27.2.09

Beihilfe zur Vernichtung



Als der Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder kürzlich zum Tête-à-tête in Teheran weilte, ward es Teilen der deutschen Medienlandschaft etwas unbehaglich zumut’. Denn der Genosse der Bosse traf sich dort mit ausgewiesenen Holocaustleugnern, und das kommt im geläuterten, wiedergutgemachten Deutschland nicht ganz so gut. Schließlich legt man sich dort mächtig ins Zeug, um durch eine allfällige Trauer um die toten Juden die Selbstermächtigung zu salvieren, die lebenden Mores zu lehren. Und da ist so ein Smalltalk mit Ahmadinedjad, Laridjani & Co. tendenziell kontraproduktiv – selbst dann, wenn sich der deutsche Gesprächspartner klarzustellen beeilt, dass es „keinen Sinn macht“, die Shoa in Abrede zu stellen. (Ein vollkommen untaugliches, weil zweckgebundenes und damit diskutables Argument übrigens – weshalb Schröders Gastgeber die Angelegenheit denn auch gänzlich anders sahen, ohne dafür mit der Abreise ihres Besuchers auch nur rechnen zu müssen.)

Auf die Idee, Schröder dafür ins Visier zu nehmen, dass seine Iranreise vor allem praktizierter Wirtschaftslobbyismus war, der die Gefahr einer nuklearen Vernichtung des jüdischen Staates erhöht, kam hingegen kaum jemand. Verwunderlich ist das allerdings nicht, denn wer will – zumal in Zeiten der Krise – schon der deutschen Wirtschaft in die Parade fahren, deren Business mit den Mullahs durchaus prächtig gedeiht? Und so schweigt man weitgehend zur deutschen (und europäischen) Beihilfe zum Vorhaben der Mullahs, das zu vollenden, was die Nazis seinerzeit nicht mehr vollenden konnten. Wie diese Beihilfe konkret aussieht, hat Benjamin Weinthal, der Korrespondent der israelischen Tagszeitung Jerusalem Post in Deutschland, in einem Beitrag für das Wall Street Journal Europe ausgeführt. Lizas Welt dokumentiert nachfolgend, mit freundlicher Genehmigung des Autors, die von Kirsten Tenhafen ins Deutsche übersetzte und aktualisierte Fassung.


Wie europäische Unternehmen die Entwicklung der iranischen Atombombe fördern

VON BENJAMIN WEINTHAL


Während sich die Vereinigten Staaten verstärkt darum bemühen, den Iran vom Bau der Atombombe abzuhalten, profitiert die Islamische Republik von der Kooperation mit europäischen Firmen. Dabei unterstützt dieser Handel ein Regime, das entschlossen ist, sein nukleares Waffenprogramm weiterzuentwickeln, und das Terrororganisationen wie die Hamas und die Hizbollah finanziell unterstützt.

Der österreichische Ölriese OMV etwa brennt darauf, sein im April 2007 abgeschlossenes 22-Milliarden-Euro-Geschäft zu realisieren, in dessen Rahmen das South-Pars-Gasfeld im Persischen Golf entwickelt und Flüssiggas produziert werden soll. Schließlich warte man nur noch auf einen „Kurswechsel in der amerikanischen Politik“, so der Geschäftsführer der OMV, Wolfgang Ruttenstorfer, während der jährlichen Aktionärsversammlung im Mai letzten Jahres. Die Raiffeisen-Zentralbank, Österreichs drittgrößte Bank, ist ebenfalls im Iran aktiv und hat dort einem Bericht von Glenn Simpson im Wall Street Journal zufolge die Transaktionen europäischer Schlüsselbanken übernommen, nachdem diese ihre Tätigkeit im Iran eingestellt haben. Ende Januar sagte Paolo Scaroni, Vorstandschef der italienischen Energiegesellschaft Eni SpA, gegenüber der Nachrichtenagentur Associated Press, sein Unternehmen werde die vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem Iran erfüllen. Ein Druck von außen, die Beziehungen zur Islamischen Republik abzubrechen, sei nicht zu spüren.

Als Wirtschaftsmotor Europas ist Deutschland gerade wegen seines umfangreichen Handels mit dem Iran in der einzigartigen Position, Teheran unter Druck setzen zu können. Dennoch hat die unübersehbare Gefahr einer nuklearen Bewaffnung des Iran Deutschland bisher nicht davon abgehalten, dem Regime mit einem Handelsvolumen von annähernd vier Milliarden Euro im Jahr 2008 unter die Arme zu greifen und damit der wichtigste Wirtschaftspartner des Iran zu bleiben. Im Gegenteil: Von Januar bis November 2008 stiegen die Exporte ins Land der Mullahs um 10,5 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum aus dem Jahr 2007. Teil dieser blühenden Handelsbeziehungen waren unter anderem 39 Verträge über die Bereitstellung von „Dual-Use-Gütern“. Diese Güter können laut Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) sowohl für zivile als auch militärische Zwecke genutzt werden.

Ein weiteres Beispiel für die desolate Iran-Politik Deutschlands ist der Energie- und Technikriese Siemens. Während der jährlichen Aktionärsversammlung in München, die ich besucht habe, räumte der Vorstand ein, dass im Jahr 2008 Geschäfte im Wert von 438 Millionen Euro mit dem Iran abgeschlossen wurden. Außerdem werden die 290 Siemens-Mitarbeiter im Iran auch weiterhin in den Bereichen Gas, Öl, Infrastruktur und Kommunikation aktiv sein.

Besorgte Aktionäre und Vertreter der Nichtregierungsorganisation Stop the Bomb – einer breiten Koalition in Deutschland und Österreich, deren Ziel die Verhinderung der iranischen Atombombe ist – konfrontierten den Vorstandschef Peter Löscher mit detaillierten Fragen zu den Handelsbeziehungen des Unternehmens mit dem Iran. Ein Sprecher von Stop the Bomb monierte die Bereitschaft zum Handel mit einem Land, das für die Verletzung von Menschenrechten bekannt ist, angefangen von der brutalen Unterdrückung der Frauen bis hin zum Mord an Homosexuellen und zur Verfolgung Oppositioneller, von Gewerkschaftern sowie religiöser und ethnischer Minderheiten. Der Sprecher bezog sich dabei auch auf die Geschichte des Unternehmens während der Nazizeit, als Häftlinge aus dem Vernichtungslager Auschwitz zur Arbeit bei Siemens gezwungen wurden. Er fragte, wie das Unternehmen auf dem Hintergrund seiner Nazivergangenheit ein „antisemitisches und terroristisches Regime“, das mit der Vernichtung Israels drohe, unterstützen könne.

Löscher antwortete den 9.500 Aktionären in der Münchner Olympiahalle: „Für Siemens haben Compliance und Ethik höchste Priorität, auch was Menschenrechtsfragen betrifft.“ Dennoch gab er nach einigen weiteren Fragen des Stop the Bomb-Sprechers zu, dass Siemens als Teilhaber eines Joint-Ventures mit Nokia im letzten Frühjahr modernste Kommunikations- und Überwachungstechnologie in den Iran geliefert hat. Experten für Informationstechnologie gehen davon aus, dass die gelieferte Leitstellentechnik zum Abhören mobiler Telefon- und Festnetzverbindungen genutzt wird und dass diese Systeme dem iranischen Geheimdienst die Verfolgung von finanziellen Transaktionen sowie von Flugzeugbewegungen ermöglichen. Darüber hinaus können diese Technologien zur Überwachung von verfolgten Minderheiten oder Regimekritikern benutzt werden.

Als größter deutscher Handelspartner des Iran ist Siemens der Motor, was die weit reichenden wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und dem Regime in Teheran betrifft. Deutsche Unternehmen wie Mercedes Benz, das auf seiner Internetseite eine iranische Vertriebszentrale aufführt, oder die Münchener Rück bleiben angesichts der zunehmenden Rufe nach einer wirtschaftlichen Isolation des Iran indifferent. Ein Sprecher der Münchener Rück bestätigte mir, das Unternehmen versichere weiterhin in den Iran gelieferte Handelsgüter. Das war die erste öffentliche Auskunft dieser Art durch diesen Versicherungskonzern.

Und es stehen weitere Geschäfte an. So berichtete beispielsweise die Hannoversche Allgemeine Zeitung Ende Januar, dass die Aerzener Maschinenfabrik mit einer Stahlfabrik im iranischen Isfahan einen mit 21 Millionen Euro dotierten Vertrag zur Bereitstellung von Prozessgasgebläsen und Schraubenkompressoren abgeschlossen hat. Das alles findet statt, während der Iran mit einer bemerkenswerten Geschwindigkeit hochangereichertes Uran für seine Atombombe gewinnt. Der Start eines im Inland produzierten Satelliten veranlasste einen alarmierten Eric Chevallier, Sprecher des französischen Außenministeriums, den Zusammenhang von Irans militärisch-nuklearem Potenzial und der Satellitentechnik zu unterstreichen.

Handels- und Sicherheitsexperten haben deutlich gemacht, dass der Iran deutsche Spitzentechnologie nicht einfach durch Konkurrenzprodukte, beispielsweise aus China oder Russland, ersetzen kann. Appelle der Bundeskanzlerin Angela Merkel an die Wirtschaft blieben gleichwohl wirkungslos. Sie verfolgt eine Politik des moralischen Drucks, um die Unternehmen davon zu überzeugen, beim Abschluss neuer Geschäfte mit Teheran „sensibel“ zu sein. Das hielt ihre eigene Administration allerdings nicht davon ab, im vergangenen Jahr 2.800 Geschäfte mit dem Iran zu bewilligen.

Transparenz ist in diesem Bereich eine dringende Notwendigkeit. Das Bafa lehnt eine Offenlegung über die Art der genehmigten Verträge jedoch ab. Das Bundeswirtschaftsministerium, zu dessen Aufsichtsbereich das Bafa gehört und das ein Befürworter von Geschäften mit dem Iran ist, sollte die Namen der Unternehmen nennen, die Handel mit einem Staat betreiben, der als Sponsor für Terrororganisationen wie Hamas und Hizbollah auftritt. Die deutschen Unternehmen verbergen sich nämlich hinter einer Mauer der Geheimhaltung, um im US-Handel nicht auf eine schwarze Liste gesetzt zu werden.

Die Bundesregierung subventioniert Investitionen im Iran großzügig, indem sie deutsche Unternehmen mit Kreditgarantien von 250 Millionen Euro unterstützt. Einen Tag vor dem Internationalen Holocaust-Gedenktag am 27. Januar schrieb das Handelsblatt, Berlin habe vor, die Vergabe von Hermes-Exportbürgschaften einzustellen. Nachdem darüber in allen großen Medien berichtet wurde, dementierte ein Sprecher von Frau Merkel diskret die Rücknahme der Kreditzusagen. Insgesamt wurde durch diesen Vorgang der Eindruck erweckt, dass Berlin die Geschichte in der zynischen Absicht durchsickern ließ, sein internationales Image aufzupolieren und die angespannten Beziehungen zu Israel – dem Land, dessen Sicherheit Merkel als für Deutschland „nicht verhandelbar“ erachtet – wiederherzustellen.

Darüber hinaus gibt es weitere Signale dafür, dass die politischen Eliten in Deutschland den Iran als einen gewöhnlichen Handelspartner betrachten. Der frühere Kanzler Gerhard Schröder reiste Ende Februar in den Iran, nur zehn Tage, nachdem das Land den dreißigsten Jahrestag der Islamischen Revolution feierte und den Revolutionsführer Ayatollah Khomeini ehrte. Schröder, der dort an der Gründung einer Stiftung zur Förderung wissenschaftlicher Forschung teilnahm und Sanktionen gegen das iranische Regime ablehnt, ergriff wie erwartet nicht die Möglichkeit, die blühenden deutschen Handelsbeziehungen mit der Islamischen Republik zu kritisieren.

Kurz gesagt: Während Berlin verkündet, dass es den Iran vom Bau der Atombombe abhalten will, hat es tatsächlich bislang nur wenig dafür getan, die Entwicklung dieser Bombe zu verhindern. Eine deutsche Gesetzgebung, die den Handel mit dem Iran ausdrücklich untersagt und die sämtliche Export-Kreditgarantien sofort einstellt, würde einen entscheidenden Rückschlag für das iranische Regime zur Folge haben, wenn nicht sogar zur Beendigung des Atomprogramms führen. Dies hätte eine außerordentlich wichtige Vorbildfunktion für die Übernahme einer solchen Gesetzgebung durch andere EU-Staaten.

25.2.09

Für den Boykott von Durban II!

