensische-gemeinde.at/friedman.shtml
http://www.filastin.at/friedman.shtml
http://www.filastin.at/friedman2.shtml