Ende April veranstaltet der Menschenrechtsrat der Uno – jenes bizarre Gremium, das seinem Namen nichts als blanken Hohn spricht – in Genf die Durban Review Conference, eine Neuauflage jener zu trauriger Berühmtheit gelangten Antirassismuskonferenz der Vereinten Nationen, die im September 2001 in der südafrikanischen Stadt Durban vonstatten gegangen war. Dort sollte Israel wenige Tage vor 9/11 – so wollten es die beteiligten islamischen Länder – als „rassistischer Apartheidstaat“ verurteilt werden. „Man verdammte den Zionismus als gegenwärtige Form des Nazismus und der Apartheid“, erinnert sich der französische Essayist und Romancier Pascal Bruckner. „Israel sollte verschwinden, seine Politiker sollten vor einem internationalen Strafgericht ähnlich dem von Nürnberg verurteilt werden. Antisemitische Karikaturen machten die Runde, Exemplare von ‚Mein Kampf’ und der ‚Protokolle der Weisen von Zion’ wurden herumgereicht. Einige Delegierte wurden physisch bedroht, man rief ‚Tod den Juden’.“

Für den Relaunch dieser Tragikomödie wurde – neben Staaten wie Libyen und Pakistan – ausgerechnet das Teheraner Mullah-Regime von den Vereinten Nationen mit einer Regiefunktion betraut. Ein „Durban II“ befürchtet daher nicht nur die NGO Eye on the UN: „Mit der Wahl des Iran in die Vorbereitungskonferenz werden Rassisten zu UN-Sprechern gegen Rassismus.“ Ihre Sprecherin Anne Bayefsky sagte: „Den führenden Exponenten des Antisemitismus – gleich, ob dieser sich nun gegen einzelne Juden oder gegen den jüdischen Staat richtet – wird von den Vereinten Nationen erneut eine globale Plattform gewährt.“ Israel und auch Kanada haben bereits beschlossen, die Konferenz in Genf zu boykottieren.* Die neue amerikanische Regierung unter Barack Obama hingegen entschied sich vor wenigen Tagen, zu den Vorbereitungssitzungen eine eigene Delegation zu entsenden. In einem Beitrag für die Jerusalem Post kritisiert Caroline Glick diesen Schritt als Affront gegen Israel. Lizas Welt hat den Text ins Deutsche übersetzt.


Obamas Durban-Gambit**

VON CAROLINE GLICK


Während die meisten Amerikaner damit beschäftigt waren, den Valentinstag zu feiern, kündigte die amerikanische Regierung an, eine Delegation nach Genf zu schicken, um an der Planung und Vorbereitung der Durban-II-Konferenz der Vereinten Nationen teilzunehmen, die Ende April stattfinden soll. Während diese Entscheidung in den USA kaum beachtet wurde, löste sie in Israel einen Schock aus. [...] Gordon Duguid, der Sprecher des State Department, verteidigte den amerikanischen Beschluss mit den Worten: „Wer nicht teilnimmt, hat auch keine Stimme. Wir wollten unsere Sicht der Dinge vortragen und prüfen, ob es einen Weg gibt, das Papier [mit dem die Agenda festgelegt und die Ergebnisse der Durban-II-Konferenz bestimmt werden, C.G.] zu verbessern.“ Das scheint auf den ersten Blick zwar ein nobles Ziel zu sein, aber sowohl das State Department als auch das Weiße Haus sollten sich im Klaren darüber sein, dass es nicht den Hauch einer Chance gibt, es zu erreichen – und zwar aus zwei Gründen.

Erstens: Da es das erklärte Ziel von Durban II ist, die Durchführung der Beschlüsse der ersten Durban-Konferenz zu überprüfen, und da diese Beschlüsse die Erklärung beinhalten, dass Israel ein rassistischer Staat ist, ist es offenkundig, dass sich die Durban-II-Konferenz per se und zwangsläufig gegen Israel richtet. Zweitens: Sowohl das State Department als auch das Weiße Haus sollten zur Kenntnis nehmen, dass sie gar nicht die Macht haben, die Agenda der Veranstaltung entscheidend zu beeinflussen. Denn diese Agenda wurde bereits in früheren Planungssitzungen – die von Staaten wie Libyen, Kuba, dem Iran und Pakistan geleitet wurden – beschlossen, und sie umfasst mehrere Erklärungen, in denen dem jüdischen Volk das Recht auf Selbstbestimmung grundsätzlich abgesprochen wird.

Die Agenda der Konferenz übernahm außerdem in weiten Teilen die Sprachregelung der NGO-Konferenz aus dem Jahr 2001, nach der jede kritische Diskussion über den Islam als Form von hate speech und Rassismus verurteilt werden soll. Das heißt: Die Agenda der diesjährigen Konferenz ist nicht nur offen antiisraelisch, sie ergreift auch ungeniert Partei für die Tyrannei und steht so in einem Gegensatz zu den Interessen der USA. Ganz abgesehen davon könnte die Regierung Barack Obamas die Agenda und die zu erwartenden Ergebnisse der Konferenz gar nicht wirklich ändern, selbst wenn sie es wollte. Denn der islamische Staatenblock hat, unterstützt von den Drittweltstaaten, wie schon 2001 eine Mehrheit bei den Abstimmungen.

Seit ihrem Amtsantritt vor einem Monat war jede einzelne Entscheidung, die die Obama-Regierung im Rahmen ihrer Nahostpolitik traf, gegen die Sicherheitsinteressen Israel gerichtet: Obamas inniglicher Wunsch, die iranischen Mullahs in offenen Diskussionen zu beschwichtigen; seine Festlegung, einen palästinensischen Staat so schnell wie möglich ins Werk zu setzen, trotz der offenen Weigerung der Palästinenser, Israels Existenzrecht anzuerkennen, und trotz ihrer Unterstützung für den Terrorismus; seine ausdrückliche Unterstützung des so genannten saudischen Friedensplans, der Israel dadurch in den Selbstmord treiben würde, dass es auf eine kleine Fläche innerhalb nicht zu verteidigender Grenzen zusammenschrumpfen würde und Millionen von feindseligen, im Ausland geborenen Arabern als Bürger und Bewohner eines jüdischen Rumpfstaates zu akzeptieren hätte; seine Entscheidung, die US-Sanktionen gegen Syrien zu beenden und den US-Botschafter wieder nach Damaskus zu schicken; sein Plan, die US-Truppen aus dem Irak zurückzuziehen und dem Iran auf diese Weise die Kontrolle über ein bis zum Libanon reichendes Gebiet zu überlassen – jede einzelne konkrete Maßnahme, die Obama veranlasst hat, schadet Israel.

Naivität? Ignoranz? Oder Realitätsverweigerung?

Dabei sind diese Maßnahmen sicher nicht explizit gegen Israel gerichtet; keine von ihnen ist per se Ausdruck einer spezifisch antiisraelischen Feindseligkeit. Sie drücken eher Naivität, Ignoranz oder – schlimmstenfalls – die absichtliche Weigerung Obamas und seiner Berater aus, das Wesen des Problems mit der arabischen und islamischen Welt zu erkennen. Von der Entscheidung der US-Regierung in der vergangenen Woche, eine Delegation zu den Vorbereitungssitzungen von Durban II nach Genf zu entsenden, kann man das allerdings nicht behaupten. Anders als andere Beschlüsse Obamas ist sie tatsächlich ein feindlicher Akt gegen Israel, und zwar vor allem deshalb, weil die Entscheidung trotz wiederholter israelischer Bitten gegenüber den USA, sich Israel und Kanada anzuschließen und die Durban-II-Konferenz zu boykottieren, getroffen wurde.

Manche mögen die amerikanische Weigerung, Israels dringendem Flehen nachzukommen, als ernsthafte Meinungsverschiedenheit betrachten. Dabei ist der Hintergrund der israelischen Bitten um einem Boykott der Konferenz durch die USA kein taktischer, sondern er besteht in der nüchternen Erkenntnis, dass Durban II nichts anderem gewidmet ist als der Delegitimierung und Zerstörung des jüdischen Staates. Und indem sie an den Vorbereitungssitzungen teilnehmen, beteiligen sich die USA an der Legitimierung dieser öffentlichen antijüdischen Agenda und leisten ihr Vorschub.

Am vergangenen Donnerstag zeigte Anne Bayefsky, die Verantwortliche für die Website der NGO Eye on the UN, dass die USA die antiisraelischen Ziele der Konferenz faktisch akzeptieren, indem sie an ihren Planungstreffen teilnehmen. Bayefsky berichtete, die palästinensische Delegation habe vorgeschlagen, der Agenda der Konferenz einen Abschnitt hinzuzufügen: In einem Entwurf habe sie angeregt, „die Meinung des Internationalen Strafgerichtshofs zur Mauer [das heißt zu Israels Sicherheitszaun, C.G.] und den internationalen Schutz des Palästinenser im besetzten palästinensischen Territorium“ zu Maßgaben zu machen. Die amerikanische Delegation widersprach dem palästinensischen Vorschlag nicht.

Im Jahr 2004 befand der mit dem Sicherheitszaun befasste Internationale Strafgerichtshof, Israel habe kein Recht auf Selbstverteidigung gegen den palästinensischen Terrorismus. Damals bestritten sowohl die USA als auch Israel, dass dieser Gerichtshof die Befugnis hat, sich zu diesem Thema zu äußern. Am vergangenen Donnerstag jedoch erkannten die USA, indem sie dem palästinensischen Entwurf nichts entgegensetzten, nicht nur die Autorität des Strafgerichtshofes an; darüber hinaus gaben sie letztlich der antiisraelischen Forderung, Juden ungestraft ermorden zu können, einen Freifahrtschein.

Die palästinensische Erklärung fügt sich naturgemäß in die Durban-II-Agenda ein, die das israelische Rückkehrrecht „rassistisch“ nennt. Dieses Rückkehrrecht – das jedem Juden, der in Israel leben möchte, automatisch die Staatsbürgerschaft garantiert – ist das Kernstück Israels als Staat des jüdischen Volkes, und es war das Bindemittel beim Aufbau des Landes. Indem sie behauptet, das Rückkehrrecht sei rassistisch, erklärt die Durban-II-Konferenz, dass die Juden kein Volk sind und dass wir kein Recht auf Selbstbestimmung in unserem Heimatland haben. Am vergangenen Donnerstag haben die USA, indem sie an dem Prozess der Dämonisierung Israels teilgenommen haben, dieser bigotten Kampagne eine ganz eigene Glaubwürdigkeit verliehen.

Obamas Sprecher und seine Verteidiger behaupten, dass die amerikanische Regierung, indem sie über eine Delegation an den Vorbereitungssitzungen in Genf teilnimmt, nichts weiter tut, als zu verhindern, dass die Konferenz zu einem diplomatischen Judenpogrom wie 2001 wird. Wenn sie damit keinen Erfolg habe, werde sie die Konferenz boykottieren. Nichts für ungut – aber diese Behauptung klingt hohl. Wie Bayefsky und andere zeigten, haben die USA, indem sie in den Vorbereitungsprozess für Durban II eingestiegen sind, zwei Dinge getan.

Warnsignal für Israel und seine Unterstützer

Erstens: Sie haben es für europäische Staaten wie Frankreich, Großbritannien, Tschechien und die Niederlande – die einen Boykott der Konferenz in Erwägung gezogen haben – nahezu unmöglich gemacht, der Veranstaltung fernzubleiben. Denn diese Staaten können es sich kaum leisten, als größere Gegner der antiisraelischen und freiheitsfeindlichen Agenda wahrgenommen zu werden als Israels engster Verbündeter und die größte Demokratie der Welt. [...] Zweitens: Durch ihr Verhalten auf dem Planungstreffen in Genf haben die USA – trotz der Beteuerungen des State Department – gezeigt, dass ihre Regierung kein Interesse daran hat, die Agenda ernsthaft zu verändern. Sowohl die Entscheidung der US-Delegation, dem palästinensischen Entwurf nichts entgegenzusetzen, als auch ihr Schweigen angesichts der iranischen Zurückweisung eines Abschnitts in der Konferenzerklärung, in dem der Holocaust zur Sprache kam, zeigt, dass die USA nicht an den Vorbereitungssitzungen teilnehmen, um den Tenor der Konferenz zu ändern. Sie nehmen vielmehr daran teil, weil sie an der Konferenz teilnehmen wollen.

Die Durban-II-Konferenz ist, wie schon ihre Vorgängerin, Bestandteil einer Kampagne, mit der der diplomatische und juristische Krieg gegen den jüdischen Staat koordiniert wird. Indem sie die Konferenz von Durban im Jahr 2001 verließen und sich noch bis vor kurzem weigerten, diese von der Uno bezahlte Kampagne zu unterstützen, zu finanzieren oder an ihr teilzunehmen, machten die USA sieben Jahre lang deutlich, dass sie gegen diesen antiisraelischen Krieg sind und an ihrem Ziel festhalten, die Zerstörung Israels nicht hinzunehmen. Wenn die Obama-Regierung nun an der Durban-II-Kampagne partizipiert, wird sie möglicherweise zwar einige der schädlichsten Passagen im Entwurf der Konferenzerklärung abmildern. Aber das gleicht den Schaden nicht aus, den ihre Teilnahme gegenüber Israel anrichtet. Denn durch diese Teilnahme an der Konferenz unterstützen die USA letztlich de facto den Krieg gegen den jüdischen Staat.

Die offene Feindseligkeit gegenüber Israel, die in der Entscheidung der Obama-Regierung, sich am Durban-II-Prozess zu beteiligen, zum Ausdruck kommt, sollte ein Warnsignal sowohl für die israelische Regierung als auch für Israels Unterstützer in den USA sein. Sowohl Israel als auch seine jüdischen und nichtjüdischen Unterstützer müssen den Schritt der amerikanischen Regierung verurteilen und fordern, dass sie ihren Beschluss sofort rückgängig macht.

Übrigens war das American Jewish Committee (AJC) in den letzten beiden Jahren ein Instrument, um die jüdische Community in den USA davon zu überzeugen, die wiederholten israelischen Bitten nach einem amerikanischen Boykott von Durban II abzulehnen. Das AJC ging sogar so weit, einen Brief an Hillary Clinton zu schreiben, in dem sie gebeten wurde, die Konferenz nicht zu boykottieren. Als Gegenleistung ist Felice Gaer, eine führende Mitarbeiterin des AJC, nun Mitglied der US-Delegation in Genf. Dort macht sie es sich in einem Schweizer Konferenzraum bequem, wo der Holocaust geleugnet, das jüdische Recht auf Selbstbestimmung verunglimpft und Israels Recht auf Selbstverteidigung negiert wird. Gaer sitzt dort stumm herum und lässt es zu, dass ihre Mitgliedschaft in der US-Delegation als Beweis dafür benutzt wird, dass es der Obama-Regierung ernst damit ist, Israel während Durban II zu schützen. Was auch immer das AJC für seine Unterstützung dieser Konferenz bekommen haben mag – Israel und seinen Unterstützern hat es schweren Schaden zugefügt.

Manche mögen argumentieren, eine offene Verurteilung des Weißen Hauses sei israelischen Interessen nicht dienlich. Aber wenn das Weiße Haus an einem Prozess teilnimmt, der den Krieg gegen den jüdischen Staat legitimiert und ihm so Vorschub leistet, ist eine solche Verurteilung nicht nur gerecht, sondern auch erforderlich. Es ist die amerikanische Regierung, nicht Israel, die den Fehdehandschuh hingeworfen hat. Wenn Israel und seine Unterstützer sich scheuen, diesen Schritt energisch zu kritisieren, ist seine Wiederholung garantiert.

* Siehe auch die Website der deutschen Initiative zum Boykott von Durban II.

** Zur Erläuterung des Begriffs „Gambit“ sei hier – ausnahmsweise – auf die Wikipedia verwiesen: „Unter einem Gambit [...] versteht man beim Schach eine Eröffnung, bei der ein Bauer (bzw. mehrere Bauern) oder eine Leichtfigur für eine taktische oder manchmal auch strategische Kompensation dem Gegner überlassen wird.“

22.2.09

Sieh an!



Als Stephan J. Kramer, der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, gestern in einem Zeitungskommentar die Iranreise Gerhard Schröders kritisierte, trieb ihn dabei vor allem eine Sorge um: „Herr Schröder fügt dem Ansehen der Bundesregierung und der Bundesrepublik Deutschland schweren Schaden zu.“ Zu gerne wüsste man, wie dieser Schaden genau aussieht und wo er konkret entsteht: Kommen jetzt weniger japanische Touristen nach Germany? Sinken die Exportquoten? Gibt es Demonstrationen vor deutschen Botschaften? Brechen mehrere Staaten ihre diplomatischen Beziehungen zu Deutschland ab (oder bestellen sie wenigstens den jeweiligen deutschen Emissär ein)? Nichts von alledem, gar nichts. Schade eigentlich.

Es ist schon bizarr: Wann immer hierzulande etwas Kritikwürdiges geschieht – nie fehlt jemand, der erhobenen Zeigefingers mahnt, das „Ansehen Deutschlands“ sei nun aufs Äußerste bedroht. Dieser angebliche Ansehensverlust ist für Deutsche (neben dem Vorwurf, ein „vaterlandsloser Geselle“ zu sein) offenbar so ziemlich das Schlimmste, was passieren kann, sonst würde schließlich nicht ständig vor ihm gewarnt. Machen Neonazis Jagd auf alles, was nicht so aussieht, als könnte es jederzeit der NPD beitreten, dann sollen nicht etwa zuvörderst die Verfolgten in größter Gefahr sein, sondern das „Ansehen Deutschlands“. Entlässt ein international aufgestellter deutscher Konzern haufenweise Angestellte, dann soll nicht etwa vor allem deren finanzielle Existenz in Gefahr sein, sondern das „Ansehen Deutschlands“. Werden im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik Mittel gekürzt, dann soll nicht etwa hauptsächlich der Fortbestand der entsprechenden kulturellen Einrichtungen in Gefahr sein, sondern das „Ansehen Deutschlands“.

Und wenn ein Ex-Kanzler und pro-iranischer Lobbyist den Mullahs die Aufwartung macht und Holocaustleugnern die Hand reicht, dann soll das nicht etwa in erster Linie deshalb ein Problem sein, weil er damit ein Regime hofiert, das an der Vernichtung Israels arbeitet und unter dem Homosexuelle an Baukränen aufgehängt, Minderjährige zwangsverheiratet und Frauen unter das Kopftuch gezwungen werden – sondern weil angeblich das „Ansehen Deutschlands“ in Gefahr ist. Ach, wäre dem doch bloß so! Dann hätte Schröders Iranreise wenigstens schmerzhafte Konsequenzen. Aber nix da: Deutschland ist inzwischen sogar Beliebtheitsweltmeister, wie die BBC unlängst in einer Umfrage herausfand. Wie konnte das eigentlich passieren? Und wo ist der Alliierte Kontrollrat, wenn man ihn braucht?

Das Foto entstammt einer Protestkundgebung vom 7. Februar in Berlin gegen die Kollaboration des Berlinale-Intendanten Dieter Kosslick mit dem Mullah-Regime. Herzlichen Dank an Just/Just.Ekosystem.org für die Aufnahme.

20.2.09

Lupenreine Demokraten unter sich



Gerhard Schröders Schwäche für lupenreine Demokraten ist nicht erst seit seiner Männerfreundschaft mit Vladimir Putin geradezu sprichwörtlich. Nun will er in Teheran die nächsten Vorzeigevolksherrscher treffen, darunter keinen Geringeren als Mahmud Ahmadinedjad. Mit seiner (als „privat“ deklarierten) Iranreise schreibt der Ex-Kanzler ein weiteres Kapitel in seiner Geschichte als Lobbyist für Israels Feinde.

Für vier Tage weilt Schröder seit dem gestrigen Donnerstag in Teheran, auf Einladung des in Hannover lebenden iranischen Medizinprofessors und Neurochirurgen Madjid Samii, den der Alt- und Basta-Kanzler seit seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident kennt. Doch Samii ist nicht der einzige, mit dem Schröder im Land der Mullahs seine Zeit verbringen wird: Geplant sind außerdem Treffen mit dem ehemaligen iranischen Präsidenten und jetzigen Vorsitzenden des Obersten Schlichtungsrates Hashemi Rafsandjani, dem iranischen Außenminister Manuchehr Mottaki, dem Parlamentsvorsitzenden Ali Laridjani – sowie mit Mahmud Ahmadinedjad. Sie alle dürften sich sehr über den Besuch des deutschen Sozialdemokraten freuen, der ihnen in stürmischen Zeiten ein bisschen Rückenwind verschafft, auch und gerade in Bezug auf ihre atomaren Ambitionen. Die antisemitischen Statements dieser Herrschaften und ihr Ansinnen, dem jüdischen Staat ein- für allemal den Garaus zu machen, sind dabei offenkundig kein Hindernis für Schröder. An dieser Stelle sei kurz noch einmal in Erinnerung gerufen, mit welchen Gesprächspartnern er sich da im Iran zum trauten Plausch begibt:
  • Hashemi Rafsandjani räsonierte im Dezember 2001 in einer Rede über die Vorzüge eines nuklearen Angriffs des Iran auf den jüdischen Staat: „Die Anwendung einer einzigen Atombombe würde Israel völlig zerstören, während die der islamischen Welt nur begrenzte Schäden zufügen würde. Die Unterstützung des Westens für Israel ist geeignet, den Dritten Weltkrieg hervorzubringen, der ausgetragen wird zwischen den Gläubigen, die den Märtyrertod suchen, und jenen, die der Inbegriff der Arroganz sind. Es ist nicht unvernünftig, eine solche Möglichkeit in Erwägung zu ziehen.“

  • Manuchehr Mottaki eröffnete fünf Jahre später die Konferenz der Holocaustleugner in Teheran und sagte dort in einer Ansprache, wenn „die offizielle Version des Holocaust in Zweifel gezogen wird“, dann müsse auch „die Natur und Identität Israels“ in Frage gestellt werden. Wenn es den Holocaust aber doch gegeben habe, dann müsse man fragen, warum ausgerechnet auf arabischem Boden ein jüdischer Staat entstand. Mit anderen Worten: Holocaust hin, Holocaust her – Israel muss weg.

  • Ali Laridjani sorgte kürzlich für einen Eklat, als er auf der Münchner Sicherheitskonferenz sagte, für den Iran sei es „eine Ehre, die Hamas zu unterstützen, weil sie so unterdrückt wird“. Zudem verteidigte er die Leugner der Shoa mit den Worten, es gebe nun einmal „unterschiedliche Sichtweisen“ in Bezug auf die „Frage“, ob der Holocaust stattgefunden hat. Als er für diese Ausführungen scharf kritisiert wurde, zeigte sich Laridjani „doch etwas überrascht, wie sensibel Sie reagieren“.

  • Mahmud Ahmadinedjads Vernichtungsdrohungen gegen Israel und seine antisemitischen Brandreden können wohl als hinlänglich bekannt vorausgesetzt werden, selbst wenn die deutschen und europäischen Advokaten des iranischen Präsidenten mit einem geradezu autistischen Eifer bemüht sind zu kolportieren, der Mann werde lediglich absichtsvoll falsch übersetzt.
„Nie wieder darf es den Antisemiten gelingen, jüdische Bürger, nicht nur unseres Landes, zu bedrängen, zu verletzen“, hatte Gerhard Schröder am 27. Januar 2005 anlässlich des 60. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz gesagt. Man kann ihm deshalb Heuchelei oder Doppelzüngigkeit vorwerfen, aber das trifft den Punkt nicht. Denn dieses „Vergangenheitsbewältigung“ genannte „Nie wieder“ ist längst die Voraussetzung für die Kooperation mit antisemitischen Regimes, weil die ritualisierte Trauer eine Art außen- und außenwirtschaftspolitische Selbstermächtigung darstellt. Bei kaum jemandem wird das besser deutlich als bei Schröder, der aus Gründen der Opportunität während seiner Kanzlerzeit auch schon mal für Israel ein paar halbwegs freundliche Worte übrig hatte, sein Engagement im Nahen Osten ansonsten aber seit jeher auf die pro-arabische und -iranische Lobbyarbeit konzentriert.

Für dieses Engagement wurden ihm unter anderem die Ehrendoktorwürde der Universität von Damaskus und der Ehrenvorsitz des Nah- und Mittelostvereins (Numov) verliehen. Beim Numov handelt es sich um eine Organisation, die 1934 (!) damit begann, die „deutschen Wirtschaftsinteressen in der Region“ zu bündeln und „die Exportmöglichkeiten für deutsche Unternehmen in die Länder des ‚Orients’ zu verbessern“. Erster Vorsitzender des Vereins wurde Hermann Reyss, Siemens-Direktor und damit alles andere als ein Leichtgewicht; die Aufzählung der weiteren Vorstandsmitglieder und ihrer Unternehmen – darunter auch Heinrich Gattineau und Hermann Waibel von der Judenmörderfirma IG Farben – liest sich wie ein Who’s who? der Vernichtungsprofiteure und Arisierungsgewinnler. Während all der Jahre seines Bestehens – und vor allem während des Nationalsozialismus – unterhielt der Numov beste Beziehungen zu den übelsten antisemitischen Diktaturen. Schröder begleitete die Vereinigung auf mehreren Reisen in arabische Staaten, schloss dabei ein mögliches Embargo gegen den Iran stets offensiv aus und traf sich auch schon mal mit einem Holocaustleugner wie Zayed ibn Sultan Al-Nahayan. Bei einer Ansprache vor dem Klub forderte er anlässlich seiner Ernennung zum Ehrenvorsitzenden Ende Mai 2006 ein Ende des Boykotts gegen die Hamas und Verhandlungen mit ihr, während er Israel vorwarf, einseitig Grenzen zu ziehen.

Der Ex-Kanzler wird im Rahmen seiner Iranreise übrigens auch vor der iranischen Handelskammer sprechen und dort, so viel ist sicher, die Sanktionen gegen den Iran scharf kritisieren. Denn er teilt die Sorge des Präsidenten der Kammer, der mit weiteren Lobbyisten und Managern im Juli vergangenen Jahres in Deutschland weilte und dort kundtat, er fürchte, „dass deutsche Firmen aus jedem Rennen um Aufträge herausfallen“. Ein klarer Fall also für Gazprom-Gerd, den Genossen der Bosse, den Freund der Mullahs! Wenn die Geschäfte mit dem Iran dann erst wieder florieren wie geschmiert und es Israel als Folge davon eines Tages nicht mehr gibt, kann der lupenreine Demokrat Schröder neuerlich – und diesmal mit dem Ehrendoktortitel der Universität Teheran in der Tasche – verkünden: „Nie wieder darf es den Antisemiten gelingen, jüdische Bürger zu bedrängen, zu verletzen!“ Und betonen, das sei schließlich die Forderung aller lupenreinen Demokraten.

18.2.09

Unforced error



Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) haben der israelischen Tennisspielerin Shahar Pe’er wegen „Sicherheitsbedenken“ das Einreisevisum verweigert und sie so daran gehindert, an den Tennis-Championships in Dubai teilzunehmen. Die Gewerkschaft der Tennisspielerinnen und einige prominente Wettkämpferinnen kritisierten diese Entscheidung, mochten sich aber nicht dazu durchringen, die Meisterschaften am Persischen Golf abzubrechen. Auch beim am Montag an gleicher Stelle beginnenden Turnier der Männer steht ein israelischer Tennisprofi auf der Startliste – der ebenfalls (noch) kein Visum hat.

„Wir wollen den Sport nicht politisieren, aber wir müssen sensibel sein nach den Vorgängen in der Region. Es geht auch um das Wohlbefinden der anderen Spielerinnen und der Zuschauer verschiedenster Nationalitäten.“ Mit dieser Erklärung begründeten die Turnier-Veranstalter in den Emiraten, warum Shahar Pe’er (Foto), die derzeit 45. der Tennis-Weltrangliste, keine Einreisegenehmigung in die Emirate erhalten hatte. Weiter hieß es, der Gaza-Krieg bewege „nach wie vor viele Menschen im Nahen Osten“. Es sei deshalb anzunehmen, dass die Teilnahme der 22-jährigen Israelin die Fans aufgebracht hätte. Und deshalb sorgte man nicht etwa für den Schutz der Filzballkünstlerin aus dem jüdischen Staat, sondern sperrte sie stattdessen aus – zweifellos eine antisemitisch motivierte Entscheidung. In Doha in Katar war das im vergangenen Jahr noch anders: Dort nahm Pe’er als erste(r) israelische(r) Sportler(in) überhaupt an einem Profiturnier in einem Scheichtum teil.

Zumindest was ihre Sorge um das „Wohlbefinden der anderen Spielerinnen“ betrifft, liegen die Veranstalter in Dubai nicht ganz richtig. Die Weltranglisten-Sechste Venus Williams beispielsweise machte deutlich: „Alle Spielerinnen unterstützen Shahar.“ Kritik äußerte auch die Gewerkschaft der Tennisspielerinnen, WTA: „Shahar Pe’er hat sich das Recht erarbeitet, auf der Tour mitzuspielen“, sagte WTA-Chef Larry Scott, „es ist bedauerlich, dass die VAE ihr dieses Recht verweigern“. Man werde die laufenden Wettkämpfe zwar zu Ende spielen, kündigte Scott an, aber ob sie auch künftig stattfinden können, müsse man erst noch besprechen: „Wir haben klare Regeln und eine eindeutige Politik, dass kein gastgebendes Land einem Spieler das Recht verweigern darf, an einem Turnier teilzunehmen, für das er qualifiziert ist.“ Daher würden jetzt Rechtsmittel geprüft, und wenn Shahar Pe’er die Veranstalter verklagen wolle, erhalte sie von der WTA Rechtsschutz.

Dubai hat sich in den letzten Jahren zu einer Art Eldorado des Sports entwickelt, wie Karlheinz Wagner in einem Kommentar für den Kölner Stadt-Anzeiger bilanzierte: „Die sportliche Aufrüstung sprengt jede Dimension: Stadien und Hallen in jeder Größenordnung reifen ihrer Fertigstellung entgegen wie Feigen in der Sonne; weltweit beispiellose Anlagen, Trainings- und Ausbildungscenter für Fußball, Rugby, Hockey, Tennis, Golf und Schwimmen sind in Vorbereitung oder schon fertig – es entsteht ein Sportpark, nein: ein Paradies für vier Milliarden Euro.“ Die Dubai-Tennis-Championships – die als das „Toptennis-Event des Nahen Ostens“ beworben werden – sind mit satten zwei Millionen Euro dotiert. An der diesjährigen Ausscheidung nehmen bei den Männern die ersten sechs der Weltrangliste teil, bei den Frauen sogar die gesamte Top-Ten.

Dass Spielerinnen und WTA-Boss Scott die Aussperrung Shahar Pe’ers von dieser bedeutenden Konkurrenz kritisieren, ist zwar löblich – aber auch eine schlichte Selbstverständlichkeit und außerdem aktuell vollkommen folgenlos. „Die Spielerinnen haben die Chance verpasst, ihre Solidarität höher zu bewerten als ihr Start- und Preisgeld“, monierte Karlheinz Wagner zu Recht. Und auch die Ankündigung der WTA, die Zukunft des Wettbewerbs in Dubai zu prüfen, klingt vor allem nach einem reichlich dürftigen Lippenbekenntnis – zumal Scott erst jetzt eingestand, dass bereits hinter dem Fernbleiben des israelischen Doppels Andy Ram/Jonathan Erlich im vergangenen Jahr ebenfalls eine Einreiseverweigerung gestanden hatte. Die seinerzeitigen Sieger der Australian Open waren unmittelbar vor dem Beginn der Dubai-Meisterschaften 2008 aus dem Teilnehmerfeld verschwunden – wegen der „kritischen Sicherheitslage“, wie es damals hieß. Dass die ökonomische Komponente durchaus mal zurückstehen kann, zeigten demgegenüber der amerikanische Tennis Channel und die Europa-Ausgabe des Wall Street Journal: Der TV-Sender brach nach der Weigerung, Shahar Pe’er in die VAE einreisen zu lassen, die Übertragung des Turniers einfach ab, und die Zeitung zog als erster Sponsor die finanziellen Zusagen für das Turnier zurück.

Am kommenden Montag beginnt in Dubai das Tennis-Turnier der Männer. Auch dafür hat sich ein israelischer Spieler angekündigt, nämlich Andy Ram. Sein Visumsantrag liegt den Vereinigten Arabischen Emiraten offenbar bereits vor; eine Einreisegenehmigung hat auch er jedoch bis jetzt nicht erhalten. „Schon mutmaßen Insider, dass Rams Antrag wieder bis zur letzten Minute verschleppt und dann wie im Fall Pe’er abgelehnt werde“, schrieb Jörg Allmeroth im Kölner Stadt-Anzeiger. „Das zynische Kalkül dahinter: Die Profigewerkschaft ATP werde es sich nicht leisten können, das Turnier noch so spät abzusagen, wenn bereits die meisten Spieler an Ort und Stelle seien.“ Und so wird es bei den Herren vermutlich genauso laufen wie bei den Damen – ein bisschen Empörung hier, ein erhobener Zeigefinger dort, und ansonsten: business as usual. Oder, um es in der Tennissprache zu formulieren: ein unforced error.

14.2.09

Wo dein Platz, Genosse, ist (II)



Zweiter und letzter Teil* eines Streitgesprächs zwischen dem Publizisten Christian J. Heinrich und dem Mitbegründer des BAK Shalom, Sebastian Voigt, über die Haltung(en) der Linkspartei zu Israel und über die Frage, was eigentlich ein israelfreundlicher Arbeitskreis in einer überwiegend israelfeindlichen Organisation soll und tut.


Die Linkspartei und Israel – ein Streitgespräch (Teil II*)

VON CHRISTIAN J. HEINRICH UND SEBASTIAN VOIGT


SEBASTIAN VOIGT: Du machst es dir etwas zu einfach, aber wir haben auch einen Dissens, was die Rede von Klaus Lederer bei der Demonstration angeht. Ich stimme ihm nicht in allen Punkten inhaltlich zu, aber das habe ich bei keiner Rede auf der Demonstration getan. Eine Aussage, dass ein Krieg aus sich selbst heraus keine Lösungen schafft, ist außerdem richtig. Krieg kann ein Mittel sein, das die Voraussetzungen für eine langfristige Perspektive schafft, und in Bezug auf die Situation, in der Israel sich befindet, bedeutet dies, dass das Abschreckungspotenzial erneut deutlich gemacht und die Hamas stark geschwächt wurde. Das Problem antisemitischer Terrororganisationen, die Israel vernichten wollen, und das Problem einer zunehmenden Islamisierung der Gesellschaften im Nahen Osten sind damit jedoch nicht gelöst. Langfristig ist es für Israel ohnehin keine angenehme Perspektive, im Abstand von zwei Jahren regelmäßig einen Krieg gegen vernichtungswütige Antisemiten führen zu müssen. Die israelische Gesellschaft befürwortet deshalb nach wie vor in ihrer absoluten Mehrheit eine friedliche Verhandlungslösung, die momentan nicht zustande kommen kann, weil es keinen Partner auf palästinensischer Seite gibt, der die Einhaltung von Verträgen und damit der israelischen Sicherheitsinteressen garantieren kann. Perspektivisch gibt es jedoch dazu nur eine Alternative, nämlich die des regelmäßigen Krieges.

Dass die israelische Bevölkerung trotz (oder vielleicht auch gerade wegen) der Friedensbereitschaft zu über 90 Prozent hinter dem jetzigen Militärschlag stand, hängt auch damit zusammen, dass das in Israel keine Frage der Meinung ist, über die sich einfach so diskutieren ließe. Es ist eine existentielle Frage, weil sowohl das israelische Kernland angegriffen wurde als auch nahezu jede Familie unmittelbar von dem Krieg betroffen war – sei es, dass durch den Raketenbeschuss ein normales Leben nicht möglich ist, sei es, dass der eigene Sohn eingezogen wurde. In einer derartigen Situation zu postulieren, dass die jetzige Situation ausweglos ist, ist nicht nur eine Kapitulation vor den beschissenen Verhältnissen, sondern vor allem ein Zynismus, den du dir leisten kannst, weil du nur mit mir darüber diskutierst, aber nicht Gefahr läufst, einen Einberufungsbefehl zu erhalten. Glücklicherweise hängt aber die Entwicklung weder von dir noch von mir noch von der deutschen Linken oder gar der deutschen Öffentlichkeit ab. Israel wird zu vielen Kompromissen bereit sein, wenn dadurch ein dauerhafter Frieden geschaffen werden kann. Noch ein weiterer Punkt ist mir wichtig: Eine Kritik des Pazifismus darf nicht dazu führen, die Zerstörung und das Leiden, die mit Krieg generell und mit den neuen Formen der asymmetrischen Kriegen im Besondern einhergehen, nicht mehr zu thematisieren.

CHRISTIAN J. HEINRICH: Ich muss mich entschuldigen, mich so unklar ausgedrückt zu haben, dass du mich trotz bester Absichten missverstanden hast: Ich behaupte nicht, dass Israels Krieg gegen die Hamas eine Lösung darstellt. Er ist lediglich der Versuch, Islamisten vom antisemitischen Morden abzuhalten. Da haben wir einmal keinen Dissens. Allein: Wenn Linkspartei-Genosse Lederer ausgerechnet bei einer Demonstration, die Israel in seinem Selbstverteidigungskampf die Solidarität erklären will, über den Krieg als großes Elend räsoniert und es außerdem unterlässt, Israels Militäroperation – anders als du – als notwendig und legitim zu charakterisieren, dann ist das ein pazifistischer Affront gegenüber den Demonstranten. Und die interessieren sich wenig für linksparteiinterne Diskussionsprozesse. Genau so wurde es auch von ihnen verstanden: Aus dem Lamento Lederers über Kriege im Allgemeinen wurde die Behauptung herausgehört, Israels Krieg im Speziellen sei falsch. Dass das nicht deine Position ist, hast du plausibel vermittelt; Lederer hat aber genau das unterlassen. Ich verstehe nicht recht, was dich motiviert, eben diese Unterlassung zu beschweigen.

Dass du mir nun die „Kapitulation vor den beschissenen Verhältnissen“ vorwirfst, mag damit zusammenhängen, dass ich ja tatsächlich nicht so positiv gestimmt bin und mir auch keine konkreten „Lösungen“ vorstellbar erscheinen. Ich bin nur froh, dass Israel der Hamas gerade einen erheblichen Schlag versetzt hat, weil damit sowohl nach Gaza als auch nach Teheran das Signal gesendet wurde, dass der Preis hoch ist, wenn man heute Juden zu ermorden trachtet. Kann es sein, dass man im Moment nicht mehr erhoffen kann? Nenn es Zynismus, aber ich halte es für richtig, die israelische Militäroperation gegenüber „Israelkritikern“ und anderen Friedensfreunden vehement zu verteidigen. Auch dann, wenn ich persönlich keinen Einberufungsbefehl der israelischen Streitkräfte zu erwarten habe. Deine Argumentation könnte etwas böswillig zu der Konsequenz hin weitergedacht werden, dass es sich für einen Nichtjuden im sicheren Deutschland nicht geziemt, mit Israel im Krieg gegen den Terror solidarisch zu sein. Aber wer wollte böswillig sein? Über die Maßen gutwillig und nicht nachvollziehbar erscheint mir aber – um darauf zurückzukommen – deine Bewertung der Rede von Klaus Lederer.

Über den richtigen Ort für Gesellschaftskritik

SEBASTIAN VOIGT: Dass ich anders auf die Rede reagiere als du, hängt ferner noch mit Erfahrungen zusammen, die durch mein Engagement beim BAK Shalom gemacht habe. Als jemand, der aus der außerparlamentarischen Linken kommt und nicht Mitglied in der Linkspartei ist, aber versucht, genau darin Diskussionen zu beeinflussen, war es ein Lernprozess, die Relevanz der vorhin genannten unterschiedlichen Ebenen der Auseinandersetzung zu verstehen. Es kommt eben nicht nur darauf an, was gesagt wird, sondern auch, wer was wann wo und wie sagt. Das mag banal klingen, ist jedoch ein sehr wichtiger Punkt. Der offene Brief war im Übrigen auch nicht die einzige Reaktion von Antiimps in der Linkspartei. Sie haben Klaus Lederers Rede als einen hochsymbolischen Akt verstanden, der einen Dammbruch darstellt, der zur Aufweichung der antimilitaristischen und so genannten friedenspolitischen Positionen führen kann.

Die Diskussion über Israel ist ja viel mehr als eine Debatte um den Nahostkonflikt. Sie ist eines der Prismen, an denen sich eine grundlegende Auseinandersetzung über die Reformulierung emanzipatorischer Gesellschaftskritik im 21. Jahrhundert entzünden kann. Fast notwendig impliziert sie eine Debatte über den Pazifismus, die zu PDS-Zeiten am Beispiel von UN-Einsätzen bereits kurzzeitig aufgeflammt war. Dass die Linkspartei nicht innerhalb von einigen Jahren komplett ihre Position zu Israel wandelt, ist doch klar. Eine Diskussion innerhalb der Partei ist aber möglich, weil eine Diskrepanz existiert zwischen dem eigenen linken, progressiven Anspruch und dem realen Agieren in Bezug auf Israel. Die Mehrheit der Linksparteianhänger befürwortet doch nicht die Ideologie der Hamas, sondern betrachtet den aktuellen Konflikt unter völliger Ausblendung ihrer ideologischen Grundlagen. Um zu merken, dass sich in der Partei etwas bewirken lässt, ist es aber nötig, sich auf die Auseinandersetzung überhaupt einzulassen, was du nicht tust. Wie gesagt: innerhalb einer kurzen Zeit eine völlig Wandlung zu erwarten, ist realitätsfern. Dafür aber, dass es den BAK Shalom erst eine kurze Zeit gibt, wurde einiges erreicht.

CHRISTIAN J. HEINRICH: Das klingt so optimistisch, wie das bei einem klingen muss, der sich Mut für den Marsch durch die Institution Linkspartei machen will. Diese sehe ich aber mitnichten als den Ort, an dem eine „Reformulierung emanzipatorischer Gesellschaftskritik im 21. Jahrhundert“ geschehen könnte. Und das nicht deswegen, weil die Mehrheit der Linksparteianhänger die Ideologie der Hamas unmittelbar befürwortet, sondern weil es den so banalen wie basalen Konsens, die Ideologie der Hamas zu ächten, überhaupt nicht gibt und weil es über diese Frage auch nicht zum Bruch kommt. Wenn Antizionisten und andere Antisemiten, Terrorversteher und postnazistische, „israelkritische“ Pazifisten einen – ich drücke das mal ausnahmsweise zurückhaltend aus – nicht unerheblichen Teil der Partei ausmachen, was genau ist dann für einigermaßen vernünftige Leute die gemeinsame Basis (und sei es nur: die Diskussionsbasis) mit denen? Zum BAK Shalom: Ich finde die jungen Leute ja gar nicht unsympathisch und unterstelle ihnen in ihrem jugendlichen Ungestüm durchaus beste Absichten. Immerhin ließe es sich in der Linkspartei gefahrloser Karriere machen als ausgerechnet mit einer Kritik des parteiinternen Antizionismus. Aber der BAK Shalom ist mit seiner relativ klaren pro-israelischen Haltung eine völlig marginalisierte Randgruppe. Dass er innerparteilich stark wahrgenommen und heftig bekämpft wird, hat vor allem etwas mit seinem Exotenstatus zu tun. Das ginge einer „AG Kritische Theorie“ in der CDU oder einem „Freundeskreis Atomstrom“ bei den Grünen nicht viel anders. Nur: was kann man von einem BAK Shalom und seinen Interventionen ausgerechnet in der Linkspartei erwarten?

Wo ist dein Platz, Genosse?

SEBASTIAN VOIGT: Ich möchte zunächst auf den Vorwurf eingehen, ich müsste mir meine angestrebte Karriere in der Linkspartei rationalisieren. Das Interessante an dem Vorwurf ist, dass er vor allem von den Antiimps und Hamasfreunden inner- und außerhalb der Partei gegenüber dem BAK Shalom erhoben wird. Zugleich ist er auch immer wieder von antideutscher Seite zu hören. Wer nur ein bisschen Ahnung hat, müsste wissen, wie schädlich ein Engagement für den BAK Shalom hinsichtlich einer Parteikarriere ist. Die konkreten Beispiele, die ich anführen könnte, erspare ich mir hier. Natürlich stelle ich mir selbst häufig die Frage, was das ganze Engagement soll und wo es hinführen kann. Wenn das nicht mehr geschieht, ist man aufgesogen von dem Parteiapparat, und das kann sehr schnell gehen. Trotz meiner mittlerweile affirmativen Haltung gegenüber parlamentarisch vermittelter Herrschaft behält Agnoli diesbezüglich in einigen Punkten Recht.

Solange es aber gelingt, inhaltlich Akzente zu setzen, Diskussionen zu entfachen und Leute zu zwingen, sich mit bestimmten Positionen auseinanderzusetzen, weil sie an ihnen nicht mehr vorbeikommen, so lange hat ein Engagement einen Sinn. Die Antiimps reagieren doch deshalb so allergisch, weil ihnen eine Diskussion aufgedrückt wird, die sie nie haben wollten – noch dazu auf einem Terrain, das sie bisher als ihr eigenes gesehen haben. Nur deshalb schäumen die Nationalbolschewisten in der jungen Welt, und man kann sich Werner Pirker gut vorstellen, wie er wutschnaubend seinen Artikel über die „linken Rassisten“ in die Tastatur hackt. Mir wird regelmäßig vorgeworfen, ich sei islamophob, für die Faschisierung der Gesellschaft verantwortlich und eventuell gar ein von außen gesteuerter Agent, der den Aufstieg der Linken unterminieren solle. Spaß macht es wirklich nicht, sich den beleidigenden Blödsinn von Stalinisten anzuhören.

Wie sich die Linkspartei langfristig entwickelt, kann ich nicht sagen. Wenn sie jedoch zu einer regierungsfähigen linkssozialdemokratischen Partei würde, die weder Stalinisten noch Hamasfreunde als Abgeordnete oder im Parteivorstand hätte, dann wäre einiges gewonnen. Die Linkspartei wird sich als fester Faktor in der Parteienlandschaft etablieren. Damit gehen immense finanzielle und infrastrukturelle Ressourcen einher, die weit jenseits der Vorstellung von nur außerparlamentarisch agierenden Linken liegen. Wenn diese nicht weiter von Stalinisten genutzt werden könnten, sondern damit beispielsweise Kongresse über die zunehmende Einschränkung von Bürgerrechten verwendet würden, was partiell ja bereits heute geschieht, dann wäre das ein großer Fortschritt.

Durch deine Frage und deine Kritik schimmert jedoch eine typische, weit verbreitete Haltung durch: Die Diskussion in der Linkspartei wird mit großen Interesse verfolgt, auch wenn man sich immer das Gegenteil einredet und eigentlich ja weiß, dass das ohnehin zu nichts führen kann. Denn die Prämissen der eigenen Position gegen konkrete Erfahrungen und Veränderungsprozesse sind so abgedichtet, dass empirische Phänomene entweder ignoriert oder in einer Art umgedeutet werden, dass sie das eigene Weltbild konsolidieren. Deshalb lässt deine Position kaum etwas anderes offen, als sich – in marginalisierten Kleingruppen oder gänzlich isoliert – immer wieder gegenseitig zu bestätigen, dass man Recht hat und alle anderen Unrecht haben. So notwendig die Schärfung der Kritik ist, so notwendig wäre es, über praktische Interventionsmöglichkeiten zu diskutieren und das Verhältnis zwischen Intellektuellen bzw. der außerparlamentarischen Linken und den Parteien zu reflektieren. Es geht nicht um reflexionslose Praxis, sondern um die Frage, welche Wirkungsmächtigkeit Kritik entfalten kann. Hierzu bedarf es eines pragmatischen Politikbegriffs, der dir völlig abgeht.

CHRISTIAN J. HEINRICH: Da hast du völlig Recht: Den Versuch zu unternehmen, in einem zutiefst „israelkritisch“ bis offen antisemitisch ideologisierten Milieu zu wirken, würde ich nicht unternehmen wollen. Da fehlt mir tatsächlich der „pragmatische Politikbegriff“, weil ich die Erfolgsaussichten für nahe null und die entgegenschlagende Ranküne für unerträglich halte. Don Quijote hielt sich für einen großen Helden, es gibt aber einige, die ihn für einen ebenso sympathischen wie tragischen Idioten halten. Immer noch unbeantwortet ist die Frage, warum man sich ausgerechnet in der Linkspartei engagiert. Nur folgende Motive kann man aus deinen Ausführungen destillieren: die Hoffnung auf eine sich wandelnde parlamentarische Linke, die Hoffnung auf deren Bedeutungsgewinn beim Kurs auf die Regierungsfähigkeit und damit einhergehend auf „immense finanzielle und infrastrukturelle Ressourcen“.

Wer derartig pragmatisch denkt, hat eines noch überhaupt nicht begriffen: Der „israelkritische“ Antisemitismus in der Linken ist weder außerparlamentarisch noch parlamentarisch ein Betriebsunfall; er ist mitnichten zu trennen vom ideologischen Gesamtgefüge einer Linken, die eben nicht für Freiheit, Individualismus, Prosperität und Gleichheit an Rechten und an Chancen steht. Für die Einlösung der von der bürgerlichen Gesellschaft gegebenen, aber nicht eingehaltenen Versprechen fällt mir kein zeitgenössisches Subjekt ein, doch eines scheint mir sicher: Diese Linke ist es nicht. Das Eintreten für Emanzipation oder einfach nur die Parteinahme für die Residuen der Freiheit ist ein Kampf nicht mit oder um, sondern gegen die real existierende Linke. Ich nehme an: We agree to disagree.

Du hast auf die Auseinandersetzungen in der außerparlamentarischen Linken nach Nine-Eleven hingewiesen und Parallelen zu aktuellen Diskussionen in der Linkspartei gezogen: Wenn sich hier die Geschichte wiederholen sollte, dann wäre das wünschenswerte Ergebnis auch hier nicht die Rettung der Linken, sondern allein deren Kritik zum Zwecke der Förderung eines individueller Erkenntnisprozesses, einer selbstreflexiven Aufklärung, eines Naivitätsverlustes. Das möchte ich den jungen Leuten vom BAK Shalom schon zumuten und auch zutrauen. Wenn sie ihre Erfahrungen und Erkenntnisse dann ernst nähmen, müssten sie sich alsbald entscheiden: gegen die Partei und gegen diese Linke – und für die Vernunft und für Israel. In diesem Falle wäre viel gewonnen: die Emanzipation einiger politisch mündiger Individuen von einem regressiven Kollektiv namens Linkspartei. Und wenn man sich – wie du – positiv auf die bürgerlich-parlamentarische Demokratie bezieht, so bietet diese ja durchaus andere „praktische Interventionsmöglichkeiten“ als nur diese eine Partei. Der Bruch mit der Linken bedeutet mitnichten politische Isolation oder Resignation.

Die wahrscheinlichere Entwicklung sieht so aus: eine Linkspartei mit einem kleinen pro-israelischen Feigenblatt (man schmückte sich dann mit so viel Toleranz), ein Mainstream mit einer pazifistisch gewandeten Äquidistanz gegenüber Israel – ergo eine Linkspartei, die in Regierungsverantwortung den Mullahs nicht in den Arm fiele, keine Sanktionen gegen den Iran forderte, keine Waffenlieferungen an Israel befürwortete, keine Kritik an der antiisraelischen Haltung der Uno formulierte etc. Ein solcher Modernisierungsprozess hätte lediglich den linksorthodoxen Antisemitismus in einen gesellschaftlich opportunen namens „Israelkritik“ transformiert. Allein: Will man dabei mitwirken? Ich bin überzeugt, dass das Formulieren kompromissloser Kritik, das Festhalten an der Wahrheit – ohne taktisches Kalkül und realpolitische Rücksichtnahmen – immer noch die größte Chance bietet, den einzelnen Anlass zur Irritation, zum Zweifeln und zum Nachdenken zu geben. Dazu muss man nicht affirmativer Teil des Ganzen oder einer Partei sein; vielmehr gilt es, die Alternative zum Ganzen und zur Partei aufzeigen. Dieses Negative ist die Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis und Mündigkeit. Lass mich pathetisch schließen: Was du Sektierertum nennen magst, nenne ich Apologie der Aufklärung.

SEBASTIAN VOIGT: Wir teilen den emphatischen Bezug auf die Ideale der Aufklärung und die Vernunft. Die Differenz liegt darin, wie diese am besten zu befördern sind und wie möglichst viele Menschen zum kritischen, selbstständigen Denken angeregt werden. Mit deiner Kritik an Realpolitik im Allgemeinen und der Linkspartei im Besonderen triffst du viele richtige Punkte, das steht außer Frage. Ich bin aber im Unterschied zur dir bereit, die Widersprüche auszuhalten, die sich aus der unüberbrückbaren Diskrepanz zwischen Theorie und praktischer Intervention ergeben. Ob das sinnvoll ist oder ob die sich daraus ergebenden Hoffnungen naiv sind, darüber haben wir hiermit bestimmt nicht das letzte Mal gestritten.

* Zum ersten Teil: Bitte hier klicken. Eine PDF-Datei, die den Text beider Teile des Streitgesprächs umfasst, ist hier abzurufen.

12.2.09

Wo dein Platz, Genosse, ist (I)



Eines muss man dem Bundesarbeitskreis (BAK) Shalom, der in der Linksjugend (Solid) organisiert ist, ganz sicher lassen: Noch selten hat ein Zusammenschluss innerhalb einer Partei binnen kürzester Zeit für einen solchen Wirbel gesorgt. Wo bis zu der Gründung der Gruppe im Mai 2007 die Paechs, Gehrkes und Jelpkes nahezu unwidersprochen den antizionistischen Ton angaben, wenn es um das Thema Israel ging, sorgen die Mitglieder der israelfreundlichen „Plattform gegen Antisemitismus, Antizionismus, Antiamerikanismus und regressiven Antikapitalismus“ seitdem für heftigen Streit. Regelmäßig werden sie als „Kriegstreiber“ und „Rassisten“ verunglimpft; zudem gibt es immer wieder einmal den Versuch, sie zum Schweigen zu bringen oder aus der Partei zu drängen.

Doch auch die vergleichsweise große Aufmerksamkeit, die dem BAK Shalom sowohl parteiintern als auch in der Öffentlichkeit gewidmet wird, kann eines nicht verdecken: Mehrheitsfähig sind seine Positionen nicht. Bei allem Zoff geben diejenigen, die über die „Israelkritik“ dem linken Antisemitismus frönen, weiterhin ungehindert ihre Statements ab, und dass sie marginalisiert wären, lässt sich wirklich nicht behaupten. Andere Politiker der Linkspartei wiederum – wie etwa Gregor Gysi oder Petra Pau – mahnen zwar an, auch Die Linke müsse das Existenzrecht Israels endlich als Teil der Staatsräson begreifen. Zu einer uneingeschränkten und bedingungslosen Solidarisierung mit dem jüdischen Staat sind aber auch sie nicht bereit.

Für Lizas Welt haben sich Christian J. Heinrich und Sebastian Voigt über die Haltung(en) der Linkspartei zu Israel und über die Frage gestritten, was eigentlich ein israelfreundlicher Arbeitskreis in einer überwiegend israelfeindlichen Organisation soll und tut. Christian J. Heinrich ist Publizist und unter anderem Mitherausgeber der deutschen Ausgabe von Alvin H. Rosenfelds Schrift „‚Fortschrittliches’ jüdisches Denken und der Neue Antisemitismus“ sowie Co-Autor eines Buches der Gruppe Kittkritik, „Deutschlandwunder. Wunsch und Wahn in der postnazistischen Kultur“. Sebastian Voigt ist Gründungsmitglied des BAK Shalom und ehemaliger Stipendiat der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Die Veröffentlichung des Streitgesprächs erfolgt in zwei Teilen: Der erste Teil folgt im Anschluss, der zweite am 14. Februar.


Die Linkspartei und Israel – ein Streitgespräch (Teil I)

VON CHRISTIAN J. HEINRICH UND SEBASTIAN VOIGT


CHRISTIAN J. HEINRICH: Während der Militäroperationen Israels gegen die Hamas im Gazastreifen fanden die größten antisemitischen Demonstrationen im postnazistischen Deutschland statt. Zu jener am 17. Januar in Berlin riefen auch diverse Bundestagsabgeordnete der Partei Die Linke auf, unter anderem Ulla Jelpke, Wolfgang Gehrke und Norman Paech. Während diese deutsch-islamische Allianz „Freiheit für Palästina – bis Tel Aviv“ forderte, während zwischen den Flaggen von Hizbollah und Hamas nicht zu knapp auch die der Linkspartei wehten, blieb die vereinzelte innerparteiliche Kritik im Bereich des Lächerlichen: Gysi beispielsweise bat die demonstrierenden Genossen allenfalls um etwas mehr Äquidistanz und erinnerte an das Existenzrecht des Staates Israel. Es stellt sich also die Frage: wie antisemitisch ist die Partei Die Linke?

SEBASTIAN VOIGT: Um die bewusst suggestiv gestellte Frage pauschalisierend zu beantworten: antisemitischer als die anderen im Bundestag vertretenen Parteien, jedoch in einer spezifisch altlinken Art und Weise. Eine aktuelle Umfrage zur Haltung der Deutschen zu Israel hat erneut deutlich gemacht, dass die Ablehnung des jüdischen Staates unter Anhängern der Linkspartei besonders hoch ist. Knapp ein Drittel negiert das Existenzrecht Israels, und ein überdurchschnittlicher Prozentsatz macht eindeutig Israel für die Eskalation des Konflikts verantwortlich. Dass sich diese Haltung durch die gesamte Partei zieht, ist insofern nicht verwunderlich. Sie findet sich an den Parteistammtischen ebenso wie in Teilen der Bundestagsfraktion.

Was ich jedoch mit „spezifisch altlinker Art“ meine, ist, dass sich die Israelfeindschaft von Teilen der Linkspartei aus einem obsoleten Antiimperialismus und einer absurden Revolutionsromantik ergibt, die in der Hamas und anderen islamistischen Terrororganisationen sozialrevolutionäre Bedürfnisse projektiv befriedigt. Hinzu kommen typische Momente des sekundären Antisemitismus und – vor allem in Ostdeutschland – eine aus der DDR herrührende Friedensrhetorik, die sich hilflos an die moralische Klarheit und den Manichäismus der Konstellation des Kalten Krieges klammert und nicht willens – oder nicht fähig – ist, die historischen Zäsuren seit 1989 und die Implikationen für eine emanzipatorische Position zu reflektieren.

Antisemitischer Pazifismus?

CHRISTIAN J. HEINRICH: Ich teile die Einschätzung, dass es sich bei der Linkspartei um jene Partei im Bundestag handelt, in der Antisemitismus am weitesten verbreitet ist und am offensten artikuliert wird. (Das bedeutet ja keineswegs, dass antisemitische Positionen nicht auch anderenorts von bitterer Relevanz sind.) Nur würde ich die Problembeschreibung nicht auf die „altlinke Art“ beschränken – die sich aus Antiimperialismus (natürlich dem obsoleten) und Revolutionsromantik (natürlich der absurden) ergibt. Das einigende Moment aller Fraktionen innerhalb der Linkspartei ist, wie bereits von dir angedeutet, der – durchaus nicht nur im Osten vorzufindende – postnazistische Pazifismus. Seine antisemitischen Implikationen sind nicht allein das Problem der ganz orthodoxen Linken, wie man dich vielleicht missverstehen könnte.

Wenn ich diesen Pazifismus als postnazistisch und in der Konsequenz als antisemitisch bezeichne, so meine ich den perfiden Ruf nach Frieden ausgerechnet gegenüber Israel – im Wissen darum, dass Auschwitz militärisch befreit werden musste und dass den mörderischen antisemitischen Banden und Regimes auch heute noch gewaltsam in den Arm gefallen werden muss. Gewalt ist keine Lösung, so heißt es. Keine Gewalt ist aber auch keine Lösung, möchte man polemisch antworten. Doch die Antwort ist ernsthafter zu formulieren: Israel geht es zuvörderst ja nicht um die Lösung des Nahostkonflikts, sondern darum, jene Lösung zu verhindern, wie sie den Feinden des jüdischen Staates vorschwebt. Das nenne ich zionistische Realpolitik.

Da das Differenzieren eine stets geforderte Tugend ist, würde ich also differenzieren wollen zwischen jenen „altlinken“ offenen Antisemiten, die durchaus mit den Anhängern von Hamas und Hizbollah gemeinsam auf die Straße gehen, jenen moderneren Antisemiten, die sich „israelkritisch“ geben und gegebenenfalls auf das Existenzrecht Israels hinweisen – um aber ausgerechnet dann Frieden anzumahnen, wenn Israel sich des Terrors erwehrt –, und schließlich jenen, die sich folgenlos zu Israel bekennen, es aber keineswegs öffentlich skandalisieren, wenn nicht unerhebliche Teile der eigenen Partei das Bündnis mit den Islamisten suchen. Alles Antisemiten? Ein jeder auf seine Weise, und im letztgenannten Fall zumindest Parteigenossen mit mehr Parteiräson als politischer Konsequenz. Ich frage mich gleichwohl, ob es relevante Kräfte in der Linkspartei gibt, die Israel nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch ein Recht auf Selbstverteidigung einräumen und also nicht nach Frieden rufen, wenn Israel den antisemitischen Mördern militärisch Einhalt gebieten muss. Zumindest in Parteivorstand und Bundestag sehe ich niemanden.

SEBASTIAN VOIGT: Recht hast du mit deiner Pazifismuskritik. Der Pazifismus ist eine geschichtsvergessene Position, die außer Acht lässt, dass es historische Situationen gab und gibt, wo Gewalt ein Mittel zur Unterbindung von größerem Leid sein kann. Die Befreiung von Auschwitz und die militärische Zerschlagung Nazideutschlands sind dafür nur die prominentesten Beispiele. Das nicht wahrhaben zu wollen und für einen abstrakten Pazifismus zu plädieren, hat dann etwas typisch Deutsches, wenn beispielsweise die Ablehnung des israelischen Militärschlags gegen die Hamas mit der eigenen Erfahrung der Bombardierung deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg begründet wird. Aber jeden als Antisemiten zu bezeichnen, der sich als Pazifist begreift, ist entweder Blödsinn, wenn du es ernst meinst, oder analytisch problematisch, wenn du es polemisch meinst, weil der Bedeutungsgehalt dessen, was unter dem Begriff Antisemitismus subsumiert wird, dermaßen ausgeweitet wird, dass er nahezu unbrauchbar wird.

CHRISTIAN J. HEINRICH: Ich denke, recht genau angegeben zu haben, dass ich den spezifischen postnazistischen Pazifismus in Deutschland für antisemitisch halte – der schweigt, wenn Hamas und Hizbollah gegen israelische Zivilisten bomben, der aber nach Frieden ruft, wenn der jüdische Staat seine Existenz zu sichern versucht, indem er sich militärisch gegen den Terror zur Wehr setzt. Man muss diesen postnazistischen Pazifismus von seinen Konsequenzen her verstehen: Er delegitimiert Israels Recht auf Sicherheit, sein Recht auf Selbstverteidigung, mithin sein Recht, die eigene Existenz und das Leben seiner Bürger überhaupt zu sichern. Er bedient sich doppelter Standards, weil er sich zuvörderst auf Israel kapriziert, während er zum Terror der Islamisten zuvor schwieg. Und er dämonisiert den jüdischen Staat, indem er seine Selbstverteidigung als „unverhältnismäßig“ und gegen palästinensische Zivilisten gerichtet denunziert.

Ich halte es weder für blödsinnig noch für polemisch, diese gegen Israel gerichtete Delegitimierung, diese doppelten Standards und diese Dämonisierung als antisemitisch zu bezeichnen. Über diesen postnazistische Pazifismus hat Paul Spiegel einmal geurteilt: „Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die Mörder.“ Und moderatere „Israelkritiker“, die sich gelegentlich gar als „Israelfreunde“ verstehen, lassen gemeinhin der Aussage, Israel habe ein Existenz- und Selbstverteidigungsrecht, ein so umfassendes und friedensbewegtes „aber“ folgen, dass diese Rechtszusicherung sich ins Gegenteil verkehrt. Wenn Juden nötigenfalls auch mit Gewalt versuchen, vernichtungswütigen Antisemitismus zu unterbinden, gibt es vernünftigerweise kein „aber“. Den Einspruch dagegen – und da habe ich vielleicht wirklich einen weniger akademischen als einen von der Konsequenz her denkenden Begriff – nenne ich antisemitisch. Relevante Kräfte in der Linkspartei, die sich ohne besagtes „aber“ zu Israel stellen, sind mir nicht bekannt.

Von Antizionisten und Äquidistanten

SEBASTIAN VOIGT: Dass du in der Linkspartei keine Kräfte siehst, die deine Kriterien erfüllen, heißt nicht, dass es sie nicht gibt. Um unsere Auseinandersetzung ein wenig in eine andere Richtung zu lenken, möchte ich auf zwei Punkte zu sprechen kommen, die in deiner Kritik der Linkspartei keine Rolle spielen und die du, wie viele andere auch, (absichtlich) ignorierst. Man kann Gysis Reaktion als halbherzig abtun und die Stellungnahme des Forums demokratischer Sozialisten – einer Strömung, in der sich die pragmatischen, reformorientierten Kräfte zusammengeschlossen haben – als nicht konsequent genug kritisieren. Geschenkt. Diese Kritik ist nicht nur richtig, sondern auch absolut nötig, weil sie dazu beiträgt, die Diskussion weiter zuzuspitzen, in der Hoffnung, dass es früher oder später zu deutlicheren Positionierungen kommen wird. Dafür gibt es keine Garantie, aber wichtig ist es, Veränderungsprozesse nicht nur wahrzunehmen, sondern auf sie hinzuwirken. Die Linkspartei ist eine wichtige politische Kraft in Deutschland, die sich weiter konsolidieren wird, weshalb man einen Umgang mit ihr finden muss, wie auch immer dieser dann aussieht. Es ist – und das ist zu betonen – ein Novum, dass es dort überhaupt zur Diskussion über Israel und den innerparteilichen Antizionismus, der bei einigen antisemitische Elemente enthält, kommt.

Bei Debatten in Parteien existieren generell zwei zu differenzierende Ebenen: eine innerparteiliche und eine öffentliche. Dass Parteien nach außen immer das Bild von Geschlossenheit vermitteln wollen, liegt in der Logik und den Funktionen dieser Organisationsform innerhalb des parlamentarischen Systems. Die innerparteiliche Auseinandersetzung ist nicht selten heftiger als das, was nach außen dringt. Es ist wichtig, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Linkspartei eine durch und durch heterogene Partei ist, in der sich Positionen tummeln, die langfristig meines Erachtens nicht zu vereinbaren sind. Der Ausgang dieser Auseinandersetzung ist offen. Die Linkspartei als geschlossenen Haufen von Antizionisten zu sehen und sich dies noch ideologiekritisch zu rationalisieren, entspringt einem Distinktionsbedürfnis, das infantil ist und sich besonders radikal dünkt.

Der zweite Punkt ist, dass sich die Debatte durch alle Ebenen der Partei und parteinahen Organisationen zieht. Sie läuft auf Bundesebene, auf Landes- und auf lokaler Ebene, und sie läuft seit einigen Jahren, um ein konkretes Beispiel zu geben, innerhalb der Rosa-Luxemburg-Stiftung, wo vor allem von Seiten der Stipendiaten – einigermaßen erfolgreich – versucht wird, die Auseinandersetzung mit Antizionismus, Antiamerikanismus und die Kritik an derartigen Positionen gerade auch innerhalb der Stiftung zu forcieren. Dass nach wie vor Altlinke wie Werner Ruf, der den Terror der Islamisten legitimiert und Berater einer pro-iranischen Lobbykampagne ist, nicht nur Vertrauensdozenten sind, sondern auch im Auswahlausschuss sitzen, ist ein massives Problem.

Wie allergisch Leute wie er jedoch auf die aktuellen Debatten reagieren und wie vehement sie versuchen, alle Bewerbungen abzulehnen, die auch nur entfernt auf eine pro-israelische Position hindeuten, zeigt zugleich die Nervosität. Eine antiimperialistische, Terror legitimierende Haltung kann innerhalb der Linkspartei nicht mehr artikuliert werden, ohne dass sie kritisiert wird. Die Linkspartei holt damit partiell die Diskussionsprozesse nach, die in der außerparlamentarischen Linken spätestens seit dem Massaker in New York City am 11. September 2001 zu heftigen Zerwürfnissen und Neuorientierungen geführt haben.

CHRISTIAN J. HEINRICH: Auf meine wiederholte Frage, ob es relevante Kräfte in der Linkspartei gäbe, die sich ohne „wenn“ und „aber“ mit Israel solidarisieren, verweist du allgemein auf „innerparteiliche Auseinandersetzungen“ und konkreter nur auf Stipendiaten bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Das spricht für die parteiinternen Kräfteverhältnisse und stiftet bei mir wenig Optimismus – auch wenn du meine mangelnde Einsicht als „infantil“ oder „besonders radikal“ abqualifizieren magst. Ich sehe zwar, dass es innerhalb der Linkspartei einige Auseinandersetzungen um die Haltung zu Israel gibt. Nur scheint dies ein Streit zwischen linksorthodoxem Antizionismus auf der einen und der pazifistisch daherkommenden Äquidistanz auf der anderen Seite zu sein.

Nehmen wir den Berliner Landesvorsitzenden Klaus Lederer, der auf einer vor allem von der jüdischen Gemeinde in Berlin getragenen Demonstration unter dem Titel „Solidarität mit Israel – Stoppt den Terror der Hamas“ auftrat, um dort aber vor allem zu erklären, er hätte Schwierigkeiten, sich „pauschal mit Institutionen und Staaten solidarisch zu erklären“; der sich kurz gegen Antisemitismus aussprach, um dann aber über die „unfassbaren Gräueltaten und Verbrechen“ in Kriegen allgemein zu sprechen, der weiterhin belehrte, „Krieg und militärische Eskalation schaffen niemals aus sich selbst heraus Lösungen für Konflikte“, und dann jenen entgegenhielt, die für Israel und sein Recht auf Selbstverteidigung demonstrierten: „Einen Krieg kann ich nicht rechtfertigen.“ Die Demonstranten fühlten sich zu Recht verhöhnt und quittierten Lederers Rede mit entsprechenden Unmutsäußerungen.

Trotz so wortgewaltiger Entsolidarisierung mit Israel musste Lederer sich in einem offenen Brief von Hans Modrow, Sahra Wagenknecht, Elmar Altvater und anderen vorhalten lassen, er habe allein mit seiner Anwesenheit auf dieser Kundgebung den Konsens der Partei „faktisch aufgekündigt“ und stelle sich „außerhalb des breiten Meinungsspektrums, das es in unserer Partei zu den Ursachen des Nahostkonflikts gibt“. So stalinistisch der Ton ist, so klar ist die Botschaft: Hier tobt ein Streit zwischen jenen, die sich der politisch opportunen Äquidistanz gegenüber Israel befleißigen, vielleicht auch als „Pragmatiker“ auf Regierungsfähigkeit im Bund schielend, und offenen Antizionisten respektive Antisemiten. Dieser Streit wird in aller Schärfe ausgetragen, doch glaubst du wirklich, dass es, wie du hoffst, „früher oder später zu deutlicheren Positionierungen kommen wird“, die wirklich pro-israelisch zu nennen wären? Du meinst, der Ausgang der Auseinandersetzung sei offen. Das mag sein. Aber im best case setzt sich ein Lederer durch: ein Freund des Friedens um jeden Preis. Aber ein Freund des jüdischen Staates?

Zum zweiten Teil des Streitgesprächs: Bitte hier klicken.
Eine PDF-Datei, die den Text beider Teile des Streitgesprächs umfasst, ist hier abzurufen.

10.2.09

Alles nur Taktik!

Katajun Amirpur muss ein überaus optimistischer Mensch sein: Was immer im Iran passiert, stets ist es in den Augen der Islamwissenschaftlerin ein Zeichen dafür, dass dort jetzt alles besser oder doch zumindest weniger schlecht wird. Wenn beispielsweise die Mullahs sechzehnjährige Mädchen, die des vorehelichen Geschlechtsverkehrs bezichtigt werden, nicht mehr steinigen, sondern erhängen lassen, spricht Amirpur unter Berufung auf (nicht näher bezeichnete) „iranische Menschenrechtler“ von einem „Schritt in die richtige Richtung“. Wird das Heiratsalter von neun auf zehn Jahre erhöht, nennt sie das einen Sieg der „Reformer“ über die „Konservativen“. Kündigt Mahmud Ahmadinedjad (Foto) an, Israel von der Landkarte zu tilgen, ist er in Wahrheit bloß falsch übersetzt worden. Überhaupt hat der Herr Präsident gar nichts gegen Juden; einige seiner besten Freunde sind schließlich Juden, wie Amirpur heute in der taz feststellte. Und damit meinte sie gar nicht mal nur die Jungs von der Neturei Karta:
„Kurz nachdem seine Äußerungen zu Israel weltweite Empörung ausgelöst hatten, begab sich Irans Präsident im Oktober 2006 in Teherans jüdische Gemeinde und ließ eine größere Summe zur Unterstützung des jüdischen Krankenhauses in Teheran überweisen.“
Im Grunde genommen ist der gute Mahmud wahrscheinlich sogar ein richtig großer Israel-Fan und taktiert bloß ein bisschen herum, notgedrungen sozusagen:
„Für die radikalen Kräfte, denen Ahmadinedjad angehört, sind die Drohungen an Israel ein Mittel, von innenpolitischen Schwierigkeiten abzulenken und sich international als Kämpfer für die palästinensische Sache darzustellen.“
Die Holocaustleugnerkonferenz in Teheran, die antisemitischen Tiraden vor der UN-Vollversammlung, die wiederholten Vernichtungsdrohungen gegenüber Israel etc. pp. – alles also, folgt man Amirpur, gar nicht ernst gemeint, sondern lediglich ein wenig Getöse, um den eigenen Laden zusammenzuhalten und den Nachbarn gegenüber einen auf dicke Hose zu machen. Absolut einleuchtend. (Bei Onkel Adi war das ja nicht anders: Der hatte die Juden eigentlich auch sehr lieb und ließ sie nur deshalb umbringen, weil er davon ablenken wollte, dass er Vegetarier war und als Künstler eine Niete.) Oder ist es nicht vielleicht doch umgekehrt? Also etwa so: Für die radikalen Kräfte, denen Ahmadinedjad angehört, war die Zahlung an das jüdische Krankenhaus ein Mittel, von außenpolitischen Schwierigkeiten abzulenken und sich international als Kämpfer für die jüdische Sache darzustellen. Man weiß es nicht, man steckt nicht drin. Aber warum nicht optimistisch sein?

Wenn es für Mahmud Ahmadinedjad übrigens irgendwann mal eng werden sollte, möge man ihm politisches Asyl in Deutschland anbieten. Zur Not ist bei den Amirpurs im Gartenhäuschen sicher noch Platz. Dann könnte er bei den nächsten antisemitischen Demos vorneweg marschieren, von dort aus von den innenpolitischen Schwierigkeiten im Iran ablenken und sich als Kämpfer für die palästinensische Sache darstellen, obwohl er im Grunde seines Herzens am liebsten für den jüdischen Staat Partei ergreifen würde. Bei den „Israelkritikern“ hierzulande ist das ja bekanntlich genauso.

Herzlichen Dank an Mona Rieboldt für wertvolle Hinweise.

7.2.09

Nestbeschmutzer! Vaterlandsverräter!



Als Deutschland bei der Fußball-WM im eigenen Land vor zweieinhalb Jahren sein erklärtes Ziel verfehlte und nur Dritter wurde, verlieh es sich selbst den Trost- und Trotzpreis „Weltmeister der Herzen“. Nun darf es sich mit diesem Titel auch jenseits des Rasenvierecks schmücken: Einer gestern veröffentlichten globalen Umfrage der BBC zufolge ist es nämlich das beliebteste Land der Welt. Am anderen Ende der Skala stehen der Iran, Pakistan sowie Nordkorea – und Israel. Wenig überraschend ist dabei, dass der jüdische Staat hierzulande auf eine überdurchschnittlich große Ablehnung stößt: Nur neun Prozent der Deutschen bewerten ihn positiv – der geringste Wert in den befragten Staaten der Europäischen Union. Noch ablehnender gegenüber Israel haben sich in der Erhebung lediglich Ägypter und Japaner geäußert. Gerade einmal 64 Jahre nach der Shoa zu Everybody’s Darling aufgestiegen zu sein und dabei gleichzeitig die alten Ressentiments in Form der „Israelkritik“ weiter pflegen zu können – das ist schon eine reife Leistung.

Dafür, dass das auch so bleibt, sorgt nicht zuletzt der Verfassungsschutz. Dessen nordrhein-westfälisches Oberhaupt mit Namen Hartwig Möller hat nämlich den Ruhr Nachrichten in einem Interview erklärt, das unlängst in Duisburg erfolgte, polizeilich beendete Zeigen der Flagge eines der unbeliebtesten Länder der Welt im beliebtesten Land der Welt während einer Demonstration von, ja doch, Kritikern dieses vor allem hierzulande sehr unbeliebten Landes sei eine „gezielte Aktion“ von „Antideutschen“, sprich: Nestbeschmutzern und Vaterlandsverrätern, gewesen. Und von denen gebe es – horribile dictu – allein im bevölkerungsreichsten Bundesland dieser Republik „sicherlich mehr als 100, möglicherweise auch bis zu 200“ – eine nachgerade umsturzfähige Größenordnung also. Diese Israelfreunde trieben sich, wusste Möller, in NRW vor allem in Köln, Duisburg, Oberhausen, Dortmund, Recklinghausen und Münster herum und stellten „bei Demonstrationen durchaus eine beachtliche und wahrnehmbare Größenordnung dar“.

Manchmal besteht diese „wahrnehmbare Größenordnung“ sogar nur aus zwei Personen. Wie eben in Duisburg, wo es ein Pärchen schaffte, mit einem Stückchen Stoff einen zehntausend Menschen zählenden Mob zur Raserei zu bringen. Der männliche Teil dieses Pärchens, ein 25-jähriger Student, erläuterte gegenüber Spiegel Online anschließend auch noch offenherzig die Motive für sein Verbrechen: Bereits im Januar 2008 habe er die israelische Fahne aus Anlass des Holocaust-Gedenktages gehisst und sie im Mai, als Israel seinen 60. Gründungstag feierte, gar gleich mehrere Wochen lang gezeigt. Zudem findet er es auch noch angemessen, „Solidarität mit der einzigen Demokratie der Region“ zu bekunden. Und so habe er die Fahne eben auch ins Fenster seiner Wohnung gehängt, als antiisraelische Demonstranten durch seinen Wohnort marschierten. Denn er sei besorgt über „die größten antisemitischen Aufmärsche in Europa seit 1945“.

Grund genug für den Verfassungsschützer Möller, Alarm zu schlagen und zu konstatieren, Antideutsche seien „häufig auffällig geworden in gewalttätigen Demonstrationen und als Auslöser von Krawallen“. Schlimmer noch: „Im Mittelpunkt des politischen Bestrebens der Antideutschen steht die bedingungslose Unterstützung des Staates Israel und damit auch dessen Schutzmacht USA.“ Und am allerschlimmsten: „Wurzel dieser Haltung ist eine abgrundtiefe Feindschaft gegenüber der deutschen Nation. Begründung: Durch die planmäßige Judenvernichtung im Dritten Reich habe es Deutschland auf alle Zeit verwirkt, als Staat zu existieren. Glorifiziert wird entsprechend alles, was dazu geführt hat, dass Deutschland im Zweiten Weltkrieg besiegt wurde.“ Und das geht ja nun wirklich nicht – was sollen da die Nachbarn sagen, vor allem die, die von Deutschland im Zweiten Weltkrieg gepeinigt wurden?

Wie gut also, dass es den Verfassungsschutz gibt. Denn der kümmert sich nicht nur darum, hierzulande die Sympathien für Israel und den Kampf gegen den Antisemitismus im Zaum zu halten, sondern er verhindert außerdem eine Verschlechterung der Sympathien gegenüber Deutschland bei der nächsten BBC-Umfrage. Und damit ist auch er: ein Weltmeister der Herzen.

Das Foto entstammt einer Kundgebung gegen einen antisemitischen Aufmarsch in Köln am 10. Januar 2009. © Lizas Welt

4.2.09

Von Pius- und Muslimbrüdern



Wahrscheinlich hat Peter Seewald, der Biograf des Joseph Alois Ratzinger, durchaus Recht mit seiner Vermutung, dass der Papst in der Causa Richard Williamson vor allem „falsch beraten“ worden ist. Allerdings nicht, wie Seewald glaubt, weil niemand dem Benedikt gesteckt hat, dass Piusbruder Williamson den Holocaust leugnet. (Das nämlich dürfte selbst bis zum Heiligen Vater durchgesickert sein.) Sondern weil ihm offenbar keiner den ultimativen Kniff verraten mochte, wie die Kritik an der Reintegration des Bischofs in die katholische Kirche am effektivsten zu kontern gewesen wäre: Einfach diesen Schritt als Widerspruch gegen den Gaza-Krieg (und also als Plädoyer für den Frieden) verkauft, schon hätte die Papstmütze wieder gepasst.

Eine absurde Idee? Nicht doch: Immerhin durfte ein Udo Steinbach – dem darin allein Michel Friedman widersprach – in der ARD-Talkrunde Hart aber fair Israel dafür verantwortlich machen, dass ostdeutsche Hooligans im Stadion „Juden raus!“ grölen und damit sozusagen gegen die israelische Politik protestieren. Immerhin konnten Abertausende von Hamas-Getreuen unter „Kindermörder Israel“- und „Tod Israel“-Rufen durch deutsche Innenstädte marschieren und dem jüdischen Staat auf zahllosen Plakaten einen „Holocaust am palästinensischen Volk“ unterstellen – um sich anschließend von den deutschen Medien ihren Friedenswillen bescheinigen zu lassen (wohingegen das Zeigen von Israelfahnen als „Provokation“ galt). Und immerhin wurde einem dieser „Israelkritiker“ sogar polizeilich bescheinigt, dass selbst das per Eisenstange exekutierte, also durchaus unfriedliche Niederschlagen eines Wachmanns vor einer Synagoge immer noch als irgendwo nachvollziehbare Widerstandshandlung „gegen das Vorgehen Israels im Gaza-Krieg“ durchgeht.

Was also ist es, das dazu führt, dass einerseits der Papst in die Kritik gerät, wenn er einen Holocaustleugner zurück in seinen Verein holt – während andererseits antisemitischen Muslimen (und ihren deutschen Advokaten) mit großem Verständnis begegnet wird? Was ist es, das dazu führt, dass einerseits Richard Williamson aufgrund seiner Behauptung, die Juden hätten den Holocaust erfunden, „damit wir demütig auf Knien ihren Staat Israel genehmigen“, zur persona non grata wird – während man andererseits Israel zu Verhandlungen mit der Hamas auffordert, jener Hamas, deren Zweck und Ziel die Vernichtung Israels ist und die sich in ihrer Charta auf die „Protokolle der Weisen von Zion“ beruft? Was ist es, das dazu führt, dass einerseits die Piusbrüder für ihren Hass auf Juden und Homosexuelle gegeißelt werden – die Muslimbrüder andererseits aber nicht?

Malte Lehming hat in einem lesenswerten Kommentar für den Tagesspiegel Antworten auf diese Fragen gegeben: „Muslime werden im Westen nicht ganz ernst genommen. Ihr Antisemitismus gilt als eine Art Folklore, der wegen der besonderen kulturellen Rückständigkeit mildernde Umstände verdient hat – ein ideologischer Import aus Europa, der den Lehren Mohammeds nur übergestülpt wurde, ein Kunstprodukt, nichts Organisches. Darum dürfen bei Anti-Israel-Demos wegen des Gazakrieges selbst in Deutschland die übelsten Slogans skandiert werden. Würden Ethnodeutsche dieselben Hassparolen brüllen, wäre längst der Staatsanwalt tätig. Wer aber derart mit zweierlei Maß misst, ist entweder Ignorant oder Rassist.“ Und das, so Lehming, dürfe nicht sein: „Man sollte ihn [Richard Williamson] unter Quarantäne stellen – wie die Hamas, die in ihrer Charta die Juden zu Drahtziehern des Zweiten Weltkriegs erklärt. Wenn mit Williamson ein Dialog nicht möglich ist, dann gilt das erst recht für die Hamas.“

Dieser Rassismus, mit dem Muslime nicht selten zu mental Minderbemittelten erklärt werden, die einfach nicht Herr ihrer Sinne sind und deshalb nicht für ihr Tun verantwortlich gemacht werden können, spiegelt dabei die Sehnsüchte nicht weniger Deutscher wider. Diese Deutschen projizieren sich die Muslime grosso modo als „edle Wilde“ zurecht, die sie in ihrer eigenen Zivilisationsfeindlichkeit insgeheim beneiden: Weil sie gerne in einer klassenübergreifenden Volksgemeinschaft aufgehen würden, die als solche nach Auschwitz jedoch offiziell verpönt ist und nur noch beim Fußball so richtig ausgelebt werden kann, beneiden sie die Muslime um ihre Umma, die qua Selbstverständnis weder Klassen noch Parteien kennt und trotzdem nur selten verdächtigt wird, ein antisemitisches Kollektiv zu sein. Weil sie den Unterschied zwischen Recht und gesundem Volksempfinden – den ihnen nur der Tatort kurz vor dem Wochenbeginn für anderthalb Stunden aufhebt – einfach nicht verknusen können, beneiden sie den Islam um seine Sharia, die beides in eins setzt und für „Abweichler“ die Strafen vorsieht, die man hierzulande nur hinter vorgehaltener Hand fordert. Weil sie eine wort- und gestenreiche Trauer über die toten Juden als Vorleistung erbringen müssen, um sich ungestört per „Israelkritik“ über die lebenden hermachen zu können, beneiden sie die Anhänger Allahs, die derlei nicht nötig finden, weil sie sich als „Opfer der Opfer“ sehen und ihre „Israelkritik“ entsprechend hemmungslos ausleben.

Vor diesem Hintergrund wird es erklärlich, warum der Papst für die Rehabilitierung eines Antisemiten unisono gescholten wird, während man Antisemiten aus einem anderen „Kulturkreis“ samt ihrer deutschen Adepten weitgehend unwidersprochen gewähren lässt, wo man ihnen nicht gar lautere Motive zubilligt. Und selbst wenn man sich offiziell einmal verbal distanziert – wie etwa gegenüber Mahmud Ahmadinedjad –, bedeutet das noch lange nicht, dass die gemeinsame Geschäftsgrundlage infrage gestellt wird. Im Gegenteil: Das deutsche „Nie wieder!“, das zuletzt am Jahrestag der Befreiung von Auschwitz einmal mehr feierlich ge- und beschworen wurde, ist geradezu die Voraussetzung für das „Weiter so!“.

Zu den Fotos: Das linke Bild wurde auf einer antisemitischen Demonstration in Köln am 12. Januar aufgenommen, das rechte zeigt den Piusbruder und Bischof Richard Williamson.